Hans Pfaalls Mondfahrt

Nach jüngsten Berichten aus Rotterdam scheinen sich alle Philosophen der Stadt in höchster Aufregung zu befinden. Es haben sich dort in der Tat so unerwartete, so absolut neue Phänomene gezeigt – Phänomene, die so im Widerspruch mit den bis jetzt behaupteten Ansichten stehen, daß ich fürchte, ganz Europa wird nach nicht allzulanger Zeit in eine Art Aufruhr geraten, die ganze Physik wird sich empören, der gesunde Menschenverstand und die Astronomie werden sich in den Haaren liegen.

Den Berichten nach hatte sich also im Monat … am … (ich erinnere mich des Datums nicht mit Bestimmtheit) auf dem großen Börsenplatze der bewußten Stadt Rotterdam zu einem nicht genauer erwähnten Zwecke eine große Volksmenge versammelt. Der Tag war warm – ungewöhnlich warm sogar für die Jahreszeit, kein Lüftchen wehte, und der Menge war es durchaus nicht unangenehm, daß von Zeit zu Zeit aus den großen, weißen Wolken, die über das blaue Himmelsgewölbe zogen, ein leichter Regen niederrieselte. Gegen Mittag nun machte sich in der versammelten Menge eine leichte, doch deutlich spürbare Erregung bemerklich. Darauf folgte das Gemurmel von zehntausend Stimmen, und eine Minute später wandten sich die zehntausend Gesichter zum Himmel empor, zehntausend Pfeifen fielen wie auf einen Schlag aus zehntausend Mündern, und ein Schrei, der nur mit dem Getöse der Niagarafälle verglichen werden kann, erscholl durch die ganze Stadt und über die ganze Umgebung von Rotterdam.

Was die Ursache dieses immerhin seltsamen Gebarens gewesen, wurde bald offenbar. Hinter der scharf umrissenen Masse einer der schon erwähnten Wolken trat langsam hervor und glitt in eine der blauen Himmelslagunen ein rätselhaftes, heterogenes, doch offenbar stofflich festes Etwas von so sonderbarer Gestalt, so phantastischer Zusammensetzung, daß es die wohlbeleibten Bürger, die mit offenem Munde nach oben starrten, nicht verstehen konnten, aber auch nicht zu bewundern müde wurden. Was konnte es sein? Im Namen aller Teufel von Rotterdam, was konnte das zu bedeuten haben? Niemand wußte es, niemand hatte auch nur eine Ahnung; niemand, nicht einmal der Bürgermeister, Mynheer Superbus van Underduk, fand die geringste Vermutung, die es ermöglicht hätte, das Geheimnis aufzuklären. So daß schließlich ein jeder, da man doch nichts Vernünftigeres tun konnte, seine Pfeife wieder sorgfältig in den Mundwinkel steckte, ein Auge beharrlich auf das Phänomen gerichtet hielt, paffte, eine Pause machte, mal nach rechts und links wackelte, bedeutungsvoll grunzte und – wieder paffte.

Mittlerweile jedoch kam der Gegenstand so außerordentlicher Neugierde und die Ursache so vielen Dampfes der guten Stadt näher und näher. In wenigen Minuten war das Wunder so nahe, daß man es deutlich erkennen konnte. Es schien – nein, es war bei Gott eine Art von Ballon, doch hatte man einen solchen Ballon in Rotterdam noch nie zuvor erblickt. Denn wer, lassen Sie mich fragen, wer hat jemals einen Ballon gesehen, der ganz aus schmutzigen Zeitungen gemacht ist? In Holland gewiß niemand! Und gerade vor der Nase oder vielmehr gerade über der Nase all dieser Leute befand sich nun ein solches Ding, eins, das, wie ich aus bester Quelle erfahren habe, gerade aus dem Material hergestellt war, von dem noch niemand gehört hatte, daß es je zu einem solchen Zwecke verwendet worden wäre. Das erschien dem gesunden Menschenverstande der Bürger von Rotterdam eine ungeheure Beleidigung zu sein.

Was die Gestalt des Ballons anging, nun, so war sie noch tadelnswürdiger, denn sie hatte keine andere Form, als die einer riesigen umgestülpten Narrenkappe. Und diese Ähnlichkeit verminderte sich durchaus nicht, als die Menge bei genauerem Hinsehen von der Spitze eine große Troddel herabhängen und an dem oberen Rande oder der Basis des Kegels kleine Instrumente herumbaumeln sah, die Schafsglocken glichen und fortwährend die Melodie des schönen Liedes ›Wilhelmus von Nassauen‹ klingelten.

Aber es sollte noch schlimmer kommen!

An blauen Bändern hing vom Rande dieser phantastischen Maschinerie ein riesiger, grauer Castorhut wie eine Gondel herab. Die Ränder waren übertrieben breit, der halbkugelförmige Kopf mit einem schwarzen Bande und einer silbernen Schnalle geschmückt. Es muß jedoch höchst merkwürdig erscheinen, daß mancher Einwohner von Rotterdam schwor, er habe den Hut früher schon öfters gesehen – ja, die ganze versammelte Menge schien ihn mit den Augen eines guten Bekannten zu betrachten. Und Mevrouw Grettel Pfaall stieß gar bei seinem Anblick einen Ruf freudigster Überraschung aus und erklärte, es sei der Hut ihres guten Gatten. Dieser letzte Umstand verdiente um so größere Beachtung, als Pfaall, Hans hieß er mit Vornamen, mit drei Genossen, vor ungefähr fünf Jahren ganz plötzlich und auf unerklärliche Weise aus Rotterdam verschwunden war, und bis zu dem Tage, an dem diese Erzählung beginnt, alle Nachforschungen nach seinem Verbleib nicht das geringste Ergebnis gehabt hatten. Allerdings waren noch neulich im Osten der Stadt an einem versteckten Orte mit anderen sonderbaren Trümmern einige anscheinend von Menschen stammenden Gebeine gefunden worden. Ein paar Leute hatten daraufhin die Vermutung ausgesprochen, daß an dieser Stelle wahrscheinlich eine schreckliche Bluttat geschehen sei, deren Opfer jedenfalls Hans Pfaall und seine Kameraden geworden.

Doch kehren wir zu unserer Erzählung zurück.

Der Ballon (ohne Zweifel war es einer) hatte sich dem Boden bis auf hundert Fuß genähert und gestattete der Menge, die Person, der er zum Aufenthalt diente, genau in Augenschein zu nehmen. Es war ein sonderbarer Jemand. Er mochte kaum zwei Fuß hoch sein, und doch hätte ihn seine Winzigkeit nicht verhindert, daß Gleichgewicht zu verlieren und über den Rand seiner Gondel hinauszufallen, wenn er nicht außerdem noch in einem runden Reifen gesteckt hätte, der ihm um Brust und Rücken ging und an den Stricken des Ballons festgebunden war. Der Körper des kleinen Mannes erschien über alle Proportionen dick und gab seiner ganzen Erscheinung etwas absurd Rundes. Seine Füße konnte man natürlich nicht sehen. Seine Hände waren ungeheuer groß. Sein Haar war grau und hinten in einen Zopf geordnet. Seine Nase war außerordentlich lang, gebogen und leuchtend purpurrot, seine Augen blickten scharf und glänzend. Sein Kinn und seine Wangen, obwohl von Altersfalten durchzogen, waren breit, weich und doppelt, von einem Ohr hingegen an keiner Seite seines Kopfes auch nur das geringste zu entdecken. Dieser sonderbare kleine Herr war in einen losen Überrock von himmelblauer Seide gekleidet; er trug eng anliegende Beinkleider, die an den Knien mit silbernen Schnallen befestigt waren; seine Weste bestand aus einem gelben, glänzenden Stoffe, eine Mütze aus weißem Taffet saß zierlich und kokett schief auf seinem Kopfe, und um seinen Anzug zu vervollständigen, trug er ein blutrotseidenes Tuch um den Hals gewunden; vorne war dasselbe zu einem ungeheueren Knoten geschlungen, dessen Zipfel prunkvoll auf seine Brust herabhingen.

Als der alte Herr, wie ich eben schon sagte, bis auf hundert Fuß der Erde nahe gekommen, wurde er von einem Zittern ergriffen, und schien keine Lust zu verspüren, sich die terra firma genauer anzusehen. Er warf aus einem Leinwandbeutel, den er mit großer Mühe aufhob, eine Menge Sand aus, und der Ballon stand dann auch sofort still. Dann zog er in eiliger, aufgeregter Weise eine Brieftasche aus Maroquinleder aus der Seitentasche seines Überrockes. Er wog sie argwöhnisch in seiner Hand und betrachtete sie dann mit einem Ausdruck höchster Überraschung, als erstaune ihn ihr Gewicht. Endlich öffnete er sie und entnahm ihr einen riesigen Brief, der mit rotem Wachs gesiegelt und mit einem Bändchen von derselben Farbe sorgfältig zusammengebunden war, und ließ ihn gerade vor die Füße des Bürgermeisters Superbus van Underduk hinabfallen.

Seine Exzellenz bückte sich, um ihn aufzuheben. Der Aeronaut jedoch, der sich noch immer in großer Unruhe zu befinden schien, und auch wohl weiter keine Geschäfte in Rotterdam zu verrichten hatte, traf eilfertig seine Veranstaltungen zur Abfahrt. Da er wieder Ballast auswerfen mußte, um steigen zu können, so fiel ein halbes Dutzend Sandsäcke, die er, ohne sich die Mühe zu geben, sie zu leeren, einfach herunterwarf, dem unglückseligen Bürgermeister auf den Buckel und kegelte ihn nicht weniger als ein halbdutzendmal vor den Augen von ganz Rotterdam um.

Man muß nun nicht glauben, daß sich der große Underduk diese Impertinenzen des kleinen alten Mannes gefallen ließ. Im Gegenteil, man erzählt, daß er während der sechs Umdrehungen nicht weniger als ein halbes Dutzend wütender Dampfwolken aus seiner Pfeife blies, die er während der ganzen Zeit aus aller Kraft zwischen den Zähnen festhielt, und – so Gott will – bis zum Tage seines Todes festhalten wird.

Mittlerweile erhob sich der Ballon wie eine Lerche, schwebte hoch über der Stadt und verschwand endlich ruhig hinter einer Wolke, die der, hinter welcher er hervorgekommen, ganz ähnlich war, und wurde so den staunenden Augen der guten Bürger auf immer entzogen. Nun richtete sich die ganze Aufmerksamkeit auf den Brief, dessen Ankunft oder vielmehr dessen Begleitumstände sich so umstürzlerisch gegen die würdige Person Seiner Exzellenz van Underduk gerichtet. Der hohe Beamte hatte jedoch während seiner kreisförmigen Bewegungen nicht vergessen, die Epistel in Sicherheit zu bringen, die, wie sich alsbald herausstellte, in die richtigen Hände gelangt war, da sie an ihn selbst und den Professor Sternekiek in ihrer Eigenschaft als Präsident und Vizepräsident des Rotterdamer Astronomischen Kollegiums adressiert war. Er wurde von den beiden Würdenträgern auf der Stelle geöffnet und enthielt folgende höchst seltsame und bei Gott höchst bedeutungsvolle Mitteilung:

An Ihre Exzellenzen van Underduk und Sternekiek, Präsident und Vizepräsident des staatlichen Kollegium für Astronomie in der Stadt Rotterdam.

Eure Exzellenzen erinnern sich vielleicht noch eines bescheidenen Handwerkers namens Hans Pfaall, seines Zeichens Blasebalgflicker, der mit drei anderen vor ungefähr fünf Jahren unaufgeklärterweise aus Rotterdam verschwand. Wenn es Euren Exzellenzen gefällt – ich, der Schreiber dieser Mitteilung, bin Hans Pfaall selbst. Es ist jedem meiner Mitbürger wohl bekannt, daß ich vierzig Jahre lang, bis zum Tage meines Verschwindens, das kleine Ziegelhaus am Anfang des Sauerkrautgäßchens inne hatte. Meine Voreltern haben seit undenklichen Zeiten in demselben gelebt – sie alle gingen, wie ich, dem ehrenwerten und einträglichen Handwerk des Bälgeflickens nach; und es gab wahrhaftig bis vor wenigen Jahren, als die Politik noch nicht in aller Köpfe spukte, keinen Erwerb, den sich ein ehrlicher Bürger lieber hätte wünschen mögen. Der Kredit war gut, das Geschäft ging flott, und es fehlte weder an Geld noch an gutem Willen. Doch wie ich schon sagte, wir begannen bald die Wirkungen der Freiheit, langer Reden, des Radikalismus und ähnlicher Sachen zu spüren. Leute, die sonst die besten Kunden von der Welt gewesen, hatten jetzt nicht einen Augenblick Zeit mehr, um an uns zu denken. Sie mußten den ganzen Tag von Revolutionen lesen, um mit der Entwickelung des Verstandes und dem Geiste der Zeit Schritt halten zu können. Wenn ein Feuer geschürt werden sollte, so fächelten sie es rasch mit einer Zeitung. Je schwächer die Regierung wurde, desto stärker wurde meine Überzeugung, daß Leder und Eisen immer unzerstörbarer wurden –, denn in sehr kurzer Zeit gab es in ganz Rotterdam keinen Blasebalg mehr, der einen Flicken oder einen Schlag mit dem Hammer nötig gehabt hätte. Das war doch ein sehr unhaltbarer Zustand, wenigstens konnte ich mich nicht in demselben halten. Ich war bald so arm wie eine – na! natürlich Kirchenmaus, und da ich eine Frau und Kinder zu ernähren hatte, erschien mir das Leben nach kurzer Zeit unerträglich und ich dachte manchmal darüber nach, wie ich ihm am besten ein Ende machen könne.

Meine Herren Gläubiger ließen mir jedoch nur wenig Muße zum Nachdenken. Mein Haus war vom Morgen bis zum Abend buchstäblich belagert. Besonders drei Burschen quälten mich über alle Menschenmöglichkeit, hielten beständig an meiner Tür Wache und drohten mit dem Gesetz. Diesen dreien gelobte ich Rache, sobald sie mir nur mal in die Finger geraten würden. Und ich glaube, nur der Gedanke an diesen meinen Triumph verhinderte, daß ich meinen Selbstmordplan, mir eine Kugel durch den Kopf zu jagen, sofort ausführte. Mittlerweile hielt ich es für das beste, meine Wut zu verbergen und sie mit guten Worten und Versprechungen so lange hinzuhalten, bis mir irgendwelche glücklichen Umstände eine Gelegenheit zur Rache bieten würden.

Eines Tages, als ich ihnen gerade wieder einmal entwischt war, irrte ich, niedergeschlagener als je, ziellos durch verborgene Straßen, bis ich mich endlich zufällig an der Krambude eines Buchhändlers fürchterlich stieß. Ich sah einen Stuhl in der Nähe, in den ich mich verbittert hineinwarf, und öffnete, ohne recht zu wissen, warum, das erste beste Buch, das mir in die Hand kam. Es war eine kleine Abhandlung über die spekulative Astronomie und entweder von dem Professor Encke aus Berlin oder von einem Franzosen mit ähnlichem Namen geschrieben. Ich hatte schon einen kleinen Schimmer von dieser Wissenschaft und las das Bändchen zweimal durch, ehe ich mich wieder auf das, was um mich herum vorging, besinnen konnte. Mittlerweile war es dunkel geworden, und ich lenkte meine Schritte heimwärts. Doch hatte die Abhandlung in Verbindung mit der Mitteilung einer wichtigen Entdeckung auf pneumatischem Gebiete, die mir vor kurzer Zeit ein Vetter aus Nantes unter dem Siegel der Verschwiegenheit gemacht, einen unauslöschlichen Eindruck auf mich ausgeübt. Und während ich so durch die dämmernden Straßen schlenderte, ließ ich die seltsamen und zum Teil unverständlichen Schlüsse des Autors sorgfältig noch einmal vor meinem Gedächtnisse dahinziehen. Einige Stellen wirkten außerordentlich stark auf meine Phantasie; je länger ich über sie nachgrübelte, desto stärker wurde das Interesse, das sie in mir erregten. Meine im allgemeinen sehr beschränkte Bildung und meine in der Naturlehre ganz besonders große Unwissenheit zerstörten in mir doch nicht die Hoffnung, das, was ich gelesen, auch einmal verstehen zu können, und machten mich gegen die unbestimmten Gedanken, die mir während der Lektüre gekommen, durchaus nicht mißtrauisch, waren im Gegenteil meiner Phantasie nur ein mächtiger Antrieb. Und ich war eitel, oder vielleicht vernünftig genug, um mich zu fragen, ob die unreifen Ideen, die so oft bei ungeschulten Geistern auftauchen, nicht die ganze Kraft und Wahrheit und die anderen, dem Instinkt oder der Intuition eingeborenen Eigenschaften haben.

Als ich zu Hause ankam, war es schon spät, und ich ging gleich zu Bett. Doch war ich zu sehr beschäftigt, um einschlafen zu können, und lag die ganze Nacht im Nachdenken versunken wach. Am anderen Morgen stand ich sehr früh auf, eilte wieder zu der Bude des Buchhändlers und kaufte für mein letztes Geld einige Bücher über Mechanik und praktische Astronomie. Als ich mit diesen glücklich zu Hause angekommen war, widmete ich jeden freien Augenblick ihrem Studium und machte bald solche Fortschritte, daß ich an die Ausführung eines gewissen Planes, den mir entweder der Teufel oder mein guter Geist eingegeben, denken konnte. In dieser Zeit hatte ich mich auch verschiedentlich bemüht, die drei Gläubiger, die mich am meisten belästigten, zu befriedigen. Es gelang mir auch, teils durch den Verkauf von Hausgeräten, mit dessen Ergebnis ich sie zur Hälfte bezahlte, teils durch das Versprechen, daß ich das übrige sofort begleichen würde, wenn ich ein kleines Projekt, das ich im Kopfe hätte, und zu dessen Ausführung ich ihrer Hilfe bedürfe, ausgeführt haben würde. Durch dieses Mittel (es waren sehr unwissende Leute) gelang es mir ohne Mühe, sie meinen Zwecken geneigt zu machen.

Nachdem alles so weit gediehen war, verschaffte ich mir mit Hilfe meiner Frau durch den geheimen, vorsichtigen Verkauf alles dessen, was mir noch geblieben, und durch kleine, unter verschiedenen Vorwänden gemachte Anleihen, eine ziemliche Summe baren Geldes; ohne mich, wie ich mit Beschämung gestehen muß, im geringsten darum zu kümmern, ob ich die Darlehen jemals wieder zurückzahlen könne.

Nun kaufte ich mir möglichst unauffällig verschiedene Stücke sehr feinen Batist – jedes Stück maß zwölf Ellen –, Bindfaden, einen Vorrat von Kautschukfirnis, einen großen tiefen, auf Bestellung gemachten Korb aus Weidengeflecht und verschiedene andere Gegenstände, die zur Herstellung eines sehr großen Ballons nötig sind. Ich trug meiner Frau auf, ihn sobald wie möglich zu nähen, und gab ihr während der Arbeit genaue Anweisungen. Ich selbst verfertigte aus dem Bindfaden ein Netz von genügender Größe, versah es mit dem Ring und den notwendigen Stricken und kaufte verschiedene für Experimente in den oberen Regionen der oberen Atmosphäre nötige Materialien und Instrumente. Dann suchte ich mir eine versteckte Stelle im Osten der Stadt aus und brachte zur Nachtzeit ungefähr fünf eisenbeschlagene Fäßchen, deren jedes fünfzig Gallonen hielt, sowie ein größeres Faß dahin; dann sechs zinnerne Röhren von ungefähr drei Zoll Durchmesser und zehn Fuß Länge, dann eine Quantität einer gewissen metallischen oder halbmetallischen Substanz, die ich nicht nennen will, und ein Dutzend mit einer gewöhnlichen Säure gefüllter Korbflaschen. Das Gas, das ich aus den beiden letztgenannten Materialien herstellte, ist ein Gas, das noch keine andere Person als ich erzeugte – oder wenigstens jemals zu einem ähnlichen Zwecke angewandt hat. Ich kann hier nur sagen, daß es ein Bestandteil des Stickstoffes ist, den man so lange Zeit für unzusammengesetzt hielt, und daß seine Dichtigkeit ungefähr 37,4mal geringer ist, als die des Wasserstoffes. Es ist geschmack-, doch nicht geruchlos, brennt, wenn es rein ist, mit grünlicher Flamme und zerstört animalisches Leben im Augenblick. Ich würde das Geheimnis unverzüglich preisgeben, wenn es nicht von Rechts wegen (wie ich schon einmal andeutete) einem Bürger von Nantes in Frankreich, der es mir gelegentlich einmal mitteilte, angehörte. Dieselbe Person lehrte mich auch, ohne von meinen Absichten eine Ahnung zu haben, wie man aus einem gewissen animalischen Gewebe einen Ballon herstellen kann, durch den Gas nicht zu entweichen vermag. Ich fand es jedoch zu teuer und hoffte obendrein auch, daß Batist mit einem Kautschukfirnis genau dieselben Dienste leisten werde. Ich erwähne diesen Umstand, weil ich es für möglich halte, daß die betreffende Person mit dem neuen Gas und dem animalischen Stoffe, von dem ich gesprochen, eine Ballonfahrt unternehmen könnte, und ich sie der Ehre, eine sehr merkwürdige Erfindung gemacht zu haben, nicht berauben möchte.

An meinem Versteck grub ich nun für jedes der kleineren Fäßchen ein Loch, und zwar so, daß die zwölf Löcher einen Kreis von fünfundzwanzig Fuß im Durchmesser bildeten. Der Mittelpunkt dieses Kreises war für das große Faß bestimmt, und ich grub dort ein größeres Loch. In jedes der fünf kleinen Löcher legte ich eine Zinnbüchse, die fünfzig Pfund Schießpulver enthielt, in das große Loch kam ein Faß mit hundertfünfzig Pfund. Dies Faß und die Büchsen verband ich mittels langer, bedeckter Streifen, und nachdem ich in eine der Büchsen das Ende einer vielleicht vier Fuß langen Lunte eingeführt hatte, bedeckte ich das Loch und stellte das Faß oben darauf. Das andere Ende der Lunte ließ ich unauffällig etwa einen Zoll weit hervorragen. Dann füllte ich die übrigen Löcher und stellte auf jedes ein Fäßchen in der ihnen bestimmten Weise auf.

Außer den aufgezählten Gegenständen brachte ich noch einen der verbesserten Grimmschen Apparate zur Kondensierung der atmosphärischen Luft in mein Depot und verbarg ihn daselbst. Ich entdeckte jedoch bald, daß ich diese Maschine noch verschiedentlich verändern müsse, ehe sie für meine Zwecke tauglich sei. Dank größter Beharrlichkeit und hartnäckiger Arbeit gelangen mir meine Vorbereitungen aufs beste. Mein Ballon war bald fertig. Er hielt mehr als vierzigtausend Kubikfuß Gas und mußte nach meiner Berechnung mich, meine ganzen Apparate sowie noch etwa hundertsiebzig Pfund Ballast mit Leichtigkeit tragen. Er hatte drei Firnisüberzüge erhalten, und ich bemerkte mit Freuden, daß der Batist genausogut seinem Zweck entsprach wie Seide. Er war geradeso solide und kostete bei weitem weniger.

Als alles bereit war, nahm ich meiner Frau einen Eid ab, über alle meine Handlungen, von dem ersten Tage ab, da ich den Buchhändler aufgesucht, Stillschweigen zu beobachten, dagegen versprach ich ihr, sobald die Umstände es erlauben würden, zurückzukehren. Ich gab ihr alles Geld, das mir noch geblieben war, und sagte ihr Lebewohl. Ich machte mir ihretwegen auch nicht die geringste Unruhe. Sie war, was die Leute so eine prächtige Frau nennen, und konnte sich in der Welt sehr gut ohne meine Hilfe zurechtfinden. Ich glaube sogar, um die Wahrheit zu sagen, daß sie mich für einen erbärmlichen Faulenzer gehalten – für eine unnötige Last – für einen Hans-Guck-in-die-Luft, der zu weiter nichts taugte, als Luftschlösser zu bauen – und ziemlich froh war, mich los zu sein. Es war tiefe Nacht, als ich ihr Adieu sagte. Ich hatte die drei Gläubiger, die mich so viel geärgert hatten, als Flügeladjutanten zu mir befohlen, wir vier packten uns nun den Ballon, die Gondel und alles Zubehör auf und begaben uns auf Umwegen an die Stelle, wo ich die übrigen Gegenstände schon versteckt hatte. Wir fanden alles in bestem Zustande vor und machten uns gleich ans Werk.

Man schrieb den ersten April. Die Nacht war, wie ich schon sagte, dunkel, kein Stern stand am Himmel, und ein dünner Regen, der von Zeit zu Zeit niederging, belästigte uns sehr. Auch machte mir der Ballon Unruhe, der trotz des dreifachen Überzugs Feuchtigkeit anzuziehen schien. Ebenso konnte das Pulver leicht Schaden leiden. Ich ließ deshalb meine drei Manichäer hart arbeiten, ließ sie Eis um das mittlere Faß aufhäufen und die Säure in den anderen Fässern rühren. Sie hörten nicht auf, mich mit Fragen zu belästigen, was ich denn mit all diesen Apparaten vorhabe, und waren sehr unzufrieden über die schwere Arbeit, die ich sie verrichten ließ. Sie könnten nicht verstehen, meinten sie, was dabei Gutes herauskommen könne, daß ich sie bis auf die Haut naß werden lasse und zu Mitschuldigen an solch höllischem Zauberspuk mache. Ich wurde unruhig und arbeitete aus allen Kräften weiter, denn diese Dummköpfe glaubten wirklich, daß ich einen Pakt mit dem Teufel gemacht hätte, und mein Tun nur Unheil bringen könne. Da ich fürchtete, sie würden mich im Stiche lassen, beruhigte ich sie ein wenig, indem ich versprach, sie, sobald ich nur die augenblickliche Angelegenheit geordnet, bis auf den letzten Heller zu bezahlen. Sie legten sich meine Worte natürlich auf ihre Weise aus und bildeten sich ohne Zweifel ein, daß ich bald durch meine Zaubereien in den Besitz großer Summen baren Geldes gelangen würde. Und in der Hoffnung, daß ich ihnen dann meine Schulden bezahlen und sogar vielleicht noch ihre Dienstleistungen bezahlen würde, scherten sie sich den Teufel darum, was aus meiner Seele und meinem Korpus noch einmal werden würde.

Nach ungefähr vier und einer halben Stunde war der Ballon genügend gefüllt. Ich befestigte die Gondel an ihm und legte all mein Gepäck hinein: ein Teleskop, ein Barometer, an dem ich einige wichtige Umarbeitungen vorgenommen, ein Thermometer, ein Elektrometer, einen Kompaß, eine Magnetnadel, eine Sekundenuhr, eine Glocke, ein Sprachrohr etc. etc., sowie einen gläsernen Globus, der luftleer gemacht und hermetisch verschlossen war, den Kondensierapparat, ungelöschten Kalk, ein großes Stück Siegellack, einen reichhaltigen Vorrat Wasser, genügende Lebensmittel sowie Pemmican, welches in kleiner Masse sehr viel Nährstoff enthält. Außerdem nahm ich ein paar Tauben und eine Katze mit in die Gondel.

Der Tag begann zu dämmern, und es wurde hohe Zeit zum Aufbruch. Ich ließ wie zufällig eine brennende Zigarre zur Erde fallen, und als ich mich bückte, um sie aufzuheben, steckte ich dabei heimlich das Ende der Lunte in Brand, das, wie ich schon sagte, etwas über den unteren Rand eines der kleinen Fäßchen herausragte.

Ich tat dies, ohne daß einer meiner drei Quälgeister auch nur das geringste merkte. Dann sprang ich in die Gondel, zerschnitt das einzige Seil, das den Ballon an die Erde fesselte, und wurde zu meiner großen Freude mit größter Schnelligkeit nach oben getragen. Als ich die Erde verließ, zeigte das Barometer dreißig Zoll und das Centigradthermometer 19°.

Kaum war ich bis zu einer Höhe von fünfzig Ellen emporgestiegen, als unter mir mit schrecklichem Krachen und Donnern ein Feuerstrahl hochschoß, Kies, brennendes Holz, glühendes Metall und zerfetzte menschliche Gliedmaßen aufspie, so daß ich fühlte, wie mein Herz erbebte und ich mich vor Schreck zitternd auf den Boden der Gondel niederwarf. Es wurde mir klar, daß ich die Minen viel zu sehr geladen hatte, und daß ich die hauptsächlichsten Folgen der Explosion noch zu tragen habe. In weniger als einer Sekunde fühlte ich denn auch, wie mir all mein Blut in die Schläfen stürzte, und gleich darauf ging so eine gräßliche Erschütterung durch die Luft, als wollte sie das Firmament selber zerspalten. Als ich später Zeit zum Nachdenken hatte, führte ich die Heftigkeit der Explosion auf ihre wahre Ursache zurück. Ich befand mich nämlich gerade über derselben, also in ihrer direkten und stärksten Wirkungslinie; damals jedoch dachte ich nur daran, mein Leben zu schützen. Der Ballon fiel erst ein wenig zusammen, dann dehnte er sich wie wütend aus, kreiste mit schwindelnder Schnelligkeit um sich selbst herum nach oben, dann schwankte und torkelte er wie ein Betrunkener, schleuderte mich aus der Gondel heraus, wobei ich mich zufällig, in fürchterlicher Höhe, mit dem Kopfe nach unten, mit dem linken Fuß in einer drei Fuß langen, dünnen Schlinge verfing, die aus einer Lücke der Weidengeflechtgondel nahe an ihrem Boden heraushing. Es ist unmöglich – ganz unmöglich, sich auch nur eine einigermaßen entsprechende Vorstellung von meiner schrecklichen Situation zu machen. Ich schnappte krampfhaft nach Luft, ein Schauder, als läge ich im Fieber, durchrann meine Nerven, schüttelte meine Muskeln, ich fühlte, wie meine Augen aus ihren Höhlen hervortraten, ein gräßlicher Schwindel befiel mich, ich verlor das Bewußtsein, wurde ohnmächtig …

Wie lange ich in diesem Zustande blieb, ist nicht festzustellen. Doch muß er eine beträchtliche Zeit angehalten haben, denn als ich wieder einigermaßen zu mir kam, war es ganz Tag geworden, und der Ballon befand sich in ungeheurer Höhe über dem unendlichen Ozean; weit und breit, an den Grenzen des Horizonts, war jede Spur von Land verschwunden. Diese Entdeckung ängstigte mich jedoch nicht so sehr als ich eigentlich erwartet hätte. Vielleicht lag schon etwas Wahnsinn in der Gelassenheit, mit der ich meine Lage erwog. Ich hob meine beiden Hände vor die Augen und fragte mich voll Erstaunen, woher es kommen könne, daß meine Adern so aufgeschwollen und meine Fingernägel so schwarz seien. Dann untersuchte ich genau meinen Kopf, bewegte ihn öfters hin und her, befühlte ihn mit gespannter Aufmerksamkeit, bis ich mich genügend davon überzeugt hatte, daß er nicht, wie ich vermutet, größer sei als mein Ballon. Dann tastete ich gewohnheitsmäßig in den Hosentaschen herum, und als ich merkte, daß ich mein Notizbuch und meinen Zahnstocher verloren hatte, dachte ich angestrengt nach, auf welche Weise sie wohl verschwunden sein könnten; und als ich es mir nicht zu erklären vermochte, wurde ich tief bekümmert. Hierauf schien es mir, als empfände ich einen lebhaften Schmerz in meinem linken Knöchel, und eine dunkle Erkenntnis meiner Lage begann gleichzeitig in meinem Geiste zu dämmern.

Doch so seltsam es auch klingt – ich empfand weder Staunen noch Schrecken. Wenn ich überhaupt etwas spürte, so war es höchstens eine Art von Genugtuung über die Geschicklichkeit, die ich jetzt gleich entfalten wollte, um mich aus dem Dilemma zu befreien. Und keinen Augenblick lang schien mir meine Sicherheit auch nur im geringsten gefährdet. Einige Minuten überlegte ich, was nun zuerst zu tun sei. Ich erinnere mich deutlich, daß ich dabei oft die Lippen zusammenpreßte, meinen Zeigefinger an die Nase legte, kurz, alle die Bewegungen und Grimassen vollführte, durch die sich andere Sterbliche, wenn sie gemütlich daheim im Lehnstuhl über verzwickte oder wichtige Sachen nachgrübeln, auszeichnen. Nachdem ich meine Gedanken genügend gesammelt hatte, brachte ich mit der größten Vorsicht und Überlegung meine Hände auf den Rücken und löste die große Eisenschnalle, die den Gürtel, der meine Beinkleider trug, zusammenhielt. Diese Schnalle hatte drei Zähne, die ein wenig rostig waren und sich nur sehr schwer in ihren Achsen drehten. Mit vieler Mühe brachte ich es so weit, daß sie im rechten Winkel zu der Schnalle selbst standen, und freute mich sehr, daß sie in dieser Lage unverrückbar fest blieben. Dies Instrument hielt ich nun mit den Zähnen fest und begann den Knoten meiner Krawatte zu lösen. Ich mußte verschiedene Male ausruhen, ehe ich das Werk zu Ende brachte, endlich war ich fertig. An dem einen Ende der Krawatte befestigte ich die Schnalle, das andere band ich, der größeren Sicherheit wegen, um mein Handgelenk. Durch eine fabelhafte Anstrengung all meiner Muskelkraft schleuderte ich meinen Körper nach oben, und es gelang mir auch beim ersten Versuche, die Schnalle in die Gondel zu schleudern, wo sie sich, wie ich geahnt, denn auch am oberen Rande fest einhakte.

Mein Körper neigte sich nun in einem Winkel von ungefähr fünfundvierzig Grad gegen die Seitenwand der Gondel, doch muß man nicht glauben, daß ich jetzt nur noch fünfundvierzig Grad unter der Senkrechten gewesen wäre. Ich lag noch immer fast auf dem Plan mit dem Niveau des Horizontes, denn meine veränderte Lage hatte den Boden der Gondel weit von mir entfernt und meine Position war äußerst gefährlich.

Doch erinnere man sich daran, daß ich, falls ich mit dem Gesicht nach innen statt nach außen aus der Gondel gefallen wäre – oder falls die Schlinge, in die sich mein Fuß verwickelte, am oberen, statt am unteren Rande herausgehangen hätte, ich dann gar nicht im Stande gewesen wäre, das zu vollbringen, was ich nun vollbracht hatte, und daß folglich meine Enthüllungen für die Nachwelt verlorengegangen sein würden. Ich hatte deshalb allen Grund, dankbar zu sein, obwohl ich in Wirklichkeit noch zu dösig war, um überhaupt etwas zu sein, und vielleicht eine Viertelstunde lang so hängen blieb, ohne weiter etwas zu meiner Rettung zu tun und die sonderbare Ruhe einer idiotischen Zufriedenheit empfand. Dies Gefühl schwand jedoch wieder, und eine Empfindung äußerster Hilflosigkeit und schreckhafter Angst überkam mich. Das Blut, das sich so lange Zeit in seinen Gefäßen im Kopfe und im Halse gestaut und mich mit einem heilsamen Delirium, das meine Energie anspannte, erfüllt hatte, begann jetzt wieder zurückzufließen und seinen gewöhnlichen Lauf zu nehmen, und das klare Bewußtsein, das mir plötzlich wiederkam, vergrößerte fast meine Vorstellung von der Gefahr und beraubte mich der Ruhe und des Mutes, den ich nötig hatte, um aus ihr herauszukommen. Diese Schwäche dauerte jedoch glücklicherweise nicht lange. Zur rechten Zeit kam mir der Geist der Verzweiflung zu Hilfe, und mit wütendem Geschrei und wilder Anstrengung bäumte und schleuderte ich meinen Körper vorwärts, bis es mir endlich gelang, den heißersehnten Rand zu erfassen; mit einem schraubstockfesten Griff hielt ich ihn fest, wand meinen Körper über ihn und fiel kopfüber und keuchend in die Gondel.

Es dauerte eine ganze Zeit lang, ehe ich so weit Herr meiner selbst war, um mich mit dem Ballon beschäftigen zu können. Dann jedoch untersuchte ich ihn mit größter Aufmerksamkeit und fand ihn durchaus unbeschädigt. Auch meine Instrumente waren in bester Ordnung; und glücklicherweise hatte ich sogar weder Lebensmittel noch Ballast verloren. Vor meiner Abfahrt waren alle mitgenommenen Gegenstände allerdings auch so fest angebunden worden, daß ein solcher Unfall eigentlich von vornherein ausgeschlossen war. Ich zog meine Taschenuhr; sie wies auf sechs. Der Ballon stieg noch immer rapide, und das Barometer zeigte eine Höhe von drei und dreiviertel Meilen. Unmittelbar unter mir im Ozean lag ein kleiner schwarzer Gegenstand von leicht länglicher Gestalt von der Größe eines Dominosteines und auch einem solchen Spielzeug ähnlich. Ich richtete mein Teleskop auf denselben und sah deutlich, daß es ein englisches Schiff von 94 Kanonen war, das in westsüdwestlicher Richtung schwer auf dem Ozean dahinschwankte. Außer diesem Schiffe sah ich nichts als das Meer, das Firmament und die Sonne, die schon lange aufgegangen war.

Nun ist es an der Zeit, daß ich Euren Exzellenzen den Zweck meiner Reise erkläre. Eure Exzellenzen mögen sich daran erinnern, daß mich die traurigen Verhältnisse in Rotterdam zu dem Entschluß gebracht hatten, einen Selbstmord zu begehen. Das Leben selbst war mir nicht unangenehm geworden, nur das Elend meiner Lage quälte mich so, daß ich glaubte, es nicht mehr aushalten zu können. In dieser Geistesverfassung, das Leben liebend und doch meines Lebens müde, eröffnete mir die Abhandlung aus der Krambude des Buchhändlers in Verbindung mit der Entdeckung meines Vetters aus Nantes eine Zuflucht. Ich faßte einen endgültigen Entschluß. Ich beschloß fortzugehen und doch zu leben, die Erde zu verlassen und doch weiter zu existieren; kurz, um den Rätseln ein Ende zu machen: ich beschloß, wenn es möglich sein sollte, mir einen Weg auf den Mond zu bahnen.

Damit man mich nicht für wahnsinniger hält, als ich wirklich bin, will ich die Gedanken auseinandersetzen, die mich zu der Annahme brachten, daß ein solches Unternehmen trotz aller Gefahren und Schwierigkeiten für einen kühnen Geist doch gerade kein Ding der Unmöglichkeit ist.

Zuerst erwog ich die positive Entfernung der Erde von dem Monde. Die mittlere oder durchschnittliche Entfernung der Zentren der beiden Planeten beträgt 59,9643mal den Äquatorioal-Radius der Erde oder ungefähr 237000 Meilen. Ich sage die mittlere, durchschnittliche Entfernung –, man muß sich jedoch erinnern, daß die Form des Mondgestirns eine Ellipse ist, deren Exzentrizität nicht weniger als 0,05484 ihrer großen Halbachse beträgt, und daß das Zentrum der Erde gerade unter dem Brennpunkt dieser Ellipse steht, so daß sich also, wenn es mir gelänge, den Mond während seiner Erdnähe zu erreichen, die erwähnte Entfernung bedeutend vermindern würde. Doch um von dieser Hypothese abzusehen – ich mußte jedenfalls von den 237000 Meilen den Radius der Erde, also 4000, und den des Mondes, also l080, im ganzen 5080 Meilen abziehen, so daß nur noch eine durchschnittliche Entfernung von 231920 Meilen zurückzulegen übrigblieb. Dies hielt ich für nichts allzu Unmögliches. Auf der Erde hat man schon oft Reisen mit der Schnelligkeit von 60 Meilen in der Stunde unternommen, und man hat allen Grund zu glauben, daß man es bald zu größerer Schnelligkeit bringen wird. Doch wären auch mit der schon erlangten nicht mehr als hunderteinundsechzig Tage nötig, um die Oberfläche des Mondes zu erreichen.

Viele Umstände jedoch ließen mich glauben, daß die mittlere Geschwindigkeit meiner Reise sechzig Meilen in der Stunde weit übersteigen werde, und da dieser Gedanke einen großen Eindruck auf mich machte, will ich später noch einmal ausführlich von ihm reden.

Der zweite Punkt, den ich überlegen mußte, war von viel größerer Wichtigkeit. Das Barometer beweist, daß wir, wenn wir uns l000 Fuß über der Oberfläche der Erde befinden, ungefähr ein Dreißigstel der atmosphärischen Luftmasse unter uns lassen, bei 10600 Fuß fast ein Drittel, und bei 18000 Fuß, die ungefähr der Höhe des Coto paxi entsprechen, die Hälfte aller Luft, jedenfalls die Hälfte der wägbaren Atmosphäre, welche die Erde einhüllt, zu unseren Füßen haben. Man hat auch berechnet, daß in einer Höhe, die den hundertsten Teil des Durchmessers der Erde nicht überschreitet, in einer Höhe von 80 Meilen also, die Verdünnung der Luft einen so hohen Grad erreicht hat, daß sie kein animalisches Leben mehr zu unterhalten vermag, und ferner, daß unsere feinsten Instrumente nicht mehr ausreichen, um das Vorhandensein von Luft zu konstatieren. Es entging mir jedoch nicht, daß die letzteren Berechnungen nur auf unsere experimentelle Kenntnis der Eigenschaften der Luft und der mechanischen Gesetze ihrer Zusammenpressung und Ausdehnung basieren, die wir, um vergleichsweise zu sprechen, in unmittelbarer Nähe der Erde beobachtet hatten; auch hält man es für bewiesen, daß animalisches Leben in irgendeiner gegebenen, von der Erdoberfläche unerreichbaren Entfernung sich seinem Wesen nach nicht modifizieren könne. Ein auf solche Annahmen gestütztes Raisonnement konnte natürlicherweise nur ein rein analogisches sein. Die größte Höhe, die Menschen je erreicht haben, beträgt 25000 Fuß, bis zu welcher Gay-Lussac und Biot aufstiegen. Dies ist, selbst mit den achtzig fraglichen Meilen verglichen, nur eine sehr mäßige Höhe, und ich konnte den Gedanken nicht abweisen, daß hier dem Zweifel und der Spekulation ein weiter Raum gelassen war. Nehmen wir nun einen Aufstieg zu irgendeiner gegebenen Höhe an, so werden wir finden, daß die Quantität der wägbaren, durchsegelten Luft auf verschiedenen Abschnitten der Reise durchaus nicht in gleichem Verhältnis zu der erreichten Höhe steht, sondern, wie vorhin schon einmal konstatiert wurde, in einem stets kleiner werdenden. Es ist also klar, daß wir, um buchstäblich zu sprechen, nicht an eine Grenze kommen können, über die hinaus es keine Luft mehr gibt. Sie muß da sein, so schloß ich, obgleich sie sich in einem Stadium unendlicher Verdünnung befinden kann.

Andererseits wußte ich jedoch, daß es keinesfalls an Argumenten fehlte, die eine bestimmte feste Grenze der Atmosphäre beweisen sollten, über die hinaus es absolut keine Luft mehr geben könne. Ein Umstand jedoch, den alle, die an eine solche Grenze glaubten, übersehen hatten, schien mir, wenn auch nicht gerade eine vollständige Widerlegung ihrer Überzeugung, so doch Grund zu ernstlicher, neuer Nachforschung zu sein. Wenn man die Zwischenräume zwischen dem jedesmaligen Wiedererscheinen des Enckeschen Kometen zur Zeit einer Sonnennähe vergleicht, und dabei selbst alle die durch die Anziehungskraft der Planeten verursachten Störungen genau in Berechnung zieht, so wird man erkennen, daß diese Perioden allmählich immer kleiner werden, das heißt, daß die große Achse der Ellipse des Kometen sich in langsamer, doch durchaus regelmäßiger Proportion verkürzt. Dies kann jedoch nur und muß der Fall sein, wenn wir annehmen, daß der Komet an einem unendlich feinen ätherischen Medium, das die Regionen seiner Bahn ausfüllt, einen Widerstand findet. Denn es ist klar, daß ein solcher Stoff, der sich der Schnelligkeit eines Kometen hindernd entgegenstellt, seine zentripetale Kraft erhöhen, die zentrifugale schwächen muß. Mit anderen Worten: die Anziehungskraft der Sonne wird immer größer werden, und der Komet wird sich ihr bei jeder Umdrehung mehr nähern. Wir sehen in der Tat keinen anderen Ausweg, die fraglichen Veränderungen zu erklären. Ich möchte noch eine Tatsache erwähnen: Man beobachtet, daß sich der wirkliche Durchmesser des Nebels dieses Kometen, je näher er der Sonne kommt, rapide zusammenzieht, und sich mit derselben Schnelligkeit wieder ausdehnt, wenn er wieder auf dem Weg zur Sonnenferne ist. Ist es da nicht berechtigt, wenn ich mit Valz annehme, daß diese offenbare Kondensierung des Volumens seinen Ursprung in der Verdichtung jenes ätherischen Mediums hat, von dem ich schon gesprochen und dessen Dichtigkeit im Verhältnis zur Sonnennähe steht? Ferner erschien mir jene linsenförmige Erscheinung, die man das Zodiakallicht nennt, näherer Betrachtung würdig. Dies in den Tropen deutlich sichtbare Licht, das man durchaus nicht für meteorisch halten kann, dehnt sich vom Horizont an länglich aufwärts und folgt im allgemeinen der Richtung des Äquators der Sonne. Es schien mir von einer dünnen Atmosphäre auszugehen, die sich von der Sonne bis über die Bahn der Venus hinaus und, wie ich glaube, noch unendlich viel weiter ausdehnt. Denn man kann wirklich nicht annehmen, daß sich dieses Medium auf die Bahn der Ellipse des Kometen oder auf die unmittelbare Nachbarschaft der Sonne beschränkt. Im Gegenteil ist es viel einfacher, sich vorzustellen, daß es alle Regionen unseres Planetensystems durchdringt, daß es um die Planeten selbst zu dem kondensiert ist, was wir Atmosphäre nennen, und vielleicht bei einigen Planeten einer durch rein geologische Umstände hervorgerufenen Veränderung unterliegt, das heißt: ihren Eigenschaften (oder vielleicht auch ihrer Wesenheit) nach durch Stoffe umgestaltet wird, die aus den betreffenden Himmelskörpern verdunsten.

Als ich nun diese Anschauung gewonnen, zögerte ich nicht lange. Da ich annahm, daß ich auf meiner Reise stets eine Atmosphäre finden werde, die im wesentlichen der der Erde gleich sei, so konnte ich sie durch den ungemein geistvoll konstruierten Apparat des Herrn Grimm genügend kondensieren, um sie zum Einatmen tauglich zu machen. Damit war also das hauptsächlichste Hindernis einer Reise zum Monde behoben.

Mit vielem Geld und vieler Mühe verschaffte ich mir einen solchen Apparat und vertraute seiner Anwendung, falls ich die ganze Reise nur in genügend kurzer Zeit vollbringen konnte, zuversichtlich mein Leben an. Dies bringt mich wieder auf die Frage von der Schnelligkeit der Fahrt.

Jedermann weiß, daß sich ein Ballon im ersten Stadium des Aufstiegs von der Erde mit verhältnismäßig sehr mäßiger Geschwindigkeit erhebt. Die Kraft des Aufstiegs resultiert aus der Schwere der das leichte Gas im Ballon umgebenden Luft, und auf den ersten Blick scheint es nicht glaubwürdig, daß der Ballon, je mehr er an Höhe gewinnt und in Luftschichten von geringerer Dichtigkeit kommt, seine ursprüngliche Schnelligkeit vergrößere. Andererseits erinnerte ich mich jedoch, nie von einer Verminderung der absoluten Schnelligkeit des Aufsteigens gehört zu haben, obgleich dies der Fall gewesen sein müßte, und zwar, wenn schon aus keinem anderen Grunde, so doch aus dem, daß das Gas aus minder gut konstruierten und nur einmal mit gewöhnlichem Firnis gefirnißten Ballons notwendig langsam entweicht. Anscheinend genügt dies Entweichen nur, um die durch die weitere Entfernung vom Gravitationszentrum möglich gemachte größere Schnelligkeit wieder aufzuheben. Ich sagte mir nun, falls der angenommene, von mir zu durchsegelnde Stoff seinem Wesen nach atmosphärische Luft sei, so könne es für die Kraft des Aufsteigens von verhältnismäßig nur geringer Bedeutung sein, in welchem Grade der Verfeinerung ich ihn anträfe, denn das Gas im Ballon wäre nicht allein selbst ähnlicher Verdünnung unterworfen (ich brauchte in diesem Falle nur eine entsprechende Quantität Gas entweichen zu lassen, um einer Explosion vorzubeugen), sondern als das, was es war, würde es unter allen Umständen leichter sein, als irgendeine Zusammensetzung von reinem Nitrogen und Oxygen. So lag also die Vermutung nahe, ja, es war sogar höchst wahrscheinlich, daß ich niemals während meines Aufstieges an einen Punkt kommen könne, an dem das gesamte Gewicht meines Ballons, das ungeheuer feine Gas, die Gondel und ihr Inhalt, dem Gewicht der verdrängten Atmosphäre gleichkommen könnte; und dies war, wie jeder verstehen wird, die einzige Bedingung, der meine Reise nach oben unterlag. Aber falls ich nun doch einmal diesen angenommenen Punkt erreichen sollte, blieb mir noch immer die Möglichkeit, mich meines Ballastes und anderer Gewichte, die im ganzen 300 Pfund betrugen, zu entledigen.

Zu gleicher Zeit mußte die zentripetale Kraft auf Grund des Quadrats der Entfernungen immer geringer werden; und mit wunderbar zunehmender Schnelligkeit mußte ich endlich in jene entfernten Regionen gelangen, in denen die Anziehungskraft der Erde durch die vom Monde ersetzt werden würde.

Doch verursachte mir noch eine andere Schwierigkeit einige Unruhe. Man hat bei Aufstiegen zu beträchtlicher Höhe beobachtet, daß man, außer Atemnot, im Kopfe und im ganzen Körper ein unerträgliches Mißbehagen empfindet, das von Nasenbluten und anderen beängstigenden Symptomen begleitet ist, und, je höher man steigt, an Heftigkeit zunimmt. Nach der ersten Veröffentlichung des Hans Pfaall bemerkte ich, daß Herr Green, der berühmte Luftschiffer des Ballons »Nassau«, und andere jüngere Aeronauten diese Behauptungen Humboldts abstreiten und, im Einklang mit der hier entwickelten Theorie, von stets geringer werdenden Belästigungen reden. E. A. P. War es nicht anzunehmen, daß sich diese Symptome so steigern würden, daß sie endlich den Tod herbeiführten? Nach reiflicher Überlegung schloß ich, daß dies nicht der Fall sein könne. Sie hatten ihren Ursprung ohne Zweifel in der fortschreitenden Verringerung des gewohnten Drucks der Atmosphäre auf die Oberfläche des Körpers und der unausbleiblichen Ausdehnung der an der Oberfläche liegenden Blutgefäße, nicht in einer positiven Auflösung des animalischen Systems, wie im Falle wirklicher Atemnot, wo die Dichtigkeit der Atmosphäre zur regelmäßigen Erneuerung des Blutes in den Herzkammern ungenügend ist. Den Fall, daß diese Erneuerung unmöglich sei, ausgenommen, sah ich keinen Grund, weshalb sich das Leben nicht selbst in einem Vacuum erhalten könne, denn die Ausdehnung und Zusammenziehung der Brust, die man gewöhnlich Atmen nennt, ist eine nur auf den Muskeln beruhende Handlung und die Ursache und nicht etwa die Wirkung des Atmens. Kurz, ich schloß: wenn sich der Körper einmal an das Verschwinden des Luftdruckes gewöhnt habe, so würden sich die Schmerzempfindungen nach und nach legen. So lange sie dauerten, wollte ich sie schon ertragen, – das traute ich meiner eisenfesten Konstitution zu.

Ich habe nun Euren Exzellenzen einige, doch durchaus nicht alle Gedanken mitgeteilt, die mich veranlaßten, den Plan einer Reise auf den Mond zu fassen. Ich möchte jetzt, wenn es Euren Exzellenzen genehm ist, das Resultat dieses Versuches, der an Kühnheit in den Annalen der Geschichte wohl nicht seinesgleichen findet, eingehend mitteilen.

Als ich die vorhin erwähnte Höhe, drei dreiviertel Meilen also, erreicht hatte, warf ich einige Federn aus der Gondel und sah, daß ich noch immer mit genügender Schnelligkeit stieg. Es schien also nicht nötig, Ballast auszuwerfen. Ich war sehr froh darüber, denn ich wollte soviel Gewicht, als nur möglich war, bei mir behalten, da ich ja keine positiven Beweise von der Anziehungskraft des Mondes und der Dichtigkeit seiner Atmosphäre hatte. Bis jetzt verspürte ich noch keinerlei körperliches Mißbehagen, ich atmete durchaus leicht und empfand auch keinen Kopfschmerz. Die Katze lag feierlich auf meinem Überrock, den ich abgelegt hatte, und sah die Tauben mit Blicken voller Nonchalance an. Diese letzteren hatte ich am Bein gefesselt, damit sie nicht fortfliegen konnten. Sie hüpften in der Gondel umher und pickten ein paar Reiskörner auf, die ich für sie am Boden hingestreut hatte.

Um sechs Uhr zwanzig Minuten wies das Barometer auf eine Höhe von 26400 Fuß oder auf beinahe fünf Meilen. Die Perspektive schien unbegrenzt zu sein. Übrigens kann man mittels der sphärischen Geometrie die Ausdehnung der Erdfläche, die mein Blick umschloß, leicht berechnen. Die konvexe Oberfläche eines Segmentes verhält sich zu der ganzen Oberfläche der Kugel wie der Sinus versus des Segmentes zum Durchmesser der Kugel. In meinem Falle also der Sinus versus – das heißt: die Dicke des Segmentes unter mir – fast meiner Höhe gleich oder der Höhe des Aussichtspunktes über der Oberfläche. Wie fünf Meilen zu achttausend, so verhielt sich also der Teil, den ich überblickte, zur ganzen Oberfläche der Erde – ich überschaute, mit anderen Worten, den sechzehnhundertsten Teil der ganzen Erdoberfläche. Das Meer erschien mir glatt wie ein Spiegel, obwohl ich durch das Teleskop entdeckte, daß es sich in stürmischer Unruhe befand. Das Schiff war nicht mehr sichtbar; ohne Zweifel hatte es seine Fahrt nach Osten geführt. Jetzt spürte ich auch mit Unterbrechungen heftige Kopfschmerzen, besonders in der Nähe der Ohren – doch konnte ich noch immer verhältnismäßig leicht atmen. Die Katze und die Tauben schienen keine Beschwerden zu empfinden.

Um zwanzig Minuten vor sieben trat der Ballon in eine große, dichte Wolke, die mich sehr belästigte, meinen Kondensierapparat beschädigte und mich bis auf die Haut durchnäßte. Es war ohne Zweifel eine seltsame Begegnung, denn ich hatte es nicht für möglich gehalten, daß eine Wolke dieser Art sich in so großer Höhe aufhalten konnte. Ich hielt es für das beste, zwei Stücke Ballast, von denen jedes fünf Pfund wog, auszuwerfen, so daß mir noch hundertundsechzig Pfund blieben. Ich ließ die Wolke denn auch bald unter mir und bemerkte, daß die Schnelligkeit des Aufstiegs bedeutend zugenommen. Wenige Sekunden, nachdem ich von der Wolke fort war, sah ich, wie ein Blitz sie von einem Ende zum anderen durchschoß und die ganze ungeheure Masse entzündete, die bald wie ein riesiges glühendes Kohlenlager aussah. Dies geschah bei hellem Tage; und ich glaube, keine Phantasie könnte sich die Großartigkeit eines solchen Schauspiels zu dunkler Nachtzeit ausmalen. Die Hölle selbst hatte ihr getreues Abbild gefunden. Mir sträubten sich die Haare, und doch suchte ich mit meinen Blicken in die gähnenden Feuerabgründe hineinzutauchen und ließ meine Phantasie sich in den seltsamen Lichtschlünden dieser furchtbaren Feuerwelt ergehen. Ich war ihr mit genauer Not entronnen. Wäre der Ballon nur noch eine kurze Zeit in der Wolke geblieben, das heißt, hätte mich die Nässe nicht dazu getrieben, Ballast auszuwerfen, so wäre ich unausbleiblich dem Untergang geweiht gewesen. Derartige Gefahren, an die fast niemand denkt, sind eigentlich die bedeutendsten, denen man sich bei einer solchen Ballonfahrt aussetzt. Ich hatte jedoch mittlerweile eine Höhe erlangt, die einen ähnlichen Unfall ausschloß und mich weiterer Besorgnisse enthob.

Wir stiegen rapide, und um sieben Uhr wies das Barometer auf eine Höhe von nicht weniger als neun und einer halben Meile. Das Atemholen machte mir schon bedeutende Schwierigkeiten, auch der Kopf schmerzte mich außerordentlich. Die Feuchtigkeit, die ich seit einiger Zeit auf meinen Wangen empfand, stellte sich als Blut heraus, das mir durch das Trommelfell der Ohren sickerte. Der Zustand meiner Augen beunruhigte mich ebenfalls. Als ich mit der Hand über sie hinfuhr, schien es mir, als seien sie nicht unbeträchtlich aus ihren Höhlen herausgetreten, und der Ballon und alle Gegenstände in der Gondel erschienen mir in verzerrter Gestalt. Diese Symptome übertrafen doch meine mutigsten Erwartungen, und etwas wie Angst stieg in mir auf. Unklugerweise und ohne recht nachzudenken, warf ich noch drei Stück Ballast von je fünf Pfund aus. Die beschleunigte Schnelligkeit des Aufstiegs trug mich ohne die genügenden Abstufungen in eine schon ganz bedeutend verdünnte Luftschicht, die meinem Unternehmen und mir selbst fast verhängnisvoll geworden wäre. Ich wurde ganz plötzlich von einem Krampfe erfaßt, der länger als 5 Minuten dauerte; und als er sich beruhigt hatte, konnte ich nur in langen Pausen und mit furchtbarer Anstrengung atmen. Während der ganzen Zeit drang mir reichlich Blut aus Nase und Ohren und sogar, allerdings in geringerer Menge, aus den Augen. Die Tauben schienen in Todesangst zu sein und schlugen mit den Flügeln, wie um zu entfliehen, während die Katze jämmerlich schrie und sich in der Gondel herumwand, als habe sie Gift gefressen.

Ich entdeckte nun zu spät, welch ungeheuere Torheit ich begangen, als ich meinen Ballast so leichtsinnig ausgeworfen, und geriet in nicht geringe Bestürzung. Es war mir, als ob ich, und zwar schon in wenigen Minuten, sterben müsse. Ich konnte kaum noch denken. Mein Kopfschmerz nahm von Sekunde zu Sekunde an Heftigkeit zu. Und ich fühlte, daß meine Sinne mir bald ganz schwinden würden. Schon hatte ich den Strick ergriffen, um das Ventil zu öffnen und den Ballon zum Sinken zu bringen, als mir der Gedanke an den schlechten Streich, den ich meinen drei Gläubigern gespielt, wieder in den Sinn kam, und die Furcht vor seinen möglichen Folgen mich bewog, das Ventil doch lieber nicht zu öffnen. Statt dessen legte ich mich auf den Boden der Gondel und versuchte, ob ich mir nicht durch einen Aderlaß Erleichterung verschaffen könnte.

Da ich jedoch keine Lanzette bei mir hatte, blieb mir nichts anderes übrig, als mein Taschenmesser zu gebrauchen, mit dem ich mir eine Ader am linken Arm öffnete. Kaum begann das Blut zu fließen, so empfand ich auch schon eine bemerkenswerte Erleichterung, und als ich vielleicht die Hälfte der üblichen Menge verloren hatte, waren die gefährlichsten Erscheinungen fast ganz verschwunden. Doch hielt ich es nicht für angebracht, mich gleich wieder auf die Füße zu stellen, sondern blieb, nachdem ich meinen Arm, so gut es möglich war, verbunden hatte, noch ungefähr eine Viertelstunde still liegen. Dann erhob ich mich, und empfand wirklich weniger Schmerzen, als während der letzten fünfviertel Stunden meines Aufstiegs.

Die Atembeschwerden hatten sich jedoch nur in sehr geringem Grade vermindert, und ich empfand immer dringender die Notwendigkeit, den Kondensierapparat zu gebrauchen. Mittlerweile sah ich mich wieder einmal nach der Katze um, die es sich auf meinem Überrock von neuem bequem gemacht hatte, und entdeckte zu meiner großen Überraschung, daß sie es für gut befunden hatte, während meines Unwohlseins drei kleine Kätzchen ans Tageslicht zu bringen. Dieser Zuwachs an Passagieren kam mir sehr unerwartet, doch amüsierte mich der Zwischenfall und bot mir überdies Gelegenheit, einer Vermutung auf den Grund zu gehen, die mich mehr als alles andere bewogen hatte, den Aufstieg zu versuchen.

Ich hatte angenommen, daß nur die Gewöhnung an den Druck der Atmosphäre zum größten Teil die Schmerzen verursacht, welche die Lebewesen in einer gewissen Höhe über der Oberfläche empfinden. Sollten die kleinen Katzen das Unbehagen im selben Grade empfinden wie ihre Mutter, so war meine Theorie widerlegt, im gegenteiligen Falle jedoch konnte ich mich auf einen ausgezeichneten Beweis meiner Annahme stützen.

Um acht Uhr hatte ich eine Höhe von siebzehn Meilen erreicht. Die Schnelligkeit des Aufstiegs nahm also in solchem Maße zu, daß sie sich unzweifelhaft auch dann gesteigert haben würde, wenn ich keinen Ballast ausgeworfen hätte. Die Schmerzen im Kopf und in den Ohren machten sich in Pausen mit ungeheuerer Heftigkeit wieder bemerkbar, und hin und wieder stellte sich noch Nasenbluten ein; im ganzen litt ich jedoch viel weniger, als ich gedacht. Dennoch wurde das Atmen von Minute zu Minute schmerzhafter und war von einem krampfhaften, ermüdenden Zusammenziehen der Brust begleitet. Ich packte also meinen Kondensierapparat aus und machte ihn zum Gebrauch fertig.

Der Anblick der Erde von meiner jetzigen Höhe herab war ein geradezu großartiger. Nach Westen, Norden und Süden breitete sich, so weit ich sehen konnte, wie ein grenzenloses, faltenloses Tuch, das sich jeden Augenblick tiefer und tiefer blau färbte, der Ozean aus. In ungeheuerer Entfernung nach Osten lagen, dennoch deutlich wahrnehmbar, die britischen Inseln und die französische und die spanische Küste des Atlantischen Ozeans sowie ein kleiner Teil von Nordafrika unter meinen Blicken. Von Bauwerken war nicht die Spur mehr zu entdecken, und die stolzesten Städte der Menschen waren für mich vollständig vom Angesichte der Erde verschwunden.

Was mich jedoch beim Anblick der Dinge unter mir am meisten in Erstaunen setzte, war die scheinbar konkave Gestalt der Erdoberfläche. Ich hatte, töricht genug, erwartet, daß sich mir von meiner Höhe aus ihre wirkliche, konvexe Gestalt ganz deutlich offenbaren müsse, doch genügten ein paar Minuten ruhigen Nachdenkens, um mir diesen Widerspruch zu erklären. Eine von meinem Aufenthaltspunkte gefällte Linie wäre die Senkrechte eines rechtwinkeligen Dreiecks gewesen, dessen Basis vom rechten Winkel zum Horizont, und dessen Hypothenuse vom Horizont bis wieder zu mir gereicht haben würde. Meine Höhe bedeutete jedoch im Vergleich zu der Weite des Blickes nichts oder nur sehr wenig. Mit anderen Worten: die Basis und Hypothenuse des angenommenen Dreiecks waren in diesem Falle im Vergleich zu der Senkrechten so unendlich lang, daß sie fast eine Parallele zu bilden schienen. Auf diese Weise scheint dem Luftschiff er der Horizont immer auf dem Niveau seiner Gondel zu liegen. Aber da der direkt unter ihm liegende Punkt sich scheinbar und wirklich in ungeheuerer Entfernung von ihm befindet, so scheint er ihm natürlicherweise auch weit unter dem Horizont zu liegen. So muß er also den Eindruck bekommen, als sei die Erde von konkaver Gestalt, und dieser Eindruck wird so lange anhalten, bis seine Höhe in solchem Verhältnis zur Ausdehnung der Perspektive steht, daß die anscheinende Parallele von Basis und Hypothenuse verschwindet.

Meine Tauben schienen entsetzlich zu leiden, und ich beschloß, ihnen die Freiheit zu geben. Ich band zuerst ein schönes lachsgraues Exemplar los, und setzte es auf den Rand der Gondel. Sie schien sich in jämmerlichstem Zustande zu befinden und blickte angstvoll um sich, schlug mit den Flügeln, gurrte laut, schien sich jedoch nicht entschließen zu können, die Gondel zu verlasen. Endlich nahm ich sie, und warf sie etwa sechs Ellen weit hinaus. Statt jedoch, wie ich erwartet hatte, eiligst nach unten zu schießen, machte sie unter durchdringendem, lautem Geschrei heftige Anstrengungen, wieder in die Gondel zu gelangen. Es gelang ihr auch endlich, den Rand wieder zu erreichen, doch kaum hatte sie sich dort niedergelassen, so sank ihr Köpfchen auf die Brust, und sie fiel tot auf den Boden der Gondel. Der anderen ging es nicht so schlimm. Um ihr eine Rückkehr in den Ballon unmöglich zu machen, schleuderte ich sie mit aller Kraft nach unten und sah zu meiner Freude, wie sie bald ganz natürlich ihre Flügel gebrauchte und eilends nach unten segelte. In kurzer Zeit war sie nicht mehr zu entdecken, und ich zweifle nicht, daß sie ihre Heimat bald wieder erreichte. Die Mieze, die sich von ihrem Unwohlsein bald wieder erholt hatte, tat sich an dem toten Vogel gütlich und schlief nach der Mahlzeit mit allen Zeichen der Zufriedenheit ein. Ihre Kleinen waren sehr lebhaft und schienen nicht die geringste Belästigung zu empfinden.

Um ein Viertel nach acht konnte ich nur noch mit fast unerträglichen Schmerzen atmen und stellte in der Gondel alle zum Kondensator gehörigen Apparate auf. Dieser Apparat bedarf einiger Erklärung, und ich muß Euren Exzellenzen zuerst mitteilen, daß ich anfangs die Absicht hatte, mich und die Gondel gegen die verfeinerte Atmosphäre gänzlich abzuschließen und in das Innere nur eine mit Hilfe des Kondensators genügend zusammengepreßte, zum Einatmen taugliche Luft einzulassen.

Zu diesem Zwecke hatte ich einen großen, luftdichten, biegsamen Sack aus Kautschuk mitgenommen, der der Form der Gondel vollständig angepaßt war, das heißt, man konnte ihn über ihren Boden, an den Seiten vorbei, bis an den oberen Rand oder Ring, an dem das Netz befestigt war, hinziehen und dort ebenfalls fest anschließen. Als ich den Sack über die Gondel gezogen und an allen Seiten hermetisch verschlossen hatte, mußte ich nun seine Spitze oder Mündung schließen, indem ich den Kautschuk auch über dem Ringe oder, mit anderen Worten, zwischen dem Netzwerk und dem Ring zusammenschloß. Wenn ich jedoch das Netz zu diesem Zwecke von dem Ringe trennte, wie sollte sich die Gondel mittlerweile halten? Das Netz war jedoch nicht durch ein einzelnes Tau an dem Ringe befestigt, sondern durch eine Reihe einzelner, aufzuknüpfender Schlingen. Ich löste von diesen immer nur wenige auf einmal und ließ die Gondel unterdessen an den anderen hängen. Nachdem ich so einen Teil des oberen Sackes hindurchgezogen hatte, knüpfte ich die Schlingen wieder an, nicht an den Ring, den ich ja wegen des unter ihm sich hinstreckenden Kautschuks nicht mehr erreichen konnte, sondern an eine Reihe etwa drei Fuß unterhalb der Sacköffnung an den Sack selbst angebrachter Knöpfe, deren Zwischenräume ich genau den Zwischenräumen der Schlingen angepaßt hatte. War ich damit fertig, so löste ich ein paar weitere Schlingen, zog ein weiteres Stück Kautschuk hindurch und befestigte die Schlingen wie vorhin an den Knöpfen. Auf diese Weise konnte ich den ganzen oberen Teil des Sackes zwischen dem Netz und dem Ringe hindurchziehen. Der Ring mußte also zum Schluß in die Gondel fallen, und diese hing mit ihrem ganzen Inhalt an den Knöpfen. Auf den ersten Blick mag dies gefährlich erscheinen, war es jedoch nicht im geringsten, denn die Knöpfe waren nicht allein sehr stark, sondern auch so nahe aneinander angenäht, daß jeder nur einen sehr kleinen Teil des Gewichtes zu tragen hatte. Wäre die Gondel und ihr Inhalt auch dreimal so schwer gewesen, so hätte ich mich doch deswegen nicht im mindesten zu beunruhigen brauchen. Den Ring befestigte ich oben an der Decke des Kautschuksackes wieder, indem ich ihn fast ganz in seiner ursprünglichen Lage mittels dreier leichter Stangen stützte.

Diese Vorrichtung hielt den Sack oben in genügender Ausdehnung und den unteren Teil des Netzes in der richtigen Lage. Jetzt blieb mir nichts weiter zu tun übrig, als die Mündung der ganzen Umhüllung zu schließen. Es gelang mir leicht, indem ich die Falten des Kautschuks zusammennahm und mittels einer Art feststehender Presse zusammenschloß.

An den Seiten dieser Kautschukmauer hatte ich drei runde Scheiben von dichtem, aber klarem Glase eingesetzt, die es mir ermöglichten, nach allen Richtungen auszuspähen. In dem Teil der Hülle, die den Boden bildete, befand sich ebenfalls ein solches Fenster, das gerade über einer Öffnung im Boden der Gondel angebracht war. Ich konnte also auch senkrecht nach unten sehen. Nur gerade über mir konnte ich wegen der besonderen dichten Art des Verschlusses keine ähnliche Vorrichtung anbringen, so daß mir die Dinge gerade über mir unsichtbar bleiben mußten. Doch hatte dies nicht viel zu sagen. Denn der Ballon hätte mir ja doch eine weitere Aussicht durch dies obere Fenster unmöglich gemacht.

Ungefähr einen Fuß unter einem der seitlichen Fenster befand sich eine runde, im Durchmesser drei Zoll große Öffnung, deren kupferner Rand im Innern gerade in die Spirale einer Schraube paßte. In diesen Rand war die große Röhre des Kondensators eingeschraubt; der Apparat selbst stand natürlich innerhalb des Kautschukzimmers. Durch einen in der Maschine geschaffenen leeren Raum zog man durch die Röhre eine Quantität der draußen befindlichen dünnen Atmosphäre in die Maschine. Dort wurde sie verdichtet und strömte wieder aus, um sich mit der unzureichenden Luft im Zimmer zu verbinden. Nachdem ich dies mehreremal wiederholt hatte, füllte ich den Raum endlich mit einer zum Einatmen ausreichend dichten Luft. In dem kleinen Zimmer jedoch mußte sie sich bald wieder verschlechtern und durch ihren wiederholten Kontakt mit den Lungen zuletzt ganz unbrauchbar werden. Deshalb mußte ich sie von Zeit zu Zeit durch ein im Boden der Gondel befindliches Ventil ausströmen lassen. Um jedoch zu vermeiden, daß das Zimmer einmal einen Augenblick lang vollständig luftleer wurde, durfte die Reinigung nicht auf einmal vor sich gehen, sondern mußte nach und nach geschehen, indem ich das Ventil nur auf Sekunden öffnete und dann so lange geschlossen hielt, bis ein paar kräftige Pumpenstöße des Kondensators für die entlassene verbrauchte Luft genügend frische, neue hereingelassen hatten. Meine Vorliebe für Experimente hatte mich bewogen, die Katze und ihre Jungen in einem kleinen Korbe außerhalb der Gondel an einem in der Nähe des unteren Ventils, durch das ich sie zu jeder Zeit füttern konnte, angebrachten Knopfe aufzuhängen. Ich tat es mittels eines der eben erwähnten Pflöcke, denn diese sowie der Ring waren überflüssig geworden, da die dichte Atmosphäre im Zimmer den Kautschuk oben von selbst kräftig ausdehnte.

Als ich alle Vorbereitungen getroffen und das Zimmer mit Luft gefüllt hatte, wies die Uhr auf zehn Minuten vor neun. Während der ganzen Zeit der Arbeit hatten mich die schmerzhaftesten Atembeschwerden gequält, und bitter bereute ich die Nachlässigkeit oder vielmehr die törichte Unvorsichtigkeit, eine so wichtige Sache bis auf den letzten Augenblick verschoben zu haben. Kaum war ich mit ihr fertig, so begann ich auch schon, die Wohltaten meiner Erfindung zu genießen. Ich atmete vollständig frei und leicht und fühlte mich zu meiner angenehmen Überraschung von meinen heftigen Schmerzen fast ganz befreit. Ein leichtes Kopfweh und ein Gefühl von Fülle oder Ausdehnung in den Hand- und Fußgelenken sowie in der Kehle, das war eigentlich alles, was mich jetzt noch belästigte. Ein großer Teil des aus Mangel an Luftdruck entstehenden Unbehagens war also vollständig verschwunden, und alle die Schmerzen, die ich während der letzten zwei Stunden empfunden hatte, mußte ich nur der Wirkung der ungenügenden Atmung zuschreiben.

Um zwanzig Minuten vor neun, das heißt also: kurz bevor ich die Mündung des Zimmers geschlossen, hatte das Quecksilber meines Barometers, dessen Konstruktion ich, wie ich schon erwähnte, bedeutend vervollkommnet hatte, seine äußerste Grenze erreicht und sank wieder nach unten. Es zeigte eine Höhe von 132000 Fuß oder fünfundzwanzig Meilen an, und ich überschaute zu jener Zeit also nicht weniger als den dreihundertzwanzigsten Teil der ganzen Erdoberfläche. Um neun Uhr verlor ich nach Osten hin das Land aus den Augen, und ich bemerkte, daß der Ballon rapide nach Nordnordwesten steuerte. Der Ozean lag noch immer in scheinbar konkaver Gestalt unter mir, doch wurde mir die Aussicht oft durch sich hin und wider schiebende Wolkenmassen etwas benommen.

Um halb zehn wiederholte ich das Experiment, eine Handvoll Federn durch das Ventil fallen zu lassen. Sie schwebten nicht, wie ich erwartet hatte, sondern schossen senkrecht wie Kugeln mit der größten Schnelligkeit nach unten und waren in wenigen Sekunden meinen Blicken entschwunden. Ich wußte zuerst nicht, wie ich mir die sonderbare Erscheinung erklären sollte; denn ich vermochte doch nicht zu glauben, daß sich die Schnelligkeit in solch hohem Grade beschleunigt haben könne. Dann fiel mir ein, daß die Atmosphäre sich so verdünnt habe, daß sie selbst die Federn nicht mehr tragen könne, und dieselben mit größter Schnelligkeit fallen mußten; mich hatte nur die doppelte Schnelligkeit ihres Falles und meines Aufstiegs verblüfft.

Um zehn Uhr war nichts weiter zu verrichten, das meine Aufmerksamkeit erfordert hätte. Alles ging glatt – ich war überzeugt, daß der Ballon mit stetig zunehmender Geschwindigkeit stieg, obwohl ich keine Mittel mehr hatte, um die Steigerung der Schnelligkeit zu messen. Ich empfand keine Schmerzen, kein Unbehagen mehr, war in der besten Laune, seitdem ich Rotterdam verlassen und beschäftigte mich damit, meine verschiedenen Apparate zu untersuchen und die Luft im Zimmer zu erneuern. Dies letztere beschloß ich regelmäßig alle vierzig Minuten zu tun, weniger, weil eine so häufige Erneuerung eine absolute Notwendigkeit gewesen, als um meiner Gesundheit willen. Und zwischendurch überließ ich mich dann meinen Gedanken. Meine Phantasie erging sich in den seltsamen, traumhaften Gefilden des Mondes, und meine Gedanken, jeder Fessel ledig, irrten durch die vielformigen Wunder des ewig sich wandelnden, schattenhaften Gestirns. Bald waren es eisgraue, ehrwürdige Wälder, zackige Abgründe, tosend ins Bodenlose fallende Wasserstürze. Dann kam ich plötzlich in mittäglich beglänzte, stille Einsamkeiten, in die kein Himmelswind jemals drang, wo sich Wiesen voll rotem Mohn ins Endlose dehnten, und hohe, schlanke, liliengleiche Blumen seit Ewigkeiten lautlos und ohne Regung standen. Dann wieder irrte ich umher, bis ich in ein Land kam, das war nur ein schweigender, düsterer See, von einem ruhevollen Wolkenstreif begrenzt. Doch nicht nur solche Szenerien zogen an mir vorüber. Bilder stellten sich mir vor, solch wüster Schrecknisse voll, daß meine Seele bei dem bloßen Gedanken, sie könnten zur Wirklichkeiten werden, in ihren Tiefen erschauderte. Doch durfte ich meine Gedanken nicht länger solchen Betrachtungen anheimgeben, denn die wirklichen und greifbaren Gefahren meiner Reise verlangten vor allem meine Aufmerksamkeit.

Als ich um fünf Uhr nachmittags wieder einmal die Atmosphäre im Zimmer erneuerte, benutzte ich die Gelegenheit, um die Katze und ihre Jungen durch das Ventil zu beobachten. Die Katze selbst schien wieder Schmerzen zu haben, die ich nur ihren Atembeschwerden zuschreiben konnte, mein Experiment mit den jungen Katzen jedoch hatte nach genauer Prüfung ein ganz überraschendes Ergebnis. Ich hatte erwartet, daß auch sie, wenn auch in geringerem Grade wie die Mutter, immerhin Schmerzen empfinden würden, und dies wäre genügend gewesen, mich von der Annahme, daß die Notwendigkeit atmosphärischen Druckes nur Gewöhnung sei, zu überzeugen. Ich hatte jedoch nicht erwartet, sie in einem Zustande so absoluten Wohlbefindens zu sehen; sie atmeten mit der größten Leichtigkeit vollständig regelmäßig und empfanden offenbar nicht das geringste Unbehagen. Ich konnte mir dies alles nur erklären, wenn ich meine Theorie weiter ausdehnte und mir sagte, daß die sehr verfeinte Atmosphäre um mich herum doch zum Leben chemisch nicht ungenügend sei, und eine in solcher Luft geborene Person möglicherweise nicht die geringsten Atembeschwerden empfinden würde, während sie in den unteren, dichteren, erdnäheren Luftschichten von Schmerzen befallen werden würde, die denen, die ich vor kurzem verspürt, analog sein mußten. Ich habe seither oft bedauert, daß mich ein unglücklicher Zufall meiner kleinen Katzenfamilie und mit ihr des Mittels beraubte, diese Frage durch weitere Experimente zu beantworten. Als ich nämlich meine Hand mit einem kleinen Wasserbehälter für die alte Mieze durch das Ventil steckte, verwickelte sich der Ärmel meines Hemdes in die Schlinge, welche den Korb hielt, und löste ihn von dem Knopfe. Wäre das Ganze in einem Augenblick zu nichts geworden, es hätte meinen Blicken nicht plötzlicher entschwinden können. Es konnte wirklich kaum der zehnte Teil einer Sekunde zwischen dem Abfallen der Schlinge vergangen sein, als der Korb auch schon verschwunden war. Meine besten Wünsche folgten ihm zur Erde, doch konnte ich nicht annehmen, daß die Katze oder eins der Jungen am Leben bleiben würden, um unten die Geschichte ihrer Mißfahrten zu erzählen.

Um sechs Uhr bemerkte ich, daß sich ein großer Teil der sichtbaren Erdoberfläche ostwärts in dichten Schatten hüllte, der stetig fortschritt, bis um fünf Minuten vor sieben die ganze sichtbare Fläche von der Finsternis der Nacht bedeckt war. Erst lange nach dieser Zeit trafen die letzten Strahlen der untergehenden Sonne den Ballon, und dieser Umstand, obwohl ich ihn natürlich erwartet hatte, erfüllte mich mit lebhafter Zufriedenheit. Offenbar würde ich am anderen Morgen das lichtspendende Gestirn lange vor den guten Bürgern von Rotterdam erblicken, obwohl sich die Stadt weit östlicher befand, als mein Ballon, und so mußte mir von Tag zu Tag, im Verhältnis zu der erreichten Höhe, die Sonne länger und länger scheinen. Ich beschloß, ein Reisetagebuch zu führen, indem ich nach je vierundzwanzig Stunden einen neuen Tag verzeichnete, ohne mich nach den Zeiten der Dunkelheit zu richten.

Als ich um zehn Uhr schläfrig wurde, beschloß ich, mich für den Rest der Nacht niederzulegen, doch stieß ich dabei auf eine Schwierigkeit, die, obwohl sie auf der Hand lag, mir bis jetzt noch gar nicht in den Sinn gekommen war. Wer sollte, während ich schlief, die Luft im Zimmer erneuern? Die vorhandene Luft länger als höchstens eine Stunde einzuatmen, ging auf keinen Fall an, und ein und eine viertel Stunde lang in ihr zu verweilen, konnte die schlimmsten Folgen haben. Dies Dilemma beunruhigte mich in hohem Maße, und man wird kaum glauben, daß ich nach all den glücklich überstandenen Gefahren die Sache für so schwierig hielt, daß ich alle Hoffnung, meine endgültige Absicht ausführen zu können, sinken ließ und zur Erde zurückzukehren beschloß.

Doch währte meine Niedergeschlagenheit nicht lange. Ich dachte daran, daß der Mensch der Sklave seiner Gewohnheit ist und viele Dinge für unerläßlich zum Leben hält, die nur durch die Gewohnheit unerläßlich geworden sind. Gewiß konnte ich ohne Schlaf nicht leben, doch konnte ich mich leicht dazu bringen, es als nichts Störendes zu empfinden, jede Stunde während der Zeit meiner Ruhe einmal aufzuwachen. Die Erneuerung der Luft nahm fünf Minuten höchstens in Anspruch; ich mußte nur ein Mittel finden, das mich zur gegebenen Zeit pünktlich weckte. Diese Aufgabe jedoch schien mir nicht leicht zu lösen. Ich hatte allerdings einmal von einem Studenten gehört, der, um nicht über seinen Büchern einzuschlafen, in seiner Hand eine Metallkugel hielt, deren tönendes Aufschlagen in ein neben ihm stehendes Becken aus gleichem Metall ihn jedesmal, wenn er eingenickt war, aus dem Schlafe auffahren ließ. In meinem Falle hätte mir ein gleicher oder ähnlicher Gedanke doch nicht helfen können, denn ich wollte ja nicht wach bleiben, sondern nur in regelmäßigen Zwischenräumen geweckt werden. Endlich verfiel ich auf ein Hilfsmittel, dessen Erfindung, so einfach sie auch war, mir im ersten Augenblick der Erfindung des Teleskops, der Dampfmaschine, der Buchdruckerkunst gleichwertig erschien.

Ich muß vorher bemerken, daß der Ballon, in der Höhe, die er nun einmal erreicht hatte, in gerader Linie und vollständig leichtmäßig aufstieg, so daß ich in der Gondel nicht die geringste Schwankung bemerken konnte. Dieser Umstand kam meinem Plane sehr zustatten. Ich hatte meinen Wasservorrat in kleine Fäßchen verteilt, von denen jedes fünf Gallonen hielt und im Innern der Gondel fest angebunden war. Ich löste eins von ihnen, nahm zwei Taue und band sie an jeder Seite des Gondelgeflechtes fest. Sie kreuzten also die Gondel und liefen, etwa einen Fuß voneinander entfernt, nebeneinander her. Sie bildeten eine Art Bord, auf welches ich das Fäßchen in horizontaler Lage befestigte. Ungefähr acht Zoll unter diesen beiden Seilen und vier Fuß über dem Boden der Gondel befestigte ich ein wirkliches Bord, das einzige Stück einfachen, dünnen Holzes, das ich mitgenommen hatte. Auf dies untere Brett, genau unter die Ränder des Fäßchens, stellte ich einen irdenen Krug. Nun bohrte ich gerade über demselben ein Loch in das Fäßchen und schnitt einen kerzen- oder kegelförmigen Keil aus weichem Holz zurecht. Diesen Keil steckte ich nun nach einigen Versuchen gerade so tief in die Öffnung, daß das an seinen Seiten hervorsickernde Wasser den unter ihm stehenden Krug in sechzig Minuten bis zum Rande füllen mußte. Dies konnte ich schnell berechnen, indem ich nachmaß, wie weit sich der Krug in einer gegebenen Zeit gefüllt hatte. Nach all diesen Vorbereitungen ist mein Plan leicht zu erraten. Mein Bett auf dem Boden der Gondel war so angebracht, daß mein Kopf gerade unter dem Kruge lag. War die Stunde vergangen und der Krug gefüllt, so mußte er überlaufen, und das Wasser, das von einer Höhe von mehr als vier Fuß auf mein Gesicht fiel, mußte mich auch aus dem festesten Schlaf aufwecken.

Als ich meine Vorbereitungen beendigt hatte, war es elf Uhr geworden, und ich begab mich in vollem Vertrauen auf die Wirksamkeit meiner Erfindung zur Ruhe. Ich täuschte mich auch nicht. Pünktlich alle sechzig Minuten weckte mich mein treuer Chronometer, ich leerte den Krug wieder in das Faß zurück, pumpte neue Luft ins Zimmer und begab mich wieder zu Bett. Diese regelmäßigen Unterbrechungen im Schlafe ermüdeten mich weit weniger als ich gedacht, und als ich mich gegen sieben Uhr endgültig wieder erhob, stand die Sonne schon mehrere Grad über der Linie meines Horizontes.

3. April. Mein Ballon war während der Nacht zu ungeheurer Höhe aufgestiegen, und die konvexe Gestalt der Erde zeigte sich auffallend deutlich. Unter mir, im Ozean, sah ich eine Reihe schwarzer Flecken; ohne Zweifel waren es Inselgruppen. Der Himmel über mir war gagatschwarz, die Sterne funkelten, wie ich es schon am ersten Tage meines Aufstiegs wahrgenommen. Weit gegen Norden bemerkte ich eine dünne, weiße hell leuchtende Linie, und ich vermutete sofort, daß es die südliche Grenze des Polareismeeres sei. Dieser Anblick erregte meine Neugierde auf das mächtigste, denn ich hoffte, weiter gegen Norden getragen zu werden und mich vielleicht sogar einen Augenblick lang gerade über dem Pol zu befinden. Ich sah jedoch mit Verdruß, daß meine ungeheuere Höhe mich hindern mußte, wie ich es wünschte, genauere Beobachtungen anzustellen. Immerhin blieben mir noch viele Erkenntnisse vorbehalten.

Den ganzen Tag über ereignete sich nichts Außergewöhnliches. Meine Apparate befanden sich alle in guter Ordnung, und der Ballon stieg stetig ohne merkbare Schwankung. Es wurde sehr kalt, und ich mußte mich fest in meinen Überrock einhüllen. Als sich die Erde wieder mit Dunkelheit bedeckte, legte auch ich mich zur Ruhe, obgleich es um mich her noch manche Stunde lang taghell war. Die Wasseruhr tat pünktlich ihre Pflicht, und ich schlief mit Ausnahme der stündlichen Unterbrechungen gesund bis zum anderen Morgen.

4. April. Ich stand in bester Gesundheit und Laune auf und erstaunte über die sonderbare Veränderung, die mit der See vor sich gegangen war. Sie hatte ihre tiefblaue Färbung, in der sie mir bis jetzt erschienen war, verloren, und blendete meine Augen durch ein hartes, grauweißes Licht.

Die konvexe Gestalt des Ozeans trat so offen zu Tage, daß sich seine fernen Wassermassen in den Abgrund des Horizontes hineinzustürzen schienen, und ich überraschte mich dabei, wie ich lauschte, ob ich das Echo der ungeheueren Katarakte nicht vernehmen könne. Die Inseln waren nicht mehr zu sehen; ob sie südöstlich hinter den Horizont gesunken waren, oder die Höhe sie meinen Blicken entzog, vermag ich nicht zu sagen. Ich vermute jedoch das letztere. Der Eisrand im Norden wurde immer deutlicher sichtbar. Die Kälte war nicht mehr so heftig. Es ereignete sich nichts Wichtiges, und ich vertrieb mir die Zeit mit Lesen, da ich mich mit Büchern für die Reise versorgt hatte.

5. April. Ich beobachtete das seltene Schauspiel eines Sonnenaufgangs, während die ganze sichtbare Erdoberfläche noch in Dunkelheit lag. Mit der Zeit jedoch verbreitete sich das Licht überallhin, und ich konnte im Norden wieder die Eislinie entdecken. Sie war deutlich sichtbar und erschien viel dunkler als das Wasser des Meeres. Augenscheinlich näherte ich mich ihr mit größter Schnelligkeit. Bildete mir ein, östlich sowohl wie westlich einen Streifen Land zu entdecken, doch war ich dessen nicht gewiß. Temperatur mäßig. Während des Tages ereignete sich nichts von Bedeutung. Ging früh zu Bett.

6. April. Bemerkte überrascht den Landstreifen in mäßiger Entfernung und ein ungeheueres Eisfeld, das sich bis zum nördlichen Horizont erstreckte. Wenn der Ballon seine Richtung beibehielt, so mußte ich mich bald über dem nördlichen Eismeer befinden und konnte hoffen, auch endlich den Pol selbst zu erblicken. Den ganzen Tag näherte ich mich beständig dem Eise.

Als die Nacht anbrach, erweiterten sich plötzlich die Grenzen des Horizontes. Ich mußte diesen Umstand ohne Zweifel der Form der Erde, der abgeplatteten Kugel zuschreiben und dem Unstande, daß ich jetzt über der abgeplatteten Region in die Nähe des arktischen Kreises gekommen war. Als es ganz finster geworden war, legte ich mich zu Bett, unmutig, daß ich über den Gegenstand so vieler Neugierde hinsegelte, ohne daß es mir möglich war, irgendwelche Beobachtungen anzustellen.

7. April. Ich stand sehr früh auf und entdeckte zu meiner Freude, daß ich mich zweifellos gerade über dem Pol befand. Ja! Er war es ganz bestimmt, direkt unter meinen Füßen! Doch befand ich mich leider so hoch über ihm, daß ich nichts genauer unterscheiden konnte. Denn nach der Progression der Zahlen der verschiedenen Höhe, vom 2. April sechs Uhr vormittags bis um zehn Minuten vor neun desselben Morgens (dem Augenblick, da das Quecksilber zurückfiel) zu rechnen, mußte ich mich jetzt, am 7. April vier Uhr morgens, in einer Höhe von nicht weniger als 7254 Meilen über der Oberfläche des Meeres befinden. Dies mag ungeheuer erscheinen, doch hatte die Rechnungsart wahrscheinlich eine viel zu niedrige Summe ergeben. Jedenfalls lag mir die ganze nördliche Halbkugel wie eine Landkarte aus der Vogelperspektive zu Füßen, und der große Kreis des Äquators bildete die Grenzlinie meines Horizontes. Euere Exzellenzen können sich jedoch leicht vorstellen, daß die bis jetzt unerforschten Gegenden innerhalb der Grenzen des arktischen Kreises, obgleich sie gerade unter mir lagen und deshalb nicht verkürzt gesehen wurden, doch verhältnismäßig zu klein waren und zu tief unter mir lagen, als daß ich eine genauere Betrachtung hätte vornehmen können. Was ich jedoch sah, war immerhin eigentümlich und interessant genug. Nördlich von jener ungeheueren Eislinie, von der ich schon gesprochen und die mit geringen Abweichungen die Grenze des Vordringens der Menschen bedeuten kann, dehnt sich ununterbrochen oder beinahe ununterbrochen eine riesige Eisdecke aus. Sie glättet sich von Anfang an merklich, später wird sie ganz flach; endlich seltsam konkav, endigt sie beim Pole selbst, in einem runden, scharf begrenzten Zentrum, dessen anscheinender Durchmesser vom Ballon aus einen Winkel von ungefähr fünfundsechzig Grad umspannte. Er war von düsterer Farbe und immer dunkler, als irgendeine andere Stelle der Halbkugel, die ich überschaute, und hin und wieder in tiefstes Schwarz getaucht. Genaueres konnte ich nicht feststellen. Gegen Mittag hatte das Zentrum bedeutend an Umfang eingebüßt, und um sieben Uhr nachmittags hatte ich es ganz aus dem Gesicht verloren. Der Ballon steuerte über den westlichen Eisrand in der Richtung auf den Äquator zu.

8. April. Konstatierte eine merkliche Verkleinerung im anscheinenden Durchmesser der Erde, von der wirklichen Veränderung ihrer Farbe und ihrer allgemeinen Erscheinung gar nicht zu reden. Die ganze sichtbare Oberfläche hatte eine gelbliche Färbung angenommen; einige Strecken glänzten so, daß es das Auge schmerzte, hinzusehen. Mein Blick nach unten wurde auch verschiedentlich durch die Atmosphäre behindert, die mit Wolken beladen war und mir nur hin und wieder einen kurzen Anblick der Erde selbst gestattete. Seit den letzten achtundvierzig Stunden war dies sehr oft der Fall gewesen, doch schien meine augenblickliche ungeheuere Höhe die hin und her flutenden Dampfkörper für mein Auge näher zusammenzurücken. Natürlich steigerte sich die Erscheinung, je höher ich stieg. Immerhin konnte ich bemerken, daß der Ballon nun über die Reihe großer Seen in Nordamerika dahinsegelte, nach Süden zusteuerte und mich bald in die Tropen bringen mußte.

Dieser Umstand befriedigte mich in höchstem Maße und ich begrüßte ihn als ein Vorzeichen endgültigen Gelingens. Die Richtung, die er bis jetzt beibehalten, hatte mich nämlich mit einigen Befürchtungen erfüllt; wäre er länger in ihr fortgesteuert, so hätte ich den Mond überhaupt nicht erreichen können, denn seine Bahn neigt sich zur Ekliptik nur in einem kleinen Winkel von 5°8’48«. So seltsam es auch klingen mag: erst jetzt fiel mir ein, welch großen Fehler ich begangen hatte, als ich meine Reise nicht von einem Punkt der Erde aus antrat, der innerhalb des Planes der Mondellipse lag.

9. April. Der Durchmesser der Erde erscheint bedeutend kleiner, und die Oberfläche färbt sich immer tiefer gelb. Der Ballon blieb bei der Richtung südlich und kam um neun Uhr nachmittags über den nördlichen Rand des Golfs von Mexiko.

10. April. Heute morgen gegen 5 Uhr wurde ich durch ein schreckliches Getöse geweckt, das ich mir nicht erklären konnte. Es währte nur kurze Zeit, doch glich es keinem Ton, den ich auf Erden je gehört. Es ist wohl überflüssig zu sagen, daß ich sehr beunruhigt war, denn im ersten Augenblick konnte ich nur glauben, der Ballon platze. Ich untersuchte meine sämtlichen Apparate, fand sie jedoch alle in bester Ordnung. Ich habe tagsüber lange über dies sonderbare Ereignis nachgedacht, ohne die geringste Erklärung zu finden. Ging deshalb unbefriedigt, sehr aufgeregt und angstvoll zu Bett.

11. April. Bemerkte eine ganz auffallende Verkleinerung des Erddurchmessers und zum allerersten Male eine merkbare Vergrößerung des Durchmessers des Mondes, der in ein paar Tagen Vollmond sein wird. Es erfordert jetzt lange und mühsame Arbeit, eine genügende Menge atmosphärischer Luft zu kondensieren, um leben zu können.

12. April. Die Richtung des Ballons erfuhr eine sonderbare Veränderung, und obgleich ich sie erwarten mußte, gewährte sie mir eine ausgesprochene Befriedigung. Er war in der ersten Richtung bis ungefähr zum zwanzigsten Grad südlicher Breite gekommen, als er sich ganz plötzlich in einem spitzen Winkel ostwärts wandte und den ganzen Tag in dieser Richtung, genau im Plane der Mondellipse, fortsteuerte. Zu bemerken ist noch, daß ein merkliches Schwanken der Gondel die Folge dieses Richtungswechsels war. Es hielt, mehr oder weniger stark, mehrere Stunden lang an.

13. April. Von neuem beunruhigte mich das laute, krachende Geräusch, das mich schon am 10. erschreckt hatte. Dachte wieder lange über seine mögliche Ursache nach, ohne zu einem Schluß zu kommen. Der Durchmesser der Erde nimmt immer mehr ab und umspannt vom Ballon aus einen Winkel von wenig mehr als fünfundzwanzig Grad. Den Mond konnte ich nicht sehen, da er fast in meinem Zenith stand. Wir blieben noch immer in der Bahn der Ellipse, drangen jedoch nur sehr wenig weiter nach Osten vor.

14. April. Rapide Abnahme des Durchmessers der Erde. Heute kam mir die Erkenntnis, daß der Ballon jetzt auf der Linie der Absiden zu dem Punkte der Erdnähe eilt – mit anderen Worten: die direkte Richtung genommen hat, die ihn in dem der Erde am nächsten kommenden Teil der Mondbahn auf den Mond selbst bringen muß. Dieser befindet sich jetzt gerade über mir und ist meinen Blicken also entzogen. Lange, harte Arbeit erfordert das Kondensieren der Luft.

15. April. Nicht einmal die Umrisse der Kontinente und Meere konnte ich noch erkennen. Gegen zwölf Uhr vernahm ich zum dritten Male das fürchterliche Getöse, das mich zweimal aus dem Schlafe geweckt. Es hielt einige Augenblicke an und nahm während derselben an Heftigkeit zu. Schon erwartete ich irgendeine vernichtende Katastrophe, die Gondel schwankte heftig hin und her und eine riesige flammende Masse, deren Natur ich nicht erkennen konnte, schoß mit einem Gebrüll von tausend Donnern am Ballon vorbei. Als sich mein Entsetzen und Erstaunen etwas gelegt hatte, mußte ich mir sagen, daß es nur irgendein vulkanischer Ausbruch gewesen sein könne, den die Welt, der ich mich mit schwindelnder Eile näherte, ausgespien, und der höchst wahrscheinlich aus jenem eigentümlichen Stoffe bestand, von dem oft Teile bis auf die Erde gelangen und mangels einer genaueren Bezeichnung Meteorsteine genannt werden.

16. April. Als ich heute, so gut es gehen wollte, durch die beiden Seitenfenster nach oben blickte, sah ich zu meiner großen Freude einen kleinen Teil der Mondscheibe, sozusagen an allen Seiten über den großen Kreis, der den Ballon bildete, hervorragen. Ich geriet in ungeheuere Aufregung, denn ich brauchte fast nicht mehr zu zweifeln, meine gefährliche Reise bis zum Ende durchführen zu können. Der Kondensator erforderte mittlerweile auch so schwere, unablässige Arbeit, daß mir kaum Zeit zum Ausruhen blieb. An Schlaf durfte ich fast nicht mehr denken. Ich fühlte mich ganz krank, und mein Körper zitterte vor Erschöpfung. Ich fürchtete, daß meine Natur den Anstrengungen nicht länger gewachsen sein möchte. Während der kurzen Zeit der Dunkelheit sauste wieder ein Meteorstein an mir vorüber, und die relative Häufigkeit dieser Erscheinung beunruhigte mich nicht wenig.

17. April. Dieser Morgen war der Schluß und der Anfang einer Epoche meiner Reise. Man wird sich erinnern, daß die Erde am 13. von mir aus einen Winkel von 25 Grad umschloß. Am 14. hatte sich der Winkel bedeutend verkleinert, am 15. hatte er noch viel schneller an Größe abgenommen, und am 16.; kurz vor dem Schlafengehen, schätzte ich ihn bloß noch auf ungefähr sieben Grad fünfzehn Minuten. Nun stelle man sich mein Erstaunen vor, als ich am 17. nach einem kurzen, unruhigen Schlummer bemerkte, daß die Oberfläche unter mir so wunderbar plötzlich an Umfang zugenommen hatte, daß sie einen Winkel von wenigstens 30 Grad umschloß! Ich stand sozusagen wie vom Blitz gerührt! Kein Wort kann meinen ungeheuren Schrecken, mein niederschmetterndes Entsetzen ausdrücken. Meine Knie schlotterten – meine Zähne klapperten – die Haare standen mir zu Berge! Der Ballon war also geplatzt? Ich sauste – ich sauste mit unausdenkbarer Geschwindigkeit nach unten! Nach der ungeheueren Entfernung zu schätzen, die ich in der kurzen Zeit des Schlafens durchmessen, könnte es höchstens noch zehn Minuten dauern, bis ich die Oberfläche der Erde erreichte, der grausigsten Vernichtung zugeschleudert wurde!

Doch dann begann ich ruhiger nachzudenken – ich machte eine Pause und sammelte mich. Zweifel stellten sich ein. Es war ja eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit! So rasend schnell hätte ich immerhin nicht nach unten fallen können. Und obwohl ich mich der Oberfläche unter mir zusehends näherte, stand diese Geschwindigkeit doch in keinem Verhältnis zu der, die ich anfangs mit solch ungeheuerem Grausen für meinen Sturz angenommen hatte. Diese Überlegung beschwichtigte die Erregung in meinem Innern teilweise wieder, und es gelang mir endlich, die Erscheinung mit ruhigerem Auge zu betrachten. Erstaunen und Angst mußten mich wirklich meiner Sinne beraubt haben, daß ich die Verschiedenheit der Oberfläche des Weltkörpers unter mir und der meiner Mutter Erde nicht sofort erkannt hatte. Die stand jetzt über meinem Kopfe, und der Mond – der Mond in all seiner Glorie – lag zu meinen Füßen.

Das Staunen und die Erstarrung, die diese sonderbare Veränderung in der Lage der Welten in mir bewirkte, war vielleicht das Erstaunlichste und Unverständlichste an der ganzen Reise. Denn diese Umwälzung war nicht nur natürlich und unausbleiblich, ich hatte sie auch längst erwartet. Sie mußte eintreten, sobald ich an dem Punkte meiner Reise angekommen sein würde, an dem die Anziehungskraft des Planeten durch die Anziehungskraft des Satelliten aufgehoben werden würde, oder genauer: an dem die Gravitation des Ballons zur Erde geringer sein würde als die zum Monde.

Allerdings erwachte ich gerade aus einem Schlafe und war noch nicht ganz bei Sinnen, als ich plötzlich diese seltsamste aller Erscheinungen gewahrte, die ich zwar erwartet – doch nicht in diesem Augenblick erwartet hatte.

Die Umdrehung selbst mußte ganz sanft und allmählich vor sich gegangen sein, und es ist durchaus nicht gewiß, daß ich selbst in wachem Zustande eine Umkehrung verspürt haben würde, irgendein inneres Symptom einer Umdrehung – eine Unbequemlichkeit oder eine Verschiebung an meinen Apparaten.

Es ist wohl überflüssig zu sagen, daß sich meine ganze Aufmerksamkeit, als ich zur klaren Erkenntnis meiner Situation gekommen und des Schreckens, der meinen Geist vollkommen gelähmt hatte, Herr geworden war, auf die Betrachtung der allgemeinen äußeren Erscheinung des Mondes konzentrierte. Er lag unter mir, wie eine Karte – und obgleich ich schließen mußte, daß er sich noch in bedeutender Entfernung befand, zeichneten sich doch alle Unebenheiten seiner Oberfläche mit einer mir unerklärlichen Deutlichkeit ab. Beim ersten Blick fiel mir, als hauptsächlichster Zug seiner geologischen Beschaffenheit, der Mangel an Meeren, Binnenseen oder Flüssen, überhaupt an irgendwelchen Wasseransammlungen auf.

Dennoch, so seltsam es klingt, sah ich weite, flache Strecken –, die durchaus den Charakter angeschwemmten Erdreichs aufwiesen, obgleich der bei weitem größere Teil der sichtbaren Hemisphäre von zahllosen kegelförmigen Vulkanen bedeckt war, die eher künstlichen als natürlichen Erhebungen glichen. Die höchste unter ihnen mochte nicht mehr als dreidreiviertel Meilen senkrechter Höhe betragen – übrigens wird eine Karte der Campi Phlegraei Euren Exzellenzen eine viel bessere Vorstellung der allgemeinen Oberfläche geben, als jede Beschreibung meinerseits, die doch nur sehr unvollkommen bleiben würde. Bei den meisten Bergen fanden offenbar gerade Eruptionen statt und gaben mir ein furchtbares Bild ihrer Wut und ihrer Kraft durch wiederholt mit donnerndem Krachen emporgeschleuderte sogenannte Meteorsteine, die immer häufiger und beunruhigender am Ballon vorübersausten.

18. April. Bemerkte eine bedeutende Zunahme im anscheinenden Volumen des Mondes, und die offenbar stetig wachsende Schnelligkeit des Abwärtssegelns beginnt mich mit Besorgnis zu erfüllen. Man wird sich erinnern, daß im Anfange meiner Berechnungen der Möglichkeit einer Mondfahrt die Annahme einer dichten, im Verhältnis zum Volumen des Planeten stehenden Atmosphäre eine große Rolle gespielt hatte –, trotz verschiedener Theorien, die das Gegenteil beweisen sollten, ja obwohl man im allgemeinen überhaupt nicht an eine Mondatmosphäre glaubte. Doch außer den Schlüssen, die ich aus der Beobachtung des Enckeschen Kometen und des Zodiakallichtes hergeleitet, wurde ich in meiner Ansicht noch durch die Behauptungen des Herrn Schroeter aus Lilienthal bestärkt. Er beobachtete den Mond, als derselbe einmal wieder seit zwei und einem halben Tage sichtbar war, kurz nach Sonnenuntergang des Abends, ehe die dunkle Partie kenntlich wurde, und beobachtete sie so lange, bis sie ganz zu sehen war. Die beiden Hörner schienen sich spitz und scharf zu verlängern, und ihr äußerster Rand war schwach von Sonnenstrahlen beschienen, ehe ein Teil der Hemisphäre sichtbar wurde. Kurze Zeit nachher wurde das ganze dunkle Feld erhellt. Diese Verlängerung der Hörner über den Halbkreis hinaus konnte seinen Grund meiner Meinung nach nur in einer Brechung der Sonnenstrahlen durch die Atmosphäre des Mondes haben. Ich berechnete ferner, daß die Höhe dieser Atmosphäre, die genug Lichtstrahlen brechen konnte, um in ihrer dunklen Hemisphäre eine Dämmerung zu bewirken, die heller ist als das Licht, welches die Erde reflektiert, wenn der Mond etwa im zweiunddreißigsten Grade seiner Konjunktion steht, 1356 Pariser Fuß betragen müsse; demgemäß nahm ich an, daß die größte Höhe, die Sonnenstrahlen brechen konnte, 5376 Fuß sein müsse. Meine Gedanken über diesen Punkt wurden durch eine Stelle aus dem zweiten Bande der ›philosophischen Transaktionen‹ bestätigt, in welchem bewiesen wird, daß bei einer Verfinsterung der Satelliten des Jupiter der dritte verschwand, nachdem er ein oder zwei Sekunden undeutlich gewesen, und der vierte, als er sich dem Rande näherte, unwahrnehmbar wurde. Hevelius schreibt, daß er mehrere Male bei vollkommen klarem Himmel, als selbst Sterne sechster und siebenter Größe deutlich zu sehen waren, beobachtet habe, daß – bei gleicher Höhe des Mondes – bei gleichem Abstandswinkel von der Erde – der Mond und seine Flecken uns nicht immer gleich hell erscheinen. Aus den gegebenen Umständen geht hervor, daß die Ursachen dieser Erscheinung weder in unserer Atmosphäre, noch im Teleskop, noch im Monde, noch im Auge des Beobachters zu suchen ist, sondern in einem Etwas, (einer Atmosphäre?), das um den Mond herum existiert.

Cassini hat oft beobachtet, daß Saturn, Jupiter und die Fixsterne im Augenblick, da sie vom Mond verfinstert werden, ihre Kreisform verlieren und eine ovale annehmen; bei anderen Verfinsterungen jedoch nahm er keine Veränderung der Gestalt wahr. Man muß also annehmen, daß der Mond zu manchen Zeiten, doch nicht immer, von einer dichten Materie eingehüllt ist, in welcher sich die Strahlen der Sterne brechen

Die Sicherheit meiner endgültigen Landung hing natürlich von dem Widerstand oder vielmehr von der Unterstützung einer Atmosphäre ab, von der ich also glaubte, daß sie im Zustande einer gewissen Dichtigkeit um den Mond herum existieren müsse. Sollte ich mich geirrt haben, so konnte mein Abenteuer nicht anders als mit meiner Zerschmetterung an der zackigen Oberfläche des Satelliten endigen. Und ich hatte allen Grund, mich auf das Fürchterlichste gefaßt zu machen. Meine Entfernung vom Monde war verhältnismäßig nur noch eine unbedeutende; die Arbeit, die der Kondensator erforderte, hatte sich dagegen noch nicht vermindert: von einer zunehmenden Dichtigkeit der Atmosphäre war nichts zu spüren.

19. April. Heute morgen gegen neun Uhr, als mir die Oberfläche des Mondes erschreckend nahe gekommen und meine Befürchtungen aufs höchste gestiegen waren, wies zu meiner größten Erleichterung die Pumpe des Kondensators endlich Anzeichen einer Veränderung der Atmosphäre auf. Um zehn Uhr konnte ich glauben, daß die Dichtigkeit bedeutend zugenommen. Um elf Uhr erforderte der Apparat nur noch eine geringe Arbeit, und gegen Mittag wagte ich, erst zögernd, das Kautschukzimmer zu öffnen; als es jedoch keinerlei böse Folgen hatte, wickelte ich die Gondel gänzlich aus dem Gummisack heraus. Wie ich hätte erwarten müssen, ergriffen mich gleich nach dem übereilten, gefährlichen Experimente Krämpfe und heftige Kopfschmerzen. Doch da diese und andere mit Atembeschwerden verbundenen Erscheinungen nicht so stark auftraten, als daß ich für mein Leben hätte fürchten müssen, beschloß ich, sie geduldig zu ertragen, in der Hoffnung, daß sie mich bald, da ich jeden Augenblick in dichtere Schichten der Mondatmosphäre kommen mußte, verlassen würden.

Ich näherte mich dem Gestirn noch immer mit rasender Eile, und es stellte sich bald als gewiß heraus, daß, obgleich ich mich wahrscheinlich in der Annahme einer im Verhältnis zu der Masse des Gestirns stehenden dichten Atmosphäre nicht getäuscht hatte, diese Dichtigkeit doch selbst an der Oberfläche nicht ausreichte, meine Gondel mit ihrem Inhalt zu tragen. Dies hätte der Fall sein müssen – und zwar in gleichem Maße, wie an der Oberfläche der Erde –, wenn man annimmt, daß auf beiden Planeten die wirkliche Schwere der Körper im Verhältnis zur Dichtigkeit der Atmosphäre steht. Aber das war nicht der Fall; die Schnelle, mit der ich fiel, bewies es deutlich. Warum? Ich konnte es mir nur durch eine jener möglichen geologischen Störungen erklären, von denen vorhin die Rede war.

Jedenfalls hatte ich den Planeten fast ganz erreicht und näherte mich ihm in schwindelnd eiligem Fall. Es war keine Minute zu verlieren, ich warf meinen Ballast über Bord, dann die Wasserfäßchen, den Kondensator, die Gummihülle, alles, was sich nur in der Gondel befand. Es half nichts. Ich fiel mit entsetzlicher Schnelligkeit, und war wohl nur noch eine halbe Meile vom Boden entfernt. In höchster Not warf ich meinen Rock, meinen Hut, meine Stiefel fort, löste die Gondel selbst, die ziemlich schwer war, vom Ballon, klammerte mich mit beiden Händen an das Netzwerk an und hatte kaum Zeit, zu sehen, daß das ganze Land, so weit das Auge reichte, mit winzigen Wohnstätten übersät war, als ich auch schon wie eine Kugel mitten in eine phantastische Stadt unter eine Menge häßlicher kleiner Leute fiel, von denen keiner ein Wort sagte, oder sich die geringste Mühe gab, mir beizustehen, sondern die alle wie ein Haufen von Idioten mich und meinen Ballon mit lächerlichem Grinsen und in die Seite gestemmten Arme anglotzten. Ich wandte mich von ihnen ab und blickte zur Erde auf, die ich kürzlich und vielleicht für immer verlassen. Sie hing als ungeheuerer, düsterer Kupferschild von vielleicht zwei Grad im Durchmesser, starr und unbeweglich, in den Himmeln über mir. Ein Teil des Randes erglänzte in der Gestalt einer goldig leuchtenden Sichel. Von Land oder Meeren war nichts mehr zu sehen, die ganze Oberfläche schien mit veränderlichen Flecken besät und war von den tropischen und Äquatorial-Zonen wie von Gürteln umschlossen.

So hatte ich also, Euren Exzellenzen mit Respekt zu melden, nach einer langen Reihe von Beängstigungen und mannigfachen Gefahren, denen ich so unglaublich gut und unbeschädigt entronnen war, neunzehn Tage nach meiner Abfahrt von Rotterdam, heil und gesund das Ziel der zweifellos seltsamsten, wichtigsten Reise erreicht, die je ein Erdenbürger vollbracht oder auch nur beabsichtigt hat. Doch habe ich meine Abenteuer hier noch nicht erzählt, und Eure Exzellenzen können sich wohl vorstellen, daß ich nach fünfjährigem Aufenthalte auf einem Planeten, der, an sich schon höchst interessant, es in seiner Eigenschaft als Trabant der menschenbewohnten Erde doppelt wird, dem astronomischen Kollegium im geheimen noch viele und wichtigere Dinge mitzuteilen habe, als die immerhin wunderbaren Einzelheiten der bloßen Reise, die ich so glücklich zu Ende geführt.

Ich könnte viel von dem Klima des Mondes erzählen, von dem wunderbaren Wechsel von Wärme und Kälte, von dem unerbittlichen glühenden Sonnenschein, der stets vierzehn Tage hintereinander anhält, und der darauf folgenden vierzehntägigen mehr wie polaren Eiseskälte; könnte vieles über eine beständige Zufuhr an Feuchtigkeit durch Destillation wie in einem Vakuum von dem Punkte unter der Sonne bis zu dem am weitesten entfernten erzählen; von einer veränderlichen Zone fließenden Wassers könnte ich sprechen; dann über die Einwohner selbst – über ihre Sitten und Gewohnheiten, ihre politischen Einrichtungen, ihren besonderen Organismus, ihre Häßlichkeit, ihren Mangel an Ohren, die in einer so anderen Atmosphäre nur nutzlose Anhängsel sein würden, über das Fehlen jeglicher Sprache bei ihnen, über ihre seltsame Methode einer Innern Mitteilung, welche die Sprache vollständig ersetzt; könnte von der unerklärlichen Beziehung reden, die je einen Mondbewohner mit je einem Erdenbürger verbindet – eine Beziehung, die den Bahnen des Planeten und des Satelliten analog ist, von ihnen abhängt, und mittels deren das Leben und Schicksal der Bewohner beider Sterne innig miteinander verbunden sind – und vor allem, mit Eurer Exzellenzen Erlaubnis, möchte ich über die dunklen, fürchterlichen Geheimnisse der anderen Hemisphäre des Mondes sprechen, die, dank der fast wunderbaren Übereinstimmung der Umdrehung des Satelliten um seine eigene Achse mit seiner Sternbahn um die Erde und durch Gottes Barmherzigkeit den Teleskopen der Menschen niemals zugänglich sein wird.

Alles das möchte ich erzählen und noch viel, viel mehr. Aber – um kurz zu sein – ich verlange eine Belohnung dafür. Ich sehne mich danach, zu meiner Familie und in mein Heim zurückzukehren. Und als Preis für das Licht, das ich in viele wichtige Gebiete der physischen und metaphysischen Wissenschaften bringen kann, erbitte ich durch Fürsprache des hochzuverehrenden astronomischen Kollegiums Straflosigkeit für das Verbrechen, dessen ich mich bei meiner Abreise aus Rotterdam durch den Mord meiner Gläubiger schuldig gemacht. Diesen Zweck verfolge ich mit dem Briefe, den Eure Exzellenzen soeben gelesen. Der Überbringer, ein Mondbewohner, den ich zu meinem Boten ausgewählt und genügend instruiert habe, wird auf Eurer Exzellenzen gnädige Äußerung warten und mir die erbetene Verzeihung, falls man sie mir gewähren wird, überbringen.

Ich habe die Ehre mich zu unterzeichnen als Eurer Exzellenzen

allerergebenster Diener

Hans Pfaall

Als Bürgermeister und Professor diese überraschende Botschaft gelesen hatten, ließ der letztere, so erzählt man, im Übermaße des Erstaunens seine Pfeife auf die Erde fallen und Mynheer Superbus von Underduk nahm seine Brille ab, putzte sie, steckte sie in die Tasche und vergaß sowohl sich selbst als auch seine Würde so weit, daß er sich vor Verwunderung dreimal auf dem Absatze herumdrehte.

Zweifellos mußte die Straflosigkeit erwirkt werden. Wenigstens schwor es sich Herr Professor Sternekiek mit einem festen Fluche – als auch schon van Underduk den Arm seines Bruders in der Wissenschaft ergriff und sich, ohne ein Wort zu sagen, mit ihm schleunigst auf den Weg nach Hause machte, um über die dringenden Maßregeln, die man jetzt ergreifen müsse, zu beraten. Als sie jedoch die Tür der bürgermeisterlichen Wohnung erreicht hatten, wagte der Professor den Einwurf, daß ja der Bote, ohne Zweifel durch das Gebaren der Rotterdamer zu Tode erschrocken, schon wieder verschwunden, das zu erwirkende Pardon also zwecklos sei; denn wohl nur ein Mondmensch würde eine so weite Reise unternehmen, um es doch noch zu überbringen!

Der Richtigkeit dieser Bemerkung konnte sich der Bürgermeister nicht entziehen, und die Affäre hatte damit eigentlich ein Ende; nicht jedoch alle möglichen Gerüchte und Vermutungen. Der Brief wurde veröffentlicht und gab Anlaß zu den verschiedensten Meinungsäußerungen und den dümmsten Klatschgeschichten. Einige Neunmalkluge blamierten sich sogar so weit, die ganze Sache als einen bloßen Schwindel hinzustellen. Aber ich fürchte, für diese Leute ist eben alles, was über ihren Verstand hinausgeht, ›Schwindel‹. Ich für meinen Teil kann wenigstens nicht verstehen, wodurch sie ihre Annahme begründen könnten.

Sehen wir zu, was sie sagen!

Das gewisse Spaßvögel in Rotterdam gewisse Antipathien gegen gewisse Bürgermeister und Astronomieprofessoren haben.

Daß ein wunderlicher, alter Zwerg, seines Zeichens Taschenspieler, dem man einmal für irgendeinen schlechten Streich beide Ohren dicht am Kopfe abgeschnitten, seit einigen Tagen in der benachbarten Stadt Brügge vermißt werde.

Daß die Zeitungen, mit denen der ganze kleine Ballon beklebt gewesen, holländische Zeitungen waren und deshalb nicht vom Monde kommen konnten. Sie waren schmutzig, sehr schmutzig –, und van den Druck, der Buchdrucker, wollte es auf seinen Eid nehmen, daß sie in seiner Druckerei gedruckt worden seien.

Daß Hans Pfaall selbst ein Schuft und Trunkenbold und mit den drei Faulenzern, die er seine Gläubiger nannte, vor nicht mehr als zwei oder drei Tagen in einer berüchtigten Vorstadtkneipe gesehen worden sei, nachdem sie eben von einer Reise übers Meer mit vollen Taschen zurückgekommen.

Und letztens: Daß die Annahme allgemein verbreitet ist oder es wenigstens sein sollte, daß das Astronomische Kollegium in der Stadt Rotterdam, wie alle anderen Kollegien in allen anderen Teilen der Welt – von den Kollegien und Astronomen im allgemeinen überhaupt ganz zu schweigen – gelinde gesagt, nicht besser, nicht klüger, nicht weiser sei, als nötig ist.

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