Anna Margaretha Zwanziger

 

[1811] Im Baireuther Oberlande hielt sich im Jahre 1807 eine Witwe von mittleren Jahren auf, die sich vom Stricken ernährte. Sie war nicht ohne Bildung, und man sah es ihrem stillen Wesen an, daß sie viel in der Welt gesehen und erfahren hatte. Sie war gefällig und freundlich gegen jedermann, voll Demut und Gottesfurcht und galt für eine rechtschaffene Frau, die es sich sauer werden ließ, um ehrlich durchzukommen.

Man nannte sie die Schönleben, ihr Vorname war Nannette, ihr Vatersname Steinacker; sie war aus Nürnberg gebürtig, aber weit durch die Welt verschlagen worden und sah sich wieder nach einem dauernden Unterkommen um. Dies konnte ihr bei ihrem guten Rufe nicht fehlen, und binnen kurzer Zeit hatte sie Bekanntschaften und Empfehlungen in mehreren achtbaren Häusern, wo sie, fleißig und rechtschaffen, zur Zufriedenheit aller sich betrug und nur durch besonders unglückliche Veranlassungen gezwungen wurde, ihre Wanderung weiter fortzusetzen.

Der Justizamtmann Glaser zu Kasendorf, der von seiner Gattin getrennt lebte, nahm sie zuerst im März 1808 als Haushälterin in Dienst. Wenige Monate nachher versöhnte er sich indessen wieder mit seiner Frau; sie kam in sein Haus zurück, und die Dienste der Schönleben wurden überflüssig. Aber die gesunde, kräftige Frau erkrankte bald nach ihrer Rückkehr an heftigem Erbrechen und Durchfall und starb am 26. August, schon vier Wochen nach der Wiedervereinigung mit ihrem Gatten.

Die Schönleben trat nun mit guten Empfehlungen gleichfalls als Haushälterin im September in die Dienste des Justizamtmanns Grohmann zu Sanspareil. Grohmann war ein Junggeselle von achtunddreißig Jahren, von starkem, vollsaftigem Körperbau, aber doch ein kränkelnder Mann; er litt an der Gicht und mußte oft das Bett hüten. Die Schönleben zeigte sich als die sorgsamste Krankenpflegerin. Sie kam nicht von seinem Lager. Aber der Justizamtmann erkrankte im Frühjahr 1809 immer heftiger und mit Symptomen, die sich bis dahin nicht gezeigt hatten: heftigem Erbrechen, Schmerzen in den Gedärmen, wiederholtem Stuhlgang, einer äußerst trockenen Haut. Vom Schlunde bis zum After schien eine Entzündung sich zu erstrecken, und er litt am unauslöschlichem Durst. Er starb am 8. Mai.

Der Ruf der Schönleben war durch die treue Pflege des armen Kranken nicht wenig gestiegen. Sie hatte ihm stets selbst das Bett gemacht, ihm selbst die Arzneien gereicht und schien untröstlich über seinen Verlust. Dieser Ruf ihrer Menschenfreundlichkeit, Dienstgefälligkeit und Aufmerksamkeit als Krankenpflegerin verschaffte ihr bald ein neues drittes Unterkommen. Im Hause des Kammeramtmannes Gebhard erwartete die Frau ihre Niederkunft. Man war sehr froh, die Schönleben als Haushälterin und Wärterin am Wochenbette gewinnen zu können. Die Niederkunft war glücklich vonstatten gegangen, Mutter und Kind befanden sich wohl; aber am dritten Tage erkrankte die erstere: heftiges Erbrechen, große Unruhe, qualvolle innere Hitze, Entzündung des Schlundes. In der Nacht vorher rief sie in der Angst ihrer Schmerzen: »Um Gottes willen! Ihr habt mir Gift gegeben!« und starb tags darauf, an den Folgen des Wochenbettes, hieß es. Sie war aber immer von schwächlicher Leibesbeschaffenheit gewesen.

Der Witwer war froh, in der verwaisten Wirtschaft und für das arme Neugeborene in der Schönleben eine Person zu haben, welche die Hausfrauen- und Mutterstelle nun verwaltete. Zwar suchten mehrere Personen ihn bedenklich zu machen: die Schönleben sei doch ein Unglücksvogel; wohin sie komme, da bringe sie den Tod, wie erst jüngst an den drei Personen sich gezeigt habe. Aber damit war kein Verdacht gegen sie als etwaige Urheberin ausgesprochen, es war nur eine dunkle Ahnung, eine abergläubische Besorgnis, daß ihre Persönlichkeit kein Glück bringe. Der Witwer, ein vernünftiger Mann, ging nicht darauf ein; er bedürfe einer Haushälterin, glaubte sie erprüft zu haben und nahm sie förmlich als solche in seine Dienste.

So blieb sie mehrere Monate und stand dem ganzen Hauswesen vor. Auch während dieser Monate ereignete sich vieles, was, wenn irgend Verdacht vorhanden gewesen wäre, ihn hätte steigern müssen. Verschiedene Dienstleute und Angehörige des Hauses waren nach dem Genuß von Getränken krank geworden. Aber als am 1. September 1809 einer ganzen Kegelbahngesellschaft von fünf Personen, welche sich bei Gebhard versammelt hatten, nach dem Genusse einiger Krüge bayrischen Biers, die Gebhard aus seinem Keller hatte holen lassen, plötzlich übel wurde, bei allen Leibschmerzen auftraten und sie sich erbrechen mußten, entstand ein allgemeiner Verdacht gegen die Wirtschafterin; doch bei keinem von allen ein solcher, der sie zu einer Denunziation oder Untersuchung angetrieben hätte. Sie drängten nur in den Hausherrn, daß er augenblicklich eine Person entlasse, unter deren Hausverwaltung so viel Unheil vorgefallen sei. Gebhard tat es, er wollte das unheilbringende Wesen los sein. Er kündigte ihr auf der Stelle den Dienst und nahm ihr die Aufsicht über das Hauswesen und sämtliche Schlüssel ab. Dennoch stellte er ihr noch am selben Tage ein schriftliches Zeugnis aus, worin er »die Treue und Bravheit ihres Betragens« rühmte.

Die Schönleben zeigte sich wohl etwas gekränkt über ihre plötzliche Entlassung, fiel aber nicht aus ihrer artigen, demütigen Weise. Sie war noch am folgenden Tage die geschäftigste Dienerin im Hause. Sie griff selbst an, selbst wo sie es nicht nötig hatte. So trug sie am Vorabend ihrer Abreise selbst das Salzfaß auf den Tisch, nachdem sie es aus der Salztonne neu gefüllt hatte. Die Mägde wunderten sich darüber; aber sie sagte ihnen scherzend, so müsse es sein. Die Leute, die abzögen, müßten das Salzfaß füllen, damit die, die zurückbleiben, desto länger den Dienst behielten.

Der Wagen, der sie nach Baireuth fahren sollte, stand am nächstfolgenden Tage schon vor der Tür. Gebhard hatte ihr denselben aus Güte gemietet, auch noch einen Kronentaler ihr auf den Weg gegeben, und zum Überfluß sollte sie vor ihrer Abreise noch Schokolade bei ihm trinken. Sie aber war an diesem Morgen die Freundlichkeit und Weichmütigkeit selbst. Den beiden Dienstmägden Hagin und Waldmann, mit denen sie sich sonst nicht zum besten vertrug, hatte sie eigenhändig Kaffee gemacht und reichte jeder eine Tasse, indem sie den Zucker aus einer Tüte nahm. Besonders rührend aber war der Abschied von dem verwaisten Kinde, dessen Geburt der Mutter den Tod gekostet hatte, und das sie ihr liebes Fritzchen nannte. Sie mußte es noch einmal auf den Arm nehmen, es herzen und küssen, und gab ihm dann ein Biskuit, das sie in Milch tauchte, ohne von der Milch selbst etwas zu trinken.

Endlich mußte geschieden sein. Der Wagen war ungefähr eine halbe Stunde fort, als das arme Kind von zwanzig Wochen plötzlich ein starkes Erbrechen befiel. Es wurde sehr krank. Die beiden Mägde mußten nach einigen Stunden sich gleichfalls heftig übergeben. Jetzt stieg mit einem Male der furchtbarste Verdacht auf. Man erinnerte sich der vorangegangenen Vorfälle im Hause: zwei Gäste, die im August bei Gebhard zu Mittag gespeist hatten, der Handlungsdiener Beck und die Sekretärswitwe Alberti, hatten nach Tisch gleichfalls an heftigem Erbrechen, an Leibschmerzen und Zuckungen gelitten. Gegen Ende August hatte die Schönleben dem Amtsboten Rosenhauer ein Glas weißen Wein zu trinken gegeben, und Rosenhauer hatte dieselben Beschwerden gehabt. Den Laufburschen des Rosenhauer, Krausch, hatte sie am nämlichen Tage mit sich in den Keller genommen und ihm ein Glas Branntwein gereicht. Als er ein wenig getrunken hatte, bemerkte er darin einen weißen Satz und wollte nicht mehr, ward aber doch übel. Die erwähnte Magd Waldmann erinnerte sich, schon früher einmal eine Tasse Kaffee von der Schönleben erhalten zu haben, und zwar, nachdem sie sich mit ihr gezankt hatte, und daß sie danach ebenso übel geworden sei wie jetzt und sich vom Morgen bis Abend jede halbe Stunde davon hatte erbrechen müssen.

Der Amtmann erfuhr die Geschichte mit dem Salzfaß; denn jetzt tauchte jeder seltsame Vorfall, der unverstanden geblieben war, in der Erinnerung auf. Das Salzfaß ward untersucht, und man fand es stark mit Arsenik vermischt. Auch in der großen Salztonne fanden sich später auf drei Pfund Salz dreißig Gran Arsenik. Man entsann sich, daß, als die Schönleben bei Glasers und Grohmanns gedient hatte, auch dort mehrere Personen nach genossenen Getränken und Speisen erkrankt seien. Endlich entdeckte man, daß es auch mit ihrem Namen nicht volle Richtigkeit habe, daß sie von Vaters wegen wohl Schönleben heiße, aber die Witwe des Notars Zwanziger sei und Gründe habe, diesen wahren Namen zu verschweigen. Trotz dieser dringenden Anzeichen ließ der Kammeramtmann Gebhard noch einen Monat verstreichen, ehe er deshalb gerichtliche Anzeige machte: so schwer scheint er sich überwunden zu haben, an die nach allen gewöhnlichen Erfahrungen allerdings kaum glaubhafte Schuldbarkeit der gerühmten Frau zu glauben. Diese inzwischen reiste mit der Sorglosigkeit weiter, welche nur ein sehr glücklicher Erfolg in gefährlichen Dingen hervorbringen kann. Sie hatte sogar Gebhard einen Brief zurückgelassen, in welchem sie ihm mit affektierter Empfindsamkeit den Vorwurf des Undanks macht. Es heißt unter anderm darin: »Wenn Ihr Kind nicht ruhig sein will, dann wird Ihnen mein Schutzgeist zurufen: Warum nahmst du ihr ihr Liebstes (das Kind) hinweg?« Sie versprach, alle vierzehn Tage ihm Nachricht von sich zu geben, logierte sich in Baireuth, unverschämt genug, als Freundin der verstorbenen Gebhard bei deren Mutter ein und schrieb von jedem Orte, wo sie zugebracht hatte, an ihren verehrungswürdigen Herrn, »dessen fortdauernder Gnade« sie sich empfahl, und dessen liebem kleinen Fritzchen sie zärtliche Küsse zusandte, alles mit der unverhohlenen Erwartung, daß Gebhard binnen kurzem eilen werde, eine so vortreffliche Hausvorsteherin zurückzurufen. Aber trotz ihrer Versicherungen in den Briefen von der guten Aufnahme, die sie überall finde, und den guten Aussichten, die sich ihr eröffneten, und trotz aller Briefe, mit denen sie den ganzen Kreis der ihr bekannten Häuser überschüttete, mußte sie von Ort zu Ort weiter, und niemand rief sie, niemand wollte sie behalten. Am bittersten fand sie sich in einem Örtchen in Franken getäuscht, wo ihre Tochter an einen Buchbinder Sauer verheiratet war. Als sie vor dem Hause ankam, war freilich großer Jubel, an dem sie aber keinen Teil hatte. Sauer heiratete wieder. Sauer hatte sich von ihrer Tochter scheiden lassen. Die Tochter war im Zuchthause wegen Diebstahl und Betrügereien. Niemand verlangte nach ihr. Als sie nach Nürnberg zurückkehrte, waren daselbst allerdings mehrere Briefe eingegangen, die dringend nach ihr fragten – Requisitionsschreiben um ihre Verhaftung. Als sie festgesetzt wurde, fand man bei ihr drei Päckchen, welche über ihr Wesen und Gewerbe keinen Zweifel ließen: zwei Päckchen mit Mückenstein und eins mit Arsenik.

Um Mitte Oktober 1809 war die Zwanziger auf dringende Verdachtsgründe hin verhaftet worden. Sie war natürlich die unschuldigste Person von der Welt, und es werde sich schon finden, wie man sie verkenne. Gegen Ende Oktober wurde ohne ihr Vorwissen mit der Leichenausgrabung derjenigen Personen begonnen, die möglicherweise von ihr vergiftet sein konnten.

Seit den letzten großen Giftmordprozessen war die gerichtliche Arzneiwissenschaft um viele Erfahrungssätze hinsichtlich der Arsenikvergiftung reicher geworden. Alle die Wahrnehmungen, welche man an den Leichen gemacht hatte, die in ähnlichen Fällen untersucht worden waren, fand man hier wieder. Der Leichnam der Justizamtmännin Glaser, der vierzehn Monate im Grabe gelegen hatte, trug verhältnismäßig nur geringe Spuren der Verwesung an sich. Die ganze Oberfläche des Körpers schien zur Mumie erhärtet und hatte nach Wegnahme des Schimmels eine braune, mahagoniartige Farbe. Diese mumienartige, elastische Härte zeichnete sich besonders bei den vollen Brüsten aus. Der Unterleib war etwas ausgedehnt und gab, wenn man mit einem Stocke darauf schlug, einen hohlen, dumpfen Laut von sich. Die Bauchmuskeln waren in eine speck- oder käseartige Masse verwandelt und hatten auch einen Käsegeruch. Ganz dieselben Wahrnehmungen fanden sich beim Leichnam der Amtmännin Gebhard. Überdem fand man bei der chemischen Untersuchung in den Eingeweiden beider Frauen noch Arsenik vor, so daß das ärztliche Gutachten dahin ging, man könne mit Gewißheit annehmen, daß beide an einer Arsenikvergiftung gestorben seien. Beim Leichnam des Grohmann fanden sich jene Zeichen nicht so bestimmt ausgedrückt, auch entdeckte man das Arsenik nicht, wonach nur eine Wahrscheinlichkeit und Möglichkeit der Vergiftung begutachtet werden konnte. Da aber die fernere Untersuchung auch den wirklich erfolgten Giftmord des Grohmann außer Zweifel gestellt hat, so drängt sich uns die Frage auf, ob das Arsenik vielleicht bei weiblichen Körpern prononzierter in seinen Wirkungen ist als bei männlichen, auch dort vielleicht länger die Giftstoffe zurückläßt. Auch im Prozeß der Ursinus erklärten die Sachverständigen, daß aus den gefundenen Kennzeichen auf die Vergiftung der Tante mit der höchsten Wahrscheinlichkeit zu schließen sei, die des Mannes erschien ihnen nur wahrscheinlich.

Beinahe ein Jahr lang verblieb die Zwanziger bei einem starren Leugnen in bezug auf alles, was den Giftmord betraf, wiewohl ihr verdächtiger und schlechter Lebenswandel, ja der ganze Charakter dieser gefährlichen Person schon ins vollste Licht gestellt war. Zu den Episoden dieses Prozesses gehörte das plötzliche Erscheinen ihrer Tochter, derselben geschiedenen Sauer, welche wegen Diebstahls im Zuchthause saß, als die Zwanziger sie aufsuchen wollte. Diese Tochter, deren Existenz die Mutter bis dahin verheimlicht hatte, kam nach abgesessener Zuchthausstrafe nach Kulmbach, um die Mutter aufzusuchen, von der das Gerücht bis in ihre Kerkermauern gedrungen war, daß sie als Giftmischerin das Schafott besteigen werde. Dies überraschende Auftreten einer nächsten Zeugin wider die Zwanziger brachte vieles Licht in die Untersuchung und die Überzeugung, daß diese stille, rechtschaffene Witwe eine der gefährlichsten Landstreicherinnen sei, welche bis dahin dem Auge der Polizei entschlüpft war.

Aber so vieles auch über ihren Lebenswandel schon entdeckt war, noch am 16. April 1810 glaubte die Zwanziger, alles, was gegen sie sprechen könne, sei erschöpft, und sie stellte sich mit völliger Unbefangenheit vor den Richter. Da erst entdeckte dieser ihr, der Leichnam der Glaser sei ausgegraben worden, man habe die unverkennbaren Spuren der Vergiftung gefunden, und der dringende Verdacht treffe sie. Nach zwei Stunden brach ihr Mut. Nachdem sie schluchzend und händeringend ihre Unschuld beteuert und in allen Krümmungen einer angstgepeitschten Sünderin, die noch nach Auswegen sucht, sich gewunden hatte, gestand sie, doch noch mit vielen Lügen und Ausflüchten durchwebt, daß sie der Glaser zweimal Gift gegeben habe. Dies Bekenntnis war aber kaum von ihren Lippen, als sie, wie vom Blitz getroffen, zu Boden stürzte und in solchen heftigen Zuckungen sich wälzte, daß man sie aus dem Gerichtszimmer forttragen mußte.

Der Lebenslauf der Verbrecherin ist als vollständig ermittelt nach den Akten zu betrachten. Zum Überfluß, und allerdings eine Kuriosität bei Verbrecherinnen, schrieb sie noch eine Autobiographie in der Zwischenzeit vom Schluß der Untersuchung bis zur Publikation des Urteils. Sie ist achtzehn engbeschriebene Bogen stark, keine Beichte wie die der Brinvillier, sondern ein Versuch, die Greuel ihres liederlichen und lasterhaften Wandels zu beschönigen, nicht sich zu rechtfertigen, sondern interessant zu machen. Die Stellen, welche wörtlich aus dieser eigenen Lebensbeschreibung in unserem Auszüge entnommen sind, sollen durch Häkchen bezeichnet werden.

Anna Margaretha Zwanziger war in demselben Jahre geboren, in dem auch die Ursinus zur Welt kam, 1760. In der eigenen Biographie macht sie sich um vier Jahre jünger. Zur Zeit ihrer Verhaftung war sie also im fünfzigsten Jahre. Sie war klein von Wuchs, hager, schief und verwachsen. Ihr bleiches, mageres Gesicht, mit den Spuren von Alter und Leidenschaft, verriet auch keine Spur mehr von ehemaliger Schönheit. Aus ihren widrigen Augen blickte Gehässigkeit und Neid, während der Mund sich doch immer zu freundlichem Lächeln verzog und ihr Betragen über und über Höflichkeit, kriechende Untertänigkeit und schmeichelndes Schöntun war. Eitel, gefallsüchtig und wollüstig von Jugend auf, entfernten Alter und Häßlichkeit noch nicht die Sünde und das Begehren von ihr. Noch im Gefängnisse, als sie bereits ihrem Todesurteil entgegensah, spielte ihre Einbildungskraft mit der Erinnerung an die Blütezeit ihrer Jahre. Sie bat oft ihren Richter, er möge doch ja nicht nach der Zwanziger von heut sich eine Vorstellung der Zwanziger von ehemals machen, denn sie sei schön, sehr schön gewesen.

Ihr Vater Schönleben in Nürnberg war, wie sie selbst bemerkte, zu böser Vorbedeutung für sie der Eigentümer des Gasthauses zum schwarzen Kreuz, unter dessen Zeichen auch sie geboren wurde. Schon im fünften Lebensjahre vater- und mutterlose Waise, ging sie aus Hand in Hand, bis sie im zehnten Jahre im Hause eines wohlhabenden Kaufmanns eine nicht gewöhnliche Erziehung erhielt. Auf Zureden desselben verlobte sie sich im fünfzehnten und heiratete im neunzehnten einen älteren Mann, den sie nicht eben liebte, den damaligen Furier, späteren Notar Zwanziger.

Sie »fürchtete den Mann, wie das Kind die Rute«. Zudem war es still im Hause. Der Mann war entweder in seinem Beruf oder trank außer dem Hause. Bei ihrem Vormunde war es immer heiter und geräuschvoll gewesen; um die Einsamkeit zu bewältigen, griff sie zu den Büchern. »Mein erstes Buch, welches ich las, waren ›Werthers Leiden‹. Dies Buch machte gleich so großen Eindruck auf mich, daß ich immer weinen mußte. Hätte ich da eine Pistole gehabt, so hätte ich mich auch erschossen. Hierauf las ich ›Pamela‹ und ›Emilia Galotti‹.«

Die Früchte dieser Halbbildung, einer Anempfindelei, welche das natürliche Gefühl zurückdrängte, zeigten sich erst später in dem Streben, immer interessant zu sein und zu scheinen und sich hinaus zu sehnen aus den engen und unbefriedigenden Kreisen in glänzendere und vornehmere, zu denen weder ihre Geburt, ihre Lage, noch die wahre Bildung sie berechtigten. Vorerst machte die Empfindsamkeit der Vergnügungslust Platz. Sie war volljährig geworden, ihr Mann erhielt ihr Vermögen vom Vormundschaftsamte ausgeliefert und wußte nichts Besseres damit zu tun, als in Lust und Jubel rauschende Zerstreuungen zu suchen. Tag und Abend vergingen in Saus und Braus, und die junge Frau nahm mit Vergnügen daran teil. Es wurden Gäste geladen, musikalische Gesellschaften veranstaltet, über Land in froher Kumpanei gefahren, und keine zugänglichen Bälle und Redouten blieben unbesucht.

Aber in wenigen Jahren war das Geld verpraßt, und Sang und Klang schwiegen still. Hunger und Not klopften ans Tor, und drinnen verlangten zwei Kinder nach Nahrung. Der Mann entwich dem Kindergeschrei in seine alten Zufluchtsörter, die Weinhäuser, wo er an einem Tage seine zehn Flaschen vertrug. Sie sollte Geld schaffen, wie es sei. Erhielt er es, war er freundlich, erhielt er keins, tobte er im Hause.

Die empfindsame junge Frau, die für die Tugend der Pamela und der Emilia Galotti geschwärmt hatte, machte ihre Person zur Ware. »Doch besaß ich immer so viel Delikatesse, mich nur zu Standespersonen zu halten, die stillschwiegen. Denn das Prinzip ist mir von Jugend auf eingeprägt, mich nur zu Personen zu halten, die mein Glück machen können. So hatte ich denn auch der Liebe das Glück zu danken, daß ich von edlen Männern viel unterstützt wurde.«

Nach zwei Jahren lächelte das Glück wieder dem sauberen Ehepaar. Zwanziger gewann durch eine Uhrenlotterie, die er unternommen hatte, Geld. Das frühere Wohlleben kehrte zurück, aber nicht die Tugend, wenn diese überhaupt dagewesen war. Die Gattin setzte, was sie aus Not angefangen hatte, aus Liebe und Gewohnheit fort.

Eines dieser Liebesverhältnisse scheint ernsthafter von ihr und dem Geliebten genommen worden zu sein. Sie entfloh mit diesem, einem adeligen Offizier, nach Wien zur Schwester desselben, kehrte zwar auf Vorstellung ihres Mannes wieder nach Nürnberg zurück, ließ sich aber nun von demselben gerichtlich scheiden. Kaum aber war das Urteil publiziert, als sie sich abermals mit ihm in der Lorenzkirche trauen ließ. Sie will von nun an in glücklicher Ehe mit ihm gelebt und ihn sogar geliebt haben, weil sie bei mehreren Gelegenheiten bemerkt habe, »daß er sehr edel denke und ein empfindsames Herz besitze«.

Im Jahre 1796 starb der Notar Zwanziger im achtzehnten Jahre ihrer Ehe. Sein schneller Tod erregte den Verdacht, daß auch er einem Gift könne erlegen sein, das sie gemischt hatte; es bestätigte sich indessen nicht. Von nun an begann ein Gewirr von Unglücksfällen, Torheiten, Lastern und Verbrechen, welche das Leben der Zwanziger bildeten.

Mit vierhundert Gulden, die sie von allem, was sie und ihr Mann besessen hatten, gerettet hatte, begab sie sich nach Wien, angeblich, um von der Zuckerbäckerei zu leben. Der Plan schlug fehl. Sie diente als Haushälterin in verschiedenen angesehenen Häusern, machte dann Bekanntschaft, zwar nur mit einem Schreiber von der ungarischen Kanzlei, »welcher aber von sehr gutem Gemüt war«, und gebar ihm ein Kind, welches, in ein Findelhaus getan, dort starb.

Nach anderthalb Jahren kehrte sie nach Nürnberg zurück, wo ein Freiherr v. W. ihr seine »Freundschaft und Liebe« antrug, die sie auch annahm, da sie an allem merkte, »daß sie in diesem Freiherrn einen sehr edeln Mann vor sich habe«. Sie will aber nur, wer das glauben mag, von diesem Beschützer »wie eine Freundin vom Freunde« besucht und mit allen ihrer Tugend gefährlichen Zumutungen von ihm nicht allein verschont, sondern auch »zu allem Guten geleitet« worden sein.

Darauf ging sie nach Frankfurt am Main, wo ihr ein vorteilhafter Dienst als Haushälterin beim Ministerresidenten v. K. angetragen war. Ihr edler Beschützer in Nürnberg wollte sie nicht hindern und schenkte ihr hundert Gulden auf den Weg. Aber sie mußte den vorteilhaften Dienst, weil sie die Küche nicht zu verwalten verstand, und wegen Unreinlichkeit (so in Verfall war also die gefeierte Schöne) wieder verlassen.

Dieser Verfall ging nun schnellen Schrittes. Sie mietete sich bei einem Friseur ein, verdingte sich bei englischen Reitern als Kinderwärterin, entlief diesen und ward endlich von einem Kaufmann auf kurze Zeit als Kindermagd angenommen. Alles das fiel in wenigen Monaten vor.

Mit ihrem wachsenden Notstand geriet auch ihr Gemütszustand in Verwirrung. Das Herabsinken von einer Herrin zur Magd, von einer Gebieterin nach Laune über ihre Liebhaber zu einem Dienstboten, den man wegen Unreinlichkeit fortjagt, war zu rasch. Sie weinte, lachte und – betete in einem Atem. Sie lachte, wenn die Herrschaft befahl, ging gehorsam ab und tat doch nichts von dem, was man verlangte.

Sie wandte sich in ihrer Not noch einmal an ihren edeln Beschützer in Nürnberg, der sich auch wirklich ihrer annahm. Aber »zu ihrem Erstaunen nahm sie eine große Veränderung in seinen Sitten wahr. Er, der verheiratete Mann, wurde auf einmal freier, immer zudringlicher, äußerte sehr leichtsinnige Grundsätze und vergaß endlich seine Würde so ganz und gar, daß sie von ihm in die Hoffnung versetzt wurde, von neuem Mutter zu werden«. Darauf wurde er plötzlich kalt, machte seltenere, kürzere Besuche, und sie erhielt die entsetzliche Gewißheit, daß er eine damals berühmte Schauspielerin, die sich in Nürnberg aufhielt, lieber besuche als sie selbst. Der Schreck veranlaßte eine Fehlgeburt. Die Fehlgeburt veranlaßte sie zum Selbstmord. Der Versuch mit dem Aderlaßeisen lief aber unglücklich ab, und sie konnte nicht mehr als eine Kaffeeschale voll Blut herausbringen. Der Freiherr erschien, aber nicht voll Schmerz und Reue; er lachte, obgleich ihm die Kaffeeschale mit Blut unter die Augen geführt wurde, die Närrin aus und drehte ihr trotz aller ihrer Beschwörungen und Vorwürfe den Rücken.

Sie, um sich zu rächen, packte seine Briefe zusammen, sandte sie an des Freiherrn Gemahlin und ging dann, den »Siegwart in der Tasche und ihr Dienstmädchen neben sich«, an die Pegnitz, um ihrem Liebesgram und Leben zugleich ein Ende zu machen. Sie las im Siegwart, bis sie an die Stelle kam, wo das Lied steht: »Mein Leben ist so traurig usw.« und stürzte sich dann in den Fluß. Aber zwei Fischer, die in der Nähe waren, brachten sie auf der Stelle ohne allen Schaden ans Ufer. Nur ihre Kleider waren durchnäßt. Sie wurden sofort, nachdem sie trockene angezogen hatte, durch das Mädchen an den Freiherrn geschickt als Belege für den neuen Mordversuch. Dieser schlug ihr zwar nicht die Tür vor der Nase zu, sondern gab der Botin ein für allemal fünfundzwanzig Gulden, zugleich aber die Weisung, auf der Stelle Nürnberg zu verlassen und je weiter desto besser zu reisen.

Bei den erwiesenen furchtbaren Verbrechen der Zwanziger kommt es auf eine Lüge mehr oder weniger nicht an. Doch erhellt, daß wir hier einen vielfach von ihr ausgeschmückten Roman vor uns haben, zumal wenn wir bedenken, daß sie, als sie die empfindsame Rolle darin spielte, schon das vierzigste Lebensjahr zählen mußte. Nur so viel leuchtet daraus hervor, daß sie einen ehemaligen Liebhaber noch auf alle mögliche Weise zu fesseln oder vielmehr Geld von ihm zu erpressen versuchte und die angebliche Schwangerschaft und Fehlgeburt sowohl als die beiden Mordversuche Theatercoups waren, die abblitzten. Aber dem hartherzigen Benehmen dieses treulosen Beschützers legt sie einen großen Teil ihrer Erbitterung gegen das Menschengeschlecht zur Last. »Als ich mir die Adern aufgeschnitten, da lachte er nur; als ich ihm vorhielt, daß er schon einmal ein Mädchen unglücklich gemacht, die mit seinem Kinde ins Wasser sprang, da lachte er wieder. Sooft ich nachher etwas Böses tat, dachte ich bei mir: mit dir hat kein Mensch Mitleid gehabt; so habe denn auch kein Mitleid, wenn andere unglücklich sind.«

Sie folgte der Weisung des Freiherrn und kehrte nicht noch einmal nach Nürnberg zurück, sondern reiste sogleich nach Regensburg. Nachdem sie sich in Wien, Nürnberg und anderen Orten in Kummer und Not umhergetrieben hatte, mußte sie als Dienstmagd bei einem Kammerherrn v. S. ein Unterkommen annehmen. Weil aber hier der Dienst sehr beschwerlich und wenig lohnend war, beschloß sie, »ihn heimlich und ohne Aufkündigung« zu verlassen, sich jedoch eine Entschädigung mitzunehmen. Nach ihrem Romane wies ihr ihr Schutzgeist selbst diese Entschädigung, indem das Kind mit den Juwelen der Herrschaft spielte, während diese bei Tafel saß, und ihr mit seinem kleinen Händchen den Ring gab: »Da war mir, als stände jemand neben mir und spräche: Behalte ihn! Ich folgte der Eingebung,« Sie schläferte das Kind ein und lief mit dem Ringe davon. Die Dienstherrschaft erzählte den Vorfall etwas anders, und wenn ihr Schutzgeist die Zwanziger angetrieben hatte, den Ring zu nehmen, so muß er ihr danach auch die Weisung gegeben haben, einen verschlossenen Schreibschrank zu erbrechen und Geld herauszunehmen. Sie ward durch Steckbriefe verfolgt. Als sie bei ihrem schon erwähnten Schwiegersohn, dem Buchbinder Sauer, in Mainbernheim war, las dieser mit Entsetzen den Steckbrief in der eben angekommenen Zeitung und wies eine solche Schwiegermutter sogleich aus dem Hause.

Noch hatte sie die Unverschämtheit, an den Kammerherrn einen Brief zu schreiben, worin sie ihm Vorwürfe machte, daß er sie durch solche öffentliche Behandlung einer Privatsache ins Unglück stürze; aber ihr Name war einmal ehrlos, sie selbst geächtet, ihre Person bürgerlich vernichtet. Sie mußte aufhören, die zu sein, welche sie war, und, um nur fortzuexistieren, einen anderen Namen annehmen. Sie wählte den väterlichen und hieß von nun an Schönleben.

Als ginge ihr mit dem neuen Namen ein neuer Glücksstern auf, fand sie 1805, nachdem sie sich an verschiedenen Orten umhergetrieben und sich meistens bei den höheren Ständen eines kurzen Unterkommens erfreut hatte, in der Oberpfalz im Flecken Neumarkt eine Art Versorgung. Als Lehrerin junger Mädchen in weiblichen Arbeiten erhielt sie viele Lehrstunden und hätte durch ihren Fleiß und ihr anständiges Benehmen (die beide von der Ortsobrigkeit ihr bezeugt wurden) hier eine dauernde Stätte finden können, wäre nicht der alte Sündengeist durch ein unglückliches Zusammentreffen aufs neue in ihr erweckt worden. Die Lüste eines bejahrten Generals aus München, der sich in Neumarkt aufhielt, wurden durch die bejahrte Witwe angeregt. In den Stunden der Vertraulichkeit entfiel dem General das Versprechen, er wolle für sie sorgen. In der alten Buhlerin erwachten die Erinnerungen an die schöne Vergangenheit, wo »die vornehmen, edlen Männer ihre Beschützer waren«, und sie träumte davon, die unbescholtene Freundin einer Exzellenz in München zu sein. Sie glaubte das um so sicherer hoffen zu dürfen, als sie immer gehört hatte, »daß die Katholiken sehr Wort zu halten pflegen«. Aber der General ließ nichts von sich hören und antwortete auch nicht auf ihre Briefe, nachdem er Neumarkt verlassen hatte. Sie meldete ihm, sie sei schwanger; auch da erhielt sie keine Antwort, sondern durch einen Pfarrer eine kleine Summe Geldes mit dem Bedeuten, nun ein für allemal sich zur Ruhe zu geben. Die Törin reiste in ihrer Unverschämtheit dem General nach München nach, ward aber bei ihm, wie man denken mag, nicht vorgelassen, sondern erhielt nur von einem Bedienten einige Gulden, damit sie auf der Stelle aus München wieder fortreisen möchte.

So hatte sie um einer unverzeihlichen Torheit willen ihren letzten Hafen verlassen und war aufs neue hinausgeschleudert aufs stürmische Meer. Bekannt, verachtet, gescheut, verfolgt, mußte sich die Fünfzigerin neue Länder, Orte, Menschen suchen, um nur Aufnahme zu finden. So kam sie in das Baireuther Oberland, und ihren Grimm gegen die ganze Menschheit im Heizen, mußte sie aufs neue heucheln, sich bücken und freundlich sein, um nur in der demütigsten Stellung ein Unterkommen zu finden; aber in ihr kochte der Groll, und es bedurfte nur weniger Antriebe und einer günstigen Gelegenheit, um ihn in schwarzen Rachetaten gegen alle zu entladen, welche vornehmer, reicher, glücklicher, sorgenfreier waren als sie und nicht mit ihr teilen konnten.

Feuerbach sagt hier in der unübertroffenen Charakteristik dieses Weibes: »Fast zwanzig Jahre von Ort zu Ort umhergejagt, beinahe schon fünfzig Jahre alt und noch immer ein Fremdling auf dieser Erde, ohne Vaterland und Heimat, von der Welt entehrt, bloß durch einen Namenstrug unter den Menschen geduldet, suchte sie endlich angstvoll nach Ruhe, nach einer bleibenden Stätte, nach einer sicheren Versorgung. Und als Herrin, wie ehemals, nicht mehr als verachtete Magd wie jetzt; immer nur anderen, nie sich selbst angehören; nie befehlen, immer nur von anderen Befehle empfangen oder befürchten; immer kriechen und schmeicheln, bloß um als Magd zu gefallen; fortwährend dazu verdammt, mit freundlich erzwungener Miene den Menschen schön zu tun, welche sie gleichwohl nur hassen konnte; abhängig, untertänig, bei dem erzürnten Gefühle lebhafter Erinnerung an die vergangenen Zeiten eigener Herrschaft; voll alter Ansprüche auf das gefällige Zuvorkommen und die äußere Achtung anderer, und doch so oft geneckt, verspottet, verachtet, über die Achseln angesehen – das alles war mehr, als eine solche Seele länger zu ertragen vermochte. Rettung mußte ihr werden aus einer solchen Lage, oder wenn nicht Rettung, wenigstens Ersatz dafür! Aber aus dem Labyrinth ihres verworrenen Lebens führte kein gewöhnlicher Weg zur Freiheit! Überall Abgründe, welche den Ausgang wehrten! Innerhalb der Schranken bürgerlicher Ordnung nirgendwo ein ausreichendes, sicheres Mittel der Hilfe. Da entdeckt sich ihr endlich das Geheimnis einer still verborgenen Macht, welche sie nur sich dienstbar zu machen braucht, um über alle Berge und Abgründe leichten Fußes hinüberzuschreiten und, jenseits der lästigen Schranken beengender Verhältnisse, den Gesetzen des bürgerlichen Lebens entrückt, sogar über die Menschheit selbst hinausgehoben, mit unsichtbarer Gewalt nach eigener Willkür frei zu herrschen. Diese geheimnisvolle Macht war – Gift.«

In das Haus des Justizamtmanns Glaser zu Kasendorf war die Zwanziger auf Empfehlung des eigenen Sohnes desselben gekommen. Mit dem ersten Tritt ins Haus faßte sie auch festen Fuß darin. Sie wußte sich durch anschmiegende Zudringlichkeit in das Vertrauen des neuen Herrn einzuschmeicheln und sich durch ihre Künste und Unverschämtheiten mit ihm auf einen gewissen Fuß von Gleichheit zu stellen.

Sie unternahm für eine Person in ihrer Lage etwas kaum Glaubliches. Glaser, ein Mann in den Fünfzigen, lebte seit Jahren von seiner Gattin getrennt, wie es heißt, ohne seine Schuld. Sie, die fremde, kaum ins Haus gekommene Person, die Dienerin des Herrn, unternahm es, unaufgefordert von irgend jemand, die Versöhnung zwischen den Eheleuten zu stiften, sie, deren neue Stellung durch die wirklich erfolgte Aussöhnung mindestens bedroht werden mußte. Denn wenn eine Hausfrau da war, was bedurfte es einer bezahlten Haushälterin? Unermüdlich geschäftig und mit Weiberschlauheit ging sie zu Werke. Da wurde jede schwache Stunde des Herrn benutzt, da wurden hinter seinem Rücken Briefe an die geschiedene Gattin geschrieben, auch an Freunde der Familie, daß sie zum Versöhnungswerke hülfen. Sie, die Protestantin, schrieb sogar an einen katholischen Pfarrer unter Übersendung eines Zwanzigkreuzerstückes mit dem Ersuchen, für das Gelingen des frommen Werkes eine Messe lesen zu wollen!

Das Werk gelang. Die geschiedene Frau ließ sich überreden, zurückzukehren. Der Mann war durch die Überredungskünste der Zwanziger vollkommen ausgesöhnt. Aber mit schwerem Herzen reiste die Frau nach Kasendorf, ob allein durch böse Ahnungen oder auch durch Gewissensschläge beunruhigt, bleibt ungesagt. Denn unterwegs schrieb sie an ihre Verwandten: »Wie mir ist, kann ich euch nicht sagen; fürchterlich tobt es in mir. Ob mir vielleicht etwas ahnt? Ich bin wie verwirrt.«

Glaser war seiner Frau entgegengefahren. Als er zurückkehrte, hatte die Zwanziger den durch sie verführten Ehegatten einen lauten, fast theatralischen Empfang bereitet; einen, wie er sich für jedes feinere Gefühl bei der Wiederanknüpfnng eines so gebrochenen Verhältnisses am wenigsten schickte. Der ganze Ort war auf den Beinen, Blumen und Gewinde überall an Türen, Pfosten, Fenstern, Wänden. An dem mit Kränzen umhangenen Ehebette hing ein zierlich ausgeschnitztes Papier, worauf die Versöhnerin den selbst gedichteten Spruch mit großen Buchstaben geschrieben hatte:

Der Witwe Hand

Knüpft dieses Band.

Der unzarte Aktus, angestiftet von der Frau, welche nicht genug ihre Delikatesse zu rühmen wußte, scheint von den beteiligten Personen ohne Arg aufgenommen worden zu sein.

Die diabolische Absicht der Zwanziger ist kein Geheimnis. Die häßliche, alte und, wie uns noch zum Überfluß gesagt wird, mit einem ekelhaften Schaden behaftete Witwe hatte nichts Geringeres zur Absicht, als Justizamtmännin in Kasendorf zu werden. Sie hoffte, »sich endlich noch in ihrem Alter ein ruhiges Leben zu bereiten«. Die Schwelle, über die sie notwendig mußte, war der Tod der Glaser. Für das Weitere glaubte sie dann leichter sorgen zu können. Die fromme Rolle der Friedensstifterin, wurde ohne Zweifel nur in der Absicht übernommen, das Opfer in ihre Gewalt zu bekommen. Wahrscheinlich lagen die Gifte schon bereit, als sie das arme Opfertier mit Blumen und Kränzen empfing und es streichelte und liebkoste.

Glaser behandelte seine Frau mit aller Liebe und Aufmerksamkeit. Aber schon nach einigen Wochen fühlte sie sich unwohl und mußte sich erbrechen. Die Zwanziger hatte ihr, angeblich nur ein halbes Teelöffelchen, Mückenstein in den Tee geschüttet. Sie dachte dabei: Du willst dir doch ein ruhiges Alter machen; und wenn ihr das Gift diesmal nicht hilft, so gibst du es ihr öfter. Einige Tage darauf goß sie einen guten Eßlöffel aufgelösten Mückensteins in eine Tasse Kaffee, rief die Glaser ins Zimmer und lud sie zum Trinken ein. Nachts erkrankte die Hausfrau unter den gewöhnlichen Symptomen und war am zehnten Tage eine Leiche. »Als ich das Gift in die Tasse goß und das dicke Zeug sah, dachte ich gleich: Herr Jesus, die muß gewiß sterben!«

Mit diesem Giftmorde an der Glaser ist ein vorangehender Vorfall zugleich zur Untersuchung gekommen, der aber doch kein genügendes Resultat geliefert hat; denn die Geständnisse der Zwanziger blieben bis zu ihrem Tode Stückwerk und wurden ihr gleichsam nur abgepreßt. Der Amtmann Wagenholz mit Frau und Sohn besuchte bald nach der Versöhnung der Ehegatten die Glasersche Familie. Nach dem Abendessen wurden alle, die davon genossen hatten, von Übelkeit und Erbrechen befallen. Als die Zwanziger am Tage darauf den Rest einer Schüssel dem Sohn des Nachtwächters gab, mußte auch dieser heftig sich erbrechen und ins Bett kriechen. Es ist möglich, daß die Zwanziger hier nur ein Probestück versuchte, gleichwie die Brinvillier, ehe sie zu den beabsichtigten Vergiftungen schritt, eine Probe an Tieren, armen Leuten und ihrer Kammerjungfer versucht haben soll. Möglich auch, daß ihr die Gäste lästig waren, sie fürchtete, durch ihre wiederholten Besuche in ihrem Plan gestört zu werden und gebrauchte die Vergiftung als ein Abschreckungsmittel.

Die Zwanziger wollte den Verdacht auf den Justizamtmann Glaser wälzen. Er sei wie der Satan auf die Wagenholzschen Eheleute erbost gewesen und möchte wohl etwas in die Speisen getan haben; denn sie habe sich selbst nachher davon erbrechen müssen. Aber das weibliche Ungeheuer wollte auch die Vergiftung der Glaser selbst zur größeren Hälfte von sich auf den unschuldigen Ehemann abwälzen. Indem sie gestand, ihr Gift gegeben zu haben, behauptete sie, es sei auf Anstiften des Mannes geschehen, der seine Frau für immer habe los sein wollen. Bei der Kaffeevergiftung habe er ihr den Mückenstein mit den Worten gereicht: »Da geben Sie es ihr hin. Für das Luder ist es nicht schade.« Glaser erschien dem Richter infolge dieser Angabe und des früheren ehelichen Verhältnisses auch wirklich so verdächtig, daß er gefangen gesetzt und die Untersuchung gegen ihn eröffnet wurde. Erst bei den ferneren Entwickelungen gegen die Zwanziger kam seine Unschuld vollkommen zutage.

Ihr Zweck im Glaserschen Hause war nicht erfüllt. Ein Mord war umsonst begangen. Sie kam ins Grohmannsche Haus. Auch hier war ihr Gedanke, daß Grohmann sie heiraten solle. Dieser selbst hatte sich gegen eine Bekannte dahin geäußert, bei einem jeden Briefe, den er erhalte, vermute die Schönleben einen Heiratsantrag. So alt sie sei, bilde sie sich wohl gar ein, er werde sie selbst noch heiraten! Grohmann, so kränklich er war, ging in der Tat damit um, zu einer ehelichen Verbindung zu schreiten, aber nicht mit seiner alten Haushälterin, sondern mit der Tochter eines benachbarten Justizamtmanns. Die Zwanziger kümmerte sich um diese Angelegenheit mit der lästigsten, ängstlichsten Zudringlichkeit und gab auf verschiedene Weise zu erkennen, wie das ganz gegen ihre Absichten und Wünsche sei. Sie belauerte alle Briefe, die an ihn gelangten, und wußte den Inhalt auszuspähen. Gegen Dritte äußerte sie: »Der Mann ist immer krank und will doch heiraten!« Zu Grohmanns Schwester äußerte sie, die Braut ihres Bruders sei an ein lustiges Leben gewöhnt; sie werde sich in das einsame, stille Sanspareil nimmermehr finden, auch wenig Lust haben, immer mit der Klistierspritze umherzugehen.

Als es endlich hieß, Grohmann sei schon aufgeboten, und in acht Tagen werde die Braut erwartet, erschien die Zwanziger in ganz besonderer Bewegung, und um diese Zeit erkrankte Grohmann unter ungewöhnlichen Erscheinungen. Das Betragen der Zwanziger an seinem Krankenlager, wo sie ihn nicht aus dem Auge und aus den Händen ließ; ihr ungebärdiges Benehmen nach seinem Tode, wo sie durch Übertreibung eines affektierten Heulens und Schreiens einen Schmerz heuchelte, der bei ihrem entfernten Verhältnisse kein natürlicher sein konnte; die naheliegenden Motive der Tat, der Zustand, in welchem Grohmanns Leiche gefunden wurde, endlich ihr Charakter und ihre anderen Taten begründen den dringendsten Verdacht, daß auch dieser Mann an Gift gestorben sei, welches sie ihm gereicht habe. Sie selbst hat es zwar beharrlich in Abrede gestellt, denn Grohmann wäre ihr viel zu schätzbar gewesen, ihr Alles und ihr bester Freund, so daß sie nichts an ihm zu rächen Ursache gehabt habe; aber doch räumte sie es ein, es sei möglich, daß Grohmann von den vergifteten Bierkrügen getrunken habe, welche sie für andere hingestellt habe.

Jeder dieser drei großen Giftmorde, deren sie verdächtig und überwiesen ist, ist von anderen kleineren Versuchen wie von einem notwendigen Gefolge begleitet, und wenn vor dem Richter über den Giftmord des Grohmann selbst noch Zweifel obwalten könnten, so sind sie doch hinsichtlich dieser gelegentlichen Nebenvergiftungsversuche völlig bestätigt.

Zwei Gerichtsdienerburschen namens Dorsch, der eine Lorenz, der andere Johann mit Vornamen, hatten sich das Mißfallen der Zwanziger zugezogen. Sie meinte von den dreisten Jungen fortwährend geärgert und gefoppt zu werden, und hielt es für nötig, sie deswegen zu züchtigen. Um ihnen den Appetit zu verderben, wie sie sagte, nahm sie vier Krüge Bier, vermischte zwei derselben mit Mückenstein, die beiden anderen aber mit einer etwas größeren Portion Mäusegift. Von diesen Krügen wollte sie den Jungen nach und nach vorsetzen. Sie wollte sie aber nicht töten, sondern nur krank machen und zwingen, daß sie sich erbrächen. Die Burschen tranken einst aus einem dieser Krüge, das Bier schmeckte ihnen aber nicht, und der Instinkt leitete sie zu einem unvermischten Kruge. Die kräftigen Züge, die sie aus demselben nahmen, verursachten, daß sie gar keine Wirkung von dem vergifteten Bier spürten.

Auch der Amtmann Hoffmann, der den kranken Grohmann besuchte, trank bei ihm Bier, welches ihm schlecht bekam. Die Zwanziger läßt es dahingestellt, ob sie vielleicht die Krüge, welche sie für die beiden Dorsch gemischt hatte, mit reinen Krügen könne verwechselt haben, denn da sie lange im Gewölbe gestanden hätten, habe sie die vergifteten von den unvergifteten nicht mehr unterscheiden können! »Daher kann es denn sehr wohl sein, daß er zufällig von dem vergifteten Biere getrunken hat. Meine Absicht war es jedoch nie, ihn auch nur zum Erbrechen zu reizen, denn er war mir als ein sehr solider und rechtschaffener Mann, der nebst seiner Frau mir immer Achtung erwies, viel zu lieb.«

Am 13. Mai 1809 wurde die Zwanziger vorläufig als Wärterin und zur Aushilfe in das Haus des Kammeramtmanns Gebhard aufgenommen. Schon am vierten Tage nach ihrem Einzüge beschloß sie geständlich, der Frau des Gebhard Gift beizubringen, weil diese sich sehr ärgerlich bezeigte, sie sehr schnöde behandelte und ihr wegen angeblich verwahrlosten Hauswesens Vorwürfe machte. Am 17. Mai ging sie in das Gewölbe und vergiftete zwei Krüge Bier. Auch hier mischte sie dem einen eine schwächere, dem anderen eine stärkere Dosis bei, indem sie in jenen Mückenstein tat, so viel sie mit zwei Fingern fassen konnte, in diesen eine starke Portion Mäusegift. Aus jenem wurde schon am nämlichen Tage eine gläserne Kanne der Wöchnerin vorgesetzt, und ihr Mann selbst reichte ihre mehreremal unwissend den Gifttrank zur Labung. Zwei Tage darauf wurde der stärker vergiftete Krug zu Hilfe genommen, und die schon Kranke mußte aufs neue trinken. Die Zwanziger behauptet, nicht zum Sterben habe sie die Gebhard bringen wollen, sondern sie habe nur vorgehabt, »sie zu plagen, weil sie mich auch geplagt hat.« Und zugleich versichert sie mit einer unglaublichen Konsequenz der Frechheit und Tücke, sie hätte ja gewußt, schaden könne ihr das Bier nicht. Hätte sie überzeugt sein können, daß die Gebhard durch ihre Schuld gestorben wäre, so würde sie sich zu ihr ins Grab gelegt haben. »Früherhin war sie mir jederzeit gut; sie war meine beste Freundin und stand mir bei mit Rat und Tat. Stets betrug sie sich freundlich gegen mich und lobte mich, wo sie hinkam. Wir waren wie ein paar Schwestern, kamen oft zusammen und besprachen uns über ökonomische Dinge.«

Kaum kann man diese Äußerung als eine beschönigende Lüge betrachten, da sie geständlich der schon vom schwächeren Gift Erkrankten noch vom stärkeren reicht, kaum sich der Meinung erwehren, daß nur ein fürchterlicher frecher Hohn aus dem ingrimmigen Weibe spricht, wie es denn auch nur dieselben heuchlerischen Liebesversicherungen über den Leichnam der sogenannten Freundin sind, welche sie früher über den Leichnam des sogenannten Freundes, des toten Grohmann, ausgestoßen hatte. Damit zu täuschen, konnte sie selbst nicht mehr glauben; es war nur eine fortgespielte Rolle, zu welcher ihre zweite Natur sie zwang, die Rolle der Empfindsamen, die einzige höhere, zu welcher sie über ihr Leben voll Laster, Greueln und Verbrechen sich aufschwingen konnte. Ihr Motiv war nicht, Rache zu nehmen wegen erlittener Kränkungen; es war, wie aus der Schlußfolge der vorigen Giftmorde, aus mehreren Zeugenaussagen und aus verschiedenen Stellen ihrer Briefe hervorgeht, auch diesmal die törichte Hoffnung, wenn man es so nennen kann, die vage Möglichkeit, daß, wenn die Frau aus dem Wege geschafft sei, der Witwer sie heiraten könne!

Auch dieser dritte Giftmord hatte seine Trabanten, und die zahlreichsten unter allen. Die Sekretärswitwe Alberti und der Handlungsdiener Beck sind geständlich bei einem Mittagessen um Ende August des Jahres an der Gebhardschen Tafel von ihr vergiftet worden. Beck absichtlich, die Alberti nur aus Fahrlässigkeit. Beck hatte sie zuweilen geneckt und gefoppt, und sie hatte nun einmal ihren Spaß dabei, wenn die Leute, die sie so quälten, sich erbrechen mußten. Sie stellte ihm darum denselben Krug Bier mit Mäusegift hin, aus dem die Gebhard sich den Tod getrunken hatte. Sie hatte ihn wieder frisch aufgefüllt. Natürlich war es ihr nur um das Krankwerden und Erbrechen zu tun. Den Tod beabsichtigte sie nicht, und er erfolgte auch nicht. Daß die Alberti auch davon trank, geschah wider ihren Willen, und sie suchte es nachher wieder gutzumachen durch Kaffee und Hoffmannsche Tropfen.

Der Amtsbote Rosenhauer war der Zwanziger von Anfang an zuwider. Er klatschte so viel und machte ihr vielen Verdruß; darum sollte er auch gezüchtigt werden und brechen. Aber Wein wollte sie ihm nicht gegeben haben. Sie rührte nur den Bodensatz in dem Kruge um, der schon so gute Dienste geleistet hatte, und goß frisches Bier darauf. Er wirkte ganz, wie sie es wünschte.

Auch dem Laufburschen des Rosenhauer, Johann Kraus, Gift gegeben zu haben, leugnete sie keineswegs, nur nicht in Branntwein. Fast gereizt durch diese Beschuldigung, sagte sie, es gebe ja der gesunde Menschenverstand, daß man in einem so hellen Getränk wie Branntwein, in dem jedes Fäserchen zu sehen sei, niemand vergiften könne. Aber weil Kraus immer so grob gegen sie gewesen sei, hätte sie ihm ein kleines Glas vergiftetes Bier gegeben, damit er sich erbreche. Kraus aber wollte gerade durch den Branntwein erkrankt sein und auch in dem Glase einen fremden Körper bemerkt haben.

Am 1. September war eine Kegelgesellschaft im Gebhardschen Hause oder in der Nähe desselben versammelt: außer dem Wirte der Justizamtsverweser Beck, dessen Bruder, der schon einmal vergiftete Handlungsdiener Beck, der Bürgermeister Petz und der Skribent Scherber. Auf Verlangen des Gebhard mußte die Zwanziger den Kegelspielern Bier aus dessen Keller schicken. Nach dem Genusse davon erkrankte plötzlich die ganze Gesellschaft mehr oder minder, und es ward dies die Veranlassung, die Haushälterin fortzuschicken. Diese Vergiftung wollte die Zwanziger jedoch ganz in Abrede stellen. Das Höchste, was sie zugab, war, daß in den beiden für die Gebhard gemischten Krügen noch ein Bodensatz gewesen sei, der, abermals aufgerührt, diese Wirkung hervorgebracht habe. Demnach, bemerkt Feuerbach, müßten diese beiden Krüge etwas von den Eigenschaften des Ölkrügleins der Witwe an sich getragen haben; denn zuerst vergiftete sich daraus die Gebhard zu Tode; dann tranken daraus der Beck und die Alberti mehrere Gläser und erkrankten heftig; hierauf Rosenhauer und Kraus, und ein durstiger Amtsbote pflegt stark zu trinken; endlich aber war in diesen unerschöpflichen Krügen noch so viel Bodensatz, daß der bloße Aufguß frischen Bieres genügt hätte, um fünf rüstige Kegelspieler mit einem Male umzuwerfen! Wenn es auch nicht bestimmt erwiesen ist, so wird es doch wahrscheinlich, daß die Zwanziger auch hier eine neue Vergiftung beabsichtigte. Gesetzt, das Gift selbst sei nach den vielen Vergiftungen noch so stark gewesen, um diese Wirkung hervorzubringen; läßt es sich aber denken, daß eine Verbrecherin wie sie nur aus Nachlässigkeit eine so gefährliche Rache wie die Vergiftung von fünf zum Teil angesehenen Personen und zu gleicher Zeit würde zugelassen haben? Sie hatte im Keller ein eigenes Töpfchen, welches sie bei ihrem Abzuge mit fortnahm, und bei dessen Auswaschung sich ein weißlicher Bodensatz fand. Wahrscheinlich stand dasselbe als Giftvorrat immer bereit, um die leergewordenen Krüge aufs neue damit zu füllen. Unter der Gesellschaft, die sich so heiter vergnügte, waren gewiß einige, denen sie es gönnte; aber sie, der es schon einen Spaß machte, wenn die Leute sich quälten, wie sie sich ja auch im Leben so oft und lange gequält hatte, mochte es auch diesmal spaßhaft finden, einer ganzen Kegelgesellschaft ihre Lust zu verderben, und sie mochte sich in Gedanken an ihrem Krümmen, Würgen und Gesichtelschneiden ergötzen.

Die Mägde im Hause, die Hagin und Waldmann, befanden sich nach dem Genusse von Kuchen, welche die Zwanziger ihnen vorgesetzt hatten, sehr übel. Diese Vergiftung leugnete sie bestimmter, und sie ist auch durch nichts erwiesen.

Geständlich hat sie aber beim Wegzuge das Salzfaß, welches in der Küche stund, durch eine Prise Mäusegift, das sie in der Tasche mit sich führte, vergiftet, »damit alle, die im Hause blieben, etwas kriegten und ich der Magd einen Verdruß zuziehe.« Aber der Geist der Lüge, der immer wieder in ihr aufschoß, wenn sie kaum, durch einen momentanen Eindruck erregt, etwas Wahrheit von sich gegeben hatte, bewog sie augenblicklich wieder, und ohne Zweck und Grund, abzustreiten, daß sie auch in die Salzkanne das Arsenik gemischt habe. Und doch blitzt ein Nebenzweck heraus. Sie meinte, sie könne nicht anders denken, als daß andere Leute das getan, die auf ihr Unglück losarbeiteten!

Als der Wagen vor der Tür stand, um die Verabschiedete nach Baireuth zu schaffen, herzte sie ihr liebes Fritzchen, das kaum sechs Monate alte Wochenkind, das zum ersten Male lallte, als seine Mutter unter den Qualen des Giftmordes schrie und verschied. Sie konnte es kaum übers Herz bringen, sich von ihm zu trennen. Sie gab ihm eine Kaffeetasse voll Milch und hatte nur »ein klein wenig Mückenstein hineingetan.« Einige Kaffeelöffelchen gab sie dem armen Wurme zu trinken, wieder durchaus nicht in der Absicht, dem Leben des Kindes zu schaden, nur um ihm Übelkeit zu erregen, »es unruhig zu machen, damit Gebhard bewogen werde, sie zur Beruhigung seines Kindes von Baireuth wieder zurückzurufen und wieder ins Haus zu nehmen.«

Dies sind ihre Geständnisse, die, was das Motiv anbetrifft, als vollkommen wahr anzunehmen sind. Sie bot alle Mittel auf, wieder ins Gebhardsche Haus zurückzukommen. Darum hatte sie an den Amtmann einen Brief zurückgelassen, darum blieb sie in unglaublicher Verblendung vier Wochen lang in Baireuth; darum schrieb sie Briefe über Briefe mit der direkten und indirekten Aufforderung, sie zurückzurufen. Was sollte die Giftmischerin gescheut haben, um zu ihrem Zwecke zu kommen, auch dem lieben Kinde etwas unschädliches Gift einzugeben! Nur hinsichtlich der Ausführung wollte sie nicht alles, was durch die Zeugen bekundet wurde, und auch nicht gerade so, wie sie es aussagten, einräumen. So wollte sie dem lieben Fritzchen nichts im Biskuit eingegeben haben, und doch ist erwiesen, daß sie das Biskuit in die Milch tauchte und es ihm gab. Nur ein paar Kaffeelöffelchen wollte sie ihm gegeben haben, und doch weiß man, daß sie ihm die ganze Schale vor den Mund hielt und ihn diese ganz ausschlürfen ließ. Die Lüge war in ihr innerstes Wesen untilgbar eingedrungen, auch wo der mindeste Aufwand von Urteilskraft ihr sagte, daß Lüge und Ausschmückung ihr nichts halfen, mußte sie zur Befriedigung ihrer zweiten Natur die Wahrheit verringern oder entstellen.

Das war ihr Leben, ihre Taten! Bedarf es nach den Ermittelungen und Geständnissen noch einer Charakteristik dieses weiblichen Ungeheuers? Unseres Erachtens steht es mit einer solchen plastischen Klarheit und Durchsichtigkeit vor unseren Augen, daß wir das widerwärtige Weib mit seiner grinsenden Freundlichkeit, seiner niederträchtigen Demut und doch dazwischen aufleuchtenden Tücke nicht allein als ein vollkommenes Bild, wie es nur Dichter und Maler zeichnen können, lebendig vor uns sehen, sondern auch die Triebfedern ihres Tun und Treibens verfolgen mögen. Die Brinvillier und andere waren diabolische Naturen, gleichsam die Aristokratinnen unter den Giftmischerinnen; diese ist die Demokratin. Die Brinvillier, deren Taten zum Teil nur aus dem Nebellichte der Fabel uns entgegenglänzen, zerstörte und vernichtete das Leben der anderen von ihrer Höhe herab mit dem Hohne des Stolzes. Ähnlich, aber mit mehr Vorsicht und Selbstbeherrschung, die Ursinus. Sie vertilgte, was ihren Zwecken im Wege stand, ohne Rücksicht auf die teuersten Blutsbande, die innigsten Verhältnisse. Ihre gräßlichen Taten haben aber eben deshalb eine großartige Beimischung. Sie setzte sich über alles hinweg, was dem Menschen am heiligsten und teuersten ist. Die Zwanziger übte das Werk der Rache, aber die Rache einer gemeinen, tief gekränkten Natur, einer durchaus erbitterten Seele. Das Diabolische war nicht in ihrer Natur, es war nur das Produkt eines verfehlten Lebens, sie war der getretene Wurm, der unter den Qualen des Zertretenwerdens Gifte in sich sammelt und ausspritzt, um anderen wieder Qualen zu bereiten. Zum Hohngelächter der Hölle hatte sie nicht Mut, nicht Elastizität der Seele genug; eine Schleicherin, die nur heiser, innerlich bei sich lachte. Wenn sie darin gegen ihre Vorgängerinnen zurück ist, daß sie nur Fremde vergiftet, nicht Verwandte, so ist sie darin ihnen wieder vorausgeeilt, daß sie nicht allein vergiftet, um zu ihren Zwecken zu vertilgen, sondern auch – man erlaube den Ausdruck – angiftet, um den erwählten Opfern Beschwerden, Unbehagen zu erregen und darin einen Spaß zu finden, als wäre es ein unschuldiges Vergnügen, wenn das Opfer nur nicht daran stirbt. So hat sie ihre Vorgängerinnen auch in der Zahl der Vergiftungen bei weitem übertroffen, und ihre Präparation verschiedener Gifttränke, tödlich oder nicht tödlich wirkender, die Anlegung einer förmlichen Vorratskammer solcher Tränke bringt sie der Charakteristik einer Giftmischerin im juristischen Sinne näher, obwohl wir nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauche auch andere Giftmörderinnen darunter begreifen.

Aber in einem Punkte begegnen sich alle diese Frauen. Sie arbeiteten aus bestimmten Motiven zu einem bestimmten Zwecke. Vergebens dürfte man in der Zwanziger, wie die Ursinus es für sich geltend zu machen versuchte, eine Geisteszerrüttung entdecken wollen. Sie wußte, was sie wollte, so gut als die Ursinus und die Brinvillier. Und diese Zwecke sind nicht in eine nebelhafte Ferne gerückt, daß man sie nur mit besonderer Anstrengung entdecken könnte. Wenn jene Erbschaften oder Befreiung von Zwang suchten, so wollte diese ein Unterkommen, Männer heiraten und endlich für erlittene spezielle und allgemeine Kränkungen sich rächen. Die Manie, der Vergiftungstrieb waren nicht ursprünglich da. Bei ihren kleinsten, scheinbar unnötigen, nutzlosen Vergiftungen hatte sie geständlich bestimmte Absichten. Daß eine Lust am Vergiften, ein Vergiftungsfieber nicht zuletzt hinzutrat, soll nicht bestritten sein. Das Glück, das sie bei diesen Versuchen begleitete, die Gefahrlosigkeit, unter der sie dieselben ausführte, gaben der Lust immer neue Nahrung, neuen Reiz. Es war so bequem und erzeugte so viel Vergnügen; und wo andere in Schimpf- und Scheltworten ihre Lunge ausgeschrien oder auf die Ungezogenen losgeschlagen hätten, da half sie sich sicherer, empfindlicher und bequemer durch ein Giftpülverchen.

Wer aber doch noch ein unerklärliches Ungeheuer in ihr erblicken sollte, den verweisen wir auf Feuerbachs Charakteristik der Zwanziger (»Aktenmäßige Darstellung merkwürdiger Verbrechen«, Bd. 1), in welcher er diese Verbrecherin mit seinem philosophischen Zauberstabe geistvoll und klar entfaltet und ihr einen so bestimmten Platz unter den moralischen Erscheinungen derart anweist, daß ihr Zusammenhang mit ihnen deutlich wird, wenn nicht das Naturwidrige durch das scheinbar Unerklärliche verschwindet.

Wir mögen uns jedoch nicht enthalten, auch hier eine Stelle daraus mitzuteilen: »Was die Zwanziger mit dem Gifte befreundete, war überhaupt nur das Gefühl unwiderstehlicher Macht, die mit tückischem Stolz kitzelnde Freude, eine Kraft zu besitzen, mit der sie jede Beschränkung nach Gefallen umwerfen, jeden Zweck erreichen, jede Neigung befriedigen und gleichsam in die Pläne des Schicksals zerstörend eingreifen und dieses nach ihrem Gefallen lenken konnte. Gift war ihr das magische Szepter, womit sie unsichtbar diejenigen beherrschte, welchen sie sichtbar dienen mußte; Gift vertrat ihr die Stelle des Zauberstabes, womit sie das goldene Tor ihrer letzten Hoffnungen sich öffnete. Ihr, welche die Schmach ihrer Dienstbarkeit an den verhaßten Menschen zu rächen hatte, gewährte es das Bewußtsein furchtbarer Erhabenheit, gleichsam als eine friedliche Gottheit, wie ein Engel des Todes unter dem widerlichen Geschlecht umherzuwandeln und mit geheimer Kraft hier Tod, dort Schmerz und Krankheit auszuteilen. Dieses Gift, wozu diente es nicht! Gift strafte jede vermeintliche oder wirkliche Kränkung; Gift züchtigte für jede kleine Neckerei; Gift wehrte unangenehmen Gästen das Wiederkommen; mit Gift störte man die beneideten Freuden geistlicher Vereine; Gift gewährte mitunter in den lächerlichen Gebärden der Vergifteten eine lustige Unterhaltung; Gift gab Gelegenheit, sich den daran Erkrankten nachher in Wort und Tat durch geheuchelte Teilnahme zu empfehlen; Gift war das Mittel, um Unschuldige in Verdacht zu bringen und verhaßtem Mitgesinde bei seiner Herrschaft Verdruß zu bereiten; Gift machte Kinder schreien und ließ die Väter glauben, jene schreien aus Sehnsucht nach der geliebten Wärterin. Schmeichelte ihr die Hoffnung mit der Aussicht auf die Heirat eines noch verheirateten Mannes, so durfte sie nur wollen, und die Weiber stiegen in das Grab, um ihre Männer ihr als Witwer zu hinterlassen. Giftmischen und Giftgeben wurde sonach für sie ein gewöhnliches Geschäft, ausgeübt zum Scherze wie zum Ernste, zuletzt mit Leidenschaft betrieben, nicht bloß um seiner Folgen willen, sondern um seiner selbst willen, aus Liebe zum Gift, aus bloßer Freude an dem reinen Tun an und für sich. Wie man alles liebgewinnt, womit man lange umgeht, und am liebsten hat, was uns am treuesten dient, so hatte zuletzt zwischen ihr und dem Gifte gleichsam die Liebe ein unzertrennliches Band geknüpft. Gift erschien ihr als ihr letzter treuester Freund, zu dem sie sich überall unwiderstehlich hingezogen fühlte, und von welchem sie nicht mehr lassen konnte.«

Noch wird uns ein charakteristischer Zug hierüber mitgeteilt. Als ihr im Gefängnis das bei ihr vorgefundene Arsenik zur Anerkennung vorgelegt wurde, war es, als wenn sie vor Freude zitterte. Mit Augen, welche vor Entzücken strahlten, starrte sie auf das weiße Pulver hin und schien es als ein Wesen zu betrachten, das sie mit ihren Armen umfangen und an ihre Brust drücken möchte.

Ihre Vorgängerinnen handelten und heuchelten nur vor der Welt. Wie sie zu sich selbst standen, ob und wie sie ihre Taten vor ihrem Gewissen rechtfertigten, wissen wir nicht; aber sie kokettierten wenigstens nicht mit ihren Gefühlen. Der Selbstbetrug, das sentimentale Schöntun, das Hineinspielen religiöser Gefühle, diese furchtbarste Seelenverwirrung, welche bei späteren Giftmischerinnen dann wieder auftritt, spukt schon bei der Zwanziger. Sie wußte sich vor sich selbst, wenn nicht zu rechtfertigen, doch sehr zu entschuldigen; sie spricht in ihren Selbstbekenntnissen immer nur von ihren geringen Vergehungen, um deretwillen die Menschen sie ins Verderben gebracht haben, ja sogar von ihrer allzu großen Religiosität, welche von jeher die größte Quelle ihres traurigen Schicksals gewesen sei. Im Lügen vor dem Richter log sie auch vor sich selbst und fiel selbst mit dem Tode nicht aus der Rolle, die sie sich aufgegeben hatte, immer, wenigstens in ihren eigenen Augen, interessant zu sein.

Sie ward verurteilt, mit dem Schwerte vom Leben zum Tode gebracht zu werden. Selbst die Verschärfung des Urteils, daß ihr Körper auf das Rad gelegt werden sollte, ward noch durch die königliche Gnade beseitigt.

Die Zwanziger zeigte keine Spur von Reue oder Gemütsbewegung, als ihr das Urteil eröffnet wurde. Mit fester Hand unterzeichnete sie das Protokoll und verlebte in vollkommenster Ruhe die drei Tage bis zur Vollstreckung des Urteils; ja sie gestand, ihr Tod sei für die Menschen ein Glück, denn es würde ihr nicht möglich gewesen sein, ihre Giftmischereien zu unterlassen.

Ihr Inquirent hatte durch sein mildes und ernstes Wesen ihre ganze Zuneigung gewonnen, wie es bekanntlich nicht selten der Fall ist. Sie wollte sich ihm erkenntlich beweisen und tat dies in einer eigenen Art.

Sie bat ihn, ihr zu erlauben, daß sie ihm, wenn dieses möglich sei, als Geist erscheinen dürfe, um ihm einen handgreiflichen Beweis von der Unsterblichkeit der Seele zu liefern. Aber zugleich beharrte sie standhaft bei einer entsetzlichen Lüge. Wie ihr auch der Untersuchungsrichter auf ihr Gewissen zugeredet hatte, wenigstens darin die volle Wahrheit zu sagen, daß der Justizamtmann Glaser an der Vergiftung seiner Frau unschuldig sei, blieb sie bei ihrer früheren verleumderischen Beschuldigung und beugte mit dieser letzten Lüge ihr Haupt unter das Scharfrichterschwert.

Auch auf dem Schafott hörte sie mit größter Gelassenheit ohne Tränen das Urteil an. Nur aus Schamgefühl vor der großen Volksmenge hielt sie das Tuch vor das Gesicht. Als der Stab über sie gebrochen war, nahm sie von Richter und Schöffen wie von einer gewöhnlichen Gesellschaft mit zierlicher Verbeugung höflich Abschied.

Am 17. September wurde sie hingerichtet.

 

 

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