Wilster, genannt Baron von Essen


Der Kriegs- und Domainenrath Greiner in Berlin galt für einen glücklichen Mann. Groß, stark, fast athletisch gebaut, mit einem lebhaft sanguinisch-cholerischen Temperamente, ging ihm von den Glücksgütern nichts ab, die das Leben heiter machen, wenn man für dasselbe keine höheren Ansprüche mit­bringt, als die des ungetrübten Genusses seiner Freuden und Annehmlichkeiten. Er be­saß ein eigenes ziemliches Vermögen, ein einträgliches, ehrenvolles Amt, die Zuneigung und die Achtung seiner Vorgesetzten. Er arbeitete in demselben, so weit es seine Pflicht war, ohne sich unnöthige Sorgen zu machen, ohne Verbesserungsgedanken nachzu­hängen. Auch die Noth der Zeit, die schweren Gewitterwolken, welche über Preußen nach dem unglücklichen Kriege und seiner Zersplitterung schwebten, scheinen seinen jovialen Sinn wenig gekümmert zu haben. Zu allem diesen Glücke kam, daß er seit 10 Wochen mit einer jungen, sehr schönen, liebenswürdigen und begüterten Frau verheirat­het war.

Er war der beste Gesellschafter, wo es auf gute Laune ankam; doch auch als besonnen und ernst wird er von seinen Freunden und Oberen gerühmt, wo es auf diese Eigen­schaften ankam. Die Flitterwochen der Ehe scheinen in Lust und Vergnügungen, ge­nossenen und neuberathenen, vergangen zu sein. Die Eheleute wollten sich eine Loge im Theater miethen, Equipage anschaffen und freuten sich auf den Besuch von Verwandten, mit denen sie den Rest des Winters vergnügt zubringen wollten.

In Berlin lebte damals auch ein Mann von außerordentlicher Liebenswürdigkeit, Welt­bildung, Verstand und Kenntnissen unter dem Namen eines Baron von Essen, über dessen Persönlichkeit und Bedeutung wir zum Schluß unserer Geschichte uns weitere Mittheilungen vorbehalten. Eine bedeutende Erscheinung im socialen Leben war Essen jedenfalls. Besitzer mehrer Güter im Auslande, hatte er am Hofe eines deutschen Fürsten eine einflußreiche Rolle gespielt, als Rathgeber in Staats- und ökonomischen Angelegenheiten, als Dramaturg, Physiker und der anmuthigste Gesellschafter. Er war bekannt als Verehrer, und ein sehr glücklicher, des weiblichen Geschlechts. Auch als Schriftsteller hat er sich später in ökonomischen und staatswissenschaftlichen Fächern bekannt gemacht.

Der Domainenrath Greiner stand mit ihm in freundschaftlicher Verbindung. Diese scheint indessen keine nähere gewesen zu sein. Beider Charaktere, beider Bildungsstufe war zu verschieden; aber beide waren Weltmänner, die sich in gesellschaftlichen Ver­bindungen zusammengefunden, und Essen’s einnehmendes Wesen bei überwiegendem Verstande und der Kunst, ihn geltend zu machen, konnte auf Greiner’s offenes joviales Wesen nicht ohne Einfluß gewesen sein. Dennoch scheint letzterer eine Ahnung gehabt zu haben, daß Essen vermöge dieser überlegenen Gewandtheit ihn beherrschen und zu etwas bewegen könnte, was er vermeiden wollte. Denn als Essen ihn zu einem Frühstück einlud, um dort über eine Geschäftsangelegenheit mit ihm zu sprechen, antwortete er auf die Frage seiner Frau, was das für Geschäfte wären? »Was wird es sein! Er will Geld haben.«

Essen hatte den Domainenrath Greiner zu einem Frühstück auf den 18. November 1809 in die damals vornehmste Restauration von Dallach eingeladen, um mit ihm ein Geldge­schäft auf die bequemste Weise zu besprechen. Dieses steht fest durch die spätern Er­mittelungen, obwol Essen die Einladung bestritt und nur ein gemeinschaftliches Verab­reden, sich dort zum Frühstück zu treffen, einräumen wollte. Essen hatte ein besonderes Zimmer zu diesem Zwecke voraus bestellt und sich früher als Greiner eingefunden. Greiner entschuldigte sich wegen seines spätern Kommens. Beide tranken gemeinschaft­lich ein Glas Rum. Alsdann wurde das Frühstück eingenommen, welches in Beefsteak mit gebratenen Kartoffeln und einer Flasche Bordeauxwein bestand. Aal à la Tartare wurde bestellt.

Schon nach dem Beefsteak klagte der Domainenrath über Unwohlsein. Er stand auf, ging im Zimmer umher, setzte sich wieder, ging aber bald darauf hinaus, indem er zum Tafeldecker sagte: »Ich weiß nicht, wie mir wird. Mir ist ganz schlimm; mir wird ganz schwarz vor den Augen.« Der Tafeldecker führte ihn hinaus; v. Essen blieb im Zimmer zurück. Kaum war jener auf der Treppenflur, so überfiel ihn ein äußerst heftiges, mehre Minuten anhaltendes Erbrechen. Er warf in kurzen Zwischenräumen gegen sechs mal aus, größtentheils Schleim und Flüssigkeit, worunter etwas rother Wein zu bemerken war. Der Auswurf roch säuerlich, doch nicht so, als wenn sich jemand aus Ueberladung erbricht. Es war aber so viel Flüssigkeit, daß die Kellner ein ganzes Fäßchen Sand ge­brauchten, um die Unreinigkeit fortzuschaffen.

Greiner kehrte noch einmal ins Zimmer zurück, und versicherte, so etwas sei ihm noch nicht vorgekommen. Er hatte, ehe er verheirathet war, längere Zeit im Hause bei Dallach’s gewohnt; er ging deshalb in die Stube der Madame Dallach und klagte ihr sei­ne Noth, wiederholend, daß er nicht wisse, woher es komme, und daß ihm so etwas noch nie im Leben passirt sei. Die Wirthin erschrak über seinen Anblick, denn sie bemerkte in dem ganz rothen Gesichte einen weißen Streifen, der oben an der Nase anfing und sich zu beiden Seiten des Mundes hinunterzog. Auch hier konnte er es nicht lange aus­halten, er mußte abermals hinaus und übergab sich mehre mal über ein Tönnchen, in welchem der Urin gesammelt wird.

Von Essen geführt, kehrte er langsam zu Fuß nach Hause zurück. »Hier bringe ich Ihnen einen Patienten«, sagte jener zu Greiner’s Gattin.

Greiner war auch kaum in seiner Wohnung, als er schon in der Entree sich erbrach. Als er auf dem Sopha in seinem Zimmer lag, folgten die Bomirungen immer rascher und heftiger. Seine Gattin rechnet, daß er in kurzen Zwischenräumen sich wenigstens acht mal übergeben; die Ausleerungen waren Galle. Sie wollte Thee machen lassen, aber Essen meinte: Wasser sei besser. Das Wasser verursachte nur immer neues Erbrechen. Indessen half auch der Thee nicht, welcher darnach gebracht wurde.

Die Frau wollte einen Arzt rufen lassen, aber Essen – behauptete die Gattin – rieth es ihr ab. Er meinte, da Greiner vom Anfang an über Frost geklagt, werde Wärme das Beste an ihm thun; man möge ihn daher nur mit Decken und Betten zudecken. Essen zeigte sich dabei als der liebenswürdigste Gesellschafter. Um die Besorgniß fortzuscheuchen, sprach er so viel und erzählte lustige Anekdoten, bis der Kranke ihn aufzuhören bitten mußte.

Greiner hatte fast gar nicht gesprochen, sondern nur über Spannung auf der Brust und schreckliche Schmerzen im Leibe geklagt. Mit dem Erbrechen, welches selbst auf den Genuß von Kamillenthee erfolgte, traten auch Stuhlausleerungen ein. Von 12½ bis 2 Uhr Mittags hatte er sich fünf mal des Nachtstuhls bedient. Später, als ihn die Kräfte ver­ließen, ließ er der Natur freien Lauf im Bette.

Inzwischen war doch nach dem Arzt geschickt. Der Professor Grapengießer kam um 4 Uhr. Von Essen war nach der ersten Beihülfe, welche er der armen Frau geleistet, fortge­gangen, kam aber zufällig mit dem Arzte zugleich wieder zurück. Er fing ihn im Flure auf und führte ihn in ein anderes Zimmer, um ihm über den Zustand des Kranken Aus­kunft zu geben, da dieser selbst dazu nicht im Stande sei.

Diese Mittheilung lautete nach dem Zeugniß des Arztes: Essen habe seinen intimen Freund Greiner zum Frühstück bei Dallach eingeladen. Dieser, der vorher in Dienstge­schäften auf seinem Bureau beim Generallieutenant von Tauenzien gewesen, wäre um 12 Uhr sehr erhitzt bei Dallach angekommen, habe hastig Beefsteak und Aal gegessen, Rothwein getrunken und sogleich über Uebelbefinden geklagt. Er habe sich dann an’s Kaminfeuer gesetzt und Neigung zum Erbrechen gespürt, sei auch alsbald aufge­sprungen, hinausgeeilt, um stark zu vomiren. Wahrscheinlich habe er sich im Schauspiel am Abende vorher erkältet, möglicherweise auch Aerger gehabt. Was darauf erfolgt war, erzählte Essen, wie wir es bereits wissen.

Der Arzt hatte keinen Grund, in die Mittheilungen des Herrn von Essen einen Zweifel zu setzen; um so weniger, als derselbe, wie bekannt war, selbst in den Naturwissen­schaften und sogar in der Arzneikunde nicht unbewandert war. Auch widersprachen die Erscheinungen des Kranken und die Symptome, die er wahrnahm, der angegebenen Vermuthung nicht. Greiner’s Gesicht war blaß, bläulichgrau, leichenähnlich, die Augen halb geschlossen. Die Hände waren ziemlich kalt, ohne fühlbaren Pulsschlag. Das Erbrechen hatte aufgehört, aber der Stuhlgang war unwillkürlich eingetreten. Auf die Frage: ob er Schmerzen habe? deutete er mit beiden Händen auf die Gegend des Magens, denn der Arzt hörte kein deutliches Wort von ihm.

Hinsichts des nicht fühlbaren Pulsschlages beruhigte ihn Essen damit: daß der Kranke selbst bei gesunden Tagen, obschon stark an Muskeln, doch immer nur einen schwachen Pulsschlag gehabt habe.

Der Professor hielt demnach die Krankheit für eine Cholera aus Erkältung. Er muthmaß­te, daß dem Genuß des Rums und Weins ein Aerger voraufgegangen sein möchte, und argumentirte dabei, daß bei Neuvermählten eine übermäßige Befriedigung des Ge­schlechtstriebes die Anlage zu Indigestionen und Krankheiten dieser Art wohl ver­anlasse. ,

Was er zum innern und äußern Gebrauch für den Kranken verordnet, wurde von dem Freunde besorgt und zum Theil selbst ihm eingegeben. Nur die Einreibungen verrichtete die Gattin. Doch ersuchte Essen sie, ihre beiden goldenen Ringe vorher vom Finger zu streifen, weil diese dem Kranken Schmerzen verursachen könnten.

Weder die äußern noch die innern Mittel halfen. Namentlich schienen die Einreibungen den Kranken zu schmerzen, aber er konnte kaum mehr sprechen, sondern, still auf dem Sopha liegend, bemühte er sich nur, die Hände, die ihn einrieben, zu entfernen, und klagte über Kälte. Er wollte wieder auf den Nachtstuhl, aber auch mit Hülfe des Be­dienten war das nicht mehr zu bewerkstelligen. Er sank diesem, wie ein Todter, in die Arme und mußte auf das Sopha zurückgelegt werden.

Seine Frau bemerkte, während er in Schlaf versunken schien, daß seine Hände und Füße kalt waren und ein kalter Schweiß auf seiner Stirn ausbrach. Er erschien ihr die letzten Stunden hindurch wie in einer Art Betäubung, zum Schlaf geneigt, ohne Kraft, diese Neigung zu befriedigen. Er sprach wenig und klagte nur über seine Schmerzen, stöhnend, um Hülfe rufend und schien von innerer Angst und Unruhe gequält. Auf die Fragen: was ihm fehle? antwortete er: Ich weiß nicht. Der Bediente behauptete: die Schmerzen seines Herrn müßten sehr groß gewesen sein, da er sich aus einer Kleinigkeit nie viel gemacht habe.

Etwa um 6 Uhr Abends verrieth ein leiser Athemzug ohne alle Convulsionen das na­hende Ende. Der Arzt, welcher um 7 Uhr zurückkehrte, fand eine Leiche, und unwillkür­lich, ohne aus einer vorausbedachten Ueberzeugung zu sprechen, rief er aus: »Der ist vergiftet!«

Der Frau erschien das Ereigniß, den überlebenskräftigen Gatten, der sie noch vor 7 Stunden in strotzender Gesundheit verließ, als Leiche vor sich zu sehen, zu unglaublich. Der Arzt mußte Versuche machen, durch eine mit Pfeffermünzöl und Schwefeläther befeuchtete rauche Feder den innern Theil des Mundes und der Nase zu reizen. Es war vergebens, und ebenso fruchtlos tröpfelte er brennenden Siegellack auf die Herzgrube.

Die Beerdigung sollte schon am nächstfolgenden Montag, am 20. November, erfolgen; denn Herr von Essen hatte den Freunden des Verstorbenen, welche die Sorge über­nahmen, versichert: er habe einen unerträglichen Verwesungsgeruch an der Leiche wahrgenommen, und sowol dadurch als durch die blaurothe Farbe der ganzen rechten Seite habe er sich von der Gewißheit des Todes und von der schnellen Zerstörung, als einer Folge des Schlagflusses, überzeugt.

Indessen hatte der plötzliche Tod eines anscheinend in Fülle der Gesundheit strotzenden Mannes, und noch dazu eines höhern Beamten, der in der Stadt so bekannt war, das größte Aufsehen erregt. Auch die Nachricht, daß die Verwesung so schnell eingetreten sein sollte, und die Hast, mit welcher man zur Bestattung schreiten wollte, erregte Be­denken. Das Gerücht von einem heftigen Aerger, welchen er im Bureau seines Chefs ge­habt und der Anlaß zum Tode gewesen wäre, lief zugleich um; Gründe genug zum Ein­schreiten der Gerichte und auf eine Leichenöffnung zu bestehen.

Aber diese Gerüchte bekamen alsbald eine andere bestimmtere Richtung. Der Verdacht einer Vergiftung und gegen ein bestimmtes Individuum sprach sich aus. Greiner hatte im Bureau seines Chefs keinen Aerger gehabt; er war vollkommen gesund in die Restaurati­on von Dallach gegangen, auf von Essen’s Einladung. Erst in Folge des von diesem ihm servirten Frühstückes war er in so auffallender Weise erkrankt. Essen’s Benehmen dabei, besonders im Hause der jetzigen jungen Witwe, erregte Bedenken: seine »Spaß­haftigkeit«, seine Versicherungen, als ob er den Grund der Krankheit kenne, zur Gattin wie zum Arzte; daß er es war, der die schnell eingetretene Fäulniß behauptet, die sich bei der Obduction nicht bestätigt fand; sein unzartes, aufdringliches Benehmen gegen die junge Witwe. Dazu kam, daß man von Geldverlegenheiten erfuhr, in denen er sich gerade damals befand, und ein auftauchender Zweifel über seinen persönlichen Charak­ter. Denn trotz seines Standes, seiner Connexionen außerhalb, seines Güterbesitzes, sei­ner ausgezeichneten wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Bildung, seines vertrauten Umgangs mit geachteten und hochgestellten Personen, erschien er vielen in einem abenteuerlichen Lichte, welches während der Untersuchung immer heller, doch aber erst lange nachher zu einer Klarheit wurde, welche noch heut mit manchen mysteri­ösen Schlaglichtern durchstreift ist. Endlich kam man auch zur Gewißheit, daß er vor der That sich auf verdächtige Weise in dem Besitz von Arsenik befunden und gesetzt.

Alle diese und noch viele andere Indicien sind hier nicht in der historischen Reihenfolge aufgeführt, wie sie zur Kenntniß des Publicums, der Nahebetheiligten und der Richter kamen, worauf es indeß ebensowenig ankommt als auf eine vorläufige vollständige Auf­zählung derselben, da wir sie später bei der Beurtheilung des Falles jedes für sich durch­gehen werden. Es genügt einstweilen, auszusprechen, daß so viel Anzeigen in den wenigen dem Tode, Greiner’s folgenden Tagen sich zusammenfanden, um eine gerichtli­che Untersuchung gegen Herrn von Essen und dessen Verhaftung zu rechtfertigen.

In Ermangelung einer Anklageacte, die unser Inquisitionsproceß nicht kennt, schicken wir hier in gedrängten Worten denjenigen Verdacht voraus, welcher in der öffentlichen Meinung und vor den Richtern Essen’s Arretirung und die gegen ihn geführte Criminal­untersuchung begründete.

Essen, in Geldverlegenheiten verwickelt, weil er Güter gekauft, für die er in nahe liegenden Terminen den Kaufschilling abführen sollte, ohne disponible Capitale zu besitzen, sah sich nach einer reichen Heirath um. Nach mehren misglückten Versuchen mochte sein Auge auf die begüterte und liebenswürdige Gattin des Kriegsraths Greiner gefallen sein. Für ihn war das einzige Hinderniß, daß sie verheirathet war, denn nach einer langen, siegreichen Laufbahn glaubte er, wo es Frauengunst zu erwerben galt, auf keinen Widerstand zu stoßen. Einen Ehemann, der ihm im Wege stand, noch dazu einen arglosen Lebemann, der sich mit Gedanken nicht viel zu schaffen machte, schnell bei Seite zu schaffen, däuchte ihm weder eine besonders schwierige Aufgabe, noch mochte es bei seiner Moral ihm Scrupel erregen. Unter dem Vorwande, ein Geldgeschäft mit ihm zu besprechen, lud er ihn zum Frühstück in eine Restauration, obwol man nicht be­greift, weshalb zu einem solchen Geschäft ein Frühstück in einem öffentlichen Hause nöthig ist, da sich die Besprechung bei jedem Zusammentreffen, beim Spazierengehen, beim Besuch mit dem so leicht zugänglichen Greiner leicht abmachen ließ. Er hatte, schon vor seinem Gast anwesend und allein im Zimmer, die Speisen oder das Getränk mit Arsenik vergiftet, den er sich früher verschafft und selbst zubereitet. Wie es ihm ge­lungen, nur den Theil von Speisen oder Getränk, welchen Greiner zu sich nahm, damit vorzurichten, bleibt selbst vor der Vermuthung verschlossen. Aber die Wirkung entsprach der Absicht. Das Opfer fiel; aus einem Kerngesunden, war er in sechs Stunden eine Leiche. Der Mörder aber verließ das Opfer nicht, entweder um sich der vollständigen Wirkung zu vergewissern, oder um durch seinen scheinbar treuen Freundesbeistand den Verdacht von Anbeginn von sich abzuwälzen; möglicherweise auch um beider Zwecke willen. Das letztere gelang ihm nicht. Er redete der Gattin ab, einen Arzt holen zu lassen, weil das Uebel eine gewöhnliche Erkältung sei; er rieth ihr, ihm nicht Thee, sondern nur kaltes Wasser zu geben, mit warmen Betten das Unwohlsein zu vertreiben; er machte dem Arzte eine falsche Beschreibung von der Entstehung des Nebels, um ihn von einer ernstlichen Nachforschung und den richtigen Mitteln abzulenken; er forderte die Gattin beim Einreiben des Magens auf, ihre Ringe abzulegen, angeblich, weil dies ihm Schmerzen verursachen werde, muthmaßlich, damit die Wirkungen des Arseniks auf das Gold nicht sichbar würden. Kaum daß er todt war, war Essen unablässig beschäftigt, Vermuthungen über die Ursachen seines Todes auszusprengen, Vermuthungen, die sich selbst widersprachen; durch eine falsche Angabe suchte er die Beerdigung des Ermordeten zu beschleunigen, um die Spuren seines Verbrechens zu verwischen. Aber noch im ersten furchtbaren Schmerz der Gattin, war er schon bedacht, die Früchte seines Verbrechens sich zu sichern, und durch eine mehr als unzarte Annäherung ihre Gefühle verhöhnend, rasch auf den Sieg loszugehen, den er für sicher hielt. Er hatte keinen vernünftigen Grund, darauf zu rechnen, als die Dringlichkeit der Umstände, die Begier und das Selbstbewußtsein, die ihn antrieben, alles zu wagen. Er scheiterte hier an der sehr natürlichen Empörung der Gefühle der jungen Witwe über ein solches Benehmen, und weil von ihrer Seite keine Neigung war, nicht einmal eine nähere Freundschaft, ja vielleicht, weil eine unausgesprochene Ahnung sie vor dem zudringlichen Mann zurückschaudern machte. Kaum aber war der Vergiftete unter der Erde, so rief sein Schatten bereits die Rachegeister auf. Zu süßem Liebesspiel war nicht die Zeit. Während das Gerücht ihn umgarnte, wankte seine Kraft; er ward gewarnt, wagte nicht zu fliehen, gestand aber schon mehr, als er wollte, ein, indem er seine Angst gegen den verrieth, von welchem er den Arsenik gekauft, und durch kleine Ränke dieses furchtbare Indicium verschwinden zu machen suchte.

Der Thatbestand des Verbrechens ist ermittelt, der Verdacht der Thäterschaft lastet nur auf dem Angeschuldigten, der den Ermordeten gesund aus dem Hause lockte und unter vier Augen empfing, um ihn als Sterbenden wieder in sein Haus zu führen. Es sind Mo­tive der That vorhanden, und die Indicien sind von so furchtbarer, zusammenhangender Art, daß seine Schuld mit hellen Zügen geschrieben steht.

So würden ungefähr die Grundzüge einer öffentlichen Anklage gelautet haben, die wir diesmal unseren Lesern zusammenzustellen und vorauszuschicken für nöthig hielten, weil das Erkenntniß des Kammergerichts in Berlin (ein Meisterstück in seiner Art), dem wir im Ganzen folgen, den historischen Zusammenhang nur kurz andeutet, um sofort auf die Prüfung der Beweise und Anzeigen überzugehen, welche, gegenüber der Vert­heidigung, in diesem Processe das Hauptinteresse bildet.

Diese Verteidigung des Angeschuldigten war der höchst merkwürdige Kampf eines Schuldigen, welcher eine gefährliche, kaum haltbare Position Schritt für Schritt mit äußerster Hartnäckigkeit vertheidigt und aus einer Schanze vertrieben sich in die andere wirft. Ein fast überwiesener Verbrecher, den die moralische Ueberzeugung des Publi­cums, wie des Richters, schon auf die Hälfte der vorgebrachten Indicien für schuldig er­klärt hätte, der aber gegen jeden Angriff gewappnet dasteht, wenn nicht mit wirklichen, mit Scheingründen; der, voller ungeschwächten Kraft des Verstandes, die Wissen­schaften zu Hülfe ruft, und aus der Jurisprudenz, der Chemie, der Arzneikunde und Psy­chologie sich nicht allein vertheidigt, sondern den Richter wieder angreift; der aus dem Gefängnisse heraus Schriftsteller wird, wissenschaftliche Abhandlungen zu den Acten liefert, aber in den Kunststücken und Schlangenwindungen des Verstandes, weil er zu viel beweisen will, nur sein eigenes Schuldbewußtsein beweist, und, trotz allem Aufwand von Scharfsinn, zuweilen ins Absurde verfällt; der endlich, weil er nur zum Verstande sprechen will, in seiner kalten, herzlosen Haltung das humane Gefühl schaudern macht, mehr vor dem Menschen selbst, als vor dem einzelnen Verbrechen, welches er zuletzt begangen und das den Gegenstand dieses Processes ausmacht.

Derselbe erregte seiner Zeit das allergrößte Aufsehen in Berlin. Seit der Ursinus war kein so merkwürdiger Criminalfall aus den höheren Kreisen der Gesellschaft zur Spra­che gekommen. Der Giftmischer und der Vergifttete, beide waren so allgemein bekannt, so viele Kreise des Lebens fühlten sich dadurch berührt; der Act war so öffentlich ge­schehen, in der vornehmsten Restauration der Residenz; das Eclat, welches er verursach­te, die Frechheit, die unerhört, besonders den Frauen, schien, einen Ehemann umzu­bringen, um sich um dessen Witwe zu bewerben, ohne daß der Mörder zuvor nur ein Anzeichen davon hatte, daß diese ihm geneigt sei, daß sie auf seine Anträge hören werde; endlich das traurige Schicksal derselben, so jung, liebenswürdig, kaum verheirat­het, den geliebten Gatten gesund und heiter ausgehen, um ihn als qualvoll Sterbenden zurückkehren und unter ihren Armen sterben zu sehen; ihr Bewußtsein, daß der Mann um ihretwillen, oder eigentlich um ihres Vermögens willen vergiftet worden, und die Möglichkeit, daß sie die Gattin des entsetzlichen Mörders hätte werden können; alles dies zusammengenommen mußte auf die Gemüther wunderbar wirken. Aber ein un­gleich höheres und dauernderes Interesse nahm der Proceß durch jene Vertheidigung und demnächst durch die auf die Person des merkwürdigen Verbrechers gelenkte Auf­merksamkeit in Anspruch.

Eine Betrachtung über diese Persönlichkeit und demnächst die Frage: ob der Angeschul­digte ein Mann war, zu dem man sich der That versehen konnte, müssen wir, wie gesagt, für den Schluß uns vorbehalten, da sie, zu umfassend, und, ein besonderes Interesse in Anspruch nehmend, von dem eigentlichen Gegenstande, der zunächst vorliegt, uns auf zu lange entfernte. Das Verbrechen der Vergiftung selbst und die Indicien der Thäterschaft sind es, was uns hier beschäftigt.

Starb der Kriegs- und Domainenrath Greiner in Folge ihm beigebrachten Giftes? – Der Angeschuldigte leugnete und bestritt es. Der Eifer, mit dem er es that, und die Argu­mente, welche er vorbrachte, um den Gegenbeweis zu führen, verstärkten vom Anfang an den Verdacht gegen ihn. Ein Angeschuldigter, welcher sich rein fühlt, wartet den Be­weis ab, welcher der Anklage obliegt, und strengt nicht von vorn herein alle Kräfte an, den Gegenbeweis zu führen.

Der Körper des Verstorbenen wurde Montag am 20. November durch den Geheimen Obermedicinalrath Wölper und einen Chirurgus obducirt.

Aeußerlich fand man den Körper von athletischem Bau, steif und unbeweglich. Der Mund war fest verschlossen und am linken Winkel desselben ein angetrockneter, weißer Schaum. Das Weiße in den Augen war sehr roth, die Finger krampfhaft zusammengezo­gen, die Nägel und Fingerspitzen, so wie die Zeugungstheile von ganz blauer Farbe. Mit Todtenflecken waren alle Theile des Körpers wie besäet.

Innerlich war die harte Hirnhaut mit Blut angefüllt und aus den mit der Hirnschale in Verbindung stehenden Blutgefäßen floß sehr viel dickes, schwarzes Blut. Die Lungen zeigten sich von natürlicher gesunder Farbe und Beschaffenheit. Aber auch hier waren die Blutgefäße mit dickem schwarzem Blute angefüllt. Desgleichen die Ventriculi des Herzens.

Der Unterleib mehr weich als gespannt; Bauchmuskeln, Netz und Gekröse mit ungemein vielem Fett besetzt. Aber nicht die geringste Spur von Fäulniß.

Der Magen, von Luft ausgedehnt, zeigte an den äußern Flächen der beiden Wände Spuren einer allgemeinen Entzündung. Mehre Stellen gaben durch ihre schwarze Farbe den Brand zu erkennen. Beim Oeffnen drang eine ganz nach Schwefelleber riechende Luft heraus. Darin nur etwa 2 Eßlöffel voll röthlich gefärbter Jauche. Die innern Wände des Magens noch weit mehr entzündet; besonders die linke Seite, welche ganz brandig war, daß man sie mit leichter Mühe abschaben konnte. Die dünnen Gedärme zeigten leichte Spuren von Entzündung, die dicken dagegen nicht. Auch die Leber am vorderen Rande war entzündet. Alle Blutgefäße des Unterleibes mit Blut überfüllt.

Der Magen und sein Inhalt wurden vom Obermedicinalrath Klapproth chemisch geprüft. Nach der chemischen Filtrirung erfolgte nur ein geringer Niederschlag in leichten bräun­lichen Flocken, der getrocknet 12 Gran wog. Mit gleichen Theilen Kohlenpulvers vermischt und in einer Glasretorte geglüht, fand sich im Halse derselben nur ein geringer, ölig-rußiger Anflug. Sorgfältig gesammelt und auf glühende Kohlen gebracht, äußerte sich nicht die entfernteste Spur eines Arsenikgeruches. Zum Gegenversuch ward ein 1/50 Gran Arsenik eben so auf eine Kohle getragen, und diese geringe Menge war hinreichend, den gewöhnlichen weißen Dampf des Arseniks sichtbar zu verbreiten und das ganze Zimmer mit seinem Geruch anzufüllen.

Mit den ausgebrochenen Flüssigkeiten konnte kein Versuch angestellt werden, da sie in der Dallachschen Restauration sowol als im Sterbehause fortgeschüttet worden.

Durch diesen Mangel einer sinnlichen Anschauung von der Existenz des Arseniks im Magen des Verstorbenen, äußerten die Obducenten, sei indeß noch nicht das Gegentheil, die Abwesenheit des Giftes, erwiesen. Ihr Gutachten ging dahin:

daß Greiner an einer zum Theil in Brand übergegangenen Entzündung des Magens gestorben sei; daß diese Entzündung indeß durch keine im Körper befindliche Krank­heitsursache entstanden, sondern durch Gift bewirkt sei.

Beweis dafür: die äußerst kurze Dauer der Krankheit. Noch 6 Stunden vor seinem Tode aß der Verstorbene mit sehr gutem Appetit. Ferner das ganze äußere Ansehen der Lei­che; die zahllosen Todtenflecken; die zusammengezogenen Finger, die blauen Spitzen derselben, die eigenthümliche Beschaffenheit der Magenentzündung; die gänzliche Abwesenheit aller Spuren von Faulniß bei einem starken und saftigen Körper. Alle diese Anzeichen sprechen für eine Arsenikvergiftung.

Daß der Arsenik auf chemischem Wege nicht entdeckt worden, widerlege die Be­hauptung nicht, da zahlreiche Beobachtungen und auch an Thieren angestellte Versuche deutlich, lehrten, daß Vergiftungen nicht immer durch Hülfe der Chemie ausgemittelt werden könnten, und besonders in solchen Fällen nicht, wo das Gift in einer Auflösung genommen worden, und, nachdem es seine tödtliche Wirkung geäußert, ausgeleert sei.

Essen, der den Obducenten vorwarf, daß sie, ohne alle Autoriät, gegen die Grundsätze der Chemie und Medicin eine Arsenikvergiftung angenommen, hatte gegen dieses Gut­achten behauptet, daß Arsenik wegen seiner specifischen Schwere und geringen Auflös­barkeit mit dem Wasser nicht so mischbar sei, wie Zucker, Kochsalz und ähnliche Sub­stanzen, welche, einmal aufgelöst, mit der Flüssigkeit auch innig verbunden bleiben. So wie sich die Auflösung abkühle, bildeten sich die unmerklichen Krystalle zu größeren und hingen sich an das Gefäß an. Um wie viel leichter und stärker müßte sich also der aufgelöste Arsenik an die Wände des Magens hängen, die überall mit einer aus lauter einziehenden und einsaugenden Fasern bestehenden Zellenhaut bekleidet wären. Seine Behauptung ward als falsch widerlegt, da, nach der Theorie der bewährtesten Schrift­steller in dem Fache, der weiße Arsenik, ein mineralisches Salz, im Wasser allerdings auflösbar sei. Nach Gmelin bestehe die schädliche Wirkung mehrer Gifte, wie nament­lich des Arseniks, in ihren salzigen Bestandtheilen, die sich im Wasser auflösen. Die Salze aber hätten die Eigenschaft, daß sie sich mit einer Menge Wasser vermischen ließen, ohne sich wieder davon abzuscheiden. Dasselbe lehrte Joseph Franck, und Pyl sage ausdrücklich, daß weißer Arsenik, als ein mineralisches Salz von den im Magen befindlichen Säften, und durch häufiges Trinken, »so seine fressende Schärfe nothwen­dig macht, gar leicht aufgelöst werden kann«. Bei dieser anerkannten Auflösbarkeit sei daher noch von keinem Schriftsteller behauptet worden, daß Arsenik, im Körper des da­mit Verletzten schlechterdings zurückbleiben müsse. Metzger (auf den der Angeschul­digte sich besonders berief) erkläre sogar geradezu, daß die chemische Analyse keine Wirksamkeit äußere, wenn die Vergiftung durch flüssige Substanzen geschehen, oder wenn das Wenige eines heftigen Giftes durch häufiges Getränk verdünnt worden. Der Apotheker Rose hätte damals eine (vor dem Marsschen Apparat) zuverlässigste Metho­de, auf chemischem Wege den Arsenik zu entdecken, gefunden; aber Hanke behaupte, daß aller Arsenik mittelst eines heftigen Erbrechens und Durchfalls so ausgeleert werden könne, daß er selbst auf diesem Wege nicht mehr zu finden sei. Nach Hanke aber sei das Nichteintreten der Fäulniß ein höchst wichtiges Kennzeichen der Arsenikvergiftung.

Essen hatten aber ferner behauptet, den Erscheinungen im Leichnam mangelten die wahren, pathologischen Merkmale der Arsenikvergiftung, und um, »zur Ehre seiner be­währten Lehrer in der Physik, Chemie und gerichtlichen Arzneikunde, die Regenbogen der Phantasie durch das reine Licht der Wahrheit zu zertheilen«, schrieb er einen eigenen Aufsatz des Inhalts: »daß Greiner durch den Gebranch von Mercurialmitteln, durch das Eigenthümliche seiner Lebensweise vernachlässigt, und an und für sich mit geringer Lebenskraft ausgerüstet, am 18. November 1803 an der Gallenruhr (Cholera) gelitten und dadurch sein Leben verloren habe.«

Zweifel bei den Richtern erregten diese gelehrten Ausführungen des Angeschuldigten gegen das Gutachten der Obducenten nicht, es war also eigentlich nicht nöthig, deshalb noch ein Gutachten der höchsten Medicinalbehörde einzuziehen; dennoch schritt man, bei der Wichtigkeit der Sache, dazu, und die wissenschaftliche Deputation für das Medi­cinalwesen erstattete ein solches, welches auf die gründlichste Weise die Meinung der Obducenten prüfte und zugleich die vom Angeschuldigten aufgestellte Behauptung, daß Greiner an der Gallenruhr gestorben wäre.

Den Sachverständigen bei dieser wissenschaftlichen Behörde lagen die vollständigen Acten und somit viele Ermittelungen vor, welche in unserer bisherigen Geschichtserzäh­lung fehlen, die aber, an sich von zu geringem Moment, um in historischer Reihenfolge aufgeführt zu werden, bei dieser Beurtheilung am besten ihren Platz finden. Es war die Pflicht dieser letzten Richter auf dem wissenschaftlichen Gebiete, ihre Entscheidung auch auf die außer diesem Gebiete constatirten persönlichen Umstände zu begründen.

Nach Essen’s Angabe hatte Greiner am Abende vorher im Schauspielhause Füße und Beine so erkältet, daß sie noch während des Frühstückes bei Dallach wie abgestorben gewesen. Deshalb habe er noch an jenem Abende Thee getrunken und Hausmittel ge­braucht. Dann sei er sehr erhitzt zur Restauration gekommen, habe obgleich er ihn ge­warnt, hastig gegessen und getrunken, mit der Erklärung, daß ihm das nichts schade. Trotzdem blieben ihm die Füße kalt, weshalb er sich an den Kamin gesetzt. Auf dem Rückwege nach Greiner’s Wohnung habe ihn Essen gefragt, ob er etwa kürzlich Aerger gehabt, worauf jener verdrießlich verneinend geantwortet. Das Zusammentreffen dieser Umstände reichte nach Essen’s Meinung hin, die traurige Katastrophe herbeizu­führen.

Zuvörderst glaubte die wissenschaftliche Deputation annehmen zu dürfen, daß alle diese factischen Angaben falsch seien. Nach Aussage der Witwe saßen sie und ihr verstor­benen Mann zwar an dem Abende in einem sehr zugigen Sperrsitz und sie selbst fror, ihr Mann aber nicht, weil er sehr warm gekleidet war. Thee hatten sie am Abende getrun­ken, aber nicht wegen Unwohlsein, sondern weil sie es in der Regel thaten, und ihr Mann das Theewasser schon vor dem Fortgehen bestellt hatte. Geärgert hatte er sich, weil der Bediente aus Misverständniß statt Citronensäure (zum Theepunsch) Weinste­insäure gebracht hatte. Die Nacht hindurch hatte er jedoch ruhig geschlafen wie jeder gesunde und zufriedene Mensch, und scherzend und gesund trank er Morgens mit ihr Kaffee und verließ sie um 11 Uhr, nur darüber ärgerlich, daß ihn Essen zu einem Früh­stück geladen, welches ihn in seiner Tagesdiät störe.

Greiner’s Bediente und noch ein Zeuge aus seinem Hause bekundeten dasselbe, und kamen dahin überein, daß jener an dem Abende und noch am Morgen darauf überaus heiter gewesen. Nur der Bediente hatte beim Ausziehen die Füße seines Herrn sehr kalt gefunden, worauf dieser gesagt: »Glaubst Du Narr denn, daß es in der Komödie warm ist?« Aber keine Spur von Unwohlsein am Morgen. Beim Weggehen trug er ihm noch scherzend auf, zum Mittagsbrot einen Karpfen zu kaufen, der so groß sei wie ein Ochse.

Es war also keine Erkältung vorangegangen.

Ein Offizier, in Greiner’s Bureau angestellt, hatte ihn an dem Morgen bis in das Bureau des Generals Tauenzien begleitet. Er hatte ihn weder blaß, krank, noch zerstreut oder er­hitzt gefunden, sondern wie immer munter. Er so wenig, als der General Tauenzien oder sonst jemand im Bureau wußten von einem Aerger oder Verdruß, noch irgend einem Anlaß dazu.

Es war also kein Aerger vorangegangen.

Greiner hatte längere Zeit vor seiner Verheirathung in der Dallach’schen Restauration gewohnt; die dortigen Tafeldecker und Kellner kannten ihn also sehr genau. Alle versi­cherten, daß er zum Frühstück mit einem äußerst frischen und gesunden Ansehen ge­kommen und nichts weniger als ärgerlich und verdrießlich.

Die widersprechenden Angaben des Angeschuldigten sind also damit vollständig widerlegt.

Ueberdem stehen sie nicht allein isolirt, durch nichts unterstützt, da; auch abgesehen von dem wenigen Glauben, den man Essen’s Angaben schenken darf, verriethen sie sich da­durch, daß er sich selbst mehrmals widersprochen hat.

Dem Assessor Flittner erzählte er bald nach Greiner’s Tode ausdrücklich, daß derselbe sich mit seinem Chef überworfen und in Folge dieses Aergers gestorben sei.

Am Tage des Leichenbegängnisses erzählte er hier, der Tod sei Folge einer Erkältung, dort, eines Aergers.

Am Sonntag, den 19. nach dem Tode, hatte der Professor Grapengießer gegen jemand als Todesursache einen Nervenschlag, wahrscheinlich durch Aerger und darauf genom­menes Getränk veranlaßt, genannt. Essen hatte das sogleich bestätigt, hinzusetzend: daß, wenn man auf Aerger Spirituosa trinke, dies äußerst gefährlich und dem Arsenik in der Wirkung gleich sei.

In den Verhören dagegen gab Essen verschiedentlich einmal an, Greiner sei wohl, mun­ter und lebhaft gewesen und erst nach dem Beefsteak habe er über Unwohlsein geklagt; ein ander mal, er sei schnell gegangen und habe ihm daher körperlich lebhaft und unru­hig geschienen, was ihm aber nicht aufgefallen, da es mehrentheils so gewesen.

Angenommen ward daher von der wissenschaftlichen Deputation, daß Greiner in der Dallach’schen Restauration gesund und wohl, heiter und ruhig angekommen sei.

Aber der Angeschuldigte hatte außerdem durch ein künstliches Gewebe abgerissener medicinischer Lehrsätze mit einzelnen Thatsachen aus Greiner’s Leben zu beweisen ge­sucht, daß derselbe überhaupt ein Candidat des Todes gewesen. Er schilderte ihn als sy­philitisch krank, in Pfuscherhände gerathen, die das Uebel vielleicht für den Augenblick bekämpft, wofür es späterhin zu ungelegener Zeit ausgebrochen wäre. Welches Ent­setzen hätte diese Wahrnehmung auf den jungen Ehemann hervorbringen müssen! Nach­dem es Essen mit der Erkältung und dem Aerger nicht geglückt war, ließ er seinen Freund an muthmaßlichem Selbstmord sterben, oder, wenn das nicht, daß der Gebrauch des vielen Quecksilbers dem Körper eine Anlage zum Schlagfluß und zur Gallenruhr beigebracht habe. Aber er konnte nicht einmal vollständig beweisen, daß derselbe wirklich einige Zeit vor seiner Verheirathung angesteckt gewesen und ein syphilitisches Uebel durch Mercur behandeln lassen oder selbst behandelt habe. Keiner von Greiner’s näheren Freunden wußte etwas davon, keiner der vernommenen Aerzte hatte ihn be­handelt, und es lag nicht in dem offenen Charakter des Todten, selbst über dergleichen Dinge hinterm Berge zu halten. Wäre es aber auch der Fall gewesen, so konnte, nach dem Urtheil der wissenschaftlichen Behörde, das Uebel nur sehr gering gewesen sein, dergestalt, daß man es als völlig geheilt zu betrachten hatte; denn der ganze Habitus dieses frischen, lebenskräftigen Mannes widerspreche dem Dasein eines verborgen gehaltenen hinschleichenden Krankheitszustandes von der angedeuteten Art.

Wenn die mercurialischen Influenzen es nicht gethan, so doch Greiner’s eigene Lebens­weise. Dieser vollblütige Mann hatte eine besondere Neigung zum Schlaf, und ging für gewöhnlich in seinem Zimmer ohne Strümpfe und Beinkleider umher! Die Thatsache war richtig, aber die von Essen’schen Schlüsse daraus ließ die Deputation nicht gelten. Diejenige Schläfrigkeit, welche in Gesellschaften und Geschäften den Menschen über­fällt, und gegen die er nur mit Mühe ankämpft, unterscheide sich sehr von der Neigung zum Schlaf, welche den Schlagfluß anlocke. In bloßen Füßen und ohne Beinkleider im November im Zimmer umherzugehen, werde zwar nicht als diätetische Maßregel emp­fohlen, aber ein so riesenkräftiger Mann als Greiner habe es schon wagen können, noch dazu, da er einen, Schlafpelz angehabt, ohne daß er sich um deshalb den Magen erkälten und an Gallenruhr und Schlagfluß sterben müssen.

Endlich führte Essen an, daß Greiner erst vor kurzem geheirathet und Ahnungen von seinem nahen Lebensende gehabt, was ihm als Unterstützungsgrund für seine Be­hauptung galt, daß derselbe, als Todescandidat, äußern Einflüssen leichter zugänglich gewesen. Der physische Genuß bei neuvermählten Männern erschöpfe nur zu oft ihre Kraft und mache besonders Vollblütige den Einflüssen des Schlagflusses leichter zu­gänglich. Aber dies konnte doch nur auf solche Ehemänner zutreffen, welche früher diesen Genuß nicht gekannt ober doch darin nicht geschwelgt hatten; allein Essen selbst stellte seinen Freund als von früheren Ausschweifungen erschöpft dar. Greiner’s Aeuße­res verrieth aber nichts von Erschöpfung.

Der Tode sollte eine Todesahnung gehabt haben. Wenn es auf einen solchen Umstand vor dem Forum der Wissenschaft und dem Gerichte ankommen könnte, so sind doch die Beispiele nicht selten, daß gerade glückliche Menschen, die alle ihre Wünsche befriedigt finden, zuweilen, wenn auch nur vorübergehend, an ein Zertrümmern ihres Erden­glückes denken. Greiner’s jovialer Sinn, noch in seinen letzten Stunden, zeugte davon, wie wenig Werth er auf solche Ahnungen legte. Noch am Morgen des Sterbetages sprach er mit seiner Frau davon, daß sie sich Wagen und Pferde anschaffen, eine Loge im Theater miethen und wie sie den zum Besuch erwarteten Verwandten und sich selbst das Leben angenehm machen wollten. Jene Nebelbilder düsterer Ahnungen finden sich in dem Leben jedes Menschen, aber sie verschwinden unbeachtet, wenn nicht ein außer­ordentliches Geschick sie alle in einen Brennpunkt zusammendrängt. Denn wenn ein unglückliches Ereigniß eingetroffen, sammelt und schmückt das vom Schmerz erfüllte Gemüth die Einzelheiten aus, gleichsam zum Troste für das Unabänderbare.

Greiner war also, wie am 18. November, so überhaupt ein gesunder Mann ohne irgend bemerkbare Anlage zur Krankheit, und es ist nichts ermittelt, wodurch jene unglückliche Katastrophe könnte herbeigeführt sein, als die Anschuldigung, welche Essen bestreitet, die aber durch einen Connex so vielfacher Anzeigen der absoluten Gewißheit nahe ge­bracht wird.

Nachdem wir das erste Gutachten der Obducenten über den Thatbestand der Vergiftung in seinen wesentlichen Zügen wiedergegeben, halten wir uns überhoben, auch das der wissenschaftlichen Deputation hier im Auszuge mitzutheilen. Im Resultate mit jenem übereinstimmend, mit Klarheit und Gründlichkeit ausgeführt, unterstützt es die Schluß­sätze des ersten Gutachtens und widerlegt mit derselben Bestimmtheit die von Seiten des Angeschuldigten aufgestellten Zweifel und seine wissenschaftlichen Deductionen, Erörterungen, was alles indeß rein in das Gebiet der Arzneikunde gehört. Uns kann hier als Resultat die ausgesprochene Ansicht genügen: daß der Umstand, daß im Inhalt des Magens durch chemische Reagentien kein Arsenik zu entdecken gewesen, die Meinung einer dadurch geschehenen Vergiftung nicht widerlege. Und die Frage: ob Greiner das Leben durch Gift verloren habe? wurde schließlich dahin beantwortet: daß die Vergif­tung im vorliegenden Falle zwar nicht mit Bestimmtheit erwiesen, wol aber mit vieler Wahrscheinlichkeit angenommen werden könne.

Essen wollte sich auch damit nicht begnügen, er protestirte gegen die Glaubwürdigkeit der Verfasser des Gutachtens, gegen ihre factischen und wissenschaftlichen Beweis­gründe, gegen die Logik ihrer Schlüsse. Was der Richter spreche, sei Recht, kraft der vom Staate ihm übertragenen Gewalt; dagegen könne eine wissenschaftliche Deputation, auch wenn vom Staate autorisirt, nur Hypothesen aufstellen, und die muthmaßliche Meinung eines Gelehrtenvereins, auch des höchst renommirtesten, könne niemals zur apodiktischen Norm wirklicher Wahrheit erhoben werden. Er trug auf nochmalige Vor­lage der Acten von hochberühmten auswärtigen Gelehrten zur Einholung eines Gutach­tens derselben an.

Dem Antrage konnte nicht gewillfahrt werden. Wo sollte es hinaus, wenn einem Ange­schuldigten freigestellt blieb, jedes wissenschaftliche Gutachten, das ihm zu Ungunsten spricht, zu verwerfen, um immer wieder auf ein neues zu bestehen? Wo sollte überhaupt endlich die apodiktische Gewißheit hergenommen werden, da die von ihm namhaft ge­machten auswärtigen Gelehrten zwar eines großen Rufes genossen, doch aber immer nur wieder ein Gelehrtenverein blieben und für den preußischen Richter nicht mit der Auto­rität bekleidet waren, welche die Medicinaldeputation besaß? Nicht ihren Hypothesen, wol aber den darauf gegründeten Aussprüchen der Sachverständigen wohnt eine Kraft vor dem Gesetze bei. »Sie müssen als gültig angenommen werden, sobald sie durch überzeugende Gründe der Wissenschaft unterstützt sind«, führte der Urtelsfasser aus. In diesem Falle konnte aber um so weniger auf den Antrag des Angeschuldigten Rücksicht genommen werden, noch eine fernere Behörde zu requiriren, als die Zuziehung der Obermedicinalbehörde bereits, juristisch genommen, zum Ueberfluß geschehen war, und nur um von Essen’s Scheineinwürfe vollständig zu beseitigen.

Die Ungewißheit der Medicinaldeputation hinsichts des Daseins des Tatbestandes be­ruhte nicht auf Thatsachen, die einen Zweifel erregten, sondern blos darauf, daß etwas für die Wissenschaft am Beweise fehlte. Für den Richter konnte aber dieser Beweis durch andere Umstände ergänzt werden, und dieser Umstände waren allerdings viele vorhanden, jedoch keiner, der die objective Existenz der That dergestalt außer Zweifel setzte, um nach preußischen Gesetzen auf die volle Strafe zu erkennen.

Der Indicien häuften sich indeß so viele, daß die moralische Ueberzeugung von der Schuldbarkeit des Angeklagten bald unwiderleglich feststand. Was aber mehr bedeutete als ihre große Zahl, war, daß diese Anzeigen aufs Genaueste übereinstimmten und sich verketteten, während, was der Angeschuldigte für sich anführte, keine eigentliche Gegenanzeigen, nur willkürliche Behauptungen waren, die er selbst nicht zu beweisen vermochte.

Um die Motive seiner That zu beurtheilen, wird es doch nöthig, hier schon etwas wenigstens aus seinem früheren Leben, so weit dieses damals nach Lage der Acten zur Kenntniß des Richters gekommen war, anzuführen und damit die Frage zu berühren, ob Essen ein Mann war, zu dem man sich der That versehen konnte?

So weit die Nachrichten über ihn reichen, weiß man, daß er die sorgfältige Erziehung und Bildung, die er in seiner Jugend genoß, durch Selbstdenken und eigenes Studium in einem ungewöhnlichen Grade vervollkommnete. Die seltensten Vorzüge des Geistes bei gründlichen Kenntnissen und dem Besitz jener kleinen Eigenschaften, die in der Welt interessant machen, erscheinen aber nicht gepaart durch dieselben Vorzüge des Herzens. Die Wagschale scheint schon früh bei ihm zu Gunsten jener gesunken zu sein.

Man wußte schon, daß er seine Gattin und seine Kinder verlassen hatte, um seinem Glücke nachzugehen. Sein Herz hatte ihn nie darüber verklagt. Sein Verstand beruhigte und rechtfertigte ihn vollkommen wegen dieses Schrittes, weil er ihnen vollkommenen Unterhalt zurückgelassen.

Seine Frau wünschte, wieder mit ihm vereinigt zu werden. Er war dem auch nicht abge­neigt. Aber die Wiederannahme seiner berechtigen Frau hätte damals seinen Lebensplanen geschadet. Er reiste mit einer Geliebten, Angelica, welche vor der Welt als seine Gattin galt. Dieses Verhältniß mußte einstweilen aufrecht erhalten werben. Er machte deshalb seiner Gattin den Vorschlag, zu kommen, aber nicht seinen Namen zu führen, also für seine Maitresse zu gelten.

Der Brief der Gattin und seine Antwort gibt darüber merkwürdige Aufschlüsse. Mögli­cherweise hatte er den ganzen Vorschlag nur um deswillen gemacht, weil er den Geist seiner Frau kannte, und daß sie, ein solches Erbieten nimmermehr annehmen werde. Die Gattin schrieb ihm:

»Nachdem ich lange vergebens die Zurückkunft eines theuren Mannes und Vaters zu den von ihm Verlassenen erwartet, haben schlaflose Nächte, stete Bekümmernisse dergestalt meinen Geist und meine Gesundheit geschwächt, daß ich jetzt nicht mehr Kräfte genug habe, sogar der mindesten Widerwärtigkeit entgegen zu gehen; ich weiß gewiß, daß Du mein für Freundschaft warmes Herz kennst; ich hoffe, daß Du Dich er­innerst, welchen großen Werth ich auf häusliche Glückseligkeit setzte, zu der Zeit, als das Schicksal sie mir gab, und wie sehr ich Dir, und, meinen Kindern ergeben war. Be­trachte nur, Karl, meine wankende Lage; einsam wandele ich überall umher, niederge­schlagen über jedes ängstigende Gerücht, Dich betreffend, darf ich, kaum diejenigen se­hen, die ich sonst für meine Freunde gehalten habe – Zerstreuungen, so nothwendig, Be­kümmernisse fortzujagen, ja wo soll ich diese finden, da niemand, oder doch nur wenige, sich um eine verlassene Frau bekümmern!? Setze dich in meine Verfassung und bedenke alsdann, was ich verloren habe! Daß Dir Deine Plane, die ich nicht kenne, ge­glückt sind, freut mich herzlich, Du weißt, daß Dein Wohl mir nie gleichgültig war, und ich kann die Gewohnheit, mich darüber zu freuen, nicht verlassen, so lange und so ent­fernt Du auch von mir bist. Was den Hauptgegenstand Deines Briefes betrifft, nämlich, auf die darin vorgeschlagene Art zu Dir zu kommen, da muß ich, Karl, Dir aufrichtig ge­stehen, daß er keinesweges der Hoffnung entspricht, die ich mir von der künftigen Tage Glückseligkeit gemacht habe. Ich habe diese Hoffnung beständig und sicher genährt, sie war die einzige, die mir Kräfte gab, alle Unannehmlichkeiten zu ertragen. Nun ist sie auch vernichtet. Wie schrecklich für mich! ich bin dadurch in die unbeschreiblichste Angst versetzt, um so mehr, da ich auf Deine Anmuthung es niemand mitgetheilt habe, und also eine freundschaftliche Berathung entbehren muß. Unterdessen habe ich diesem Vorschlage nachgedacht, allein je länger ich daran denke, je schwerer scheint mir die Ausführung zu sein. Gesetzt auch, daß ich, so schwach ich bin, diese bedeutende Lebensveränderung ertragen könnte, wie würde wol meine Lage in einem fremden Orte werden? Die Kinder, die ich habe und die ich möglicherweise noch bekommen könnte, sollten mit mir verkannt werden, ich sollte, ohne mein Verschulden, für dasjenige gelten, welches ich nicht war und niemals sein konnte? Nein, Karl, dieser Gedanke ist mir zu schwer, er plagt mich jetzt, allein ihn zur Wirklichkeit zu bringen, würde bald meine Tage enden. Deswegen muß ich die folgenden Worte in Deinem Briefe festhalten und Dich bitten, mir ein Auskommen zu sichern. Allein Du kennst die Welt und deren Veränderungen, was wird aus mir und den Kindern werden, wenn Du stirbst?! O! dieser Gedanke ist tödtend, dieser ist es, welcher meine Gesundheit niederreißt. Eine Unterstützung von der Regierung habe ich kein Recht zu hoffen, und bei dem allen ist es doch nicht meine Schuld, daß ich der Gefahr ausgesetzt bin, unglücklich zu werden, ja daß ich es schon bin. O Gott! Karl, ich mag Dir nicht sagen, in welcher besondern Stimmung ich bin. Möchtest Du mich sehen, möchtest Du Dir denken, was ich fühle, dann wäre alles ganz anders. Könntest Du in meine Seele schauen, dann würdest Du mich gewiß eben so zärtlich, eben so heftig lieben, als in den ersten Tagen! Die Knaben sind gesund.«

Diese Sprache der Natur und des Herzens, die ihren Eindruck auf den Leser nicht verfehlen wird, wenn er auch, gleich uns, von der Persönlichkeit der Schreiberin nichts weiß, scheint den Empfänger ganz kalt gelassen zu haben. Vom Inquirenten deshalb befragt, rechtfertigte er sein Benehmen mit folgenden Vernunftschlüssen:

»Das Schicksal meiner Gattin würde mir nahe gehen, wenn ich daran Schuld wäre; ich habe sie nicht freiwillig verlassen, ich bin auch nicht freiwillig in meiner jetzigen Lage; ich habe mehr für sie gesorgt, als ein Staatsminister für seine Frau und Kinder. – Ich habe ihr indeß nicht bestimmt die äußern Rechte der Frau, wenn sie herkäme, verweigert, sondern ihr nur gesagt, daß ich einen andern Namen führe. Wäre sie herge­kommen, so hätte Angclica hier bleiben, und ich mit ihr (der Frau) weiterreisen können. Angelica war dadurch nicht verlassen, denn sie hatte ein Kind, und war damals gerade schwanger; sie hatte auch Bekannte hier. Uebrigens ist zwischen mir und Angelica von einer solchen Trennung nicht die Rede gewesen; ich hatte meiner Frau geschrieben, nach R.. zu kommen, und alsdann würde das Weitere von mir mit Angelica verabredet sein. Mich von dieser während ihrer Schwangerschaft zu trennen, war zwar, wie gesagt, nie­mals meine Absicht, wenn es aber geschehen, so würde sie es nicht schlimmer gehabt haben, als wenn sie Witwe geworden wäre.«

Deutlicher als in diesem gefühllosen Raisonnement, sagt der Urtheilsfasser, kann die schlechte Gesinnung eines Menschen sich nicht aussprechen. Sein Vater, der während der Untersuchung noch lebte, schrieb einen Brief an ihn, in welchem er ihn dringend ermahnte, zu bekennen. Er las ihn ohne Spur von Rührung und legte ihn mit der Erklä­rung fort: er könne dazu weiter nichts sagen, als daß es der Brief eines 76jährigen, durch das Gerücht gegen ihn eingenommenen Greises wäre.

Frauenverführung, meist unter sentimental-geistreichen Angriffswaffen ausgeführt, spielt in seinem viel bewegten Leben eine Hauptrolle. Er konnte sich für unwider­stehlich halten. Nur ein Theil seiner glücklichen Liebesgeschichten ist in den Acten zur Sprache gekommen, aber aus allen diesen geht eine Herzlosigkeit hervor, und daß die Glut der Leidenschaft mit der berechnenden Absicht nicht allein gepaart, sondern daß letztere in der Regel die vorherrschende war.

Mit einer jungen adeligen Witwe, Julie von L…, hatte er ein Liebesverhältniß ange­sponnen, um den Verkauf eines Gutes auf für ihn vortheilhafte Weise zu erzielen. Als diese Absicht erreicht war, verließ er sie. Zu dieser Geliebten äußerte er einst: »Man kann in der Welt mit Klugheit jeden Zweck erreichen.« Während er mit einer Charlotte G… ein ernsteres Verhältniß anzufangen schien und auf die Betheuerung seiner zärtli­chen Neigung unbedingte Hingebung von ihr forderte, war er im Stande, zur selben Zeit mit einer andern Frau ein Verhältniß anzuknüpfen, welches nichts weniger als platonisch war.

Die beabsichtigte Verbindung mit jener Charlotte zerschlug sich, wie es scheint, zur tiefen Betrübniß des Brautwerbers, der in dem Briefe, in welchem er um ihr Herz und ihre Hand warb, eine vortheilhafte Gefühlsschilderung, wenig mit seinen Handlungen übereinstimmend, entworfen hatte. Sein Freund, der Kriegsrath P…….., tröstete ihn in einem Briefe, welcher zur Schilderung des Essen’schen Charakters einen guten Beitrag liefert: »Zum Trost darf ich Ihnen nichts sagen, da Sie getröstet sind, und glücklicher Weise in Ihrem Innern so reich sind, daß Sie allenfalls der ganzen Welt entbehren könn­ten. Die Vernunft präsidirt bei allen Ihren Leidenschaften und Handlungen; und wenn man erst so weit gekommen ist, ist man geborgen.«

Angesehene, über jeden Verdacht erhabene Männer in Berlin, die Essen als Zeugen für seinen Wandel aufrief, bekundeten zwar einstimmig, »daß sie ihn eines Verbrechens nicht fähig gehalten«; aber der Umgang mit diesen Männern war mehr wissenschaftlich als herzlich. Sie konnten keine umfassende Kenntniß von seinem Charakter haben. Wel­che Macht zu täuschen seine Bildung und sein Geist dem Angeklagten in die Hand gaben, ist aber schon angeführt.

Nur sein intimer Freund, Rathgeber und Vermittler, der Kriegsrath P…….. bemühte sich, mit allem Eifer die gänzliche Unfähigkeit seines Freundes zu einem Verbrechen zu be­weisen. Er trat freiwillig als sein Defensor auf, ohne doch vor den Augen des Richters seinen Zweck zu erreichen. Was wollte das Zeugniß eines für seinen Freund mit enthusiastischer Liebe eingenommenen Mannes gegen so viele Thatsachen beweisen? Hatte er doch selbst in jenem Briefe eingeräumt, welche Macht die ganze Handlungsweise des Angeklagten beherrsche, die des Verstandes, der sich von allen Gefühlsrücksichten emancipirt hatte. Er that nur dar, daß auch er von Essen’s liebenswürdiger Persönlichkeit verführt war. Daß Essen in allen Geschäften des bürgerlichen Lebens mit äußerster Vorsicht handle, ja mit Aengstlichkeit, wenn er darin mit andern verkehrte, bewies nur sein Mistrauen gegen die Menschen, was auf seinen eigenen Charakter Rückschlüsse machen läßt. P…….. wollte auch die weiblichen Charakterzüge in Essen’s ganzem Wesen hervorheben, der Urtheilsfasser deutet aber, ohne sich über die Richtigkeit der Angabe einzulassen, auf die unbestreitbare Thatsache, daß gerade Giftmorde nur zu häufig von Weibern verübt würden.

Der Thatbestand des Verbrechens, Greiner sei durch Arsenikvergiftung ums Leben ge­kommen, war durch die übereinstimmenden Gutachten der Obducenten, Chemiker und der höchsten Medicinalbehörde zu einem hohen Grade von Wahrscheinlichkeit erhoben. Der dringende Verdacht der Thäterschaft ruhte allein auf dem Angeschuldigten. Derselbe war ein Mann, dessen früherer Lebenswandel, unter gleisnerischer Hülle, einen sittlich tief verderbten herzlosen Charakter offenbarte, ein Mann, dessen Maxime, daß mit Klugheit jeder Zweck zu erreichen sei, sich in seinen Handlungen ausgesprochen, und der sich vor den Mitteln nicht scheute, wenn er eine seinem Wohl dienende Absicht zu erreichen suchte. Welches aber waren seine Motive?

Er selbst suchte einen Hauptvertheidigungsgrund darin, daß er nicht einmal die Möglichkeit eines Interesse für ihn in der Vergiftung seines Freundes einsehen wollte. Man wies es ihm nach.

Er war in dringenden Geldverlegenheiten. Er hatte sich verbindlich gemacht, den Verkäufer des von ihm übernommenen Landgutes bis zu einer bestimmten, nahen Frist zu befriedigen. Aber aller Anstrengungen ungeachtet konnte er das Geld nicht auf­treiben.

Ein eigener Brief Essen’s, vom Juli desselben Jahres, bewies, daß er als bestes Mittel zum Zweck eine reiche Heirath ansah. Sein Freund und Vermittler P…….. sollte ihm hel­fen. Von diesem erwartete, er, »daß er mit der ihm gewöhnlichen Thätigkeit und Klug­heit« für den Plan arbeiten werde. P…….. schlug ihm auch verschiedene reiche Partien vor, und Essen unternahm deshalb mehrere Reisen.

Kriegsrath P…….. mußte selbst bekunden, daß Essen seit vier bis fünf Monaten wirklich mit der Absicht umgegangen, sich mit einer reichen Frau zu verbinden. Er selbst, P…….., habe ihm dies gerathen, damit er mit seinen Gütern in Ordnung käme. Er selbst habe sich Mühe gegeben, eine reiche Partie für ihn zu machen. Aber es sei nichts daraus ge­worden.

Der Rendant *****, welcher Greiner’s Leichenbegängniß besorgt, wußte, daß Essen, etwa acht Wochen vor seinem Tode, ihn gefragt: ob es nicht besser wäre, um nicht immer in Geldverlegenheiten zu bleiben und mit seinen Gütern in Ordnung zu kommen, sich mit einer vermögenden Frau zu verbinden, wenn sie auch seiner Neigung nicht ent­spräche.

Auch eine unverheirathete Dame, ein Fräulein von d. l. G….., wurde in Essen’s Ver­trauen in dieser zarten Angelegenheit gezogen. Der Zauberer wußte alle seine Umge­bungen sich dienstbar zu machen. Sie machte ihn ebenfalls darauf aufmerksam, durch eine reiche Partie sich aus seinen Verlegenheiten zu ziehen. Augenblicklich ging er dar­auf ein und bat nur, da es ihm an Gelegenheit fehle, ihm Vorschläge zu machen. Seine künftige Frau brauche nicht schön und auch nicht sehr reich zu sein, nur müsse sie ein Vermögen von 40,000 Thalern besitzen. Ein junges, sehr reiches Mädchen ward ihm auch in Vorschlag gebracht, ohne daß jedoch aus der Sache etwas wurde.

Diese übereinstimmenden Zeugnisse wurden mit der größten Bestimmtheit abgelegt, und sind um so glaubwürdiger, als sie von Essen’s Freunden ausgingen. Anfangs leugne­te er durchaus, blieb auch dabei in der Confrontation mit dem Rendanten, räumte aber endlich im Specialverhör ein, daß ihm von dem Kriegsrath und dem Fräulein einzelne Vorschläge zu Partien gemacht worden.

Hier bleibt eine, indeß leicht zu füllende Lücke in der Beweisführung hinsichts des Mo­tivs. Er wollte eine reiche Heirath machen, um seine ökonomischen Verhältnisse zu ver­bessern; dies ist constatirt. Es ist zwar durch keine Handlung bis zu Greiner’s Tode be­wiesen, daß er um deshalb auch seine Augen auf die Frau desselben warf; aber sie war reich, schön, liebenswürdig und jung, und ihm stand, seiner Meinung nach, nichts im Wege, als ein unbedeutender Ehemann. Der Gedanke baut also sehr leicht diese Brücke, und nicht alle Schlüsse im criminalistischen Beweise haben so feste Fundamente, die hier durch das nachfolgende Benehmen noch fester werden. Die Ehe war glücklich, also konnte nur ein Tod des Mannes sie zur Erreichung seines Zweckes trennen.

Daß er vor diesem Tode nicht die geringste Annäherung an die schöne, junge Frau sich erlaubte, ist kein Gegenbeweis. Die Klugheit gebot ihm gänzliche Zurückhaltung. Ein entgegengesetztes Betragen bei seiner Absicht würde ihn verrathen haben. Aber von den soliden Vermögensumständen der künftigen Witwe war er durch den Rendanten ***** aufs vollständigste unterrichtet. Er wußte sogar, daß ein Capital von 20,000 Thalern fäl­lig war und mit nächstem eingehen mußte.

Ein mögliches Interesse zur That war also da; wenngleich nur ein so außerordentlich kühner Verbrecher, der dem Glücke Gesetze vorzuschreiben sich getraute, einen Wurf darauf wagen konnte.

Wir kommen nun zu der langen Reihe mehr oder minder naher Anzeigen. Zuerst zu denen, welche dieses Motiv wahrscheinlich machen.

Essen hatte jede Annäherung an die junge Frau vermieden, so lange der Mann lebte. Aber kaum, daß er auf dem Todtenbette lag, als er die Zurückhaltung aufgab. Er mußte im Sturmschritt vorwärtsgehen, denn schon zu Neujahr mußte er zahlen. So drängte es ihn, so sicher war er seiner verführerischen Kraft, daß er selbst die Klugheit aus den Augen setzte. Die Witwe ist hier die Hauptzeugin. Wir lassen sie selbst reden:

»Am Mittwoch nach dem 18. November (es war am 22.) fand Essen sich wieder bei mir ein. Auf den Rath meiner Bekannten hatte er mir ein anderes Logis gemiethet, und er erbot sich, was auch in der Folge geschah, mich in Gesellschaft der Rendantin X… in einem Wagen in die neue Wohnung zu führen. Als mehre Bekannte zu mir kamen, sagte er zu mir: Lassen Sie uns in das Schlafzimmer gehen, ich habe mit Ihnen manches allein zu sprechen. Ich that es, und hier unterhielt er mich beinahe eine halbe Stunde; er ver­sicherte mir unter mehren Formen seine Theilnahme, sagte mir Schutz und Beistand zu und eröffnete mir, daß durch X… und von P…….. in meinen Angelegenheiten, ohne seine Zustimmung, nichts geschehen solle, daß er für mein Wohl wirken werde, wenn er auch entfernt von mir sei.

»Er war bereit, nach H… zu reisen, um sich nach den Angelegenheiten meines verstor­benen Mannes zu erkundigen und mit meiner Schwiegermutter das Nöthige zu verabre­den. Er machte mir bemerklich, daß unser Schicksal viel Ähnlichkeit habe, denn er habe eine Frau verloren; auch erzählte er, einst eine reizende Geliebte, nachdem sie eine an­sehnliche Erbschaft gethan, kurz vor seiner Verbindung verloren zu haben. Dies gemein­schaftliche Unglück müsse uns näher zusammenführen. Er bat mich, ihn als meinen Bruder anzunehmen, indem ich hier ohne Schutz und Beistand wäre, denn er wolle sich bemühen, mir meine Leiden vergessen zu machen, und mir zu ersetzen, was ich verlo­ren. Er stellte mir vor, daß er und ich, wir beide, unabhängig wären, daß er gegenwärtig nach seinen Gütern reisen müßte, alsdann aber nach H… gehen und prüfen wolle, welche Lage für mich die bessere sei. Er stellte mir seine Adresse zu, damit ich, wenn es nöthig, an ihn schreiben könnte, auch gab er mir zwei Briefconcepte an X… und P…….., die ich nach seinem Rath abgefertigt habe (sie enthielten die Bitte um Besorgung der Ange­legenheiten der Witwe).

»Kurz, er stellte sich so, als ob er sich für mich hingeben wolle; noch einige male be­rührte er dabei das Verhältnis des Bruders zur Schwester und küßte am Ende meinen Mund. Ich war nur für die Trauer gestimmt, und er verwies mir daher den Mangel der Erwiderung jenes Kusses mit den Worten: Das war kein Schwesterkuß!

»Hierauf sprach er noch viel über mein künftiges Benehmen, äußerte, wenn es mir recht wäre, mich nicht so oft besuchen zu wollen, denn die Welt hier sei sehr leicht und man müsse sich ihrem Urtheil nicht aussetzen. Ja, er warnte mich sogar gewissermaßen vor einem genauen Umgang mit X… und P…….. Ich erwiderte ihm, um den Ueberfluß seines Rathes anzudeuten, daß mein Mann über den Umgang mit Menschen öfters mit mir gesprochen habe. Denn ich muß aufrichtig gestehen, seine Zudringlichkeit war mir sehr lästig, und ich ärgerte mich über seine Indelicatesse, da er durchaus nicht die Gefühle re­spectirte, die mich noch jetzt mit so vielem Recht erfüllen.

»Wir gingen nun zur Gesellschaft zurück und fuhren dann in einem Wagen gemein­schaftlich, das Quartier zu sehen, welches ich jetzt bewohne. Bei unserer Rückkehr führte er mich auf mein Zimmer (X… und P…….. blieben im Wagen zurück), und beim Abschiede küßte er mir Hand und Mund.

»Dies Betragen war mir unangenehm, und ich gab daher dem Hauptmann von S…, wel­cher diesen Mittag bei mir speiste, den Auftrag, ihm die Auslage für den Wagen zu erstatten, was er aber nicht hat annehmen wollen.

»Er besuchte mich hierauf nicht früher als am Freitage, wo er Gesellschaft bei mir fand, uninteressante Gespräche führte und nach einer Viertelstunde wieder wegging.

»Sein nächster Besuch geschah am Sonntage den 26. November Morgens 10 Uhr; er blieb eine halbe Stunde bei mir allein, bis P…….. sehr eilig kam, ihm etwas ins Ohr flüsterte und ihn abrief. Er verließ uns auf der Stelle. P…….. blieb noch eine Weile, ohne mir den Inhalt seiner heimlichen Unterhaltung zu eröffnen.

»Bei diesem Besuch sprach er wieder sehr viel von der Aehnlichkeit unserer Schicksale, schilderte mir, wie schwer es ihm falle, von hier zu gehen, ohne sich über die Ursache deutlicher auszudrücken. Er erzählte mir manche Details aus seinem Leben und von der Einrichtung seiner Güter. Da wir indeß durch P…….. unterbrochen wurden, so habe ich diesmal keine weitern Zudringlichkeiten erfahren, als daß er mir zweimal einen Kuß aufgedrungen hat, eine Handlung, die so sehr mit seinem frühern ganz entfernten Verhältniß zu mir und zu meinem verstorbenen Manne contrastirte, daß ich nicht be­greifen kann, wie er dazu gekommen ist.

»An dem nämlichen Sonntage, den 26., war ich zu Abend bei X… in einer Gesellschaft von sieben Personen, unter denen Essen ebenfalls war. Er saß bei Tische neben mir, ich kann indeß nur einen Umstand anführen, der in seinem Benehmen mir auffiel. So oft ich ihm nämlich einen Teller reichte, wußte er auf eine unmerkliche Art durch einen leisen Druck seines Fingers meine Hand zu berühren. Dies war für mich empörend und vermehrte meine schon frühere Abneigung gegen ihn. An diesem Abend ward in der Gesellschaft gelesen. Essen erbot sich, auf den Fall seiner Abreise mir Lectüre und Mu­sikalien zu verschaffen, und schon früher bei dem Gespräch unter vier Augen, auf meinem Schlafzimmer, hatte er mir Unterricht in der Musik empfohlen und eines schö­nen Instrumentes erwähnt, das er besitze. Auch nannte er mich, von meiner Liebe zum Landleben unterrichtet, einmal kleine Landwirthin und suchte sehr oft geltend zu ma­chen, daß er Gutsbesitzer in M… sei.«

Essen hatte alles dies geleugnet. Bei der Confrontation mit der Witwe betrug er sich mit unerhörter Frechheit. Als sie ihre Aussage auf das bestimmteste in seiner Gegenwart wiederholt hatte, sagte er spöttisch: »Ich habe viele Mädchen geküßt, und es kann sein, daß ich auch der Witwe ein paar Küsse gegeben habe.« Er mußte endlich einräumen, daß er mit ihr in ein besonderes Zimmer gegangen und sich zu den angegebenen Dienst­leistungen und Reisen für sie erboten habe. Er pochte darauf, daß man ihn für einen Mann von Ueberlegung und Gewandtheit halte; würde ein solcher so gehandelt haben? Er habe nie Absichten auf die Witwe gehabt; was er gethan, sei zu ihrer Beruhigung geschehen, denn sie sei in solcher Stimmung gewesen, daß er für ihre Gesundheit bange geworden.

Alles, was die Witwe gesagt, ward durch andere Zeugen, den Kriegsrath P……… den Rendanten ***** und den Hauptmann von S… bestätigt. Sie alle hatten die außerordent­liche Aufmerksamkeit bemerkt, mit welcher der Angeschuldigte sie in der Gesellschaft behandelte. Schon damals, wenige Tage nach dem Tode ihres Mannes, hatte die Witwe zum Hauptmann geäußert: Essen wäre ihr äußerst zuwider. Sie wisse nicht, wie er zu der Aufdringlichkeit komme, da sie doch nie so nahe zu einander gestanden.

Essen will alles nur aus Mitleid gethan haben. Aus bloßem Mitleid ird ein so welterfah­rener Mann zu Tröstungen in der Art niemals schreiten. Mit seiner Weltklugheit harmonirte ein solches Betragen freilich ebenso wenig; aber er hatte über die Weiber so vielfache Erfahrungen gemacht, er mochte die Witwe für ein gewöhnliches Weib halte, daß er gerade durch die unverschämteste Unverschämtheit zu siegen hoffte. Liebe und Leidenschaft waren es nicht; diese hätten sich früher und jetzt in anderer Art verrathen. Man kann daher vernünftigerweise dieses auffallende, allen Anstand verletzende Be­tragen nur durch die Absicht einer Eroberung erklären, welche zu einer baldigen Heirath führen müßte. Selbst sein Vertheidiger, der Kriegsrath P………, hatte diese Absicht nicht bezweifelt und ihn nur mit der Dringlichkeit seiner vorhabenden Reise entschuldigt.

Man kann daher auch das Motiv zur That als dargethan annehmen, da bei so dringendem Verdacht kein Gegenbeweis geführt und eigentlich nicht einmal versucht ist.

Ein nächstes Indicium ist die Einladung zum Frühstück. Schon Tages vorher hatte er ein besonderes Zimmer deshalb bestellt. Weshalb das zum Zusammentreffen zweier Freunde zu einem Frühstück, das in einem Glase Rum, einem Beefsteak und in einer Flasche Rothwein bestand? Selbst der Aal à la Tartare ward erst nachher bestellt.

Essen’s Vertheidigung ging darauf hinaus, glauben zu machen, daß Greiner und er laut Verabredung sich bei Dallach getroffen. Aber die Witwe gab auf das Bestimmteste dar­über Auskunft, daß ihr verstorbener Gatte von jenem eingeladen gewesen. Er war sehr verdrüßlich darüber, weil ein solches Frühstück seine Diät für den ganzen Tag störe, und dann, weil er sich vor dem ihm mitzutheilenden Geheimniß fürchtete, welches er schon in voraus kenne: »Er hat kein Geld, und will Geld von mir haben.« Zum Professor Grapengießer hatte Essen eingeräumt, daß er seinen Freund zum Frühstück eingeladen, und endlich bekundeten Madame Dallach und der Tafeldecker, daß Essen die Rechnung allein bezahlt und dabei so eilig gewesen wäre, daß er mehre zuviel gezahlte Groschen nicht mehr zurücknehmen wollen.

Essen krümmte und wand sich, diese von ihm ausgegangene Einladung wegzuschaffen. Er erfand ganz unhaltbare Gründe, weshalb er an den Tagen vorher seinen Freund nicht sprechen können. Er suchte es wahrscheinlich zu machen, daß dieser vor seiner Frau die besprochene Zusammenkunft bei Dallach gern in anderem Lichte, als sie wirklich war, habe erscheinen lassen wollen. So erfand er: Greiner habe die Einladung der Frau nur vorgespiegelt, weil die Frau schon einmal eine bedeutende Rechnung von Dallach für ihn habe bezahlen müssen. Er habe also eine Gardinenpredigt wegen des sogenannten »Umherkneipens« vermeiden wollen. Aber einestheils ist der Umstand nicht ermittelt; andererseits steht fest, daß Greiner seit seiner Verheirathung sein einziges Glück im Um­gang mit seiner Gattin fand. Endlich wußte er kein anderes Geheimniß anzugeben, wel­ches er ihm hätte mittheilen können, als daß er sich bei Greiner erkundigen wollen, ob ein Commissionair so und so viel Honorar für Vollbringung eines Geldgeschäftes bil­ligerweise fordern dürfe? Um solcher Erkundigung willen pflegt man einen Freund nicht außer der Ordnung zum Frühstück in eine öffentliche Restauration einzuladen und dazu am Tage vorher ein besonderes Zimmer zu bestellen. Uebrigens erklärte der Angeschul­digte selbst, daß sie beide während des Frühstücks nicht davon, sondern über gleichgül­tige, scherzhafte Dinge gesprochen hätten.

Die Einladung muß als erwiesen angenommen werden und erscheint unter den angege­benen Umständen als ein sehr verdächtigendes Indicium. Wir gehen zum zweiten über.

Schon aus der obigen Geschichtserzählung wissen wir, was Essen gethan, um die Aus­mittelung der That zu verhindern. Er rieth zuerst ab, einen Arzt zu rufen, er wollte, daß man dem Kranken nicht Thee, fondern kaltes Wasser verabreiche, er machte dem Arzt einen Krankenbericht, der ihn irre führte, er rieth der Gattin, die Ringe vom Finger zu streifen, wahrscheinlich weil der Arsenik das Gold belegt hätte. Als von der Leichenöff­nung die Rede war, versicherte er dem Hauptmann von S…, »die Witwe würde das nicht gestatten, da alle Kennzeichen des Todes am Leichnam vorhanden wären«. Zum Obermedicinalrath Welper sagte er, ehe dieser die Leiche in Augenschein nahm, die Fäulniß habe schon überhand genommen, und suchte ihn zu bestimmen, ein Attest aus­zustellen, daß jede weitere Untersuchung unterbleibe.

Denselben Versuch machte er am Abende des 19. gegen den Criminalrath Friedet. Als dieser keine Fäulniß wahrnahm, verwunderte er sich doch sehr, warum man zur Obduc­tion schreiten wolle, da es der Witwe sehr unangenehm sein würde und der Verstorbene selbst gewünscht habe, schnell beerdigt zu werden.

Welches Interesse konnte er, der mit der Familie nur ganz allgemein befreundete Mann, dabei haben, eine ärztliche genaue Ermittelung zu hintertreiben und zwar so dringend in so verschiedenen Momenten und Handlungen? Wenn er, der in der Arzneikunde nicht Unbewanderte, während der Untersuchung dabei blieb, die Krankheit für einen Cholera­anfall gehalten zu haben, so mußte er die ärztliche Hülfe zu beschleunigen suchen. Zwar kannte man damals in Europa das furchtbare Gespenst der asiatischen Cholera noch nicht, allein auch die sporadische Cholera galt für eine sehr gefährliche, schnelle Hülfe erfordernde Krankheit.

Auch verdächtigte er sich in dieser Beziehung durch Widersprüche. Nachdem er gegen den Criminalrath Friedel am Tage nach dem Tode behauptet, daß er an der Leiche einen unerträglichen Verwesungsgeruch wahrgenommen, dies aber sich als falsch erwiesen, behauptete er im Specialverhör, daß die Leiche noch 14 bis 16 Stunden nach dem Ab­leben ohne Spur einer Verwesung gewesen. Den Widerspruch suchte er durch eine neue wissenschaftliche Spitzfindigkeit zu rechtfertigen. Man müsse einen Todtengeruch und einen Verwesungsgeruch unterscheiden. Von jenem allein habe er damals gegen den Criminalrath und den Chemiker gesprochen. Er trete bei manchen Krankheiten schon vor dem Tode ein, zeige aber den baldigen Eintritt der Verwesung an. Daher sein Dringen auf baldige Beerdigung. Es sei möglich, daß beide Männer der Wissenschaft sich der Sache nicht genau erinnerten, da man sie aus dem Vergnügen einer Abendge­sellschaft abgerufen habe. Aber beide Männer versicherten dem Angeschuldigten ins Gesicht, sie erinnerten sich sehr wohl, was Essen ihnen damals gesagt, und daß er von keinem Todtengeruch, sondern von dem der Verwesung gesprochen.

Hatte er sich unschuldig gefühlt, weshalb dieses ängstliche Dringen, die Obduction zu hintertreiben? Einem ganz unbetheiligten Manne konnte es gleichgültig sein, wenn er sich nicht etwa als Bürger des Staates selbst gedrungen fühlte, zur Ermittelung der Wahrheit sie zu betreiben. In Essen’s ganz besonderer Lage mußte er sie aber zur Rettung seiner eigenen Unschuld wünschen. Auf ihm, nach der einsamen Früh­stücksscene, lastete ein Verdacht, welcher auch durch einen ganz reinen Charakter nicht ausgeschlossen blieb. Niemand mehr, als ihm, mußte daran liegen, daß die volle Wahr­heit an den Tag kam. Noch wird ihm als Schuldbewußtsein angerechnet, daß er spät Abends am 19. November zum Geheimenstaatsrath St…… und einem andern ging, um sie vom Vorfall zu unterrichten. Ein Unbefangener würde dem dazu angewiesenen Com­missarius, dem erwähnten Criminalrath, was er wußte, mitgetheilt und allem Uebrigen seinen Gang gelassen haben. Die Dringlichkeit dieser Anzeige läßt sich ohne genauere Kenntniß der damaligen gesellschaftlichen Verhältnisse nicht beurtheilen. Der Urtheils­fasser legte Gewicht darauf.

Auch sein Betragen im allgemeinen nach dem Tode des Freundes wurde als gegen ihn sprechend angenommen. Er verrieth nicht die mindeste Theilnahme, er konnte an Greiner’s Qualenlager Anekdoten über Anekdoten erzählen. Als ihm der Bediente des Verstorbenen die Nachricht von dessen wirklich erfolgtem Tode hinterbrachte, ward er dagegen so erschüttert, daß er einen Schnaps trinken und vom Bedienten geführt werden mußte.

Essen war es, der, gegen das Urtheil der Sachverständigen, die Unmöglichkeit einer stattgefundenen Vergiftung behauptete. Was ging das ihn an, könnte man fragen? Aber ein gewisser Verdacht haftete auf ihm durch die Ungunst der Umstände. Er konnte ein Interesse haben, auch im Gefühl seiner Schuldlosigkeit diesen Weg der Rechtfertigung einzuschlagen. Allein auch in ihm blieb er sich nicht treu.

Dienstag am 21. November hatte er, nach der Obduction, gegen die Chemiker jene An­sicht behauptet, daß keine Arsenikvergiftung vorliege. Drei Tage später, Freitag am 24., hatte er, wie nachher ermittelt wurde, gegen den Apotheker und Medicinalassessor Flitt­ner die Meinung geäußert: Greiner werde sich selbst das Leben genommen haben, weil er in seinen Finanzen derangirt sei, Dienstexcesse begangen, weil er die Cassation vor­ausgesehen habe. Auch gegen ein Major äußerte er, Sonntag am 26. etwas, was darauf deutete, daß er an einen Selbstmord glaube. Als der Major diese Ansicht zu widerlegen versuchte und Greiner’s bekannten, lebensfrohen Charakter, seine glücklichen Verhält­nisse hervorhob, schien Essen mit Vergnügen diese Argumente anzuhören, die ihm das theure Andenken eines Freundes wieder herstellten. Aber er hielt doch den angeknüpf­ten Faden fest, sprach viel von animalischem und organischem Leben und von der plötz­lichen Entstehung eines Gedankens an Selbstmord. Augenscheinlich war die Absicht, der Vorstellung an einen Selbstmord allgemeinen Glauben zu verschaffen. Ein Gläubiger des Verstorbenen hatte von diesem ein Billet erhalten, in welchem er ihn zu einem Be­such auf den 19. November aufforderte. Wahrscheinlich in jener Absicht hatte Essen jenen Gläubiger gebeten, das Billet zu seiner Legitimation ja aufzubewahren. 

Wie kam Essen zu diesen Widersprüchen in seiner eigenen Ansicht? Die Vermuthung lag sehr nahe.

So lange er hoffte, die Obduction verhindern zu können, behauptete er, der Tobte sei an einem Schlagfluß oder an einem Choleraanfall gestorben. Als die Obduction erfolgt und die höchste Wahrscheinlichkeit ausgesprochen war, daß Greiner den Vergiftungstod gestorben sei, mußte ihm alles darauf ankommen, die Schuld des Todes dem Verstor­benen selbst aufzubürden. Zwar war damals der Arsenik nicht gefunden, aber die che­mische Analyse des Mageninhaltes auch noch nicht vorgenommen; bei seinen Kennt­nissen in der gerichtlichen Arzneikunde mußte er befürchten, daß bei derselben einige Bestandtheile des Arseniks gefunden werden könnten. Er arbeitete also durch Erzeu­gung eines Gerüchtes vor. Gaben erst Freunde und Verwandte des Verstorbenen der Muthmaßnng Raum, daß er sich selbst vergiftet haben könne, so war für ihn halb ge­wonnen Spiel, wenn das Gift selbst entdeckt wurde. Leicht konnte er sich für diesen Fall wegen seiner früheren Choleraannahme damit entschuldigen, daß er Witwe und Freunde nicht habe beunruhigen wollen. Einen Selbstmord unter der Firma eines Nervenschlages zu verbergen gilt unter Bekannten und Freunden einer Familie für keine moralische Ver­sündigung.

Aber bei der Analyse des Magens ward kein Arsenik gefunden. Was war natürlicher, als daß Essen nun auf seine frühere Angabe zurückkam? Er freute sich von ganzer Seele, daß das Andenken seines Freundes von dem Verdachte eines Selbstmordes gerettet war, und bemächtigte sich wieder seiner früheren Vermuthung, der Cholera. Ja er wurde so innig davon überzeugt, daß er nun demselben Arzte, der leider zu willfährig sein Ohr dem ersten falschen Krankenberichte des Angeschuldigten geliehen, den Vorwurf mach­te, er habe den armen Freund unrichtig behandelt. Schon damals habe er die angege­benen Mittel als zweckdienlich bezweifelt, diese Zweifel aber nur aus Bescheidenheit verschwiegen! Welcher Laie hätte da geschwiegen, wo es sich um Tod und Leben handelte; aber Essen war kein Laie in dieser Wissenschaft; um so dringender seine Ver­pflichtungen, zu sprechen. Es war seine Praxis, alle Zeugen, welche mit ihm nicht übereinstimmten, auch wenn er mit ihnen befreundet oder ihnen Dank schuldig war, zu verdächtigen, als zweideutig, unzuverlässig, oft auch ihren Charakter anzugreifen.

Jene Schlußfolge erscheint als Beantwortung der obigen Frage, wie Essen zu den Widersprüchen gekommen, sehr bündig. Dagegen dürften die angeführten Momente sei­nes persönlichen, theilnahmlosen Betragens nur sehr zweifelhafte, wenn überhaupt Indi­cien abgeben, und nur im Zusammenhange mit den anderen scheint es gerechtfertigt, wenn man beim Anfang der Untersuchung darauf Gewicht legte. Ein Verbrecher mag sein Schuldbewußtsein unter einer scherzhaften Maske verbergen; ebenso möglich ist es aber auch, das ein ganz Unschuldiger in einer solchen Lage scherzt, um die Sorge der Bekümmerten hinwegzuscherzen, oder weil er selbst nicht an die Bedeutung des Augen­blickes glaubt. Die meisten Zeugen versicherten, Essen habe keine wahre Theilnahme verrathen. Dies mag sich so verhalten haben; ohne bestimmt angegebene Züge ist es aber mehr ein Urtheil als eine bezeugte Thatsache, wobei – in einem wichtigen Crimi­nalfall – zuvörderst die eigene Wahrnehmungs- und Urteilsfähigkeit der Zeugen und demnächst geprüft werden müßte, ob sie nicht schon mit Voreingenommenheit beobach­teten. Bei Abfassung des Urtheils ward indessen dieser Gleichmuth in Essen’s Betragen, als erkünstelt und berechnet, mit als Anzeige gegen ihn hervorgehoben.

Man legte so viel Gewicht auf dieses theilnahmlose Betragen, daß Essen den Gegenbe­weis in seltsamer Weise zu führen sich erbot. Er war am Abende des Sterbetages (doch wahrscheinlich ehe er die Todesnachricht erhielt) im Theater gewesen und hatte später dem Inquirenten den Inhalt der Vorstellung umständlich kritisch erzählt. Dies sollte sei­ne Gewissensruhe an dem Abende beweisen. Dagegen ward angeführt, daß er Stück und Darstellung schon aus einer früheren Aufführung kannte, daß damit also nicht erwiesen sei, daß er auch an diesem Abende besonders aufmerksam gewesen. Uebrigens könne ein Mann von seiner Verstandeskraft und Verderbtheit eine solche Macht leicht über sich selbst üben, besonders einer, der menschliche Gefühle längst nicht mehr zu kennen scheine. Essen’s Gegenbeweis ist in unsern Augen allerdings kein Beweis gegen eine Annahme, welche uns heute selbst, ohne nähere Vermittelungsglieder, eine schwankende erscheint.

Das Hauptindicium, dasjenige, welches den mangelhaften Beweis des corpus delicti ersetzen sollte, war der Besitz von Arsenik. Als der wichtigsten Anzeige müssen wir ihr volle Aufmerksamkeit schenken.

Erst acht Tage nach Greiner’s Tode, Sonntag am 26. November, war dem Gerichte ange­zeigt worden: daß Herr von Essen einige Tage vor dem Todesfalle aus der Apotheke des Dr. Flittner, angeblich zur Vertilgung der Ratten und Mäuse, weißen Arsenik erhalten; daß er nach dem Tode die Flasche entsiegelt zurückgegeben und dagegen eine andere frisch gesiegelte Büchse mit Arsenik eingetauscht habe.

Auf diese Anzeige war die Verhaftung erfolgt und die Thatsache selbst ward mit der äußersten Sorgfalt bis in alle ihre Einzelheiten untersucht.

Essen konnte, daß er Arsenik gekauft und besessen, nicht in Abrede stellen, aber er leugnete, begreiflicherweise, dasselbe zu einem verbrecherischen Zwecke sich ange­schafft zu haben, und suchte die Thatsache des Ankaufes selbst und der Zeit, in der sie erfolgt, zu verwirren und zu vermischen, um die ihm verderblichen Folgerungen abzu­wenden.

Auf seinen Gütern im Sächsischen waren außerordentlich viel Wasserratten und Mäuse, wie diese auf dem Lafarge’schen Gute und überall da sich eingefunden haben, wo Gift­morde vorgefallen sind. Hierin konnte der geistreiche Herr von Essen keine neue Aus­kunft entdecken. Sie thaten ihm außerordentlichen Schaden. Seinem Schreiber, den er in die Apotheke der nächsten Stadt geschickt, um Arsenik zu kaufen, wurde dort keiner verabfolgt. Essen mußte deshalb den Ankauf verschieben, bis er nach Berlin kam (!). Dies geschah im September 1809, also etwa zwei Monate vor dem Tode Greiner’s. Hier sprach er mit seinem Freunde, dem Apotheker Dr. Flittner, über seine Calamität, und beide wurden darin einig, daß Arsenik für Mäuse und Ratten besser wäre als sublimirter Mercur. Sonntag, am 19. November (also der Tag nach Greiner’s Tode!) holte hierauf Herr von Essen selbst aus der Apotheke den Arsenik; seine Worte: »wie ich ganz bestimmt behaupten kann.« Der Anlaß zum Kauf waren diesmal nicht die Mäuse und Ratten, sondern der Frost in den Füßen seiner Wirthin und deren Kinder. Sie hatten ihn um Mittel dagegen gefragt, er ihnen Opodeldoc angerathen, da derselbe aber nicht angeschlagen, sich entschlossen, zum Dr. Flittner zu gehen, um mit diesem über die erfrorenen Füße seiner Wirthin und Wirthstochter zu sprechen. Deshalb war Herr von Essen, Sonntag am 19. November (am Tage nach dem erschütternden Tode seines Freundes) beim Apotheker Flittner. Der Provisor rieth ihm zum Schnee, auch zu einem Pflaster von Wachs und Oel. Er kaufte davon für ein Paar Groschen und bei der Gelegenheit erinnerte er sich auch seiner Ratten und des Giftes. Der Provisor hatte die Erlaubniß von seinem Herrn erhalten, dasselbe an Essen zu überantworten, und brachte ihm eine versiegelte Büchse, für die jener sofort vier gute Groschen zahlte. Außerdem nahm Herr von Essen noch zwei Loth Bleizucker, den er als reagens bei einer chemischen Prüfung der Erdarten auf seinem Gute benutzen wollte. Ueber den Empfang mußte er einen Revers ausstellen. Aber da er sein Petschaft nicht bei sich hatte, wurde dieser Revers von ihm zu Hause ausgestellt.

Am folgenden Tage, am Montage (20. November) Morgens, erfuhr er, bei seiner Verneh­mung durch den Criminalrath Friedel, daß man eine Arsenikvergiftung muthmaße. Auf Essen’s deshalb an den Rath gerichtete Frage, bemerkte dieser, daß er von Berlin fortge­hen könne; er entschloß sich aber dennoch zu bleiben, weil er mit Greiner, wenige Stunden vor dessen Tobe, gespeist hatte, und man daher seine schleunige Abreise sonderbar finden könne. (Seine eigenen Worte.) Zwar war seine Anwesenheit auf den Gütern nothwendig, sie hätte jedoch, wegen seiner vorliegenden Geldgeschäfte in Berlin, nur von kurzer Dauer sein können, und da ihm demnach zur Vertilgung der Ratten und Mäuse wenig Zeit übrig geblieben wäre, entschloß er sich, das Gift an Flittner wieder zurückzuliefern, um der peinlichen Nothwendigkeit überhoben zu sein, es in Berlin oder auf seinen Gütern aufbewahren zu müssen. Flittner erhielt daher beide Büchsen ungeöffnet zurück, mit der Bitte, sie nachzuwiegen und aufzubewahren, bis er einmal auf längere Zeit nach seinen Gütern reisen werde.

So Essen’s eigene Angabe über seinen verdächtigen Giftankauf und Besitz. Wie ge­schraubt auch diese Erklärung schon an und für sich erscheint, wurde ihre Wahrheit durch die anderweitigen Depositionen der in der Flittner’schen Apotheke beschäftigten Personen doch noch weit mehr beeinträchtigt, wie wir weiter unten sehen werden, aber auch schon durch Ermittelungen und Schlußfolgen, welche aus seinen eigenen Aus­lassungen gezogen werden konnten.

Allerdings sprach für seine Angabe der von ihm ausgestellte Empfangsschein über das Gift, der zu den Acten geliefert wurde. Er trug das Datum des 19. Novembers. Aber dar­unter war von der Hand des Provisors notirt: »Eigentlich den 15. oder 14. (November) geholt.« Es ward sogar ermittelt, daß der Provisor der Flittner’schen Apotheke am 19. November gar nicht in derselben gegenwärtig gewesen.

Essen selbst mußte es endlich, nach vielem Hin- und Hersprechen deshalb, als möglich zugeben, daß er den Arsenik nicht gerade am 19. erhalten. Aber nun stellte er als andere Möglichkeit auf, daß er das Gift vielleicht erst am 20. November (Montags) geholt, und daß er bei Ausstellung des Reverses einen Schreibfehler begangen.

Aber auch diese Möglichkeit, daß er nämlich am 20. November das Gift geholt, ward positiv durch seine eigenen Einräumungen im Specialverhör ihm abgeschnitten. Montag, am 20. November, war er nämlich Morgens von 8 bis 11 Uhr in der Wohnung des Crimi­nalrathes Friedet, dann kleidete er sich an und ging in Greiner’s Wohnung, um dem Lei­chenbegängniß seines Freundes beizuwohnen. Darauf besuchte er zu Mittag in Gesell­schaft des Rendanten ***** und des Hauptmanns von S… den berliner Schachklub und kehrte Nachmittags zur Witwe zurück, wo er den Auftrag erhielt, oder zu demselben sich erbot, ihr ein anderes Quartier zu suchen.

Montag, am 20. November, konnte er also nicht in der Flittner’schen Apotheke gewesen sein, denn er hatte ausdrücklich versichert, daß er auch nicht am frühen Morgen, ehe er zum Criminalrath ging, dahin gekommen sei. (Wie dies mit der Wahrheit stimmt, davon unten.)

Nun aber existirt ein Dienstag am 21. November geschriebener Brief von Essen’s Hand und von ihm recognoscirt, gerichtet an den Dr. Flittner, laut welchem er die Sonntag am 19. November empfangenen versiegelten Büchsen zurückgibt. Am 21. November also gibt er den Arsenik zurück, den er früher empfangen. Da er ihn weder am 20., noch am 19., nach den obigen Anführungen, empfangen haben kann, muß er ihn aller Wahr­scheinlichkeit nach vor dem Tode Greiner’s aus der Apotheke geholt haben. Denn, selbst angenommen, daß es erst am 18. November geschehen, so ist nicht denkbar, daß er nach dem schrecklichen Vorfall bei Dallach’s oder in Greiner’s Hause gleich in die Apotheke gegangen, sondern man könnte nur als möglich zulassen, daß es am Vormittage ge­schehen sei, ehe er in der Restauration den Freund, sein Opfer, erwartete.

Hinsichts der Zeit war Essen’s Angabe also schon hiernach falsch. Er hatte den Arsenik schon vor dem Tode gekauft und in seinem Besitz. Nicht minder zweifelhaft erscheint sie hinsichts des von ihm vorgegebenen Motivs. Ein darüber eidlich vernommener Zeuge, der damalige Mitbesitzer seiner Güter, hatte nur im Allgemeinen gehört, daß dort Ratten und Mäuse existirten, seine Tochter, welche sechs Monate dort die Wirtschaft ge­führt, hatte keines dieser Thiere gesehen. Der Schreiber bekundete zwar, es seien dort viele Mäuse und Ratten, aber Herr von Essen habe den Gebrauch des Arseniks nicht gestattet, weil er dabei zu bange gewesen. Demnach habe er ihm auch nie den Auftrag gegeben, Arsenik zu kaufen und kein Apotheker ihm etwas verweigern können, um was er nicht gebeten. Ein Unterschreiber auf dem Gute bestätigte diese Aussage; namentlich, daß der gnädige Herr sehr ängstlich wegen des Gebrauches des Giftes gewesen. – Wenn nun auch Essen mittlerweile seine Scheu gegen den Gebrauch des Arseniks überwunden haben sollte, weshalb sollte er nach Berlin reisen und dort ihn kaufen, da nach Aussage aller Zeugen dieses Gift auch an Ort und Stelle gegen einen Schein der Gutsherrschaft verabfolgt wurde?

Im Specialverhör setzte Essen den Tag, an welchem er den Arsenik zurückgeliefert, be­stimmt auf den 22. November, während er früher den 21. genannt. Auf diesen und die vielen andern Widersprüche, in die er sich verwickelte, und welche dem erkennenden Richter als ein neues Wahrzeichen seines ränkevollen Geistes galten, kommt es hier um so weniger an, als die positiven Zeugnisse seine auf Stelzen gehenden Angaben völlig über den Haufen stießen.

Der Dr. Flittner bekundete: Schon am Montag (13. November) vor Greiner’s Tode hatte Essen mit ihm ein angeblich wissenschaftliches Gespräch, in welchem jener sich von ihm über die Auflösung des weißen Arseniks unterrichten ließ.

Dienstag am 14. sah er, daß Essen sich von seinem Provisor eine Kruke weißen Arsenik geben ließ und dafür vier gute Groschen zahlte. Gegen seine Gewohnheit; denn er nahm alle Waaren sonst auf Rechnung.

Sonnabend (am 18. November) Morgens, am Sterbetage Greiner’s, besuchte Flittner Herrn von Essen, um mit ihm über den Entwurf eines Pachtcontractes zu sprechen. Ganz gegen die Regel empfing ihn Essen nicht in seinem Zimmer, sondern in der unge­heizten Entrée. Es war ein kalter Wintertag.

Montag (am 20. November) noch vor Tageslicht, etwa nach 7 Uhr, kam Essen zum Dr. Flittner in dessen Apotheke und übergab ihm, unter vier Augen, die am 14. November empfangene Büchse, entsiegelt und angebrochen, und erhielt dagegen, auf sein Verlangen, eine andere versiegelte Büchse ähnlichen Inhaltes. In der angebrochenen abgelieferten Büchse fehlten fünf Drachmen Arsenik. (Diese Entdeckung machte Flitt­ner jedoch erst Sonnabend am 25. November.)

Als Grund der Umwechselung gab er an: Greiner sei plötzlich gestorben; er habe Um­gang mit ihm gehabt; der Leichnam solle obducirt werden, daher könnten für ihn Un­annehmlichkeiten entstehen. Er müsse eine Reise unternehmen. Wenn etwa Nachfrage geschehe, sei es besser, eine verschlossene Arsenikbüchse zu besitzen, als eine unver­siegelte. Er verrieth dabei große Aengstlichkeit. Als Flittner ihn am Abende dieses Tages besuchte, war Essen zerstreut.

Flittner wurde dadurch aufmerksam, er forderte jetzt erst den früher vergessenen Emp­fangsschein. Er erhielt ihn am folgenden Tage, Dienstag am 21., durch den Provisor. Er war ganz richtig, vor Greiner’s Todestage, datirt, aber ohne Siegel. Der Provisor mußte die Siegelung besorgen, und Flittner nahm den ihm durch den Revisor überbrachten Re­vers an, ohne das Datum dabei weiter zu beachten.

Sonnabend, am 25. November, brachte Essen auch die am 20. November eingetauschte Kruke mit Arsenik zurück, und zwar uneröffnet. Er bat, ihm, gemeinschaftlich mit dem Revisor, ein Attest darüber auszustellen: daß er die Büchse uneröffnet und am Gewicht vollkommen richtig, abgeliefert habe, weil Nachfrage stattfinden könne und der Stadt­physicus sehr activ und taktfest sei. Seine Bitte hatte er zugleich schriftlich aufgesetzt. Dieses, zu den Acten gekommene Billet war das vom 21. November datirte.

Flittner erscheint als nahe mit Essen befreundet. Seine Unruhe stieg, je mehr der Todes­fall ein verdächtiges Ansehen gewann; wahrscheinlich auch dadurch, daß sein Provisor die zurückgegebne Büchse inzwischen nachgewogen hatte, in der an fünf Drachmen fehlten. Er ließ ihn Sonntag am 26. November durch den Kriegsrath P…….. warnen. Essen kam darauf bestürzt zu Flittnern, und erkundigte sich, ob in Greiner’s Sache etwas Näheres bekannt geworden? Er verlangte den erwähnten Schein über die Wiederablieferung des Arseniks. Flittner wich einer bestimmten Antwort aus. Er müsse sich über den geforderten Rückschein auf seine bereits abgesandte, schriftliche Antwort beziehen.

Kaum war Essen nach Hause gekommen, als die Unruhe ihn abermals antrieb, zu Flitt­nern zurückzukehren. Mit übertriebener Aengstlichkeit, unter Umarmungen und Küssen, erkundigte er sich, ob Flittner gegen ihn auftreten wolle? Man müsse doch mit einander berathen, wenn etwa Nachfrage geschehen sollte.

Dieses seltsame Betragen ist schon an und für sich ein stärkeres Indicium seines Schuld­bewußtseins als die Mehrzahl der vorhin angegebenen. Wenn aber hinsichts der ausge­stellten Empfangsscheine und Gegenscheine und der Zeitbestimmung nach einige Dun­kelheiten obzuwalten scheinen, werden sie durch die in allen Stücken mit Flittner’s Angabe übereinstimmende und dieselbe erläuternde Aussage des Provisors erläutert.

Der Provisor bekundete, daß Essen am 13. oder 14. November von ihm die erste Kruke weißen Arsenik erhalten, zugleich 2 Loth Bleizucker, und daß derselbe sofort dafür be­zahlt habe.

Montag am 20. (nachdem Essen jene Kruke dem Principal zurückgegeben) mußte, auf Flittner’s Geheiß, der Provisor eine andere Kruke Arsenik dem Angeschuldigten über­geben. Am 21., Dienstag, ging er in Essen’s Wohnung, um sich von ihm den vergessenen Empfangschein ausstellen zu lassen. Essen erklärte, das sei ganz in der Ordnung; sonst könnte man Unannehmlichkeiten haben. Indem er schrieb, fragte er, an welchem Tage das Gift geholt sei? Der Provisor, der in dem Momente, ohne einen Kalender zur Hand zu haben, sich nicht genau besann, antwortete, es werde am 14. oder 15. gewesen sein. Essen stellte daher den Revers auf den 15. aus.

Der Principal vermißte (wie wir aus seiner Angabe wissen) beim flüchtigen Durchlesen das Siegel. Auf sein Geheiß mußte daher der Provisor auf der Stelle zurück in Essen’s Wohnung, um es ergänzen zu lassen. Essen fragte ihn: »Sagen Sie ’mal, geht es nicht an, daß ich den Giftschein auf ein späteres Datum umschreiben kann?« Der Provisor verneinte es. Essen fuhr fort: »Haben Sie wol von dem Unglück gehört, das sich in diesen Tagen zugetragen hat?« Als der Provisor nichts davon zu wissen behauptete, er­zählte ihm Essen die Geschichte von Greiner’s Tode. Dem Provisor schien diese Sache damals wirklich ganz gleichgültig, und er meinte, daß sie auf den Giftschein keine Be­ziehung habe. »Allerdings, entgegnete Essen, und eben darum wünsche ich den Gift­schein auf ein anderes Datum zu stellen; denn da ich mit Greiner in Gesellschaft ge­wesen bin, könnte ich Unannehmlichkeiten haben. Daher wäre es mir lieb, wenn der Giftschein auf ein Datum geschrieben werden dürfte, der nach dem Tode Greiner’s fie­le.«

Der Provisor erinnerte sich dieser Worte auf das allerbestimmteste. Da er jedoch nicht die geringste Vermuthung hatte, daß Herr von Essen Giftmischerei treibe, so erklärte er, auf ein Paar Tage werde es nicht ankommen, wenn davon die Rede sei, ihm aus einer Verlegenheit zu helfen.

Essen schrieb hierauf den neuen zn den Acten gelieferten Empfangschein, datirt vom 19. November, untersiegelte ihn und übergab ihn dem Provisor. Dafür behielt er den frühern Empfangschein (datirt vom 15. November), der ein ganz anderes Format hatte, an sich.

Sonnabend am 25. wog der Provisor die Montag am 20. entsiegelt zurückgegebene Büchse nach, und entdeckte dabei in Vergleichung mit einer Arsenikkruke desselben Preises das Manco von 5 Drachmen.

Sonntag am 26. erschien Essen wieder in der Apotheke und forderte den Provisor auf, wenn man sich erkundigen sollte, zu bezeugen, daß er den Arsenik am 19. November ge­holt. – Also die Aufforderung zu einem falschen Zeugnisse.

So des Provisors Aussage, wahrscheinlich in sich, und die aufs vollständigste mit der seines Principals zusammenstimmt. Aber sie ward auch noch durch mehre andere Um­stände bekräftigt.

Ein anderer Gehülfe in der Apotheke hatte gesehen, wie der Provisor dem Herrn von Essen eine Unze Bleizucker zuwog; er habe ihm nachher gesagt, daß er dem Herrn auch eine Kruke Arsenik verkauft. Sonntag am 19. sei dies aber nicht geschehen, da an dem Tage er so wenig als der Provisor in der Apotheke gewesen. Derselbe Zeuge wußte, daß Essen Sonntag am 26. zweimal seinen Principal besucht. Essen’s Wirthin wußte, daß der Provisor an einem Tage zweimal zu ihrem Miether gekommen, und als sie ihn gefragt, ob Greiner’s Magen etwa chemisch untersucht werden solle, hatte er geant­wortet: »Ach Sie haben nur immer was mit der Giftgeschichte vor. Nicht deshalb, son­dern wegen eines Pachtanschlags des Flittnerschen Gesundbrunnens war der Provisor hier.«

Gegen alle diese Zeugnisse wußte Essen nicht Anderes von Erheblichkeit vorzubringen, als daß den Aussagen des Apothekers und seines Provisors keine Glaubwürdigkeit zu schenken sei, weil sie, nach ihrer eigenen Angabe, an einem Verbrechen mittel- oder un­mittelbar Theil genommen. So lohnte Essen die Freundesdienste, welche der Dr. Flittner ihm erwiesen und noch während seiner Verhaftung erwies, daß er als Denunciant gegen ihn auftrat und seine Ehre auch noch durch anderweite Angaben, die nicht hierher gehö­ren, zu verunglimpfen suchte. Allerdings hatten der Apotheker und sein Provisor ein Vergehen sich zu Schulden kommen lassen: daß sie nicht auf der Stelle den Empfang­schein abgefordert, daß Flittner am 20. November nicht auf der Stelle die erste, zurück­empfangene Kruke Arsenik nachwiegen ließ, daß er nicht augenblicklich durch ein offi­cielle Anzeige die Entdeckung der That befördert, und daß der Provisor die Abänderung des Datums im ursprünglich ausgestellten Empfangschein nachließ. Alle diese Fahr­lässigkeiten und Unachtsamkeiten aber sind nicht einem verbrecherischen Willen beizu­messen, und wol Vergehen, welche nach der Medicinalordnung, nicht aber Verbrechen, die nach dem Criminalrecht zu strafen wären. Um so weniger aber konnte Flittner’s Zeugniß gegen Essen verdächtig erscheinen, als derselbe erweislich in freundschaftlichen Verhältnissen mit ihm gestanden, als er ihn warnen, zur Flucht anrathen lassen, ja seine Theilnahme für ihn noch durch manche Liebesdienste während der Verhaftung bewährt hatte. Durch dies Motiv wird im Gegentheil die innere Wahrscheinlichkeit dieses Zeugnisses noch mehr gestärkt.

Somit konnte man als zur überzeugendsten Gewißheit dargethan annehmen, daß Essen schon einige Tage vor Greiner’s Tode aus Flittner’s Apotheke eine Büchse Weißen Arsenik gekauft, im Besitz desselben beim Tode gewesen, die Büchse nach dem Tode mit einem Mindergewicht von 5 Drachmen zurückgegeben und dafür eine andere einge­tauscht habe. Zu den dringensten Anzeigen bei einer Vergiftung gehört aber, wenn Gift von gleicher Gattung, als womit die That verübt worden, bei jemand gefunden wird, dem überhaupt die That zuzutrauen ist. Entweder liegt der Verdachtgrund darin, daß der Besitzer des Giftes den unschuldigen Gebrauch nicht nachweisen kann, oder darin, daß er den Besitz abgeleugnet hat. Beide Umstände fanden hier statt. Essen hat den Nach­weis nicht geführt, daß er das Gift für die Ratten und Mäuse auf seinen Gütern ge­brauchte, und zugleich hat er den Besitz des Arseniks wenigstens zur Zeit der That, wenn nicht abgeleugnet, doch in solcher Art und mit solchen Winkelzügen entstellt, daß diese Manövers mehr für sein Schuldbewußtsein und gegen ihn sprechen, als wenn er einfach den Besitz in Abrede gestellt hätte. Aus welchem denkbaren Grund konnte er die angebrochene Kruke Arsenik mit einer unangebrochenen umtauschen, als um den wah­ren Thatbestand zu verwirren und gegen Rückgabe der letzteren einen Gegenschein zu erschleichen, welcher bei einer minder strengen Untersuchung ihm durchgeholfen, in­dem er den Beweis von der Rücklieferung des Arseniks überhaupt abgegeben hätte. Essen konnte nicht erwarten, daß Flittner und sein Provisor sich nachmals so gewissen­haft zeigen würden, daß sie zu ihrem eigenen Schaden die ganze Wahrheit in allen ihren Details eröffneten.

Dieses Indicium beschränkte sich aber nicht allein auf den nachgewiesenen Besitz des Arseniks; auch die Präparation desselben kam zur Entdeckung und verstärkte die Kraft jenes Nachweises. Seine Wirthin und deren Dienstmädchen gaben Nachricht von einer seltsamen Kocherei, welche der Miether in ihrer Küche betrieben, und die ebenfalls Gegenstand der sorgfältigsten Untersuchung wurde.

Am Dienstag oder Mittwoch vor Greiner’s Tode (es ist am 15. oder 16.; also an den Tagen nach dem ersten Arsenikankauf) kam Essen, was sonst nie geschah, zur Magd in die Küche und verlangte einen irdenen Topf, der etwa ein halb Quart messe, weil er von seinen Gütern einen Stein kochen, und dessen Brauchbarkeit prüfen wolle. Die Magd gab ihn, er ging damit in sein Zimmer, kehrte aber bald zurück und verlangte, daß sie ein halb Quart Wasser hineingießen solle. Als dies geschehen, ward das Wasser so weiß­lich, als ob Milch darin gewesen wäre. Sie mußte den Topf ans Feuer setzen. Essen forderte sie auf, ja vorsichtig damit umzugehen. Wenn der Topf überkoche, könne man nicht sehen, ob der Stein brauchbar sei. Sie mußte auch mit einem Spähnchen Holz um­rühren, damit die Flüssigkeit sich nicht zu Boden setze. Diese Kochgeschichte dauerte 2 Stunden, von 4 bis 6 Uhr, während welcher Essen ab und zu in die Küche kam und zu­sah, ob die Magd auch seinen Anweisungen streng nachkomme. Der Topf hatte nicht übergekocht, Essen aber selbst zuweilen das Spähnchen in die Hand genommen und um­gerührt. Das Hölzchen mußte mit ganz besonderer Sorgfalt wahrgenommen werden, da­mit es nicht schmutzig werde. So oft es gebraucht war, ward es deshalb an einen Stein gelegt. Die Magd hatte gleich anfangs beim Rühren nichts Hartes im Topf wahrgenom­men und den Herrn gefragt, wo denn der Stein wäre. Er antwortete: er habe den Stein geschabt; übrigens wäre nur wenig darin, da es ihm nur auf einen Versuch ankomme.

Nach den zwei Stunden war die Flüssigkeit mehr als zur Hälfte eingekocht. Nun be­merkte die Magd unten am Boden etwas Weniges von weißgräulicher Farbe, etwa wie weiße Asche, das sich dort angesetzt hatte. Die Flüssigkeit selbst war so milchähnlich als vorhin geblieben. Der Herr nahm um 6 Uhr den Topf und das Hölzchen mit sich auf sein Zimmer und am andern Morgen sah die Magd den Topf auf dem Fensterbret stehen. Bald darauf erneuerte sich dieselbe Kocherei, nur daß jetzt die Herrin des Mädchens, Essen’s Wirthin, ihre Stelle in der Küche vertrat, während diese auf den Markt geschickt wurde. Als sie zurückkehrte, rührte Essen noch immer im Topfe. Sie sah zufällig hinein und gewahrte, daß die Flüssigkeit, die immer noch weißlich war, jetzt größtenteils eingekocht, etwa nur noch den Inhalt einer vollen Theetasse betrug. Essen nahm dann den Topf in ihrer Gegenwart vom Feuer und trug ihn in seine Stube, wo sie ihn später wieder am Fenster stehen sah.

So die Aussage der Magd. Essen’s Wirthin stimmte fast ganz damit überein. Er hatte schon früher einen Topf von ihr gefordert, um einen Stein zu kochen, den er von seinen Gütern gebracht, weil er die Brauchbarkeit desselben prüfen wolle. Sie hatte ihm einen, wie er verlangte, angewiesen, ihr Mädchen bedeutet, ihm beim Kochen behülflich zu sein, und am folgenden Tage, als sie die Magd ausschickte, selbst das Feuer angemacht. Doch hatte Essen dieses zweite mal ununterbrochen beim Feuerherde gestanden und so lange bis er den Topf und das Stäbchen in sein Zimmer trug. Aber zugleich bemerkte die Wirthin, daß, als er im September von seinen Gütern zurückkehrte, er wirklich ein Stück grauen Stein, von der Größe einer halben Hand, ihr mit dem Bemerken gezeigt, daß er diesen Kalkstein auf seinen Gütern gefunden.

Es war eine ungewöhnliche Beschäftigung, höchst verdächtig, wenn man sie mit dem gleichzeitigen Giftankauf in Verbindung setzte. Klaproth erklärte, daß weißer Arsenik, mit Wasser gekocht, sich ganz so verhalte, wie das Mädchen beschrieben. Arsenik auf eine Theetasse im Wasser eingekocht, lasse etwa 30 Gran klar aufgelöst zurück, und 5 Gran reichten schon hin, den stärksten Menschen zu tödten.

Essen konnte die Thatsache der Kocherei nicht in Abrede stellen, aber er suchte darzut­hun, daß sie einen ganz unschuldigen Zweck gehabt. Auf seinem Gute sei ein Berg, den er für einen Kalkberg halte, auf dem angrenzenden Gute sei unzweifelhafter Kalkstein. Von diesem letztern habe er ein ganzes Stück mit nach Berlin gebracht, ein anderes aber geschabt, um hier eine Untersuchung anzustellen, ob er sich leicht oder schwer auflösen lasse und demnächst zum Düngen zu gebrauchen sei. Zu diesem Zwecke habe er acht bis vierzehn Tage vor Greiner’s Tode dieses Pulver gekocht, im Glauben, daß, was sich in Siedehitze auflöse, auch in der Luft leicht zersetzt werden müsse. Beim Kochen habe er so viel wahrgenommen, daß das Weiße Pulver größtentheils oben aufgeschwommen und daß sich ein guter Theil im Wasser aufgelöst habe. Wenn er Arsenik gekocht hätte, müsse dieser zu Boden gesunken sein. Das Ueberkochen habe er nur darum vermeiden wollen, daß nichts verloren gehe. Am Spähnchen sei ihm nichts gelegen gewesen; le­diglich darum habe er es weggelegt, damit kein Schmutz daran komme. Den Topf habe er, weil er zerbrochen gewesen, auf den Hof geworfen, wo ihn die Weiber, die Scherben zu Ziegelmehl sammeln, wahrscheinlich fortgeholt hätten. Auch die präparirte Substanz will er nicht aufgehoben, sondern sowol das Wasser als den mit Schwefelsäure aufge­lösten Bodensatz weggeworfen haben, da es nur seine Absicht gewesen, wahrzunehmen, ob Kohlenstoff oder Extractivstoff im Kalkstein enthalten wäre.

Klaproth erklärte, daß die vorgenommene Procedur mit dem rohen, geschabten Kalk­stein durchaus zweckwidrig sei, weil roher Kalkstein sich in Wasser und auch durchs Sieden nicht auflöse; vielmehr werde aus kalkhaltigen Wässern durchs Kochen die Kalkerde niedergeschlagen, wie man an jedem Theekessel sehen könne, wo die Stein­rinde sich an den innern Wänden festsetze. Ob in der Mischung eines Steins Kohlenstoff enthalten sei, lasse sich nicht durchs Kochen entdecken, sondern nur auf trockenem Wege, durch Glühung in einem verschlossenen Tiegel. Extractivstoff in einem Steine aufsuchen, sei aber ganz vergeblich, da dieser sich nur in animalischen und vege­tabilischen Körpern vorfinde. – Dagegen stimme die vorgenommene Procedur sehr wohl zu einer versuchten und gelungenen Arsenikauflösung. Bei Kochung des gestoßenen weißen Arseniks im Wasser pflegten sich einzelne Pulvertheilchen, mittelst sich anhängender Luftbläschen, in die Höhe zu heben und eine Zeit lang auf der Wasserfläche schwimmend zu erhalten. Obenhin gesehen, könne dann die ganze Flüssigkeit milchweiß erscheinen, besonders wenn viel umgerührt werde. Um über diesen Punkt zur Gewißheit zu kommen, schlug Klavroth eine Operation vor. Ein Sachverständiger würde auf den ersten Blick aus dem Gebräu erkannt haben, ob Arsenik oder Kalkstein gekocht werde. Diese Einsicht könne man freilich von einer Köchin nicht verlangen; aber man solle die Probe anstellen und in zwei verschiedenen Töpfen, in dem einen von dem geschabten Kalkstein, in dem andern gestoßenen Arsenik kochen, und dann die Magd darüber vernehmen, ob die Farbe und das Aussehen des bewußten Topfes hier dem einen oder dem andern ihr vorgebrachten gleiche?

Essen beruhigte sich nicht bei diesem Gutachten. Er benutzte diese Gelegenheit, eine gelehrte Abhandlung gegen Klaproth zu schreiben, in welcher er feststellte, daß es ihm nicht um eine chemische Zerlegung des Kalksteins zu thun gewesen, sondern daß er nur in landwirtschaftlicher Hinsicht eine nützliche Untersuchung anstellen wollen. Der exac­te Chemiker spreche von einer chemischen Analyse, er, der empirische Landmann, rede von einer Verbindung des Kalks mit Wasser und von einem Versuch, fremde, dem Kalk beigemischte Stoffe, z. B. Kohle, Extractivstoff, durch Sieden davon zu trennen. So könnten beide Recht haben. Er habe nur von »Auflösen« gesprochen, was nicht zu ver­wechseln wäre mit »chemisch Zerlegen«, und kein Chemiker, auch Klaproth nicht, werde seiner Behauptung widersprechen können, daß es rohe Kalkarten gebe, welche durch Wasser, ja durch die Luft schon aufgelöst würden.

Das Gericht scheint es nicht für nöthig befunden zu haben, die von Klaproth angerat­hene Probe anzuordnen. Es stand nach den Ermittelungen soviel fest, daß Essen am Dienstag oder Mittwoch vor dem Sonnabend, an welchem Greiner gestorben, gegen sei­ne Gewohnheit irgend eine Substanz zubereitet habe. Ob diese Substanz geschabter Kalkstein oder gestoßener Arsenik gewesen, darüber fehlte jeder Beweis. Zu Gunsten der Angabe des Angeschuldigten sprach nur der Umstand, daß er einst von seinen Gü­tern ein Stück Kalkstein nach Berlin gebracht hatte. Dagegen durfte man bei seinen von Essen selbst so oft gerühmten Kenntnissen in der Chemie nicht vermuthen, daß er »widersinnige Mittel zur Erreichung eines bestimmten Zwecks gebraucht haben werde«; durch Kochen im Wasser kann aber Kohlen- oder Extractivstoff in einem geschabten Kalkstein nicht gefunden werden, wie Essen selbst einräumen mußte. Er verstand den Kohlenstoff auf richtigem Wege zu suchen. Ein kenntnißreicher Mann, wie er, wird immer durch schulgerechte Mittel ein Resultat suchen, auch wenn dasselbe nur zum landwirthschaftlichen Gebrauch bestimmt wäre. Diese verdächtige Beschäftigung fand zu einer Zeit statt, wo er das angekaufte Gift in seinem Besitz hatte. Er hatte niemals früher in der Küche gekocht. Er betrieb das Kochen mit einer besondern Sorgfalt. Das Ueberkochen sollte besonders vermieden werden. (Was hätte das Ueberkochen von et­was Kalkwasser geschadet?) Der Spahn mußte besonders in Acht genommen werden. Er sollte nicht verunreinigt werden. Wozu das, wenn von unschuldigem Kalkstein die Rede war? War der Spahn schmutzig geworden, so konnte man einen andern nehmen. Essen geizte mit der Zeit, wie ermittelt war. Hätte es nur geschabten Kalkstein umzurühren ge­golten, würde er dieses der Magd wol allein überlassen haben, wohingegen er durch zwei Tage mehre Stunden selbst der Aufsicht und Besorgung der Probe widmete, was annehmen läßt, daß er ganz besondere Gründe hatte, selbst dabei thätig zu sein und große Sorgfalt zu zeigen. Wer Arsenik präparirt, um einen andern zu vergiften, hat des Grundes genug, die äußerste Sorgfalt anzuwenden. Nimmt man hierzu, daß, nach Aus­sage der Magd, das aufgegossene Wasser die dem Arsenik beiwohnende milchähnliche Farbe annahm, daß der Bodensatz weißlichgrau war, wie der Arsenik, daß 5 Drachmen an der zurückgelieferten Arsenikbüchse fehlten, daß Essen den Topf nach der Bereitung fortgeschafft, daß er durch nichts bewiesen, daß der Topf einen Riß gehabt, während die Magd ihn auf dem Fenster will stehen gesehen haben, daß er sich selbst die Mühe genommen haben will, die Scherben auf den Hof zu werfen, während er es den Dienstleuten unter andern Umständen ruhig würde überlassen haben, daß er auch den Spahn fortgeschafft, der doch nun zu nichts mehr dienen konnte, daß unter den mehren verschiedenen Mineralien von seinem Gute, welche sich in seiner Wohnung fanden, kein Kalkstein entdeckt worden, auch nicht einmal Abschabsel oder verkrümelte Reste desselben, daß es endlich sonderbar wäre, wenn ein so eifriger Oekonom mit der Probe des Kalksteins, den er schon auf seinem Gute abgeschabt, gewartet haben sollte, bis er nach Berlin kam, während er ihn dort schon jeden Augenblick hätte kochen können; so wird die Vermuthung, daß er an jenen zwei Tagen den gekauften Arsenik zu einem Getränk präparirt, zur Wahrscheinlichkeit gesteigert und dieser Umstand gewinnt die Bedeutung einer nahen Anzeige.

Die Geschichte der Einladung zum Frühstück und des gleich darauf erfolgten Todes des Eingeladenen, wie sie eben erzählt ist, trägt schon an und für sich den Charakter einer dringenden Anzeige. Der kerngesunde Mann trinkt kaum ein paar Gläser Wein und der Tod wüthet sofort in seinen Eingeweiden. Wie Essen seinem Opfer das Gift beigebracht, ob im Wein, im Glase, im Teller mit Beefsteak, darüber bleibt ein tiefes Geheimniß, da das Auge keines Zeugen während der bedeutungsvollen Momente in das kleine Zimmer geblickt hat. Aber Essen hatte das Zimmer vorher bestellt, er war allein vorher darin ge­wesen, und nachher fand man die Karaffe mit Wasser gebraucht, ohne daß weder er noch Greiner davon getrunken. Möglich, daß das Wasser zur Mischung des Giftes, oder später zur Reinigung des Glases gedient hatte. Es ward erwiesen, daß Greiner zu Hause außer seinem Kaffee nichts genossen, daß er der Zeitberechnung nach, bis er bei Dallach ein­trat, nichts zu sich genommen haben konnte, womit die auf nichts begründete Vermut­hung Essen’s, daß er schon stark getrunken haben dürfte, wegfällt. Die Masse der ausge­brochenen Flüssigkeit rührte offenbar nicht von dem Genusse der Getränke her, sondern allein von der Ansammlung der Darm- und Magensäfte, die der ungeheure Reiz des Gif­tes veranlaßt hatte. Da 5 Gran Arsenik hinreichend sind, einen Menschen zu tödten, und hier wahrscheinlich die Auflösung von 30 Gran angewandt worden, so ließ sich auch da­durch der schnelle Erfolg des Reizes erklären.

Der in Vertheidigungsmomenten und Argumenten unerschöpfliche Mann wendete sei­nen ganzen erfinderischen Scharfsinn, wie wir schon sahen, dazu an, eine natürliche oder andere Todesursache als möglich und wahrscheinlich herauszufinden. Einmal hier in der Dallachschen Restauration, müssen wir eine dieser Defensionalhypothesen erwäh­nen, welche, wenn sie aus dem Luftgebilde seiner Phantasie zu einer Wirklichkeit ge­worden wäre, den ganzen Proceß und die Anklage mit ihren solidern Hypothesen ganz umwerfen müßte. Essen behauptete während der Untersuchung: sein Freund möge allerdings an Arsenik und zwar solchem gestorben sein, den man für Ratten und Mäuse gekauft, aber nicht an dem Arsenik, welchen er, der Angeklagte, für seine Ratten auf dem Gute, sondern an dem, welchen der Restaurateur Dallach für die Ratten in seinem Hause in Berlin gelegt!

Während des Processes hatte man den Keller der Dallachschen Restauration untersucht. Man fand daselbst Rattenlöcher und ausgelegtes Gift in Form weißer Kugeln. Einige derselben waren von den Ratten angefressen. In denselben Kellerräumen war auch Wein, Geflügel, Fleisch, Fische, Obst und Butter. Im Keller nebenan lagen Kartoffeln. Dallach und sein Kellner behaupteten, in diesen Nebenkeller kämen die Ratten nicht. Sie fressen keine rohen Kartoffeln. Aber die Aussage des Restaurateurs hatte, nach Essen’s Ansicht, kein Gewicht. In seinem Interesse mußte es liegen, eine vorgefallene Unvorsichtigkeit zu verbergen. Wie konnte er überhaupt wissen, daß die Ratten dort keinen Besuch machten? Die Ratten liefen am 18. November überall im Hofe und im Keller umher. Wie leicht konnte es sein, daß sie am Morgen des Tages auch in den Kartoffelkeller gedrungen und zufällig einige von den Giftkugeln unter die Kartoffeln geschleppt hatten? Der Kartoffelkeller war nicht genau untersucht worden! Wie leicht, daß eine dieser kleinen Kugeln mit den Kartoffeln aufgehäufelt und zum Beefsteak ge­braten worden! Greiner hatte sie im hastigen Essen mit verschluckt; denn Gestalt, Farbe und Größe der Giftkugeln konnten sehr leicht die unglückliche Verwechselung in der Küche veranlassen. Eine so mechanische Arbeit, als das Schälen der Kartoffeln in einer Küche wie bei Dallach, nimmt dort keine besondere Aufmerksamkeit in Anspruch. Sie wird schnell verrichtet und ging vielleicht vor sich bei Licht oder in der Morgendämme­rung eines Novembertages. So erklärt es sich auch, warum nur Greiner, und nicht auch Essen, und nicht auch der Kellner (welcher später von allen den aufgetragenen Speisen, nur gerade keine Kartoffeln genoß) vergiftet worden. Eine Giftkugel konnte nicht die ganze Schüssel verderben (?), sondern nur demjenigen, der das Unglück hatte, sie zu verschlucken, den Tod bringen.

So Essen’s Hypothese, der das Seltsame derselben dadurch zu verbergen hoffte, daß er mehre ähnliche, seltsame Fälle aus der Wirklichkeit mit seiner bekannten Gelehrsamkeit hervorsuchte. Der erkennende Richter sagt darauf: »Die beste Widerlegung dieser ganz unvernünftigen Hypothese wäre, sie gar nicht zu erwidern, da derselben eine reine Nulli­tät zu Grunde liegt; denn möchte man auch die Unwahrscheinlichfeit übersehen, daß eine Arsenikpille unter Kartoffeln beim Schälen derselben nicht erkannt worden, daß ein gesitteter Mann eine Kartoffel hinunterschlucken sollte, ohne seiner Zähne sich zu be­dienen und daß wirklich eine Verwechselung der erwähnten Art vorgehen könnte, so ist die Voraussetzung, daß eine Arsenikpille unter Kartoffeln, im heißen Wasser gekocht, unverändert und ungetheilt bleiben kann, doch zu gewaltsam, als daß es noch eines Wortes darüber bedarf, zumal die zur Bekräftigung angeführten Beispiele gar nicht passen, weil sie sich ganz natürlich erklären lassen, jene Darstellung aber nicht.«

Aber auch dieses unablässige Bestreben, Greiner’s Tod aus natürlichen und andern Ursa­chen zu erklären, ist, in seiner Continuität betrachtet, ein Indicium des Schuldbe­wußtseins. Er fürchtete die Folgen des Gegentheils. Sein ganzes Betragen während der Untersuchung, so sehr abweichend von dem gerühmten liebenswürdigen, bezaubernden Wesen des hochgebildeten Mannes, mußte Verdacht erregen. Sein Gleichmuth erschien erkünstelt. Die anscheinende Ruhe in der Confrontation mit den Zeugen war keine Ge­wissensruhe. Sein fortgesetztes hartnäckiges Leugnen vollständig erwiesener Thatsa­chen, der Widerspruch gegen die glaubwürdigsten Zeugnisse im Angesichte der Deponenten verrieth seinen Richtern den höchsten Grad von Frechheit. Er verleumdete, verdächtigte die anerkannt rechtlichsten und würdigsten Männer und unterließ kein Mit­tel, das ihm zur Erreichung seines Zweckes zu verhelfen schien. So hatte er gleich bei Eröffnung der Untersuchung sich hinter den gröbsten Erdichtungen versteckt und die lügenhafteste Schilderung seines Lebens und seiner bürgerlichen Verhältnisse so zu­sammenhängend und mit solcher anscheinenden Seelenruhe gemacht, daß man, trotz mancher Unwahrscheinlichkeit, ihr Glauben beizumessen geneigt war. Mit voller Dreis­tigkeit wiederholte er diese falsche Lebensbeschreibung, damit sein eigentliches Charak­terbild unentdeckt bleibe. Erst bei Durchsicht seiner Papiere ermittelte man die Spuren der Wahrheit, und erst da fühlte er sich zur Wahrheit einzulenken gezwungen. Kurz sein ganzes Betragen vom Anfange bis zum Ende der Untersuchung war eine Kette von Lügen, Widersprüchen, zähem und frechem Rabulistenwesen, mit Aufwand von Geist ohne allen sittlichen Impuls, daß er, des Vertrauens wie der Achtung der Richter in glei­chem Grade unwerth, gegen seinen Willen vor ihnen sich als der tief verderbte Mann darstellte, dem sie ein solches Verbrechen mit Fug und Recht zutrauen durften.

Dies die ineinandergreifende Kette näherer und entfernterer Anzeigen; Gegenanzeigen, welche die Beweiskraft dieser vorhandenen Verdachtsgründe schwächen könnten, fehlen ganz. Essen stützte sich zum Beweise seiner Unschuld hauptsächlich darauf, daß er seine gewöhnliche Heiterkeit, auch nach Greiner’s Tode stets beibehalten, daß er, obgleich ge­warnt und von seinen Freunden aufgefordert, zu fliehen, doch nicht geflohen sei, son­dern getrost sich der Arretirung und Untersuchung unterworfen habe. Diese Heiterkeit ist schon gewürdigt. Sie war, wie alles in diesem merkwürdigen Verbrecher, eine zu be­stimmten Zwecken angelegte und glücklich durchgeführte Maske. Daß er die Flucht un­terließ, war aber ebenso wenig eine Anzeige seiner Unschuld. Er hoffte zuerst nicht ent­deckt zu werden, dann, daß es unmöglich wäre, ihn zu überführen. War doch die That so fein berechnet, besaß er doch, um die Bemühungen des Richters zu vereiteln, Kenntnisse und Fähigkeiten genug, so in der Theorie des Rechts wie in der Medicin, um zu wissen, daß, wenn er hartnäckig leugnete, unter den obwaltenden Umständen eine völlige Ue­berführung unmöglich sei. Zu dem Freunde, der ihn zur Flucht ermahnte, sagte er: »Es würde sonderbar scheinen, wenn ich jetzt abreisen sollte.« Er blieb, um sich nicht noch verdächtiger zu machen, nicht aus Bewußtsein seiner Unschuld. Auch wäre das Entkom­men vielleicht schwierig gewesen, nachdem die Aufmerksamkeit einmal auf ihn gelenkt war. Allein wenn dies auch nicht der Fall gewesen, umfaßten doch in seiner damaligen Lage die Folgen der Flucht ein für ihn größeres Uebel als das Bleiben. Er hatte Güter, verwickelte Vermögensverhältnisse und Aussichten für Realisirung großer Specu­lationen. Alles dies, sowie seinen Ruf, setzte er aufs Spiel, ohne Aussicht der Restaurati­on, und er war in jenem Augenblicke ohne alle baare Mittel. Vor ihm stand also eine trostlose Zukunft, er mußte ein neues Leben, unter fremdem Sterne, in fremden Ländern anfangen, wogegen, wenn er ruhig blieb, ihm die Aussicht nicht verloren ging, durch Leugnen und Pfiffigkeit zum wenigsten einen blutigen Ausgang abzuwenden. Er trat vor keine Jury, welche nach moralischer Ueberzeugung zu sprechen, sondern vor ein Gericht, welches nach bestimmten Formen die Kraft der Beweise abzuwägen hatte, und danach, dessen war er gewiß, ihn nur zu einer außerordentlichen Strafe, also zu einer nach Jahren abzumessenden Freiheitsberaubung, verurtheilen konnte. Möglich ja auch, daß die Umstände ihm so günstig waren, daß er von der Instanz, nicht ganz unmöglich, wenn er an seine unerschöpfliche Erfindungskraft dachte, daß er ganz losgesprochen würde.

Das Nichtergreifen der Flucht ist also kein Moment, welches für sein gutes Gewissen spräche. Es gibt aber ein anderes Moment, welches auf den ersten Anblick, nicht für sein gutes Gewissen, aber dafür spricht, daß ein Mann von diesem schlechten Charakter, sei­nen Kenntnissen der Welt und seiner Erfahrung im Schlechthandeln, anders, besonnener, geschickter, gewandter zu Werke gegangen sein würde. Es läßt sich nicht leugnen, daß er in mehren Stücken plump zu Werke ging. Die Einleitung zum Frühstück selbst, sein Benehmen, wie er den Todtkranken in sein Haus bringt, Anekdoten erzäh­lend, abrieth, einen Arzt rufen zu lassen, wie er, nach wenigen Tagen schon, durch zu­dringliches Benehmen der Witwe seinen besondern, selbstischen Antheil an ihrem Schicksal zu erkennen gibt; dies und vieles Andere würde ein Intriguant, der alle Möglichkeiten vorausberechnet, anders eingerichtet haben. Aber welcher Verbrecher be­rechnet alle Möglichkeiten voraus? Die Erfahrung lehrt, daß der Allergewitzigste im wichtigsten Punkte oft der menschlichen Schwäche erliegt. Essen war vom Glücke bis dahin getragen; er genoß eines ausgezeichneten Rufes in der feinern Gesellschaft; er konnte es sich nicht als Möglichkeit denken, daß man ihn in Verdacht eines so groben Vergehens ziehen werde. Möglich auch, daß er es gerade darum so grob anlegte. Darauf, auf etwas Prämeditirtes im Plumphandeln, scheint selbst seine Vertheidigung zu deuten, indem er in mehren Punkten vorgab, wie er nach seinen Kenntnissen gehandelt haben müßte, wenn er das Verbrechen wirklich begehen und es zugleich verborgen halten wollen. Z. B. erklärte er, daß, wenn er in dem Topfe Gift gekocht, so würde er ja nicht so dumm gewesen sein, das Corpus delicti fortzuschaffen, was allerdings einen Verdacht auf ihn geworfen hätte, sondern er würde, bei seinen chemischen Kenntnissen, den Topf mit Schwefelleber gereinigt und so wieder in die Küche gegeben haben. Hierauf aber ward ihm erwidert, daß diese Präparation sehr umständlich, wegen des penetranten Ge­ruches auffällig und dennoch gerade Verdacht erregend gewesen wäre. Wir werden wei­ter unten noch einmal dieser seiner Lieblingsmethode erwähnen, seine Klugheit vor den Leuten herauszustreichen und dann zu fragen: »Wie könnt Ihr denken, baß ich so dumm gehandelt haben würde?« Der Urteilsfasser sagt: »Bei Beurtheilung eines Verbrechens kann niemals in Betracht kommen, wie der Verbrecher zur Zeit der Verübung der That hätte handeln können, oder wie er, der Klugheit gemäß, hätte handeln sollen, sondern nur wie er gehandelt hat.«

Wenn je ein Giftmischer, der die That leugnet, durch eine Reihe zusammentreffender In­dicien, zur vollständigen moralischen Ueberzeugung der Richter, derselben überführt worden, so ist es Essen. Der Beweis war nur darin unvollständig, daß die nach den preu­ßischen Gesetzen erforderliche, apodiktische Wahrheit der Vergiftung auf physischem Wege nicht gefunden worden. Aber er kann nach diesen Gesetzen durch das Zu­sammentreffen von Anzeichen, sowol des Thatbestandes als des Verbrechens dermaßen ergänzt werden, daß auf eine außerordentliche Strafe zu erkennen ist. Wir stellen diese Indicien hier noch einmal in Kürze zusammen:

Greiner starb plötzlich, nachdem er bis wenige Stunden vor seinem Tode der vollkom­mensten, blühendsten Gesundheit sich erfreut. Kein Aerger, keine Erhitzung, kein Ue­bergenuß ist nachgewiesen; vielmehr ist der Gegenbeweis geführt, daß er sich nicht ge­ärgert, nicht erhitzt, nichts genossen, was seine Constitution zerrütten konnte. In der glücklichsten Lage von der Welt, in dem besten Humor, hatte er keinen irgend denkba­ren Anlaß, sich selbst das Leben zu nehmen. Nach dem Urtheil der Sachverständigen waren Symptome einer Vergiftung durch Arsenik da, und es hatte viele Wahrscheinlich­keit, daß er vergiftet worden. Nach dem damaligen Zustande der gerichtlichen Arznei­kunde und Chemie konnte es sein, daß der Arsenik, der in seinen Hauptbestandttheilen durch die natürlichen und heftigen Ausleerungen in seinen Haupttheilen fortgegangen, bei der Obduction nicht gefunden wurde und doch da war. Auf niemand als seinem so­genannten Freunde Essen konnte der Verdacht ruhen. Er hatte Greiner wohl und gesund als Gast empfangen, ihm ein Frühstück vorgesetzt, nach dessen Genuß er sofort erkrankt war; er hatte ihn eingeladen und ein besonderes Zimmer schon am Tage vorher zu dem einfachen Frühstück bestellt. Er brachte ihn zu seiner Frau nach Hause und rieth, unge­achtet des heftigen Krankheitsanfalls, ab, einen Arzt zu holen, er rieth, ihm nicht Thee, sondern kaltes Wasser zu geben; er gab dem endlich herbeigerufenen Arzte eine Nach­richt über die Krankheit und deren Entstehung, welche mit der Wahrheit nicht überein­stimmte und denselben zu einer oberflächlichen Behandlung veranlaßte. Bei den Ein­reibungen, welche die Gattin auf dem Leibe des Erkrankten vornahm, hieß er sie ihre Ringe abthun, weil das dem Unterleibe Schmerzen verursache; aber goldene Ringe sind dem Einfluß der Arsenikausdünstungen ausgesetzt und können leicht zum Verräther einer Vergiftung werden. Essen war ein Mann von verderbtem Charakter, auf dem der dringende Verdacht anderer Vergehen und Betrügereien schon haftete, der herzlos gegen Vater, Gattin und Kinder gehandelt, der in leichtsinnigen, oft wandelnden Verbindungen eine große Zahl von Frauen getäuscht und auch in diesem Processe seinen ränkevollen Geist durch unverschämtes Lügen und Verleumdung anderer an den Tag gelegt hatte; also ein Mann, zu dem man sich einer solchen That wohl versehen konnte. Er war in augenblicklichen, dringenden Geldverlegenheiten und suchte nach einer reichen Frau, die er nicht finden konnte. Greiner’s Gattin war reich, und er betrug sich gegen dieselbe gleich nach ihres Mannes Tode auf eine so zudringliche Weise, daß kein Zweifel ob­waltete, daß er die Absicht habe, sie für sich zu erobern. Er hatte also ein Motiv zur That. Er gab sich alle mögliche Mühe, die Leichenöffnung zu verhindern, ohne ein anderes Motiv dazu zu haben, wenn es nicht die Furcht war, daß der Arsenik im Magen gefunden werden dürfte. Er sagte den Aerzten, der Leichnam sei in Fäulniß überge­gangen; aber derselbe fand sich vollkommen frisch, ohne Spuren angehender Verwesung. Sein Betragen verrieth vielen die größte Theilnahmlosigkeit. Er gab sich geflissentlich Mühe, andere Todesursachen auszusprengen, und widersprach sich darin. Bald ließ er Greiner an Ueberreizung und zu starkem Genuß, an Folgen syphilitischer Uebel und deren verheimlichter Cur, bald an Erhitzung und Aerger, bald an der Cholera und einem Schlagftuß, bald durch Selbstmord ums Leben kommen. Letzteres, als er fürchtete, daß Gift bei der Obduction gefunden werden könne, wogegen er wieder bei der Cholera stehen blieb, als diese Besorgniß vorübergegangen und kein Gift gefunden war. Essen war im Besitz von Arsenik zur Zeit des Todes und leugnete diesen Besitz ab. Die vielen Winkelzüge, dieses Giftes sich wieder zu entledigen und den Gegenschein seines Giftscheins zurückzuempfangen, das Datum zu verändern, das Ableugnen gegen seine Wirthin, daß der Provisor des Giftmordes wegen zu ihm gekommen, seine ängstliche Erkundigung, sein mehrmaliger Besuch in der Apotheke, seine Versuche, den Principal und den Provisor zu bestimmen, daß sie ihre Aussage zu seinen Gunsten einrichteten, sind, wie oben angegeben, dringende Anzeichen seines Schuldbewußtseins. An der Arsenikbüchse fehlten nach der Ablieferung 5 Drachmen. Essen hatte in der Zwischenzeit von dem Empfang des Arseniks bis zum Tode Greiner’s in zwei Tagen in der Küche seiner Wirthin eine verdächtige Kocherei vorgenommen. Dem Anschein nach war es Arsenik. Seine Angabe, daß es Kalkstein gewesen, erscheint nach dem Gutachten der Sachverständigen als höchst unwahrscheinlich, und er hat sie nicht zu erweisen vermocht. Seine Aengstlichkeit bei diesem Kochgeschäft, die Sorgfalt, die er trug, daß der Umrührspahn keinen andern Gegenstand berühre, der Umstand, daß er Topf und Spahn selbst fortgetragen und fortgeworfen, sprachen für die Vermuthung.

Dies die wohlgegliederte Kette von Anzeichen, die noch fester und geschlossener da­durch wird, daß keins von den Gegenanzeichen zu einiger Wahrheit und Bedeutung ge­diehen ist, daß im Gegentheil die Beweisführung und Argumentation des Angeschuldig­ten meist in sich selbst zerfielen oder geradezu ins Absurde ausliefen, wie die Hypothese von den als Kartoffeln gebratenen Arsenikkugeln. Er hatte gegen die junge Ehefrau vor des Mannes Tode allerdings keine Zärtlichkeit verrathen, weil er klug und vorsichtig genug war, nicht selbst an sich zum Verräther zu werden. Er war heiter und anscheinend unbefangen während und nach der gräßlichen Katastrophe geblieben, weil er entweder kein Herz für Gefühle anderer hatte, oder doch über die seinen nach Belieben und nur zu seinen selbstischen Zwecken gebot. Er war, obgleich gewarnt, nicht geflohen, weil die Flucht seine Lage verschlimmert hätte und er des Selbstvertrauens war, die drohende Gefahr durch geschicktes Laviren zu vermeiden, und er war nicht klüger bei Ausführung seines Verbrechens zu Werke gegangen, weil er nicht an die Möglichkeit einer Entdeckung gedacht hatte, oder weil der klügste Mensch nicht so weit Herr über sich selbst ist, daß er nicht dann und wann einen erzdummen Streich begeht, und oft, wo ein anderer, beim gewöhnlichsten Menschenverstande, anders und klüger gehandelt hätte.

Eine Jury würde hiernach ohne Zweifel das Schuldig ausgesprochen haben. Selbst Klein, eine damals unter den preußischen Criminalisten bedeutende Autorität, hatte kurz vor seinem Tode in einer besondern Abhandlung den Satz ausgesprochen: daß kein Urt­heil auf festerem Grunde beruhe als das aus Anzeichen, weil es aus Vernunftregeln be­stimmt werde. Der Richter aber konnte nicht über die Bestimmung der Gesetze hin­ausgehen, daher nur auf eine außerordentliche Strafe erkennen. Lebhaft erinnert dieser Giftmord an den in einem früheren Theile von uns mitgetheilten des französischen Gift­mörders Castaing, wo alle Anzeichen auf eine Vergiftung deuteten, so dringend, daß selbst die Indicien, welche gegen Essen sprachen, keine mehr moralische Ueberzeugung gewähren konnten. Nur das Gift im Leibe ließ sich bei der Obduction nicht entdecken. Da erinnerte der Generaladvocat die Geschworenen an den Ausspruch des berühmten Kanzler d’Aguesseau, der eben so tief als wahr gesprochen: der Thatbestand eines Ver­brechens sei nichts als das Verbrechen selbst; die zusammenstimmenden Beweise aber begründeten die Ueberzeugung von der Existenz. Es gäbe viele Fälle, wo durch beson­dere Verhältnisse die Nebenbeweise des Verbrechens die einzig möglichen wären und das eigentliche corpus delicti für die sinnliche Wahrnehmung absolut fehle. Bei Vergiftung durch Pflanzengifte verflüchtigt sich, nach den bisherigen wissenschaftlichen Erfahrungen, der Giftstoff, und seine Wirkungen und Symptome fallen mit denen mehrerer Krankheiten zusammen. Forderte man zur Constatirung des Giftmordes ohne Ausnahme den materiellen Beweis, d. h. das Dasein des Giftes im todten Körper, so könnte gar keine Untersuchung und kein Urtheil mehr gegen Giftmischer stattfinden, welche sich des vegetabilischen Giftes bedient hätten. Fügt dann, rief der öffentliche Anwalt mit Bitterkeit, dem Codex einen Artikel hinzu: daß, wer mit Pflanzengift vergiftet, kein Verbrechen begeht! Die französischen Geschworenen forderten eben so wenig, obgleich mit Heftigkeit dazu von einzelnen Juristen und Aerzten aufgefordert, das Unmögliche, um das Urtheil über das anderweitig für sie vollständig Bewiesene auszusprechen, als die preußischen Richter Anstand nahmen, nach ihrer vollen moralischen Ueberzeugung ein Urtheil zu fällen, welches nur im Maß der Strafe durch die positiven gesetzlichen Bestimmungen beschränkt wurde. Es ist niemand in den Sinn gekommen, dieses Urtheils volle Gerechtigkeit zu bezweifeln.

Essen vertheidigte sich selbst. Seine ganze Untersuchungsgeschichte ist eine fortgesetzte Defension, welche wir in ihren einzelnen Momenten bei den betreffenden Punkten mit­getheilt haben. Die Verteidigungsschrift faßte nur diese verschiedene Momente zu­sammen, ohne neue Thatsachen und Argumente beizubringen, ohne den Schein des Ab­surden zu beseitigen, oder durch moralische Wahrhaftigkeit auch nur zum Gefühl zu sprechen und von dem Verbrecher den Widerwillen abzuwenden, welchen sein ganzes Benehmen seit Eröffnung der Untersuchung allen eingeflößt, die mit ihm in Berührung gekommen waren, und welches so ganz verschieden war von der liebenswürdigen, alle bestechenden Rolle, die er in der Welt gespielt. Aus dem Munde eines angesehenen Jus­tizbeamten haben wir Folgendes. Essen schrieb seine Defension, wie wir anführten, selbst. Die Acten, welche nach preußischem Gerichtsgebrauch dem Defensor des Ver­brechers, insofern derselbe ein vereideter königlicher Beamter ist, zugestellt werden, konnten dem Angeschuldigten nicht ohne Weiteres überlassen werden. Es ward ihm deshalb ein jüngerer Justizbeamter, jener unser Gewährsmann, damals Kammergerichts­referendarius, zur Bewachung der Acten in den Stunden, wo man sie ihm zur Einsicht überließ, zugeordnet. Derselbe rechnet diese langen Abendstunden, in welchen er Wache sitzen mußte, während Essen excerpirte, nicht zu seinen glücklichen. Der Giftmischer, dessen Anwesenheit meist jede Gesellschaft entzückte und belebte, war ein höchst un­angehmer, grämlicher, kleinlich auf sein Recht bestehender Mann geworden. Eines Abends warf er, die Hand vor den Augen gegen das Licht, einen dämonisch lächelnden Blick auf seinen unfreiwilligen Gesellschafter und sagte: Sie halten mich doch für einen klugen und gewitzigten Mann, Herr Referendar? Wenn ich den Greiner vergiften wollen, hätte ich da wol Arsenik gebraucht, von dem ich wissen mußte, daß er in der Leiche ge­funden wird, würde ich nicht Pflanzengift gebraucht haben, von dem ich weiß, daß es keine Spuren zurückläßt? – Der junge Mann schauderte und glaubte, einen tiefen, furcht­baren Blick in die Seele des Verbrechers gethan zu haben.

Den tiefsten, einen erschöpfenden Blick in dieses Menschenleben hat vielleicht niemand geworfen, und er selbst ist dahin gegangen, ohne uns den Schlüssel zu den Geheim­nissen seines Lebens hinterlassen zu haben. Noch weniger fühlen wir uns berufen und in diesem Augenblicke im Stande, die zerstreuten Nachrichten über ihn zu einer vollstän­digen Lebensgeschichte zu sammeln und zu verarbeiten. In seiner Totalität bildete er vielleicht ein würdiges Seitenstück zu dem großen Betrüger, der uns in einem der vo­rigen Theile beschäftigt hat. Ein Cagliostro des neunzehnten Jahrhunderts in anderer Manier, wenn man unter einem Charlatan die Quintessenz aller bösen geistigen Säfte und Dünste einer Zeit verstehen will, unter der glänzendsten und pikantesten, der Menge gefälligsten Maske zur Schau getragen. Jener gläubige Sinn für mystischen Unsinn war vorüber, die Krankheit der neuen Zeit wollte nicht mehr Wunder in Gemeinschaft mit den Bewohnern der unsichtbaren Welt, sie wollte sich selbst bewundern und erhob den von allem Göttlichem verlassenen Verstand zu einem Götzen, dem sie, zum Ueberfluß des Widerwärtigen, mit sentimentalem Weihrauch opferte. Der wahre Mensch müsse sich selbst genug sein, und was er ernstlich wolle, vollbringen können, ist ein Satz, der auch zu andern Zeiten der Ethik vorangeschrieben wurde, aber selten in so ernst egoistischem Sinn und umwoben mit gleisnerischer Empfindsamkeit, wie er in diesem ruchlosen Betrüger und Mörder von Menschenleben und Menschenglück zur Erscheinung kommt. Durch den Aufwand von frecher Liebenswürdigkeit und die Entfaltung eines seltenen Schatzes geistiger Kräfte täuschte er die schwachen Gläubigen darin, wie Cagliostro, nicht ein-, zweimal, sondern immer wieder von neuem; auch beargwöhnt, entdeckt, gelang es ihm, neue Opfer seiner kalten, berechnenden, mörderischen Selbstsucht zu finden.

Nach den Andeutungen und zerstreuten Materialien, die uns vorliegen, zu schließen, würde die Aufgabe, sein äußeres und inneres Leben zu schildern, weit die uns hier ge­stellte überschreiten. Daß sie aber lohnend wäre, daß eine psychologische Feder, indem sie dieselbe schriebe, zur Ergänzung der Sittengeschichte unseres Jahrhunderts in sei­nem Beginn ein verdienstliches Werk unternähme, darin wird der Leser nach dem Wenigen, was wir hier der Geschichte des Criminalfalls über Wilster’s Persönlichkeit hinzufügen, uns beistimmen.

Wir haben einen namhaften Gewährsmann über Wilster’s erste Jugenderscheinung. Heinrich Steffens sah ihn als Student in Kopenhagen. Er hatte eben seine Prüfung glän­zend bestanden. Er widmete sich der Advocatenlaufbahn, die für den Wohlunterrichteten und Geschickten in Dänemark zum Reichthum und zu den höchsten Ehren führt. Wilster hatte auch durch seine Geburt darauf Ansprüche. Seine Familie gehörte zu den ältesten Adelsgeschlechtern des Landes. »Unter allen Studirenden, die ich kannte«, sagt Steffens, »schien mir sein Loos das beneidenswertheste«, und er traf ihn in Berlin wieder, im Gefängniß, in Untersuchung wegen eines Giftmordes!

Wilster war, nachdem er die vorläufigen Stellungen ungewöhnlich schnell durch­schritten, Advocat beim »höchsten Gericht«, schon geehrt, unabhängig, reich, als ein Engländer, der in Kopenhagen einen Proceß hatte, ihn zum Advocaten erwählte. Er hielt sich in Begleitung mit seiner Geliebten von großer Schönheit dort auf (die schon erwähnte Angelica). Dies nach Steffens. Nach andern Mittheilungen wäre Angelica die Gattin des Engländers gewesen. Genöthigt, auf eine Zeit lang in sein Vaterland zurück­zureisen, vertraute der Engländer seinem Advocaten eine große Summe und die Be­schützung der Geliebten an. Wilster verließ bald darauf die eigene Gattin und die eigenen Kinder und verschwand mit jener Frau und der ihm anvertrauten Summe.

Er war für die Gerichte, für sein Vaterland, für seine Freunde verschwunden. Schon sein Verbrechen des Ehebruchs – auch wenn jene Steffens’sche Nachricht genau wäre, verbot ihm die Rückkehr nach Dänemark, es verbot ihm sogar, den frühern Namen zu führen, der augenblicklich die Verfolgung der Gerichte nach sich gezogen hätte. In Deutschland trat dafür an verschiedenen Orten ein Baron v. Essen auf, welcher überall, wo er erschi­en, die Herzen und Geister für sich einnahm, der unwiderstehlich war, besonders im Umgang mit Frauen, selbst mit höchstgestellten! Aufgeklärt, gebildet wie wenige, von Kenntnissen in allen Fächern, die Zierde der Gesellschaft, der Abgott der Damen von gutem Ton, führte er eine liebenswürdige Dame mit sich, welche als seine Gattin galt, die ihn aber nicht hinderte, überall andere zarte, empfindsame und gemeine Ver­bindungen anzuknüpfen und zu seinem Zwecke auszubeuten. Eine sentimentale Nei­gung ließ ihn sogar, wie wir wissen, der verlassenen Gattin eine Einladung zukommen, ihm nachzureisen, um bei ihm als seine Maitresse zu leben! So gemüthlich war dieser Mann, der auf dem Wege der Bildung das höchste irdische Glück zu erreichen hoffte!

Diese ganze Periode bis zu seinem Auftreten in Berlin lebt nur noch in mündlichen Traditionen und zum Theil in den nicht publicirten Acten des königlichen Kammergerichts in Berlin. Wir wissen nur aus den durch Hitzig früher mitgetheilten Actenauszügen, daß der Baron Essen auch am Hofe eines sehr edeln deutschen Fürsten glänzte und mit Recht von sich sagen durfte, wie er einst in den Acten that: »Ich war es, dem der Fürst bei jeder Gelegenheit sein Wohlwollen und seine Achtung bewies, der bald als Gartenkünstler, bald als Dramaturg, bald als Geschäftsmann, bald als Arzt befragt wurde.« Selbst die Rolle eines Struensee wird ihm zugetheilt, bis zu dem verbre­cherischen Exceß, welcher jenen Unglücklichen in Dänemark auf das Schaffot brachte und mit ihm ein anderes edleres Opfer ins Verderben riß.

Desto merkwürdigere Blicke gewährt ein von seiner Hand aufgefundener Aufsatz in das Getriebe seines innern Lebens. Nachdem er lange sich dagegen gewehrt und behauptet, daß sein Kleon nur ein Phantasiebild, dann daß er das Portrait eines andern Geliebten seiner Angelica sei, mußte er, Zug um Zug, einräumen, daß er auf ihn selbst passe, vom Haar und den Zähnen an bis auf seine gerühmten geistigen Eigenschaften, durch deren Schilderung, mit wie schönthuerischer Schminke sie auch gefärbt sind, doch schon ver­rätherisch der faule Kern hindurchblickt. Der Titel des Aufsatzes war: Charakter eines Mannes, den ich besser kenne, als Andere. Der Aufsatz lautet:

»Kleon ist von der Natur mit nicht gewöhnlichen Geistesgaben beschenkt, und glückli­che Umstände setzten ihn in den Stand, dieselben mehr als die meisten auszubilden. In der Jugend lernte er Verschiedenes, wovon er weder Nutzen noch Vergnügen absehen konnte, und darum hat er Manches davon wieder vergessen. Im reifern Alter suchte er sich Kenntnisse und Fertigkeiten zu erwerben, die ihm und andern nützlich und vortheil­haft schienen, und so hat er Manches gelernt, was er nicht weiß, und weiß sehr viel, worin er nie unterwiesen worden. Die schöne Natur und alles, was sie kennen und schätzen lehrt, war ihm von jeher sehr anziehend. Gartenbau und Musik haben ihm viele angenehme Stunden geschenkt. Sein Ohr und seine Empfindung hatten ihn zum großen Tonkünstler, sowie sein Auge zum Maler bestimmt, aber es mangelt sehr an der Aus­übung und der mechanischen Geschicklichkeit. Arbeit war ihm nie blos Pflicht, sondern immerwährendes Bedürfniß, nur wünscht er den Gegenstand frei zu wählen und unter mehren auf einmal abwechseln zu können. Sowie er alles Vorkommende schnell auf­fassen und auch andern leicht von einer neuen und treffenden Seite darstellen kann, so hat er auch eine gewisse komische Laune, die ihn manchmal schärfer und schlechter zeigt, als er es ist. Er ist gewöhnlich sehr lebhaft und gesprächig, und verbirgt dadurch bisweilen einen innern Schmerz, der nur erleichtert werden kann, wenn er ihn in einen treuen, liebevollen Busen ausschütten könnte. Freundschaft ist ihm ein hohes unschätz­bares Gut, welches unter allen andern in der Wirklichkeit dem Ideale am nächsten kam, das er sich schuf. Einem geprüften Freunde konnte er sehr viel aufopfern, vielleicht so­gar Pflichten, deren Übertretung er sich um seines eigenen Vortheils willen gewiß nicht erlauben würde. Hingegen erwartet er wieder von seinem Freunde sehr viel, doch nicht so viel, als er im umgekehrten Falle leisten würde. Beim ersten Anblicke scheint nichts leichter, als seine Freundschaft zu gewinnen, man erfährt aber nachher, daß dazu sehr viel gehöre, obschon nicht lange Zeit dazu erforderlich ist, weil Gleichheit der Gedanken und Empfindungen, und nicht längerer Umgang ihm den Freund zuführt. Nichts schlägt ihn mehr nieder, als die oft übertriebene Furcht, Menschen, die ihm gut sind, betrübt oder gar beleidigt zu haben, und demnächst ist es ihm schrecklich, wenn er sich von ih­nen verkannt glaubt. Sein Ideal von Liebe ward noch nie ganz erfüllt, ob er gleich Ge­legenheiten suchte und fand, um dies Ideal mit der Wirklichkeit zusammenzustellen. Wahrscheinlich ist jenes etwas zu überspannt, wovon er sich aber schlechterdings nicht überzeugen kann und es auch nicht wünscht, weil er in der Hoffnung, es erfüllt zu sehen, seinen reinsten, seligsten Genuß findet. Sinnlichkeit hat noch nie eigentliche Liebe in ihm erweckt, hingegen würde die Liebe seine Sinnlichkeit aufs höchste bringen können, weil er das geistige und das sinnliche Gefühl im höchsten Grade der glücklichen Liebe für Blätter einer schönen Blume hält, die der Mensch nicht zertheilen darf, wenn er nicht zum Thiere herabsinken will, noch zu den Engeln sich emporheben kann. So schwer es hält, ihn ganz zu beherrschen, so unumschränkt würde ihn wahrscheinlich das Weib beherrschen, welches ihn davon überzeugen könnte, daß sie ihn so liebte, als er es wünscht. Ihre erste Eigenschaft müßte wol die sein, daß sie in ihm nicht sich selbst allein, sondern in der That ihn, auch mit seinen vielen Fehlern, liebte, und ihm ihre Eigenheiten und ihre Eitelkeit aufopfern könnte, wenn er es in einzelnen Fällen wünschte, denn im allgemeinen wird dieses nie geheischt werden, weil an seiner Geliebten ihm bald auch das lieb wird, was andere tadeln. Schön dürfte sie nothwendigerweise nicht sein, weil er Menschen und Statuen ganz verschieden beurtheilt. Ihr Gesicht und ihre Bildung würden ihm recht bald unter allen übrigen am meisten gefallen, weil sie es war. Er hat manche weibliche Schönheit mit kaltem Herzen bewundert, und noch nie war er einem Weibe recht gut, ohne zugleich einzusehen, daß diese oder jene schöner sei. Lebhaft und geistreich muß sie gewiß sein, wenn auch ihre Talente nicht sehr ausgebildet wären. In ihrem Aussehen und zur Noth auch in der Laune, möchte sie journalière sein, nur nicht in ihren Grundsätzen. Gegen Unbekannte ist der Mann, dessen Schattenrisse ich entwerfe, vorsichtig, verbirgt aber diese Vorsicht unter einer zuvorkommenden Leutseligkeit. Wen er abhalten will, behandelt er mit kalter Höflichkeit, und nimmt es darum leicht unrichtig auf, wenn andere so mit ihm umgehen. Wenn er jemand, der ihm werth ist, acht Tage nach einander sieht, so entbehrt er ihn den neunten nicht ohne große Mühe. Dabei ist ihm aber auch in der Entfernung ein geliebter Gegenstand sehr nahe am Herzen, weil er den Abwesenden als seinen Schatz betrachtet, den er sorgfältiger verwahren muß, als was er unter Augen hat. Menschen, die ihn nicht nahe angehen, beurtheilt er nach einem ganz andern Maßstabe als diejenigen, deren Herzen an das seinige sich anschmiegen. Von jenen machte er sich kein Ideal, sondern nimmt das Gute und Böse an ihnen, wie er es findet, und verlangt von dem am wenigsten, der ihm auf der untersten Stufe zu stehen scheint. Sein Herz treibt ihn an, jedem Gutes zuzutrauen, von dem er nichts Böses weiß, und Erfahrung muß ihm in diesem Punkte sehr oft Behutsamkeit vorpredigen. Gegen einen Freund hat er ein unumschränktes Vertrauen und eine vielleicht zu große Aufrichtigkeit, fordert aber beides, und vorzüglich das erste, in einem ganz unbegrenzten Maße. Er ist davon überzeugt, daß Achtung, Freundschaft, Liebe und Zutrauen nie Pflichten sind, die man zu fordern berechtigt ist, sondern die mit guten Eigenschaften erworben und mit gleichen Empfindungen bezahlt werden müssen. Wenn sie ihm aber einmal geschenkt sind, da betrachtet er sie als sein Eigenthum, und sieht es für eine schwere Beleidigung an, wenn man sie ihm wieder nehmen will, oder wenn andere ihm dieselben zu entreißen suchen. Es ist bei ihm Grundsatz und starke Empfindung, sich nie mit Bösem zwingen zu lassen, hingegen könnte man ihn in der Güte sehr weit bringen, und wol noch weiter, als seine Pflichten es zulassen. Er stimmt Lavater’s Grundsätzen ganz bei: Was man will, dazu ist man im Stande. Hindernisse haben ihn nie geschreckt, mehr als einmal aber haben sie ihn auf Dinge gebracht, mit denen er sich nie befaßt hätte, wenn sie ganz leicht gewesen wären. Das Bewußtsein überstandener Schmerzen und besiegter Gefahren gewähren ihm elnen unaussprechlich großen Genuß. Er fühlt es ganz, daß Leiden wohlthätig sind, weil sie die Herzen bessern und fester mit einander verbinden, und er hat es erfahren, daß auch in der Entbehrung ein erhabener Genuß liegt.  Er meint, daß die Dinge nur so auf uns wirken, als sie uns erscheinen, und wir ihren Eindruck empfinden, nie aber wie sie an und für sich in der That sind. Darum ist ihm auch nicht das Allergeringste eine Kleinigkeit, hingegen begreift er sehr wohl, daß eine Stecknadel dem einen mehr werth sein könne, als Indiens Schätze dem andern, ja er wagt es gar, zu glauben, daß derjenige am vernünftigsten denkt, welcher in der vorgeblichen Kleinigkeit sein Glück sucht und findet. Jede Attention, die man ihm erweiset, macht ihm große Freude, er empfindet aber eine noch weit größere, wenn er so glücklich ist, andern, vorzüglich seinen Lieben, ein Vergnügen zu machen. Er ist manchmal übertrieben dienstfertig, verkennt aber dabei nicht weniger den ihm geleisteten Dienst. Nichts kann ihn mehr aufbringen, als die Ahnung, oder gar die Gewißheit, daß man ihm etwas rauben wolle, dessen Besitz nach seiner Ueberzeugung erlaubt ist und ihn glücklich macht. Gegen einen solchen Angriff würde er alle mögliche Vertheidigungsmittel ergreifen, und was ihm an Kraft abginge, durch List ersetzen. Er schlägt seinen Gegner am liebsten im offenen Felde, er würde ihm aber auflauern, wenn er gewiß wüßte, ihn nicht anders überwinden zu können. Er hat nie einen Menschen gehaßt, aber oft Böses mit Gutem vergolten, um seinem eigenen Hochmuth zu schmeicheln. Er selbst will lieber gehaßt, als verachtet sein, gern beneidet, aber nie bedauert, als von theilnehmenden Vertrauten.

Er mag gerne disputiren und raisonniren, so lange nicht zu viel Sophisterei sich darein mischt, er thut es aber mehr aus Lebhaftigkeit und Lust, seine Ideen mitzutheilen und geprüft zu sehen, als um andern seine Meinungen aufzudringen; denn er läßt ihnen gern die ihrigen, so lange sie sich’s nur nicht angelegen sein lassen, ihn auch zu bekehren. Er hält schlechte Grundsätze für weit schädlicher als schlechte Handlungen, weil er in jenen immer Ueberlegung, in diesen aber oft Schwäche findet. Das Neue hat viel Anziehendes für ihn, es wirkt aber mehr auf seine Empfindung, als auf seinen Verstand. Noch nie hat er etwas für gut oder wahr gehalten, weil andere es so ansehen, und ein Vorurtheil ist ihm darum nicht weniger Vorurtheil, weil Jahrhunderte es vertheidigt haben. Seine Religion ist so beschaffen, daß nicht zehn Menschen ihr unbedingt bei­treten, und doch würde sie gewiß jeden Aufgeklärten, der sie annehmen wollte, ruhig und glücklich machen. Das Dasein und die Vorsehung eines allmächtigen und allgütigen Wesens ist seinem Herzen noch mehr gewiß, als seinem Kopfe. Von der Unsterblichkeit gibt ihm sein Verstand eine Aufklärung, der seine Empfindung widerstrebt, und das, was ihm diese darüber sagt, will sich mit dem Resultat seines Nachdenkens nicht recht ver­tragen. Er glaubt oft an Seelenwanderungen, Evolutionssystem nach dem Tode, und Einfluß der abgeschiedenen Seelen auf ihn und das Sichtbare. Im Ganzen ist er sehr abergläubisch und hält oft ganz alltägliche Dinge für untrügliche Zeichen eines guten oder übeln Ausgangs einer ihm wichtigen Angelegenheit. Er hält viel auf Ahnungen, und ihr Erfolg hat ihm dieses immer tiefer eingeprägt, je mehr ihn die Vernunft vom Gegentheil zu überführen suchte. In diesen Fällen hat er einen felsenfesten Glauben, der ihn sehr glücklich macht, und den ihm weder Zeit noch Umstände rauben. Seine Religion, mit Worten ausgedrückt würde ungefähr so lauten:

Humains! pêcheur tant que nous sommes,

Prions de cette voix du coeur,

Qui, sans rompre la tête aux hommes,

Se fait entendre du Seigneur!

N’allons pas nous inquiéter.

Sur les secrèts de notre grand Maitre;

Nous serons sobres à la connaitre,

Mais sans mésure pour l’aimer!

In dem Tode sieht er eigentlich nichts Schreckliches, sondern vielmehr einen liebevollen Freund, der ihn von allen Beschwerden zur Ruhe winkt, um ihn einst zum reiner und stärkeren Genuß auch der Freuden erwachen zu lassen, die ihm schon hier die süßesten waren. Er ist zweimal im reiferen Alter todtkrank gewesen, und mehrmals in Gefahr eines gewaltsamen Todes, ist aber dabei so ruhig geblieben, daß es ihn selbst nachher sehr gewundert hat. Die Gegenwart des Geistes, die ihn lehrt, wie er sich retten muß, pflegt ihn in Gefahren fast nie zn verlassen. Seine Moral ist so beschaffen, daß er sie dürfte drucken lassen, wenn jeder Leser es versprechen wollte und es halten könnte, das Ganze zu fassen und keinen einzigen Satz herauszureißen. Obschon ihm der Arzt sagt, daß Kant mit Recht allgemeine Moralprincipien annehme, so hängt er doch dem Wahne nach, daß jeder Mensch seine eigene Moral habe, haben werde und haben müsse, die von seinen natürlichen Anlagen und von den Ereignissen seines Lebens abhängt. Auf ähnliche Weise hofft er, daß der höchste Richter einst seine Handlungen wägen werde.  Seine Haupttugenden sind: Aufrichtigkeit, Anhänglichkeit an einen lieben Gegenstand, Muth mit Klugheit vereinigt, zartes Gefühl, durch Ueberlegung und Erfahrung gestärkt, Edelmuth, Standhaftigkeit, wo er sie für Pflicht hält. Fehler, die er oft mit besserem Vor­satz als Erfolg bekämpft, sind: Stolz, Verschwendung, übele Laune, satyrische Bitter­keit, Eigenliebe, und besonders übertriebene Reizbarkeit und Heftigkeit, welche er zwar gleich mit Beschämung gesteht, die ihm aber doch oft unverdient den Vorwurf der Hart­herzigkeit zugezogen hat. Ein einziger unglücklicher Augenblick raubte ihm das sü­ßeste und innigste Band, das je einen Sterblichen beglückte. Die Folgen desselben störten die Seelenruhe des Menschen, den er bis zur Anbetung liebt und schätzt, weil er seinem Ideale am nächsten kam. Jene Umstände tilgten aber das Zutrauen und die Liebe, welche den beiden Glücklichen im Himmel der süßesten Einigung zu Theil ward. Mis­muth und Kälte auf der einen Seite, Trübsinn und Menschenhaß auf der andern, vergif­teten seitdem den Umgang dieser Edeln, die ganz für einander geschaffen waren, sodaß ihre Gedanken sich auch in den kleinsten Dingen auf eine unbegreifliche Weise be­gegneten. Die Folgen dieses verwünschten Augenblicks wirkten so gewaltig auf jene gute Seele, daß sie ihren Genuß und die Erfüllung ihrer Pflicht hartnäckig darin suchte, den unglücklichen Kleon zu betrüben, dem sie wenige Tage zuvor Treue und Hingebung bis in den Tod versprochen hatte. In diesem Bewußtsein ihrer muthmaßlichen Pflicht wäre sie beharrt, wenn sie auch durch Aenderung dieses Sinnes dem Theuern das Leben hätte retten können. Ohne Gefühl, wenigstens ohne Aeußerung des Mitleids, sah sie sei­ne Fröhlichkeit und seine Gesundheit von einem Tage zum andern verschwinden; sie hielt dies für Folgen seines Eigensinns, und bedachte nicht, daß diese seine Anhänglich­keit das Glück ihres Lebens ausgemacht hatte; ebensowenig fiel es ihr ein, daß sie ohne seine Zustimmung die ihm geschworenen und tausendmal wiederholten Eide nicht bre­chen konnte. Er wagte anfangs alles, was Vernunft und Liebe vermögen, bei ihr anzu­wenden, aber keines von beiden fand Gehör. Bald schalt sie seine zärtlichsten Vorstel­lungen für harte, unverdiente Vorwürfe, und er merkte deutlich, daß sie dadurch seiner noch mehr überdrüssig wurde. Sie fühlte, daß er Recht hatte, zu klagen, aber ihre über­spannten Tugendbegriffe verboten ihr jedes Gefühl, und sie befahl ihm ewiges Still­schweigen. Er gehorchte blindlings, es war das erste mal in seinem Leben. Wem sollte er auch wol klagen, sie war ja seine einzige Vertraute? Diese Verschlossenheit machte aber den Unglücklichen doppelt elend. Seine tiefen Seufzer, seine finstern Blicke, seine zerstreuten Geberden verriethen blos seinen Kummer. Sein ganzes Benehmen gegen andere drückte lebhaft den Gedanken aus: Wem soll ich trauen, wen darf ich lieben? Ich hing so ganz an ihr, die ich vom ersten Augenblick liebte und traute, und Sie, sie die Einzige, brach ihr Gelübde! Dennoch betete er sie an, und warf die Schuld auf sich selbst. Freilich hatte seine Uebereilung in jenem unglücklichen Augenblicke das Verder­ben über seine Liebe gezogen; aber da Unglück gute Menschen immer fester aneinander schließt, so war es doch nur zu gewiß, daß diese Furcht und die darauf gebaute vermeinte Tugend eine andere, unreinere Quelle hatte, und diese war ihrerseits eine un­gegründete Eifersucht. Auch das entschuldigte Kleon’s Herzensgüte, weil er wußte, daß ein falscher, rachsüchtiger Freund sie beständig wider ihn aufhetzte. Dieser Feind war der einzige, dem er nie verzeihen konnte, und es ist ein Wunder, daß Kleon’s gereizter Muth ihn nicht aus dem Wege räumte. Anfangs trotzte er wo! auf E…..’s gelobte Anhänglichkeit, und hielt den Verräther nicht für gefährlich, sonst wäre es ihm leicht ge­worden, ihn zu entfernen. Das unglaubliche Zutrauen, welches E….. diesem schlechten Menschen schenkte, hat wol nachher den Ausbruch der Rache verhindert. Denn so sehr sie ihn auch gebeugt hatte, fürchtete er doch nichts mehr, als ihr verdientes Mißfallen. Kleon ist ein warnendes Beispiel für jeden Menschen von lebhaftem Gefühl. Was hätte aus diesem Herzen und diesem Kopfe hervorgehen können, wäre er nicht durch den sü­ßen Wahn getäuscht worden, daß es ein Weib in der Welt gebe, welches mehr an ihrem Geliebten, als an ihren eigenen Ideen und an den Umständen hinge! Nie war ein Mann glücklicher, als Kleon, so lange E ….. ganz die Seinige war; nie glaubte sich einer siche­rer im Besitze seines Glückes. Sie war weder schön noch fehlerfrei, selbst Kleon hat sie nie dafür gehalten; er aber liebte sie, und hätte ihr alles, Ruhe, Glück, Leben und Pflicht aufgeopfert. Sie wußte es, so gewiß sie wußte, daß er lebte. Und dennoch, dennoch wurde er den Folgen der ungegründeten Eifersucht aufgeopfert, die E….. für eine erhabene Tugend ansah. Ja sie fand es unnatürlich, daß er mit diesem Bruche nicht eben­so zufrieden war als sie. Wir fragen, hat E….. denn Kleon nie geliebt? Ich antworte: sie hat es geglaubt, sowie sie nachher glaubte, daß Eifersucht und Furcht die Mutter der himmlischen Tugend sei, die doch süß und sanft und nie meineidig ist. Dies traurige Er­eigniß möge zur Aufklärung des unbekannten Problemes dienen: Wer liebt am wärms­ten und am treuesten der Mann oder das Weib? Wessen Liebe ist am meisten abhängig von Laune und von äußeren, oft plötzlich eintretenden Umständen? Vielleicht hatte Mo­hammed nicht unrecht, als er behauptete, daß der Himmel, wo ewige Liebe wohnt, dem andern Geschlecht verschlossen bleibt.

Zu dieser Skizze vom Charakter meines verstorbenen Freundes, und von der wichtigsten Begebenheit seines Lebens, füge ich noch eine kurze Beschreibung seiner Bildung. Er war beinahe sechs Fuß hoch und schmächtig, feine Knochen waren klein, aber die Mus­keln und Adern verhältnißmäßig sehr stark. Der wohlgebildete Kopf saß auf einem langen Halse, mit sehr hervorstehendem Knorpel. Die Brust war flach und die Schultern schmal, doch war seine Lunge gut. Seine Füße waren ziemlich lang, aber die Hände un­gewöhnlich klein, und wie man sagt, recht hübsch. Die Stirne war erhaben und mit per­pendikulairen Furchen besäet, die sich beim lebhaften Denken und Reden kenntlich be­wegten. Unter braunen, mäßigen Augenbrauen standen ein paar hellblaue, lebhafte, ziemlich große Augen, die mit dem ganzen Gesichte stets den Spiegel seiner liebens­würdigen Seele machten. Die Nase war ziemlich gerade und Nasenlöcher sehr offen. Der Mund war viel zu groß, um zu gefallen, aber die Zähne waren wohlgereiht. Das Kinn war klein und mit einem Grübchen. Seine Haut war sehr weiß und sein Haar kastanien­braun. Sein Benehmen war freundlich und gefällig, und er hatte das Glück, die Leute leicht zu unterhalten und einzunehmen. E….. hatte ihm einmal gesagt, daß seine Beredt­samkeit unwiderstehlich sei. Darüber hat er, wenn er an ihren Bruch mit ihm dachte, oft bitter gelächelt.  Nie ward eine Hoffnung so getäuscht, wie die seine.

Ruhe, guter Mann! im ungestörten Frieden.

Auch den Staub beschützt des weisen Schöpfers Hand!

Ew’ge Liebe suchtest du zu früh hienieden,

Und sie rief dich freundlich in ihr Vaterland!«

Die Anspielungen am Schluß beziehen sich auf eins seiner letzten Liebesverhältnisse, welches er, noch während die von ihm entführte Angelica lebte, angesponnen hatte, und durch welches er das Herz dieser Unglücklichen, die ihm ihr alles geopfert hatte, brach. Ehe Emilie ihn von sich wies (wodurch er, wie wir aus einzeln früher gegebenen Andeu­tungen wissen, ernsthafter als es seine Art war, sich getroffen fühlte), machte Angelica ihm einen Vorschlag der Vereinigung, der uns heute befremdlich, doch das Symbol eines Krankheitsstoffes jener Zeit war, der damals nicht selten vorkam, wie Wirklichkeit und Dichtung uns lehren (Bürger’s Molly, Stella u. A.), zugleich aber ein Herz voll seltener Hingebung und glühender Liebe uns zeigt. Angelica schreibt an ihn folgenden Brief; es ist die schlechte Übersetzung eines Originals, welches uns nicht zu Augen kam, dessen warme Züge einer wahrhaftigen Gesinnung aber auch aus dieser steifen Übersetzung herausblicken.

»Mein innigstgeliebter Karl, in der Zeit, wo Du von mir abwesend, habe ich ein Mittel ausgedacht. Wenn es auszuführen wäre, hat der Gedanke daran mich diesen Augenblick sehr beruhigt; und wie die Dinge jetzt stehen, würde mich die Ausführung ganz glück­lich machen. Die Sache besteht darin. Glaubst Du mit einiger Gewißheit, daß Deine Verfassung besser wäre als jetzt, wenn Emilie, Angelica und Karl eine Familie ausmach­ten, und Du mit uns beiden wie Deinem Weibern lebtest? Dazu gehört, ob Du glaubst, Emilie überreden zu können, ohne daß sie jemals den Schritt bereuen würde. Die achttä­gige Freude und Ruhe, welche, ich versichere Dich mit dem aufrichtigsten Herzen, ich gefühlt habe. Deine Freude und die Emilien’s zu theilen, geben mir das Vertrauen, daß ich die ganze Lebenszeit die Nämliche sein würde. Das Verhältniß, in welches wir drei alsdann treten würden, würde viel glücklicher sein. Es würde eine Vertraulichkeit zwi­schen Emilie und mir herrschen, die jetzt nie stattfinden kann. Es herrscht jetzt eine Zu­rückhaltung von beiden Seiten, die mir unausstehlich ist. B…….. würde aufgeopfert; Du glaubst, ich kann es leicht überwinden. Ob Du sie dazu bekommen kannst, weiß ich nicht; ich würde es überwinden, versichert als ich bin, daß wir beisammen glücklich sein würden. Du weißt, Karl, daß mein heimlicher Wunsch war, lange ehe ich die Deinige wurde. Dich den Meinigen zu nennen. Dieser liebe Wunsch kam zur Wirklichkeit, und zur Vergeltung werde ich alles anwenden, um Dich glücklich zu machen. Dich mit einer andern zu theilen, die ich nicht liebe noch schätze, das kann ich; aber Dich ganz ver­lieren, das kann ich nicht, nie mit meinem Willen, sonst löge ich schändlich und wäre ewig unglücklich und, das weiß ich, kannst Du nicht verlangen nach Deinem Charakter. Die Sache müßte so geschehen: Wir reiseten natürlicherweise von hier. Emilie und Angelica als Schwestern; wohin wir kämen, blieben wir es; Eine von uns wäre Karl’s Frau für die Welt, für ihn aber wären wir Beide es. Was Emilie verlieren könnte in Anse­hung ihres jetzigen Auskommens, so könnte es wol dadurch aufgehen, daß sie mit uns gleich theilte. Ihr Kind würde wol zu seiner Zeit das Recht nicht verlieren, welches ihm zukommt. Wer von uns, nämlich Emilie und Angelica, zuerst stirbt, tritt in das Recht der andern. Stirbt unser Karl, so leben wir wie die zwei einzigen Schwestern ihrer Art, und theilen alles miteinander, indem ich in diesem Fall mit niemand besser theilen könnte. Frankreich, glaube ich, würden wir alle drei vorziehen, und wie ich den Karl kenne, glaube ich, würde er vollkommen glücklich sein. Kannst Du eine Möglichkeit für die Ausführung dieses Planes ersinnen oder nicht? Daß es geschehen möchte, wünsche ich seit gestern Abend mit vollem Herzen. Ich finde mich in einer Beklemmung, die, meinem Gefühle gemäß, mich nie ruhig macht. Schlage mir dieses Begehren nicht aus. Lese Emilien das in diesem Briefe enthaltene Geständniß vor, dadurch wird sie von meiner Gesinnung gegen sie doch überzeugt werden. Ich setze voraus, daß sie meinen Vorschlag nicht verkennt; ich verdiene dieses gewiß weder von ihr noch von Dir. Es ist wahrhaftig nicht vorgebracht, um sie zu beleidigen, sondern aus dem mitfühlendsten Herzen für alle Parteien. Sollen Emilie und ich nachher davon sprechen, so laß’ sie bestimmen, wer von uns zuerst sprechen soll. Ich werde sie mit offenen Armen empfangen. Ich verlange blos von ihr und von Dir Aufrichtigkeit, was ja das Einzige ist, was mein Glück ausmacht. Es würde auf mich selbst zurückkommen, wenn ich diesen Augenblick aus einem verstellten Herzen spräche; deswegen glaube mir. Ewig Deine theilnehmende

Angelica.

Dieses Wesen voll hingebender Liebe ward für das Uebermaß derselben gestraft. Wilster war ihrer satt. Nachdem er im sichern Genuß ihres Vermögens sich befand, wußte er sich ihrer zu entledigen. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat er auch Angelica vergiftet. Zur Untersuchung deshalb gezogen, leider aber erst nach Jahren, wo die Sache wieder zur Sprache kam mußte er zwar freigesprochen werden, aber nicht wegen bewiesener Unschuld, sondern wegen mangelnder Beweise der Schuld. Es ist nicht unwahrschein­lich, daß auch damit nicht der Kreis seiner Verbrecherthaten geschlossen war.

Aus dem Munde des ausgezeichneten Mannes, welcher, jetzt in höheren Staatsämtern, damals, als Mitglied des königlichen Kammergerichtes, mit Abfassung des Urtheils be­auftragt war, hörte der Schreiber dieses ein Etwas, das seine Leser wie ihn befremden dürfte. Ganz Berlin wußte seit Jahren fast alle Details dieser Criminalgeschichte, es kannte schon den Charakter des Verbrechers. Niemand, auch der Referent, zweifelte im Geringsten moralisch an seiner Schuld. Derselbe ergriff aus dem Actenberge, der ihm ins Haus geschickt wurde, zuerst die Defensionsschrift des Angeklagten, halb zufällig und halb, um zu sehen, ob ein so Ueberführter noch Gründe vorbringen könne, die wenigstens einen Schein von Unschuld auf ihn zurückwürfen. Er las das umfangreiche Werk, Seite für Seite mit steigendem Interesse, und als er es fortlegte, fühlte er sich zum Ausruf gestimmt: Mein Gott, welch’ ein unschuldiges Opfer haben hier zusammentreffende Umstände der Justiz in die Hände geliefert. Der Mann kann das Verbrechen nicht begangen haben! Es bedarf nicht der Erwähnung, daß das Studium der Acten dem Referenten ein ganz anderes Urtheil sehr bald eingab. Wenn aber ein Richter von tiefer Menschenkenntniß und eben so gelehrter als humaner Bildung, und nach solchem Vorurtheil, von der nur schriftlichen Darstellung eines solchen Verbrechers, wenn auch nur für den Augenblick, getäuscht werden konnte, welche Macht der Täuschung mußte dann demselben, im Zauber seiner Persönlichkeit, vor der Menge, und insbesondere dem schwächeren Geschlecht gegenüber, beiwohnen!

Das Urtheil erster Instanz (es ward unter dem dumpfen Kanonendonner, der von den Ebenen bei Großbeeren herüber dröhnte, abgefaßt, und Berlin durfte, wenn die Schlacht verloren ging, vor allen Greueln, die eine mit Sturm genommene Stadt treffen, mit Recht zittern. Ein beruhigendes Symbol der Gesittung, daß selbst solche Krisen die bürgerliche Rechtspflege und ihre Vertreter in ihrer heiligen Pflicht nicht stören können) lautete auf 15jährigen Festungsarrest, als außerordentliche Strafe. In zweiter Instanz wurde dasselbe lediglich bestätigt. Wilster schnob Feuer und Flamme und drohte seinen Richtern den Tod, wenn er frei käme. Zur Abbüßung seiner Strafe ward er in das Fort Preußen bei Stettin gebracht. Auch hier noch übte er seine Zauberkünste. Er verstrickte, wer mit ihm umging, er stellte sich als einen Märtyrer der schwärzesten richterlichen Cabale dar, der ganz unschuldig gefangen säße und fand Glauben! Er beschäftigte sich mit Unterrichtgeben und, Schriftstellern. Nachdem seine Strafzeit um war, blieb er in Stettin wohnen, von einigen bedauert und geehrt, verabscheut und gemieden von den andern. Seine pecuniären Verhältnisse hatten sich inzwischen gebessert, da er vom Ge­fängniß aus sein Vermögen verwalten lassen, ohne die Zinsen desselben zu verzehren.

Schreiber dieses sah ihn vor einigen Jahren in den Festungsanlagen mit einer Person spazieren gehen, welche hier die Stelle der Angelica’s, Emilien u. s. w. eingenommen. Sein Anblick war nicht geeignet, um für ihn einzunehmen. Er hat seine Strafzeit um mehre Jahre überlebt und blieb bis zu seinem vor Kurzem erfolgten Tode in Stettin.

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