Die Weinlese

Unterdes ist es Leberecht Hühnchen recht gut gegangen. Er hat seine Stellung in der Fabrik vor dem Oranienburger Tor mit einer solchen an einer Eisenbahn vertauscht und bei dieser Gelegenheit eine Verbesserung seines Gehaltes erfahren. Zudem ist ihm ganz unerwartet eine kleine Erbschaft zugefallen, welchen Umstand er sofort benutzt hat, einen langjährigen Lieblingsplan auszuführen, nämlich sich ein eigenes Haus mit einem Gärtchen dabei anzuschaffen. Im letzten März kam er eines Tages zu mir und ging nach der ersten Begrüßung, ohne weiter etwas zu sagen, die Daumen in die Ärmellöcher seiner Weste gesteckt, im Zimmer auf und ab, indem er sich sichtlich ein gespreiztes und geschwollenes Ansehen zu geben suchte. Nachdem ich eine Weile mit Verwunderung . . . weiter lesen

Die Landpartie

1. Frau Schüddebold Ich hatte es ja am Ende sehr gut bei Frau Schüddebold, aber zuletzt ging es doch nicht mehr, und zwar aus mancherlei Gründen. Diese meine brave Hauswirtin sorgte mütterlich und musterhaft für mich, und meine beiden kleinen Zimmer glänzten von Sauberkeit und Ordnung; ja von diesem Artikel war sogar nach meinem Geschmack meistens etwas zu viel vorhanden, denn ich muß nur offen gestehen, daß ich zu den Naturen gehöre, die sich am wohlsten fühlen, wenn sie ein wenig in ihrem eigenen Müll sitzen, wie man bei mir zu Lande sagt. Ich wohnte an einem friedlichen Eckchen Berlins, in der Kesselstraße, und aus dem Fenster sah man auf einen kleinen Platz mit Grün und Blumen; es war eine jener stillen Buchten, an denen . . . weiter lesen

Die silberne Verlobung

Vor einigen zwanzig Jahren sah die Chausseestraße in Berlin anders aus als jetzt. Vom Oranienburger Tore aus reihte sich an ihrer rechten Seite eine große Maschinenfabrik an die andere in fast ununterbrochener Reihenfolge. Den Reigen eröffnete die weltberühmte Lokomotivenfabrik von Borsig mit den von Strack erbauten schönen Säulengängen, dann folgten Egells, Pflug, Schwartzkopff, Wöhlert und viele andere von geringerem Umfang. In den Straßenlärm hinein tönte überall schallendes Geräusch und das dumpfe Pochen mächtiger Dampfhämmer erschütterte weithin den Boden, daß in den Wohnhäusern gegenüber die Fußböden zitterten, die Gläser klirrten und die Lampenkuppeln klapperten. Zu gewissen . . . weiter lesen

Leberecht Hühnchen

Ich hatte zufällig erfahren, daß mein guter Freund und Studiengenosse Leberecht Hühnchen schon seit einiger Zeit in Berlin ansässig sei und in einer der großen Maschinenfabriken vor dem Oranienburger Tor eine Stellung einnehme. Wie das wohl zu geschehen pflegt, ein anfangs lebhafter Briefwechsel war allmählich eingeschlafen, und schließlich hatten wir uns ganz aus den Augen verloren; das letzte Lebenszeichen war die Anzeige seiner Verheiratung gewesen, die vor etwa sieben Jahren in einer kleinen westfälischen Stadt erfolgt war. Mit dem Namen dieses Freundes war die Erinnerung an eine heitere Studienzeit auf das engste verknüpft, und ich beschloß sofort, ihn aufzusuchen, um den vortrefflichen Menschen wiederzusehen und die Erinnerung an die . . . weiter lesen