Lady Hamilton*

Die Welt liebt es, zu Gericht zu sitzen und – zu verurteilen. Da ist keiner unter uns, der nicht begierig wäre, der Themis seine Dienste aufzudrängen; aber wir sind bestechlich aus selbstischer Eitelkeit, wir werten unsere Tadelsucht zur Schuld des Angeklagten und handhaben das Schwert besser als die Waage. Da ist nichts so oft vergessen, als das Wort des Herrn: »Wer unter euch sich ohne Sünde weiß, der werfe den ersten Stein auf sie.« Was tun wir? Den modegewordenen Mantel »sittlicher Entrüstung« umschlagend, setzen wir uns auf unseren Hochmutsklepper und reiten erbarmungslos nieder, was uns kleiner dünkt (nicht ist) als wir selbst. – Die Presse macht so oft den öffentlichen Ankläger, mache sie auch mal den Verteidiger.

Es hat vierzig Jahre lang zum guten Ton gehört, von der Lady Hamilton wie von einer Messaline zu sprechen, deren traurige Lebensaufgabe darin bestanden habe, die Glorie Lord Nelsons zu verdunkeln, seiner Sonne – ihre Flecken zu geben. Es wird Zeit, diese Verurteilung auf ihr rechtes Maß zurückzuführen. Geniale Persönlichkeiten tragen ihren Maßstab in sich und wollen vor allen Dingen nicht mit der englischen Sittlichkeits-Elle (daran auch Shelley und Byron zu kurz befunden wurden) gemessen werden. Zudem hat noch immer die Strafe einen Teil der Schuld gesühnt.

Mir erhellt aus der nachstehenden Biographie, der zum Teil durchaus neue Papiere zugrunde gelegt sind, eine Rechtfertigung Lady Hamiltons schon aus dem einen Umstande, daß die Liebe und Verehrung Lord Nelsons zu ihr zweifellos zutage tritt. Ein Nelson konnte nichts Unwürdiges lieben. Nebenher aber geben diese Mitteilungen Aufschluß über den unberechenbaren und in solchem Umfange nicht geahnten Einfluß Lady Hamiltons am neapolitanischen Hofe; ein Einfluß, den sie in den kritischsten Momenten und unter Opfern und Gefahren zum Heile Englands geltend zu machen wußte. England hat ihr diese Liebe und diese Dienste schlecht gelohnt und der Leser mag vielleicht, gleich mir, das Gefühl nicht unterdrücken können, daß die größere Schuld – wie so oft – nicht aufseiten des Verklagten, sondern des Klägers liegt.

Lady Hamilton war die Tochter Henry Lyons, eines Handarbeiters, der zu Preston in Lancashire lebte. Ihre Geschichte hat den Roman auf seinem eigenen Felde geschlagen; ihr Leben liest sich wie eine Fabel. Ihr Vater starb während ihrer Kindheit; die Mutter zog nach Hawarden in Flintshire und ernährte sich und ihr Kind so gut sie konnte. Einige erzählen, die Tochter habe hier eine bessere Erziehung empfangen, als der Lage der Mutter nach zu erwarten gewesen wäre; nichts indes spricht für diese Annahme, wohl aber zeugt das dagegen, daß sie selbst in späteren Jahren und auf dem Gipfel ihres Ruhmes, alles eher verstand als – die Rechtschreibung. Sie wurde wahrscheinlich 1764 geboren, diente als Kindermädchen in ihrer Vaterstadt, ging dann nach London und trat dort, in gleicher Eigenschaft, in die Dienste des Dr. Budd, eines geschätzten Arztes am Bartholomäus-Hospital. Das Hausmädchen, das sie hier vorfand und mit der sie einen Freundschaftsbund schloß, wurde seltsamerweise kaum minder berühmt als sie selbst und glänzte jahrelang als die erste Schauspielerin (Mrs. Powell) des Drury-Lane-T‘heaters. Oftmals später, während die Sonne Lady Hamiltons in Mittag stand und ihr Geist und ihre Schönheit gleich gefeiert wurden, liebte sie es an der Seite ihres Gemahls Drury-Lane zu besuchen, um einer glänzenden Vorstellung Mrs. Powells beizuwohnen. Die Aufmerksamkeit und Bewunderung des Hauses pflegte sich dann zwischen Bühne und Loge zu teilen, zwischen der berühmten Schauspielerin und – dem noch berühmteren Gast. Man wird die Geschichte der Haus- und Kindermädchen vergeblich nach einem Seitenstück durchsuchen.

Ihr Aufenthalt im Hause des Dr. Budd währte nicht lange; sie stieg zunächst noch eine Stufe tiefer und ward Schenkmädchen in einem vielbesuchten Lokal auf dem St. James-Markt. Hier erregte sie durch ihre Schönheit die Aufmerksamkeit einer zufällig vorübergehenden Dame, welche voll wachsender Teilnahme sich ihr näherte, sie aus dem Gasthaus entfernte und die Waise als eine Art Gesellschafterin zu sich nahm. Die Geschäfte des Hauses waren nicht groß, desto größer die gern bewilligte Muße; so finden wir denn Emma Lyon als begeisterte Romanleserin wieder, lesend mit jenem Eifer und jener Leidenschaft, die ihr eigenstes Wesen waren und womit sie, auch in spätem Jahren noch, alles erfaßte, was ihr überhaupt des Erfassens würdig schien. Die nächste Folge dieser andauernden Romanlektüre war die, daß ihre Phantasie stärker ward als ihre Tugend: sie fiel und ward die Geliebte eines Marine-Kapitäns, den sie indes nach wenigen Wochen schon gegen einen reichen und landbegüterten Baron vertauschte. Sie ward bald Meisterin in allen freien Künsten, in Reiten und Jagen, in Wettspiel und Hazard, und wußte auf alle exzentrischen Liebhabereien ihres Galans so gelehrig einzugehn, daß in Jahr und Tag der Baron ruiniert und statt anderer Gäste der Gerichtsbote an der Türe war. Emma Lyon kehrte von Sussex nach London zurück, und gebieterisch auf Erwerb angewiesen vermietete sie sich als Modell. Aber auch hier wie überall sicherten Schönheit und die Blitze eines immer reicher sich entfaltenden Geistes sie vor einem Wandel auf gewöhnlicher Heerstraße, und das käufliche Modell, das seine Reize jedem Künstlerauge und gelegentlich wohl auch profanen Blicken preisgab, stand vor dieser Männerschar nicht als eine verachtete und mißbrauchte Sklavin, sondern als huldvolle Gebieterin, und kein Finger wagte es sie zu berühren, wenn sie wie Laïs mit entblößtem Nacken vor die staunenden Augen eines Malerkreises trat und triumphierend ausrief: seht, wie schön ich bin!

Romney, einer der berühmtesten englischen Maler des vorigen Jahrhunderts, benutzte sie vielfach zu seinen besten Gemälden, und Hayley, ein Freund William Cowpers und selbst Poet, besang sie in Sonetten als das schönste Weib und den reichsten Geist seiner Zeit.

In diesem Künstlerkreise erregte sie alsbald die besondere Aufmerksamkeit des Mr. Francis Greville, der sehr reich und in Sachen des Geschmacks ein Held des Tages war. Emma Lyon ward seine Geliebte; doch als ob sie dazu bestimmt gewesen wäre, überall dem Bankerotte Tür und Tor zu öffnen, teilte Franz Greville binnen kurzem das Schicksal des Sussex-Barons, und war endlich noch froh, seinem Onkel Sir William Hamilton die kostspielige Geliebte überlassen zu können. Sir William ward Gesandter am neapolitanischen Hofe; Emma Lyon begleitete ihn.

Italien war der geeignete Schauplatz für die volle Entfaltung ihrer Fähigkeiten. Hier erwachte sie erst; hier war sie in der Heimat ihrer innersten Natur. Dieser milde südliche Himmel, der selbst im Ungeschick einen Rest von Grazie erweckt, ihrer Schönheit lieh er Üppigkeit und ihren schon reichen Geist ließ er überströmen von neuentdeckten Quellen. Über alles gebot sie, was ihren Reiz erhöhen oder ihre Kräfte steigern konnte; Luxus und Reichtum schütteten ihr Füllhorn über sie aus, und jede Regung des Talents, jeder künstlerische Trieb fand Vorschub und Befriedigung. Ihr Gesang, ihre Schauspielkunst reizten den Neid künstlerischer Berühmtheiten, und in der Tat, ein bloßes Stück Tuch oder Seidenzeug reichte aus, sie eine Jüdin oder römische Matrone, eine Helena, Penelope oder Aspasia darstellen zu lassen. Kein Charakter schien ihrer Seele fremd, und jeder, der nur einmal Gelegenheit fand, diesen Schaustellungen beizuwohnen, nahm das Gefühl mit nach Haus: die Grazie selbst gesehen zu haben. Der berühmte Shawltanz war ihre Erfindung, doch sein Reiz und sein Ruhm hafteten an ihrer Person, und was nach ihr sich Shawltanz nannte, hatte nichts als nur den Namen geborgt.

Sie war die Bewunderung aller Welt, aber kaum minder der Stolz Sir William Hamiltons, über den sie herrschte, wie Delila über Simson. Sie beschloß Nutzen zu ziehen von dieser unbeschränkten Gewalt, und im September 1791 finden wir sie als – Lady Hamilton. Kurz zuvor war Sir William von seinem Gesandtschaftsposten in Neapel nach London zurückgekehrt, und die »Gesellschaft« jener Tage, nach französischem Vorbild nicht allzu peinlich in Sachen der Moral, beeilte sich, eine Erscheinung willkommen zu heißen, die, durch ihre Vergangenheit wie durch ihre Talente, in gleichem Maße Unterbrechung der Salon-Einerleiheit versprach. Nur eine Ausnahme war und blieb: der prüde Hof der Königin Charlotte weigerte sich, die ehemalige Courtisane zu empfangen, und ignorierte es, daß das ehemalige Kindermädchen des Dr. Budd zur Lady Hamilton und Gemahlin eines Gesandten am neapolitanischen Hofe emporgestiegen war. Ihr Aufenthalt in London währte nicht allzu lange; schon im folgenden Jahre kehrte ihr Gemahl auf seinen Posten zurück, und es entstand jetzt am sizilianischen Hofe die Etiketten-Frage, ob man einer Lady, die von ihrer eignen Souveränin mißachtet worden sei, Zutritt zu gestatten habe oder nicht. Marie Karoline indes, die stolze Schwester Marie Antoinettens, war viel zu eigensinnig und viel zu wenig wählerisch in der Wahl ihrer Mittel, um andauernd die prüde Laune einer englischen Königin zwischen sich und Lady Hamilton treten zu lassen, und binnen kurzem war diese dort Freundin, rechte Hand und Ratgeberin, wo man auf Augenblicke die Möglichkeit ihres Erscheinens in Frage gestellt hatte. Das Band, was sich bald fester und fester zwischen beiden Frauen knüpfte, war kein Band wahrer und inniger Zuneigung: Marie Karoline verstand nicht zu lieben, aber ihr unbegrenzter und unvertilgbarer Haß gegen Frankreich brachten ihr die Gemahlin des englischen Gesandten schon um deshalb näher, weil diese (was immerhin sonst auch) zum mindesten doch eine Engländerin war; und nun erst schuf die überraschende Gleichgeartetheit beider Gemüter ein Maß von Anhänglichkeit, das, wie fern auch von wahrer Liebe, nichtsdestoweniger in Worten und Briefen gelegentlich einen leidenschaftlichen Ausdruck fand.

Es war 1793, nach einem ungefähr einjährigen Aufenthalt in Neapel, als die erste Begegnung zwischen Lady Hamilton und Lord Nelson, damals noch Kapitän des Agamemnon, statthatte. Nelson zählte fünfunddreißig Jahre; nichtsdestoweniger paßte noch völlig jene Schilderung auf ihn, die zehn Jahre zuvor der spätere König William IV. Als Midshipman in sein Tagebuch niedergeschrieben hatte.

Es heißt daselbst: »Wir lagen in Staten-Island und ich hatte Wache am Bord des ‚Barfleur‘, als Kapitän Nelson vom ‚Albe-marle‘ in seiner Barke anlegte und alsbald auf dem Deck erschien. Es war das seltsamste Exemplar von einem Kapitän, das ich all mein Lebtag sah. Schon sein Anzug fiel auf: er trug eine reichbesetzte Uniform; sein schlichtes ungepudertes Haar war in einen steifen hessischen Zopf von beträchtlicher Länge zusammengeflochten, und die altmodischen Schöße seiner Weste waren wenig geeignet, seine Erscheinung minder auffällig zu machen. Ich wußte nicht wer er war, und konnte nicht begreifen, was er überhaupt wolle. Meine Zweifel schwanden indes, als er mir durch Lord Hood vorgestellt wurde. Es lag etwas unwiderstehlich Liebenswürdiges in seiner Art zu sprechen und zu sein, und die Begeisterung, mit der er sich über jeden zum ‚Dienst‘ gehörigen Gegenstand äußerte, bewies hinlänglich, daß er kein gewöhnlicher Mensch sei.«

Die erste Begegnung zwischen Nelson und Lady Hamilton war nur flüchtiger Natur, dennoch hinreichend, um diese ausrufen zu lassen: »Er wird der größte Mann Englands werden !«

Fünf Jahre vergingen, bevor Nelson an die neapolitanische Küste zurückkehrte. Er war nicht mehr »Kapitän Nelson vom Agamemnon«, er war jetzt Fair, Feldherr, Eroberer und umrauscht von dem Jubel und Beifall halb Europas. 1794 hatte er Calvi belagert und ein Auge verloren. 1797 in der unsterblichen Seeschlacht von St. Vincent und unter dem Zuruf: »Westminster-Abtei oder rühmlicher Tod!« hatte er den »San Josef« geentert und den »San Nicholas« dazu. Zwei Monate-später nahm er für immer Abschied von seinem rechten Arm bei Teneriffa, und wieder nach zwölf Monaten, in demselben Augenblicke als sich die Nilschlacht entschied, empfing er eine Wunde in den Kopf. Dieser Nelson setzte jetzt seinen Fuß auf neapolitanischen Boden und sah seine zukünftige Geliebte zum zweitenmal. Er war nicht schöner geworden, aber das Auge Lady Hamiltons hatte die Bewunderung glatter Gesichter hinter sich und ihre Seele jauchzte auf bei dem Triumphzug des Helden, als gälte ein Teil davon ihr selbst. Selber ruhmesgeizig, konnte sie nur noch die Träger des Ruhmes lieben.

Lady Hamilton war inzwischen und lange vor dem Eintreffen Nelsons nicht müßig gewesen. Sie hatte sozusagen Hand in Hand mit ihm gearbeitet und zu dem Erfolg seiner Unternehmungen, so wie zum wachsenden Glanze seines Ruhms nicht wenig beigetragen. Von dem Augenblicke ab, wo sie die Sache der englischen Flotte zur ihrigen machte, setzte sie ihre ganze Seele daran. Ihre Natur erlaubte ihr nicht, sich mit halben Triumphen zu begnügen, und jeder Stein, der ihrem Bau nicht paßte, mußte umgeformt oder beseitigt werden. Sie hatte in gleichem Maße den Mut, das Höchste zu wollen, und das Geschick, es auszuführen. Ein einziges Beispiel unter Tausenden mag für den klugen und opferbereiten Eifer sprechen, mit dem sie unausgesetzt für das Wohl ihres Vaterlandes tätig war. Eines Morgens erfährt sie, daß Privat-Depeschen des Königs von Spanien an den König von Neapel eingetroffen sind. Was ist ihr Inhalt? Sie weiß es nicht, aber sie will und muß es wissen. Mit Hilfe der Königin wird das Dokument aus dem Schlafgemach des Königs entwendet, abgeschrieben und ruhig wieder in die Westentasche gesteckt, daraus es genommen wurde. Der Brief war des Stehlens wert gewesen. Er sprach den festen Entschluß des Königs von Spanien aus: »die englische Allianz aufzugeben und einen Bund mit Frankreich gegen England einzugehen«. Kein Augenblick war zu verlieren. Ihr Gemahl lag lebensgefährlich krank darnieder, aber Entschlossenheit weiß sich selbst zu helfen. Schon in der nächsten Stunde war ein Privat-Kurier Lady Hamiltons auf dem Wege nach London; aus ihrer Börse hatte sie die 400 L. St. Genommen, die nötig waren, das abschriftliche Dokument in die Hände Lord Grenvilles gelangen zu lassen. Man mag über diesen gestohlenen Brief denken wie man will (das Größte muß sich oft der kleinlichsten Mittel bedienen); niemand aber wird anstehen die Geistesgegenwart und den opferbereiten Patriotismus zu bewundern, der aus dieser Handlungsweise spricht.

Aber ein noch wichtigerer Dienst war ihrem Einfluß und ihrer Entschlossenheit vorbehalten, ein Dienst, den sie in gleichem Maße dem Lande, wie der Person Lord Nelsons leistete und diesen fast zu ihrem Schuldner machte. Im Juni 1798 suchte Nelson die französische Flotte; er verfehlte sie am Ausfluß des Nils, weil ihm inzwischen Nachricht geworden war, sie läge bei Malta. Unschätzbare Zeit war verlorengegangen und schlimmer als das, die englische Flotte begann Mangel zu leiden; Trinkwasser und Lebensmittel gingen aus. In dieser Not erschien Kapitän Troubridge in Neapel, um im Namen des Admirals die Erlaubnis um freien Eingang in die sizilischen Häfen nachzusuchen. Diese Erlaubnis ward verweigert, sie mußte verweigert werden, denn Frankreich und Neapel befanden sich zur Zeit in Frieden und ein Traktat bestand, wonach in allen sizilischen Häfen nicht mehr als zwei englische Kriegsschiffe angetroffen werden durften. Kapitän Troubridge stand auf dem Punkte mit seinem abschläglichen Bescheid zum Admiral zurückzukehren, aber die immerwache Lady Hamilton war inzwischen nicht müßig geblieben. Während König und Minister in früher Morgensitzung beisammen waren und hin und her berieten was zu tun und zu lassen sei, glitt Lady Hamilton leichten Fußes in das Schlafgemach Marie Karolinens, und sich vor sie auf die Knie werfend, beschwor sie die überraschte Königin, selbständig und unbekümmert um das »Ja« oder »Nein« des Ministerrats, einen Entschluß zu fassen. Sie schilderte ihr in den lebhaftesten Farben, daß das Wohl beider Sizilien in ihre Hand gelegt sei, daß die französische Flotte, wenn sie dem verfolgenden Nelson entginge, nicht gegen England, wohl aber gegen das stets verdächtige Neapel sich wenden werde, und daß von dem Ausgange dieser Stunde das Stehen oder Fallen ihres Thrones notwendig abhängig sei. »Schreiben Sie, Majestät! Ein Federstrich und Sie sind Ihr eigener Befreier. Warum zögern? Ihre Unterschrift gilt überall im Lande wie die des Königs selbst; eine Zeile – und Land, Gemahl und Krone sind vom Untergang gerettet.« Dieser siegenden Beredsamkeit unterlagen alle Bedenken; Feder, Tinte und Papier waren wohlweislich zur Hand; Lady Hamilton diktierte und die Königin schrieb eigenhändig den Befehl, daß alle Kommandanten beider Sizilien angewiesen seien, die englische Flotte mit Gastlichkeit zu empfangen und mit Wasser und Lebensmitteln nach Wunsch zu versorgen. Diese unschätzbare Ordne übersandte Lady Hamilton an Nelson, fügte aber in einem Privatschreiben den englisch-eifersüchtigen Wunsch bei, daß man die Dienste der Königin nicht weiter in Anspruch nehmen möge, als es zum Gelingen des Plans und zum Ruhme Englands dringend notwendig sei.

Nelson antwortete, daß, wenn er eine Schlacht gewönne, diese nach ihr und der Königin benannt werden solle, denn ihnen allein würde England den Sieg und den Dank dafür schuldig sein. Er gewann die denkwürdige Nilschlacht (Abukir). Wäre seine Flotte außerstande gewesen, sich im Hafen von Syrakus mit Wasser und Lebensmitteln zu versehen, so würde die Schlacht ungeschlagen geblieben sein. Es ist durchaus Pflicht hierauf hinzuweisen. Mag man die Fehler Lady Hamiltons und ihre sittliche Führung verurteilen, es unterliegt auf der andern Seite keinem Zweifel, daß England ihrem Patriotismus große und unvergleichliche Dienste verdankt. Wie schnöde man diese Dienste vergaß, werden wir noch Gelegenheit finden, unter Erröten zu schildern.

Krank und wund kam Nelson am 20. September 1798 nach Neapel. Er trat im Hause des britischen Gesandten ab und fand von Seiten Lady Hamiltons eine Abwartung und Pflege, die ihm nach verhältnismäßig kurzer Zeit Frische und Gesundheit wiedergaben.

Doch von anderer Seite her zogen sich Wolken zusammen, und machten, alsbald für immer, den gastlichen Tagen in Neapel ein Ende. Der französische Gesandte zögerte keinen Augenblick, auf das Einlaufen der englischen Flotte in den Hafen von Syrakus als auf einen Friedensbruch hinzuweisen; aber so mächtig war der Einfluß Lady Hamiltons auf die Entscheidung des Hofs, daß man sich entschloß, die Beziehungen zu Frankreich überhaupt abzubrechen und dem Gesandten der Republik zu bedeuten, daß er Neapel binnen vierundzwanzig Stunden zu verlassen habe. Dieser Schritt war kühn, aber nicht glücklich. Eine französische Armee drang aus Ober-Italien unaufhaltsam vor und warf das neapolitanische Heer über den Haufen, das halb aus Feiglingen, halb aus Verrätern bestand. Im Dezember marschierten die Franzosen auf Neapel und der Hof mußte fliehen. Aber ohne die Geistesgegenwart der Lady Hamilton wäre es bereits zu spät gewesen: König Ferdinand würde als ein Opfer der Volkswut gefallen sein und Maria Karoline das Schicksal ihrer Schwester Marie Antoinette geteilt haben. Lady Hamilton, wiewohl selbst von tausend mißtrauischen Augen bewacht, übernahm die Rettung der königlichen Familie und führte sie aus, wie alles, was sie unternahm. Durch einen unterirdischen Gang, der vom Palast aus zur Küste führte und an dessen Vorhandensein, in der allgemeinen Furcht und Verwirrung, niemand außer ihr gedacht hatte, schaffte sie die königliche Schatulle, Kostbarkeiten und allerhand Meisterwerke der Skulptur und Malerei, alles zusammengenommen zu einem Wert von dritthalb Millionen Pf. St., auf die britischen Schiffe; – mit einem Worte, sie war, wie der sonst sicherlich nicht poetisch überschwengliche Nelson sich ausdrückte, »ein vom Himmel gestiegener Engel«, herabgesandt zu Trost und Rettung der königlichen Familie. Die Verluste Sir William Hamiltons bei dieser Gelegenheit waren außerordentlich bedeutend; um nicht Verdacht zu erwecken und die Flucht glücklich bewerkstelligen zu können, ließ er die ganze Einrichtung seines Hauses, sowie alles bewegliche Eigentum seiner Gemahlin zurück, und büßte dabei ein Vermögen von 39000 Pf. St. Ein. – Nelson empfing das neapolitanische Königspaar, so wie Sir William und Lady Hamilton an Bord des Vanguard und führte sie in Sicherheit nach Palermo.

Die politische Bedeutsamkeit Lady Hamiltons schließt mit diesem Tage ab; der Hof eines flüchtigen Königspaares bot kein Feld mehr für ihre Tätigkeit. – Wann ihre Beziehungen zu Nelson intimerer Art wurden, wäre nutzlos zu untersuchen; es genügt, daß sie es wurden. Wie man auch über dies Verhältnis denken mag, es war wenigstens ein offenes und ehrliches und entzog sich weder dem Licht des Tages noch dem Urteil der Welt. Sir William kannte und – duldete es. Nelson fiel bei Trafalgar 1805. Sir William Hamilton starb 1808. Am 30. Januar 1801 gebar Lady Hamilton eine Tochter; sie ward Horatia getauft; ihr Vater war Lord Nelson.

Die Menschen lieben es (natürlich an andern) sich Schuld und Strafe die Waage halten zu sehen. Das Leben Lady Hamiltons gewährt dem Auge des Beschauers diese Befriedigung im vollsten Maße; es endigt als Trauerspiel. Bei der Rückkehr Sir Williams nach England lag diesem begreiflicherweise nichts näher, als um annähernde Ausgleichung der schweren Verluste zu bitten, die er in Neapel erlitten hatte. Lady Hamilton setzte ihre Juwelen an die Unterstützung dieses Gesuchs. Vergeblich; Sir William starb nach Jahren; seine Bitte war und blieb unerfüllt. Sterbend beauftragte er seinen Neffen, Mr. Greville, zugunsten Lady Hamiltons Se. Majestät um Fortdauer der Pension anzugehen, die er bei Lebzeiten bezogen hatte. Er berief sich dabei auf den patriotischen Eifer, den seine Gemahlin im Dienste Englands gezeigt habe; umsonst, Eifer und Dienste waren undankbar vergessen.

Am 21. Oktober 1805, an Bord des »Victory« und angesichts der vereinigten französischen und spanischen Flotte, zog sich Nelson in seine Kajüte zurück, um ein Kodizill zu seinem Testamente zu machen. Er verwies auf die vielfachen und großen Verdienste Lady Hamiltons und schrieb wie folgt:

»Wär‘ ich selbst imstande gewesen diese Dienste zu belohnen, ich würde jetzt nicht das Land anraten, es zu tun; doch es lag außer meiner Macht, und so hinterlaß‘ ich denn Emma Lady Hamilton meinem Könige und meinem Vaterlande als ein Vermächtnis, und erbitte für sie alles das, was nötig sein wird, ihre Stellung in der Gesellschaft aufrechtzuerhalten. Ebenso empfehl‘ ich meine Adoptiv-Tochter Horatia Nelson Thompson der Wohltätigkeit meines Landes und spreche hiermit den Wunsch aus, daß sie in Zukunft allein den Namen ‚Nelson‘ führen möge. Dies sind all meine Wünsche, die ich in demselben Augenblicke an König und Vaterland zu richten habe, wo ich auf dem Punkt stehe, eine Schlacht für sie zu schlagen.

Möge Gott mein Land und meinen König segnen, und alle diejenigen, die meinem Herzen nahestanden. Auf meine Familie hinzuweisen ist überflüssig; es wird sich von selbst verstehen, Sorge für sie zu tragen.«

Wenige Stunden nach der Unterzeichnung dieses Dokuments lag Nelson auf seinem letzten Bett. Ein Schuß aus dem Mastkorb des »Redoutable« hatte sein Werk getan. Dr. Scott war um ihn. »Doktor« –sprach der Sterbende – »wie ich Euch sagte – es ist vorbei.« – Und nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Ich hinterlasse Lady Hamilton und meine Adoptiv-Tochter Horatia dem Lande als ein teures Vermächtnis.«

Fünf Viertel-Stunden später trat Kapitän Hardy an das Lager des Admirals. »Ich hoffe« – sprach Nelson mit fester Stimme – »daß keins unsrer Schiffe genommen wurde!« »Nein, Mylord « – antwortete Hardy – »damit hat‘s nichts auf sich.« »Ich bin ein toter Mann, Hardy« – fuhr Lord Nelson fort – »ich fühl‘ es, es geht schnell; bald wird‘s vorbei sein. Tretet näher. Bitt‘ Euch, sorgt dafür, daß meine liebe Lady Hamilton mein Haar empfängt und alles, was mir sonst noch gehört.«

Wieder verging eine Stunde und wieder war Hardy an seiner Seite. »Noch wenig Minuten und – es ist aus. Werft mich nicht über Bord, Hardy.« Der Kapitän antwortete: »O nein, gewiß nicht!« und Nelson fügte hinzu: »Ihr wißt, was Ihr zu tun habt. Sorgt für meine liebe Lady Hamilton, sorgt für die Arme!«

Wenig Augenblicke noch und Nelson sprach seine letzten Worte: »Dank Gott, ich habe meine Pflicht getan!« Doch die Worte, die diesen unmittelbar vorausgingen, waren die alten Klagetöne: »Vergesset mir nicht, Doktor, daß ich Lady Hamilton und meine Tochter Horatia dem Lande als ein Vermächtnis hinterlasse. Vergeßt mir Horatien nicht!«

Nelsons Kodizill erwies sich nicht besser als ein unbeschriebenes Blatt Papier. Seine letzten Bitten verhallten in leere Luft; Lady Hamilton fand nicht Trost und nicht Hilfe. Schreiende Undankbarkeit, lieblose Härte brachen von jetzt ab in ununterbrochener Reihenfolge über die Verlassene herein. Kapitän Blackwood, gehorsam dem Wunsche seines Freundes, brachte das Dokument nach London und legte es in die Hände des Rev. William Nelson, Bruder des Admirals, und später Earl Nelson. Dieser ehrenwerte Gentleman befand sich nebst Gemahlin und Familie gerade um diese Zeit in dem gastlichen Hause der Lady Hamilton und war derselben ohnehin dadurch verschuldet, daß seine Tochter bereits sechs Jahre lang im Hause der Lady lebte, und von dieser auf das liebevollste und sorgfältigste erzogen worden war. Der ehrenwerte Gentleman hielt es indessen für angemessen alles dessen uneingedenk zu sein, und in nicht ungegründeter Furcht, daß die Überreichung dieses Kodizills die Höhe der Summe beeinträchtigen könne, welche das Parlament auf dem Punkte stand für die Familie Lord Nelsons zu bewilligen, fand er es für passend das Kodizill so lange in seine Tasche zu stecken, bis die volle Summe von 120000 Pfd. St. Der Familie zugestanden war. An demselben Tage speiste er bei Lady Hamilton in Clarges-Street, und mit der befriedigten Miene eines Mannes der sich vorgesehen hat, überreichte er jetzt das wertlos gewordene Papier seiner Wirtin und bat sie sarkastisch, damit zu tun was ihr gut erscheine.

Und wie dieser, so alle. Man zog sich zurück, ja mehr, man floh sie, sie, die einst der Mittelpunkt fürstlicher Feste und die Freundin einer Königin gewesen war. Man kannte jetzt plötzlich ihre Vergangenheit, weil man sie kennen wollte; die Welt war nicht tugendhafter, aber Lady Hamilton war – arm geworden. Wenige Meilen von London, nahe dem Merton-Schlagbaum, hatten Nelson und seine Geliebte einst ihren gemeinschaftlichen Wohnsitz gehabt. Das Haus mit allen seinen Schulden und Verpflichtungen kam jetzt an Lady Hamilton. Sie hatte nie zu sparen verstanden und verstand es auch jetzt nicht; nach kurzer Zeit schon ward ihr das Haus genommen. Sie ging nach Richmond, verließ es aber bald und mietete sich in Bond-Street ein. Von hier ward sie durch unbarmherzige Gläubiger vertrieben und verbarg sich längere Zeit vor ihnen, man weiß nicht wo. 1813 finden wir sie in Kings-Bench, bis das Mitleid eines City-Alderman sie aus dem Gefängnis befreite. Krank an Leib und Seele und durch einen gewöhnlichen Kutscher abermals mit Gefängnis bedroht, sehen wir das unglückliche Weib auf der Flucht nach Calais. Hier gab ihr der englische Dolmetscher, selbst ein unvermögender Mann, eine armselige Wohnung. Aber der Roman ist noch nicht aus.

Eine englische Lady pflegte täglich bei einem Metzger in Calais das Fleisch für ihren Lieblingshund selbst einzukaufen. Der Dolmetscher trat an sie heran: »Ach Madame, ich weiß, Ihr habt ein Herz für Eure Landsleute! Da ist eine arme Lady, die froh sein würde, den schlechtesten Bissen zu haben, den Ihr Euren Hunde gebt.« Mistreß Hunter, eine mildherzige Dame, war zu helfen bereit; sie schickte Speisen und Wein und bat den Dolmetscher alles zu beschaffen, was ihm nötig erscheinen möchte, die schreiendste Not zu lindern. Er tat‘s, und bat dabei Lady Hamilton wiederholentlich, den Besuch der menschenfreundlichen Dame zu empfangen. Endlich gab jene ihre Zustimmung, aber nur unter der Bedingung, »daß es keine Dame von Rang und Titel sei«. Mrs. Hunter kam, die arme Kranke dankte ihr und segnete sie. – So starb Lady Hamilton, »schön«, wie ihr letzter Besucher erzählt, »noch im Tode«.

Der Earl Nelson aber, so wird einstimmig berichtet, ging alsbald nach Calais, um das Eigentum Lady Hamiltons in Empfang zu nehmen. Er fand nur Pfandscheine und Schuldverschreibungen, die er Miene machte uneingelöst zu sich zu stecken. Im übrigen verweigerte er beharrlich jede Bezahlung oder Wiedererstattung und kehrte vermutlich wenig befriedigt nach England zurück.

Das ist die Geschichte des Kindermädchen Emma Lyon!

 

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