Keine Kompromisse mehr

Siebentes Kapitel. Kaum waren die Wahlen vorüber, als ich schon wieder zu einer ausgedehnten Vortragsreise aufbrechen mußte, um durch ihren Ertrag die Verluste wett zu machen, die ich während meiner politischen Tätigkeit durch Ausgaben und Vernachlässigung meiner Privatangelegenheiten erlitten hatte; auch wollte ich gerne schon etwas fürs die künftige große Kampagne der Präsidentenwahl von 1860 zurücklegen. Das Vortragswesen hatte sich damals über den ganzen Norden und Nordwesten bis in die schwach bevölkerten Gegenden hinein verbreitet und konnte als ein sehr wertvolles Erziehungsmittel betrachtet werden. Es gab kaum ein Städtchen von mehr als 3000 Einwohnern, das nicht während des Winters seinen regelmäßigen Vortragskursus aufzuweisen hatte, und diese Veranstaltungen dienten mehr dem Zweck der Belehrung als dem der bloßen Unterhaltung. Viele der besten Köpfe und der beredtesten Zungen des Landes, wie z.B. George William Curtis, Henry Ward Beecher, Joseph Waldo Emerson, Wendell Phillips, Charles Sumner, Horace Greeley, der Temperenzapostel John B. Gough und eine große Anzahl hervorragender Professoren und Geistlicher wurden beständig begehrt, um über Themata zu sprechen, die für intelligente, wißbegierige Menschen von Interesse waren. Die Beobachtungen welche ich während meiner Vortragsreisen jener Jahre machte, gehören zu den belehrendsten und ermutigendsten meiner frühen amerikanischen Erfahrungen. Ich sah, was man die Kultur der Mittelklasse nennen könnte, in ihrem Bildungsprozesse begriffen.

Eine Pause zwischen meinen Vorträgen benutzte ich, um einen kurzen Besuch in Washington zu machen. Der Kongreß war damals in einem Zustand der Aufregung, desgleichen man sich jetzt kaum vorstellen kann. Am Morgen nach meiner Ankunft frühstückte ich mit meinem Freunde Mr. John F. Potter, Kongreßmitglied von Wisconsin. Er lud mich ein, ihn zum Kapitol zu begleiten und versprach mir, mich womöglich in den Sitzungssaal mitzunehmen. Bevor wir aufbrachen, sah ich, wie er sich einen Gürtel mit einer Pistole und einem Jagdmesser unter seine Kleider schnallte. »Sie scheinen über meine Vorbereitungen erstaunt zu sein!« sagte er, »das ist aber meine gewöhnliche Morgentoilette, wenn ich in die Kongreßsssitzung gehe. Sie wissen, daß ich kein Raufbold, sondern ein friedliebender Bürger bin. Man kann aber nicht wissen, was kommen mag.« Dann erklärte er mir, daß die nördlichen Sklavereigegner jeden Augenblick eines Angriffs gewärtig sein müßten, weniger von Seiten der südlichen Abgeordneten selbst als von einer Bande südlicher Tollköpfe, die sich vielleicht auf den Galerien versammeln könnte. »Sie können jeden Augenblick gegen uns losbrechen, « sagte Mr. Potter, »aber wenn sie zu schießen anfangen, wollen wir doch vorbereitet sein, um das Feuer zu erwidern. Mehrere meiner Freunde gehen ebenso bewaffnet wie ich.« Ich hatte schon gehört, daß Senator Wade von Ohio, nachdem er von einem Südländer bedroht worden war, eines Tages mit einem Paar großer Reiterpistolen im Senat erschienen war, welche er ganz ruhig vor aller Augen auf den Deckel seines Pultes legte. Als er sicher war, daß jedermann die Pistolen bemerkt haben mußte, verschloß er sie griffbereit in sein Pult und lehnte sich, mit einem grimmigen Lächeln um sich blickend, in seinen Stuhl zurück. Ob die Geschichte wahr ist, wage ich nicht zu verbürgen, jedenfalls wurde sie vielfach geglaubt, da sie dem »alten Ben Wade« so ähnlich sah und so gut auf die Situation paßte.

Es gelang Mr. Potter, mich in den Sitzungssaal des Repräsentantenhauses einzuführen, und ich hatte die Befriedigung, eine Debatte zu hören, die, was auch Gegenstand der Tagesordnung gewesen sein mag, sehr bald die Repräsentanten des sklavereifeindlichen Nordens und des sklavereifreundlichen Südens in heftigem Wortwechsel einander gegenüberstellte. Die Nordländer blieben verhältnismäßig ruhig in der Diskussion, die südlichen Heißsporne dagegen wurden trotzig, anmaßend, auffahrend, warfen ihren Gegnern Feigheit und Kleinlichkeit vor und ließen mit größter Verwegenheit in der Debatte Worte über die Auflösung der Union, fallen, als sei das etwas, das man eher herbeiwünschen als fürchten müsse. Im Auftreten der Südländer, besonders der jüngeren unter ihnen, machte sich eine Behauptung aristokratischer Überlegenheit bemerkbar, von der sie scheinbar aufrichtig überzeugt waren, welche aber die Geduld und die Selbstbeherrschung ihrer Gegner bis zum äußersten auf die Probe stellte. Ein Gefühl ängstlicher Spannung, kriegerischer Herausforderung lag in der Luft, und oftmals schien ein Ausbruch von Gewalttätigkeit unvermeidlich zu sein. In den Beleidigungen, die so leichtfertig hin und her flogen, machte sich ein Ton bitterer persönlicher Feindschaft fühlbar. Mr. Potter sagte mir, daß die Beziehungen freundlicher Kollegialität, welche früher zwischen den Nordländern und Südländern wie regelmäßig zwischen Mitgliedern verschiedener Parteien, im Kongreß geherrscht hätten, zum großen Teil geschwunden seien, daß die Erbitterung und Mißgunst politischen Kampfes sich auf ihren persönlichen Verkehr erstreckt, zwischen vielen sogar die gewohnte Begrüßung aufgehört habe, und sie einander mit finsteren und bösartig feindlichen Blicken begegneten.

Ich mußte am nächsten Tage Washington verlassen und schied mit der Überzeugung, daß die Zeit der Kompromisse in der Tat vorüber sei. Es schien mir, daß der Norden der Herausforderung des Südens eine Kundgebung seines Mutes und seiner Entschlossenheit entgegenstellen müsse. Wenn der Süden sich in der Erwartung bestärkt fühlte, daß der Norden sich jedesmal, wenn man ihm mit einer Auflösung der Union drohte, bereit zeigen würde, Konzessionen zu machen oder die gerechtesten Forderungen preiszugeben, dann würden jene Drohungen kein Ende nehmen. Nichts aber konnte sie so gut entwaffnen als eine kaltblütige Annahme der Herausforderung. Dem Süden mußte, selbst auf Gefahr eines Kampfes hin beigebracht werden, daß die Sklaverei aus den noch freien Territorien, ausgeschlossen werden sollte, denn darum drehte sich eigentlich der Streit. Wenn die Südländer glaubten, wie sie zu glauben schienen oder wenigstens zu glauben vorgaben, daß die Nordländer nicht kämpfen wollten, dann mußten die Nordländer ihnen ausdrücklich beweisen, daß sie, wenn es sein müßte, zum Kampf bereit seien, und daß jeder Versuch der Südländer, die Union auseinanderzureißen, diese Notwendigkeit herbeiführen würde. Jede Politik, welche die geringste Neigung verriet nachzugeben, würde die Gefahr eines bewaffneten Zusammenstoßes vergrößern. Diese Gefahr, wenn sie überhaupt zu vermeiden war, konnte nur durch ein Auftreten ernster Entschiedenheit vermieden werden. Nur so konnten die südlichen Hitzköpfe noch bei Zeiten dazu gebracht werden, die Kosten ihrer Tollkühnheit in Erwägung zu ziehen. Es war mir lieb zu finden, daß dieses auch die vorherrschende Ansicht der nördlichen Abgeordneten war, mit denen ich sprach.

Nicht lange, nachdem ich Washington verlassen hatte, kam es in der Tat zu einigen Handgreiflichkeiten im Sitzungssaale selbst, und mein Freund Potter war der Held einer dieser Reibereien. Mr. Potter war wirklich, wie er sagte, ein friedlicher und gesetzliebender Bürger, ein Mann von nicht glänzenden, doch sehr respektablen Fähigkeiten, kein Redner, doch im Gespräch vernünftig und überzeugend, ein fleißiger und pflichttreuer Arbeiter von unerschütterlichem Mut, wenn es das Rechte galt, ein prächtiger ritterlicher Charakter, der jedem Vertrauen und Wohlwollen einflößte, kurz ein Mann, den man gern zum Mitarbeiter, Nachbarn und Freund haben möchte. Man konnte ihn jedoch nicht ansehen, ohne sich zu sagen, daß er im Streit ein ungemütlicher Gegner sein würde. Er war nicht sehr groß, aber ausnehmend breit in den Schultern und im Brustkasten, und die Bewegungen seiner Glieder verrieten das elastische Gleichgewicht der Muskeln, das gewöhnlich auf Kraft, sowie auf behende Bereitschaft im Kampf schließen läßt. Er war eigentlich ein schöner Mann von einer kräftig männlichen Schönheit mit seinen starken, regelmäßigen Zügen, die von blondem Haar und Bart umrahmt waren, seiner Adlernase und seinen blauen. Augen, die in ruhigen Momenten mit ihrem ehrlichen, gütigen Blick bestricken mußten, die aber in der Aufregung Blitze sprühen konnten – der ganze Mann ein Bild der Kraft und des Mutes. Ein heißer Wortwechsel entspann sich im Kongreßsaal zwischen ihm und Mr. Roger C. Pryor von Virginia, der ihn mit einigen provozierenden Bemerkungen gereizt hatte, und es erfolgte eine Herausforderung zum Duell. In Anbetracht des damals herrschenden Gefühls im Volke glaubte Mr. Potter sich genötigt, die Herausforderung anzunehmen, und da ihm nach dem Ehrenkodex die Wahl der Waffe freistand – und er meinte, die Sache möglichst ernst nehmen zu müssen – wählte er »Bowie-knives« (lange Jagdmesser). Mr. Pryor lehnte unverzüglich ab, wenn ich mich recht erinnere unter dem Vorwand, das »Bowie-knife« sei keine zivilisierte Waffe. Da jedoch seine im Grunde nicht unvernünftige Ablehnung, so hingestellt wurde, als bedeute sie einen schmählichen Rückzug des feuerfressenden Südländers, veranlaßte sie im ganzen Norden großes Gelächter, und Mr. Potter fand eines Morgens, daß er der Held des Tages war. Eine Flut von Glückwünschen ergoß sich über ihn, und wenige Monate später überreichten ihm einige enthusiastische Bewunderer im Konvent von Chicago ein »Bowie-knife« von riesiger Größe als Zeichen der allgemeinen Anerkennung.

Die Frage, ob unter den damals obwaltenden Umständen eine von einem Südländer an einen Nordländer geschickte Forderung hätte angenommen oder abgelehnt werden sollen, hat mich oft beschäftigt. Da ich grundsätzlich sehr stark gegen das Duell eingenommen bin, wäre ich von Natur geneigt, zu sagen, daß sie hätte abgelehnt werden sollen. Unzweifelhaft lassen sich oft Männer in ein Duell verstricken, deren Gewissen diesen Brauch mißbilligt, weil sie fürchten, eine Ablehnung könne als Mangel an persönlichem Mut ausgelegt werden. In solchen Fällen würde tatsächlich eine Ablehnung der Beweis eines viel höheren Mutes sein, als der, dessen es bedarf, sich einer Pistolenkugel gegenüberzustellen, des moralischen Mutes, der sich lieber ungerechter und demütigender Verdächtigungen aussetzt, als eine Handlung zu begehen, die vom Gewissen mißbilligt wird. Zu der Zeit jedoch, von der ich spreche, waren die Rücksichten, welche in solchen Dingen die Gemüter bestimmten, nicht rein persönlicher Natur. Die Schmähung, daß die Nordländer Feiglinge wären und nicht kämpfen wollten war beständig auf den Lippen unzähliger Südländer. Sie glaubten ohne Zweifel an die Wahrheit dieses Vorwurfs, und dieser Glaube war von großer allgemeiner Bedeutung. Er übte einen mächtigen, vielleicht sogar einen entscheidenden Einfluß auf die Bevölkerung des Südens aus. Er erweckte in ihnen die Vorstellung, daß, was auch der Süden fordern möge, wenn er die Forderung nur mit genügend gebieterischer Großtuerei vorbrächte, der Norden sich doch nach einigem Winden und Krümmen endlich fügen würde, nur um der Gefahr eines Waffenkampfes zu entgehen. Es ist eine ernste historische Erwägung, ob, wenn im Süden nicht die falsche Auffassung von dem absoluten Mangel an Kampfeslust im Norden vorgeherrscht hätte, der Süden jemals das Wagnis einer Sezession und des daraus folgenden Bürgerkrieges unternommen hätte. Wenn also zu jener Zeit jeder Nordländer, der von einem Südländer gefordert wurde, sich mit seinen Gewissensskrupeln entschuldigt hätte, so wäre gesagt worden: »Sehen Sie, man kann sie beleidigen, sie stoßen und puffen, man kann sie an der Nase ziehen, aber kämpfen wollen sie nicht! Es steckt keine Schneid in der ganzen Bande«. Damit wäre der Glaube, daß der Süden ungestraft sich alles herausnehmen könnte, noch bekräftigt worden und hätte sich mehr und mehr verbreitet. Es ließe sich also die Behauptung aufstellen, daß unter so besonderen Umständen die Frage, ob eine Duellforderung angenommen oder zurückgewiesen werden sollte, keine rein persönliche, sondern vielmehr eine Frage von allgemeiner Bedeutung war, und daß folglich ein Mann, der prinzipiell noch so stark dem Duell abgeneigt sein mochte, doch gerechtfertigt war, wenn er zeitweilig seine Prinzipien dem allgemeinen Wohl opferte. Es gab jedenfalls Viele, die unter gewöhnlichen Umständen den Gedanken an ein Duell entrüstet zurückgewiesen hätten, welche damals aber instinktiv in die Hände klatschten, wenn ein bekannter Mann kampflustig den Hohn seiner Gegner aus dem Süden zurückwies und besonders, wenn ein nördlicher Abgeordneter durch die Kundgebung ungewöhnlichen Mutes jene Gegner aus dem Felde jagte, wie es meinem Freunde Potter in so wirksamer Weise gelungen war. Solch ein Zustand der öffentlichen Stimmung ist gewiß kein gesunder, aber wir lebten in einer fieberhaft aufgeregten Atmosphäre, die dazu angetan war, den normalen Maßstab menschlichen Handelns gefährlich zu ändern.

Auf meiner Rückreise nach dem Westen hatte ich einen Vortrag in Columbus, Ohio, zu halten. M. Salmon P. Chase, der damalige Gouverneur des Staates Ohio hatte mir in einem sehr freundlichen Briefe die Gastfreundschaft seines Hauses angeboten, und ich nahm die Einladung mit Vergnügen an. Als ich früh morgens eintraf, war ich erstaunt, zu so unbequemer Stunde vom Gouverneur selbst empfangen zu werden. Er sagte mir, daß seine Tochter Kate, welche dem Haushalt vorstand, bald erscheinen würde. Sie kam nach kurzer Zeit, begrüßte mich sehr freundlich und setzte sich zu uns mit der graziösen Leichtigkeit eines Vogels, der die Flügel faltend sich auf den Ast eines Baumes niederläßt. Sie war damals achtzehn Jahre alt, groß, schlank und von schönem Wuchs. Ihre Züge waren nicht nach den klassischen Regeln schön, und ihr Näschen, etwas kühn aufgestülpt, wäre vielleicht von einem strengen Kritiker bemängelt worden, doch es paßte anmutig zu dem Gesicht mit den großen schwermütigen, aber gleichzeitig lebhaften grauen, von langen dunklen Wimpern beschatteten Augen, über welchen die Brauen in stolzem Bogen gezeichnet waren. Die schöne Stirn war von welligem goldbraunem Haar umrahmt. Sie hatte etwas Königliches in der Haltung des Kopfes, und alle ihre Bewegungen waren von einer natürlichen Grazie. Es war kein Wunder, daß sie später den Ruf einer großen Schönheit genoß und viele Herzen brach. Nach den gebräuchlichen höflichen Redensarten drehte sich die Unterhaltung, an welcher Miß Kate einen intelligenten Anteil nahm, bald um Politik – und diese Unterhaltung wurde während des größeren Teils des Vormittags in der Bibliothek des Gouverneurs fortgesetzt. Ich hatte einen tiefen Respekt gefaßt vor Mr. Chases Fähigkeiten und Charakter. Seine Reden über die Sklavereifrage waren mir alle bekannt, und ich bewunderte ihre klare Beweisführung und Kraft nicht weniger als die aus ihnen sprechende edle Gesinnung. Auch seine Persönlichkeit hatte mir einen tiefen Eindruck gemacht, als ich ihn einige Jahre vorher von der Galerie des Senats gesehen hatte. In ihm, mehr wie in seinen Kollegen, erkennt man den bedeutenden Mann. Und jetzt, da ich neben ihm in der Vertraulichkeit seines Studierzimmers saß und er mich bat, ihm meine Ansichten über die politische Situation auszusprechen, war mir, als sei mir eine große Auszeichnung widerfahren, aber gleichzeitig eine Verantwortung aufergelegt, die ich nicht sehr begierig war zu übernehmen. Nach seinem Auftreten vor der Öffentlichkeit zu urteilen, hätte man Mr. Chase für kalt, hochmütig und unnahbar gehalten. Ohne die geringste Affektation oder die Absicht zu posieren, lag in seiner Haltung etwas Majestätisches. Wenn er sich jedoch in freundschaftlichem Verkehr gehen ließ, durchbrach die wirkliche Wärme seiner Natur die Eiskruste, und man gewann den Eindruck, daß seine gewöhnliche Zurückhaltung eher einer Art schamhaften Schüchternheit als einem hochmütigen Gefühl der Überlegenheit entsprang. Die Würde seiner Haltung verließ ihn allerdings auch nicht in den Stunden der Anspannung, denn sie war ihm vollkommen natürlich und unbewußt. Sie gehörte zu ihm wie die majestätische Figur, mit welcher die Natur ihn ausgestattet hatte. Es war etwas Bestrickendes in der großartigen Einfachheit seines Charakters, so wie sie sich in den vertraulichen Mitteilungen offenbarte, die er mir mit dem fast kindlichen Lispeln seiner tiefen Stimme machte, und ich verstand sehr gut, wie intime Freunde eine sentimentale Anhänglichkeit für ihn empfinden und in dem Wechsel der Zeiten bewahren konnten, auch nachdem sie vielleicht aufgehört hatten, den von ihm eingeschlagenen Kurs zu billigen.

Mit diesem außergewöhnlichen Manne saß ich nun in seinem gemütlichen Arbeitszimmer, und er gestand mir mit einer Offenheit, die mich in Erstaunen setzte und mich gleichzeitig anzog, seinen glühenden Wunsch, Präsident der Vereinigten Staaten zu werden und daß ihn der kommende republikanische Nationalkonvent zu dieser Stellung vorschlagen werde. Er meinte, daß ich unzweifelhaft als Delegierter von den Republikanern Wisconsins in diesen Konvent geschickt werde, und er wünsche sehr zu wissen, was ich von seiner Kandidatur hielte. Es hätte mir einen Augenblick aufrichtiger Freude bereitet, wenn ich meine Antwort im Tone der Ermutigung hätte geben können, denn nichts konnte mir berechtigter erscheinen, als der hohe Ehrgeiz dieses Mannes, zu dem ich mich persönlich so stark hingezogen fühlte. Aber ich konnte diese Ermutigung nicht aussprechen und ich schätzte ihn zu hoch, um ihm zu schmeicheln, oder ihm mit zweideutigen Phrasen zu dienen. Ich sagte ihm aufrichtig, daß ich in der amerikanischen Politik zu unbewandert sei, um die Zahl der Stimmen, über die er im Konvent gebieten würde, berechnen zu können, daß ich mir aber ein allgemeines Urteil über die Situation gebildet habe, welches ich folgendermaßen zusammenfaßte: »Wenn der republikanische Konvent in Chicago den Mut hat, einen entschiedenen Gegner der Sklaverei zu nominieren, so wird er Seward nominieren; wenn er nicht den Mut hat, dann wird er nicht Sie nominieren.« Der Gouverneur schwieg einen Augenblick, als habe er etwas Unerwartetes gehört, dann dankte er mir, daß ich ihm so ohne Umschweife meine Meinung gesagt habe, welche möglicherweise richtig sei. Aber, ohne irgend welchen Zweifel über Sewards Charakter und die Dienste, die er geleistet, auszudrücken, gab er mir zu verstehen, daß er nicht einsehen könne, warum die Sklavereigegner ihn in die zweite Reihe der Anführerschaft stellen sollten, statt in die erste – ein Punkt, über den ich nicht mit ihm rechten konnte.

Der Gouverneur setzte die Unterhaltung in bester Laune fort, obgleich ich ihn augenscheinlich enttäuscht hatte, und er blieb in seinem Benehmen so herzlich wie zuvor. Ich glaubte jedoch einen Ton der Wehmut aus seinen Worten herauszuhören. Damals hatte ich schon die Geschichte des Landes genügend studiert um zu wissen, daß das Präsidentschaftsfieber ein quälendes, beunruhigendes Leiden sei, das manchmal dem Seelenfrieden und dem moralischen Gleichgewicht des mit ihm Verhafteten tödlich sein konnte. Ich war aber noch niemals mit einem Manne in Berührung gekommen, von dem der Wunsch, Präsident zu werden, in solchem Maße Besitz ergriffen hatte, daß er aufrichtig glaubte, er sei es dem Lande schuldig und das Land sei es ihm schuldig, daß er Präsident werde. Es bedurfte der äußersten moralischen Anstrengung seinerseits, daß dieser Gedanke seine Motive nicht verdunkelte und seine Handlungsweise nicht beeinflußte. Chase war eins der edelsten Opfer dieses Übels und litt unsäglich darunter; nicht daß es seine Grundsätze und seine politische Moral vergiftet hätte, denn er blieb den hohen Zielen seiner öffentlichen Laufbahn treu – aber er gab sich beständig Hoffnungen hin, die sich als trügerisch erwiesen. Seine wiederholten Enttäuschungen trafen sein Innerstes und wühlten es auf wie vergiftete Pfeile. Er war beständig von dem Gefühl gepeinigt, daß sein Vaterland ihm nicht gerecht würde und daß seine öffentliche Laufbahn verfehlt sei. Es war ein trauriges Schauspiel. Meine freundschaftlichen Beziehungen zu Mr. Chase bestanden fort, so lange er lebte, und unser Verkehr wurde immer vertraulicher, wenn wir Gelegenheit hatten, unsere Ansichten auszutauschen Dies geschah nicht selten, während er Mitglied von Lincolns Kabinett war und im Anfang seiner Laufbahn als Bundes-Oberrichter. Er wußte, daß ich seine Ambition für hoffnungslos und seine Anstrengungen, sie zu verwirklichen, für zwecklos hielt; doch das beeinflußte niemals unsere persönliche Freundschaft, denn er wußte ebenfalls, daß ich ihn hoch schätzte und eine aufrichtige Anhänglichkeit für ihn hegte.

Diesen Text als e-book herunterladenDiesen Text als e-book herunterladen

<< Der Bürgerkrieg bricht ausWahlkampf im Wilden Westen >>