Karl Gutzkow – Der Gefangene von Metz

(Theodor Fontane als Theaterkritiker)

 

Der berühmte Name des Verfassers, vielleicht auch der Titel des Stücks, hatte das Haus bis auf den letzten Platz gefüllt. Versuchen wir zunächst den Inhalt dieser neuesten Gutzkowschen Arbeit zu geben. In den wirren, intrigenreichen Fehden, die die Reformation begleiteten und ihr folgten, Jahrzehnte, in denen alles Mögliche zu finden ist, nur nicht das, was sich mit besonderer Betonung »deutsche Treue« nennt, – wir sagen, in den wirren Fehden jener Epoche hat Markgraf Albrecht von Kulmbach, ein »wüschter G‘sell«, wie die Schwaben sagen, den Herzog von Aumale, Bruder des Königs Heinrich von Frankreich, gefangen genommen. Und zwar bei Metz. Dieser Gefangene ist nun also der »Gefangene von Metz«. Markgraf Albrecht schleppt ihn mit nach Deutschland, und ewig in Geldverlegenheiten, hütet er den Herzog wie einen Schatz. Natürlich. Solange er den Prinzen hat, hat er Kredit; Lösegeld muß am Ende mal bezahlt werden. Es handelt sich also vor allem darum, diesen »Gefangenen von Metz« sicher zu setzen.

 

Den Herzog halte, wer ihn hält, Er wird ihn nicht so bald zum zweiten Male fangen.

 

Dieses Wächteramt übernimmt Albrechts Muhme,

 

Elisabeth, geb. Prinzessin von Brandenburg, verwitwete Gräfin von Henneberg, Herzoginwitwe von Braunschweig-Hannover,

 

und verschwört sich, als deutsche Frau, die übernommene Aufgabe zu lösen. Dies ist am Schlusse des ersten Akts. Der lange Titel der Herzogin, weil er doch am Ende im Stücke motiviert werden muß (auch wohl soll, um Situationen zu schaffen), wirkt nur verwirrend. Vetter Albrecht, nach Empfang obiger feierlicher Zusage, zieht in einer Prachtrüstung, die weit über seine »Verhältnisse« hinausgeht, von Schloß Kahlenburg ab, um zunächst seine Feinde zu schlagen und dann zur Empfangnahme des Prinzen zurückzukehren. Der Inhalt der weiteren Akte zeigt uns nun vor allem die Anstrengungen der französisch-katholischen Partei, den Gefangenen von Metz zu befreien, während die Herzoginwitwe, unter etwas unbilliger Ausnutzung der Korridortüren, hinter alle diese Pläne kommt, wobei sie freilich durch eine unglaublich ungenierte Plauderhaftigkeit mehrerer Verschwörer alten Stils (natürlich »Pfaffen«) sehr wesentlich unterstützt wird. Der Herzog von Aumale, wie es sich für einen Franzosen und Gefangenen geziemt, liebt sich mittlerweile durch die ganze Damenwelt des Stückes durch, geht schließlich, wie es im Dialoge selber heißt, von den »Gänseblümchen« zum »Edelweiß« über und unterliegt selbstverständlich dem herkömmlichen Roue-Schicksal, sich ernsthaft zu verlieben, während der Gegenstand seiner Liebe erhaben mit ihm spielt. In dem Augenblicke, wo er besonders dringlich wird, so ängstlich-dringlich, daß er selbst »wittenbergisch« werden will, kehrt Markgraf Albrecht, in uneingebüßter Goldrüstung, siegreich zurück, um sein Hüteramt wieder selbst zu übernehmen. Gleichzeitig wird im Hintergrunde ein von dem Kulmbachschen Ritter Jobst v. Saldern eroberter, sargartiger Pappkasten über die Bühne getragen, in dem sich das Lösegeld befindet, das Lösegeld, das lange da war, das aber der Prälat Hinkmar nicht abliefern durfte, weil sonst das Stück schon in der Mitte des zweiten Akts zu Ende gewesen wäre. Nun bricht die letzte Szene herein: Die »Gänseblümchen« sind entweder schon verheiratet oder werden verheiratet (man kann sagen standesgemäß), deutsche Treue triumphiert, wie es ihr zukommt, und der Herzog von Aumale hat das Nachsehen. Wir wollen wünschen, daß er gut nach Hause gekommen ist. Eh wir Gewißheit darüber erlangen, fällt der Vorhang. So der Inhalt. Man werfe uns nicht vor, daß wir ihn mißgestaltet wiedergegeben hätten. Wir haben sehr retuschiert. Über Allerschlimmstes sind wir hinweggegangen. Der zweite Akt beispielsweise, der zu zwei Dritteln im Dunkeln spielt, ist derart, daß wir das Gefühl nicht unterdrücken konnten, er geniere sich, sich selber anzusehn. Wir tun ein Gleiches. Wenn in unserer Inhaltswiedergabe nichtsdestoweniger schon eine Verurteilung liegt (und sie soll darin liegen), so ist das nicht unsere Schuld. Wir wollten, wir könnten anders sprechen. Es ist eine peinliche Aufgabe, die uns zufällt. Wir sehen uns einem Manne gegenüber, der vierzig Jahre innerhalb unserer Literatur steht und Jahrzehnte lang die Journalistik beinah völlig, die Bühne zu einem guten Teile beherrscht hat. Das leistet man nicht mit nichts. Eine Kraft muß da gewesen sein. Selbst die Anfeindungen, die sein Schaffen begleiteten (wir erinnern nur an die Arbeiten Julian Schmidts, dessen Literaturgeschichte beinah den Eindruck macht, als sei sie um der Bekämpfung Gutzkows willen geschrieben worden) – wir sagen, selbst die Anfeindungen, die er erfahren, beweisen die Bedeutung des Mannes. Gegen das Kleine und Nichtige richten sich keine Angriffe derart. Aber wie geneigt wir sein mögen, an eine dagewesene Kraft zu glauben, hier in diesem »Gefangenen von Metz« ist sie nicht. Es ist ein unerquickliches Machwerk von Grund aus, und wenn wir von dem ersten Akt absehen, in dessen klarer Exposition, besonders bei den Schwierigkeiten, die zu überwinden waren, sich die geschickte Hand des Mannes zeigt, der mit diesen Dingen Bescheid weiß, so ist im übrigen eigentlich keine Szene vorhanden, die uns nicht verstimmt, geärgert, verdrossen oder geradezu entrüstet hätte. Markgraf Albrecht, der – wenn wir von seinem Kostüm und seinem rotblonden Bart absehn – eigentlich nur da ist, um seinen Gefangenen in die Hände der schönen Kusine abzuliefern und wieder in Empfang zu nehmen, dieser Markgraf Albrecht mag passieren. Er ist immerhin eine Figur. Die schöne Herzoginwitwe horcht viel, ordnet, unter wahrhaftem Mißbrauch eines Klingelzuges, wundersame Trauungen an (man erwartet mindestens eine Hinrichtung) und spricht inmitten deutscher Misere etwas viel von deutscher Tugend, aber auch sie mag gehen. Wir wollen ein übriges tun und den Kastellan Pomponius Torridianus jenen beiden als dritte hinnehmbare Gestalt zugesellen, aber nun ist es aus. Alles andere ist lediglich ein wenig amüsantes Pasquill auf Hofleben und Prinzentum, auf Adel und katholische Geistlichkeit. Diese Oberhofmeisterin ist nichts anderes wie eine Marthe aus Goethes »Faust«, der gegenüber man, aus dem Munde des mephistophelischen Prälaten, jeden Augenblick das »Ich versteh, daß ihr sehr gütig seid« zu hören erwartet; die Familien Saldern und Ahlden-Uslar werden schwerlich neuen Adelsstolz aus den ihnen hier oktroyierten Ahnen schöpfen, und was den Lokkumer Abt und vor allem den Domprälaten von Trier angeht, so bekennen wir, daß wir den Mut der Bühne bewundert haben, solche Gestalten zu bringen, und die Langmut der Katholiken, solche Gestalten zu ertragen. Uns waren sie, selbst für unsere protestantische Empfindung, schon zu viel. Solche Gestalten darf man nicht bringen; sie sind einfach beleidigend, solange nicht (und selbst dann kaum) der Beweis ihrer historischen Treue beigebracht wurde. Solche Rollen zu spielen ist nicht leicht, uns könnten die Schauspieler leid tun, wenn uns, bei manchem, was geleistet wurde, nicht auch wieder der Dichter leid getan hätte. Man half ihm wenig nach. Was schlimm war, blieb schlimm oder wurde schlimmer. Wir nennen keine Namen. Nur eines: welche Gräfinnen! Einzelne Repräsentationspartien (Herr Schwing, Herr Krause) wurden ausreichend gegeben; auch Herr Karlowa, in seiner großen Szene im ersten Akt, war gut. Trefflich waren Frau Erhartt (Herzoginwitwe) und Herr Berndal (Markgraf Albrecht). Die Erscheinung der Frau Erhartt mahnte uns an eine schöne, anhalt-brandenburgische Dame der Gegenwart, an die auch die Gesamtsituation wohl erinnern dürfte. Im ersten Moment des Auftretens war die Ähnlichkeit frappant. Herr Berndal, wie wir äußerlich vernehmen, hat Münzkabinette und Kupferstichsammlungen durchstöbert, um diese Markgrafenmaske herauszubringen. Höchst verdienstlich. Aber doch verlorene Liebesmüh. Dieser Markgraf kann nicht lange leben! Die Winterkampagne 1870 auf 71 verläuft nicht allzu glücklich für unsere Bühne. Auch dieser »Gefangene von Metz« wird daran nichts ändern. Ein Glück, daß wir, unter demselben Titel, hundertdreißigtausend andere haben.

 

 

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