Erstes Kapitel – Meine Anlagen

Ich bin in Arras geboren. Da ich ewig in Verkleidungen gelebt habe, da meine Gesichtszüge sehr beweglich sind und ich eine besondere Fähigkeit habe, mich zu verstellen, so herrscht im allgemeinen einige Unsicherheit über mein Alter; es wird also nicht überflüssig sein zu erwähnen: daß ich am 23. Juli 1775 auf die Welt kam. In einem Hause, das dicht neben jenem lag, wo sechzehn Jahre früher Robespierre geboren ward. Es war Nacht. Der Regen fiel in Strömen; es donnerte. Eine Verwandte, die die schönen Aemter der Hebamme und der Wahrsagerin beide auf sich vereinte, schloß aus diesen Umständen, daß meine Laufbahn sehr stürmisch werden würde.

Wie dem auch sei, so muß ich doch annehmen, daß der Himmel sich nicht ausgesucht für mich in Unkosten gestürzt hat. Und obwohl der Glaube ans Wunderbare manchmal sein Verführerisches hat, so bin ich doch weit entfernt von dem Gedanken, daß man da oben auf meine Geburt besonders acht gegeben haben soll. – Ich hatte eine außerordentlich robuste Konstitution, es war bei mir weiß Gott nicht gespart worden. Im Moment meiner Geburt hätte man mich wohl für ein zweijähriges Kind nehmen können, und ich ließ bereits jene athletischen Formen ahnen und den riesigen Körperbau, die mittlerweile die unerschrockensten und wagehalsigsten Schurken haben vor Entsetzen erstarren lassen.

Das Haus meines Vaters lag in der Nähe der Kaserne auf einem Platz, wo sich alle Lümmel des Viertels trafen. So kam ich schon frühzeitig dazu, meine Muskelkräfte zu üben, indem ich regelmäßig meine Kameraden durchbläute – und deren Eltern beschwerten sich natürlich sogleich bei den meinen. Im Hause meiner Eltern hörte man nur noch von eingerissenen Ohren, blaugeschlagenen Augen, zerfetzten Kleidern reden: Mit acht Jahren war ich der Schrecken aller Hunde, Katzen und Kinder aus der Nachbarschaft; mit dreizehn handhabte ich ein Florett schon so gut, daß ich nicht den Kürzeren zu ziehen brauchte. Mein Vater, der bemerkte, daß ich bei den Militärs der Garnison herumlag, war durch meine Fortschritte ziemlich beunruhigt und befahl mir, mich zu meiner ersten Kommunion anzuschicken: zwei Betbrüder übernahmen es, mich auf diesen feierlichen Akt vorzubereiten. Gott mag wissen, welche Frucht ich aus ihren Unterweisungen gezogen habe! Ich begann zur selben Zeit in den heiligen Stand der Bäckerei zu treten; das war der Beruf meines Vaters; er wollte, ich solle sein Nachfolger werden, obwohl ich einen älteren Bruder hatte.

Zunächst bestand meine Tätigkeit in der Hauptsache darin, Brot in die Stadt zu tragen. Ich benützte diese Gänge, um häufige Besuche im Fechtsaal zu machen. Meine Eltern wußten das wohl, aber die Köchinnen hielten so großartige Lobreden über meine Nettigkeit und Pünktlichkeit, daß die Eltern über manchen Seitensprung ein Auge zudrückten. Diese Duldsamkeit währte so lange, bis sie eines Tages in der Ladenkasse – von der sie nie den Schlüssel abzogen – ein Defizit feststellten. Mein Bruder, der die Kasse mit mir um die Wette ausnahm, wurde auf frischer Tat ertappt und zu einem Bäcker in Lille verbannt. Am Tage nach diesem Strafvollzug, dessen Grund man mir nicht mitgeteilt hatte, schickte ich mich an, wie gewöhnlich an die Untersuchung des glückspendenden Kästchens zu gehen; ich bemerkte, daß es sorgfältig verschlossen war. Am selben Tage gab mir mein Vater zu verstehen, ich möge etwas mehr Eile auf meine Runden wenden und zur bestimmten Stunde nach Hause kommen.

So war es denn klar, daß ich fürderhin weder Geld noch Freiheit mehr haben würde. Ich beklagte dieses doppelte Unglück tief und beeilte mich, einem meiner Kameraden – er hieß Poyant und war viel älter als ich – davon Mitteilung zu machen. Nun hatte die Ladenkasse einen Schlitz, durch den man das Geld einwarf. Also riet mir mein Freund zunächst, ich solle in das Loch eine Rabenfeder, die mit Vogelleim beschmiert war, einführen. Aber dieser geniale Einfall verhalf mir nur zu kleinen Geldstücken und wir mußten uns zur Anwendung eines falschen Schlüssels entschließen, den er mir von dem Sohne eines Schutzmanns herstellen ließ. So fischte ich denn von neuem in der Kasse, und wir verfraßen den Ertrag dieser Diebstähle in einer Kneipe, in der wir unser Hauptquartier aufgeschlagen hatten. Da kam eine nette Anzahl von notorisch üblen Burschen zusammen, die der Schenkwirt selbst herangezogen hatte; auch ein paar verunglückte junge Leute, die, um volle Taschen zu haben, dasselbe Mittel anwandten wie ich. Bald stand ich mit allem in Beziehung, was es im Lande an Durchgängern gab, mit Boudon, Deleroir, Hidou, Franchison, Basserie, – und die weihten mich in ihre Ausschweifungen ein. Das war eine ehrenwerte Gesellschaft, an deren Busen meine Mußestunden verstrichen! Bis zu jenem Moment, da mein Vater mich eines Tages überraschte, wie er meinen Bruder überrascht hatte, sich meines Schlüssels bemächtigte und solche Vorsichtsmaßregeln ergriff, daß ich nicht mehr daran denken konnte, mir eine Dividende aus seiner Einnahme zu verschaffen.

Es blieb mir also nur die Einnahmequelle übrig: den Zoll auf Lieferungen in natura zu erheben. Von Zeit zu Zeit eskamotierte ich einige Brote. Aber um sie loszuwerden, war ich gezwungen, sie zu sehr niedrigem Preise abzugeben und so hatte ich vom Ertrag des Verkaufs kaum genug, um mir recht Torten und Honigzucker leisten zu können. – Not macht erfinderisch: ich hatte auf alles ein Auge; alles war mir gleich gut, Wein, Kaffee, Zucker, Liköre. Meine Mutter hatte ihre Vorräte noch nie so schnell verschwinden sehen. Vielleicht hätte sie den Weg, den die Dinge nahmen, nicht so bald entdeckt, aber eines Tages erhoben zwei Hähne, die ich beschlossen hatte zu meinem Nutzen zu konfiszieren, ihre anklagende Stimme. Sie waren in eine Hose gestopft, meine Bäckerjungenschürze verbarg sie. Aber da krähten sie und schwellten den Kamm, und meine Mutter, die so von der Entführung in Kenntnis gesetzt war, stand sofort vor mir. Es setzte einige Ohrfeigen und ich ging ohne Abendbrot zu Bett. Aber ich schlief nicht und es war, wie ich glaube, der Geist des Bösen, der mich wachhielt. Alles was ich noch weiß, ist, daß ich mit einem wohlerwogenen Projekt aus dem Bett aufstand, mit dem Silberzeug Langfinger zu spielen. Nur eins beunruhigte mich: auf jedem Stück war der Name Vidocq mit allen Buchstaben eingraviert. Aber Poyant, dem ich mich über diese Sache eröffnete, behob alle Schwierigkeiten, und noch am selben Tage um die Zeit des Mittagessens tat ich einen Griff auf zehn Bestecke und ebensoviel Kaffeelöffel. Zwanzig Minuten später war alles verpfändet, und am Morgen des übernächsten Tages hatte ich keinen Sou mehr von den hundertfünfzig Franks, die man mir geliehen hatte.

Seit drei Tagen war ich schon nicht mehr bei meinen Eltern aufgetaucht. Da, am Abend, wurde ich von zwei Polizisten arretiert und ins Spritzenhaus gebracht, wo man die Irrsinnigen, die Häftlinge und die Landstreicher der ganzen Umgegend einschloß. Dort hielt man mich zehn Tage gefangen, ohne daß man mir einen Grund für meine Gefangennahme mitteilen wollte. Endlich sagte mir der Wärter, daß ich auf Verlangen meines Vaters eingesperrt worden sei. Diese Nachricht besänftigte meine Unruhe etwas: es war also eine väterliche Abstrafung; und ich ahnte, daß man mich nicht übermäßig streng halten würde. Meine Mutter kam am nächsten Tage nach mir sehen, und ich erhielt ihre Verzeihung. Vier Tage später war ich frei und ich ging wieder an meine Arbeit mit der ausdrücklichen Absicht, von nun an eine vorwurfsfreie Führung zu wahren. Vergeblicher Entschluß! Ich fiel stracks in meine alten Gewohnheiten zurück, die Verschwendung abgesehen; ich hatte gute Gründe, nicht mehr den Großartigen zu spielen. Mein Vater, den ich bis dahin immer so sorglos gesehen hatte, war nun von einer Wachsamkeit, die dem Kommandanten einer Nobelgarde Ehre gemacht hätte. Sobald er gezwungen war, seinen Platz am Ladentisch zu verlassen, ersetzte ihn sofort meine Mutter. So war es mir unmöglich heranzukommen, obgleich ich stets auf der Lauer lag. Auf die Dauer machte mich das ganz verzweifelt. Endlich erbarmte sich meiner einer der alten Kneipkumpane: es war wieder einmal Poyant, ein vollendeter Lump, an dessen Großtaten die Einwohner von Arras wohl noch heute denken mögen. Ich gestand ihm meine Qualen.

„Ei was!“ sagte er zu mir, „du bist schön dumm, so am Bändel zu hängen – und dann, wie sieht denn das aus, ein Junge in deinem Alter und hat keinen Sou? Geh mir doch, wenn ich an deiner Stelle wäre, ich wüßte schon, was ich täte!“ – „Und was tätest du?“ – „Deine Eltern sind reich. Tausend Taler mehr oder weniger werden ihnen kein groß’ Unglück machen: die alten Geizkragen, denen geschieht ganz recht, du mußt deinen Schnitt machen!“ – „Ich versteh’ schon, ich soll im ganzen einpacken?“ – „Jawohl: und dann verduftet man, ungesehen, ungekannt.“ – „Ja, aber die Gendarmerie?“ – „Halt doch’s Maul: Bist du denn nicht ihr Junge? Und dann, deine Mutter liebt dich doch mächtig!“

Die Erwähnung der Liebe meiner Mutter, dazu die Erinnerung an ihre Nachsicht gegenüber meinen letzten Streichen, wirkte ausschlaggebend. Ich nahm blindlings einen Plan an, der meiner Kühnheit lächelte; man mußte ihn nur mehr zur Ausführung bringen; die Gelegenheit ließ nicht auf sich warten.

Eines Abends, als meine Mutter allein im Hause war, kam ein Vertrauter von Poyant gelaufen, setzte seine ehrlichste Miene auf und teilte ihr mit, ich stecke mitten in einer Orgie mit Mädchen, ich schlüge auf alle Welt los, ich wolle alles in dem Hause kurz und klein schlagen, und wenn man mich gewähren ließe, so gäb’s für mindestens hundert Frank Schaden, den man gleich bezahlen müsse.

In diesem Augenblick saß meine Mutter gerade in ihrem Stuhl und strickte; der Strumpf fällt ihr aus der Hand, sie springt Hals über Kopf auf und läuft ganz außer sich an den Ort des angeblichen Vorgangs – und man war so vorsorglich gewesen, ihr eine der entferntesten Gegenden der Stadt zu nennen. Ihre Abwesenheit konnte trotzdem nicht allezulange dauern: wir beeilten uns, sie auszunutzen. Ein Schlüssel, den ich am Abend vorher gemaust hatte, half uns in den Laden einzudringen. Die Ladenkasse war geschlossen; ich war beinah froh, auf dieses Hindernis zu stoßen. Dieses Mal erinnerte ich mich der Liebe, die meine Mutter mir bewies – und zwar nicht, um mir Straflosigkeit zu prophezeien, sondern ich fing an, Gewissensbisse zu bekommen. Ich war im Begriff den Rückzug anzutreten, aber Poyant hielt mich zurück; seine infernalische Beredsamkeit ließ mich erröten über das, was er meine Schwäche nannte, und als er mir ein Brecheisen, das er fürsorglich zu sich gesteckt hatte, in die Hand drückte, ergriff ich es fast mit Enthusiasmus: Die Kasse wurde gesprengt; sie enthielt etwa zweitausend Frank, die wir teilten, und eine halbe Stunde später befand ich mich allein auf der Landstraße nach Lille. In der Aufregung, in die mich dieses Unternehmen gesetzt hatte, marschierte ich zuerst sehr schnell, so daß ich, als ich in Sens ankam, schon übermäßig ermüdet war; ich machte halt. Ein Retourpostwagen kam vorbei, ich nahm in ihm Platz, und in weniger als drei Stunden kam ich in der Hauptstadt des französischen Flandern an. Von da fuhr ich sofort nach Dünkirchen ab, in aller Eile bemüht, weiterzukommen, um mich so schnell wie möglich der Verfolgung zu entziehen.

Ich hatte die Absicht, eine Reise in die Neue Welt zu machen. Das Schicksal vereitelte diesen Plan: der Hafen von Dünkirchen war von allen Schiffen verlassen. Ich begab mich nach Calais, um mich auf der Stelle einzuschiffen. Aber man verlangte einen Preis von mir, der die Summe, welche ich besaß, überstieg. Man machte mir Hoffnung, daß in Ostende die Überfahrt weniger kosten würde, der Konkurrenz wegen. Ich machte mich dorthin auf, aber ich fand da die Kapitäne nicht umgänglicher als in Calais. Durch alle die Enttäuschungen war ich in jene Abenteurerstimmung gekommen, in der man sich gern dem ersten besten in die Arme wirft, und ich weiß nicht recht, warum ich erwartete, irgendeinen Gemütsmenschen zu treffen, der mich umsonst an Bord nähme oder mir wenigstens einen bedeutenden Preisnachlaß gewährte, nur um meiner schönen Augen willen; oder zumindest wegen des Interesses, das ein junger Mann immer einflößt. Während ich, ganz im Bann dieser Idee, umherspazierte, wurde ich von einem Menschen angesprochen, dessen wohlwollendes Gehaben mich glauben ließ, daß meine Glückshoffnung sich erfüllen sollte. Die ersten Worte, die er an mich richtete, waren Fragen. Er hatte gemerkt, daß ich Fremder war; er teilte mir mit, daß er Schiffsmakler sei, und als ich ihm von dem Zwecke meines Aufenthaltes in Ostende Kenntnis gab, bot er mir seine Dienste an.

„Ihr Gesicht gefällt mir,“ sagte er; „ich liebe die offenen Gesichter; in Ihren Zügen herrscht eine gewisse Freimut und Herzlichkeit, die ich gern habe: Und ich will’s Ihnen beweisen! Ich will machen, daß Sie Ihre Überfahrt für beinahe nichts kriegen.“ – Ich bezeugte ihm meine Dankbarkeit. „Keinen Dank, mein Freund; wenn Ihre Sache geordnet ist, dann schön; und ich hoffe, sie wird’s bald sein. Aber unterdessen werden Sie sich doch hier langweilen?“ Ich antwortete ihm, daß ich mich wirklich nicht allzusehr amüsierte. „Wenn Sie mit mir nach Blankenberghe kommen wollen, so essen wir dort zur Nacht, bei netten Leuten, die ganz verrückt nach Franzosen sind.“

Der Makler erwies mir so viel Gefälligkeiten, er lud mich so freundlich ein, daß es klotzig von mir gewesen wäre, mich bitten zu lassen. Ich nahm also an. Er führte mich in ein Haus, wo uns sehr liebenswürdige Damen empfingen, mit aller Hingabe jener antiken Gastlichkeit, die sich nicht nur auf den Festschmaus beschränkte. Um Mitternacht vermutlich – ich sage vermutlich, denn wir schauten nicht mehr auf die Uhr – hatte ich einen schweren Kopf, meine Beine trugen mich nicht mehr; um mich bewegte sich alles in einem ungeheuren Kreis, und die Dinge schwankten derartig, daß es mir vorkam – ohne die geringste Ahnung davon, daß man mich entkleidet hatte –, als ob ich auf demselben Daunenbett lag wie eine der Blankenbergher Nymphen. Vielleicht war es so. Alles, was ich weiß, ist, daß ich einschlief. Bei meinem Erwachen fühlte ich eine lebhafte Kälte. An Stelle der grünen Vorhänge, die mir wie in einem Traume erschienen waren, sahen meine schweren Augen einen Wald von Masten, und ich hörte jene Warnungsrufe, wie sie nur in den Seehäfen widerhallen; ich wollte mich aufrichten, da tastete meine Hand an einem Haufen von Stricken herum, auf denen ich gelegen hatte. Träumte ich jetzt oder hatte ich am Abend geträumt? Ich betastete mich, ich reckte mich, und als ich auf zwei Beinen stand, zeigte es sich, daß ich nicht träumte und, was schlimmer ist, daß ich nicht zu jener kleinen Zahl von bevorzugten Wesen gehörte, denen das Glück im Schlaf kommt. Ich war halb entkleidet und mit Ausnahme von zwei Sechs-Livres-Talern, die ich in einer Hosentasche fand, hatte ich keinen Heller. Da wurde es mir nur zu klar, daß ganz nach dem Wunsche des Maklers meine „Angelegenheit“ bald geordnet war. Ich platzte vor Wut; aber an wen sollte ich mich halten: ich hätte ja nicht einmal den Ort angeben können, wo man mich so ausgeplündert hatte; ich faßte mich also und kehrte in das Wirtshaus zurück, wo einige Kleidungsstücke, die ich noch besaß, die Mängel meiner Toilette ersetzen konnten. Ich brauchte meinem Wirt gar nicht erst von meinem Mißgeschick zu erzählen.

„Aha,“ rief er, sowie er mich nur von ferne erblickte, „da ist ja noch einer. Wissen Sie, junger Mann, daß Sie noch gut davongekommen sind. Sie haben noch alle Ihre Glieder bei sich, und das will von Glück sagen, wenn man in solche Wespennester geht. Sie wissen jedenfalls jetzt, was ein Tingeltangel ist. Schöne Mädchen gibt’s wenigstens da? Aber Sie sehen, nicht alle Piraten sind auf dem Meer, und nicht alle Haie drinnen; ich wette, Ihnen ist kein Heller übriggeblieben.“ Ich zog stolz meine beiden Taler hervor und zeigte sie dem Wirt. „Damit werden Sie gerade Ihre Zeche bezahlen können,“ sagte er, und sofort gab er mir die Rechnung; ich bezahlte sie und sagte ihm Ade, ohne indes die Stadt zu verlassen.

Entschieden, meine Reise nach Amerika war ad calendas graecas verschoben, und die Alte Welt war mein Los. Ich stand also wieder auf der untersten Stufe, und meine Zukunft beunruhigte mich um so mehr, als ich für den Moment keine Hilfsquelle ersah. Bei meinem Vater hatte mir das tägliche Brot niemals gefehlt: ich sehnte mich also nach dem Elternhaus zurück; der Backofen, sagte ich mir, hätte mich und die anderen noch lange gewärmt. Ich bedachte die Folgen meiner Flucht und alle erschwerenden Umstände. Die Seemannslaufbahn stand mir ja offen, und ich entschloß mich, Schiffsdienste zu nehmen; auf die Gefahr hin, mir dreißigmal täglich das Genick zu brechen und für elf Frank in die Fockwanten eines Schiffes zu klettern. Ich stand eben im Begriff, mich als Schiffsjunge einschreiben zu lassen, als plötzlich ein Trompetenstoß meine Aufmerksamkeit auf sich zog: es war aber keine Kavallerie. Es war Bajazzo und sein Meister und Herr. Sie standen vor einer Bude, die mit den Insignien einer Wandermenagerie behängt war, und luden ein immer zufriedenes Publikum ein, ihren derben Späßen beizuwohnen. Ich kam gerade zum Aufzug der ganzen Truppe. Und während ein ziemlich zahlreiches Auditorium seine Heiterkeit durch schallendes Lachen kundgab, kam mir der Gedanke, der Leiter der Truppe könne am Ende eine Verwendung für mich haben. Der Bajazzo schien mir ein guter Junge zu sein. Ich wollte ihn zu meinem Protektor haben; nun weiß ich, daß eine Gefälligkeit die andere wert ist. Und als er von seinem Gerüst herabstieg, um einzusammeln, opferte ich meinen letzten holländischen Schilling und lud ihn zu einer halben Pinte Genever ein. Bajazzo zeigte sich für diese Nettigkeit erkenntlich. Er versprach mir, gleich für mich zu sprechen, und als unsere Pinte zu Ende war, stellte er mich dem Direktor vor. Das war der seinerzeit so berühmte Cotte-Comus. Er betitelte sich selbst „erster Arzt und Physiker der Welt“. Er machte gemeinsame Geschäfte mit dem Naturforscher Garnier, einem berühmten Tierdresseur. Diese beiden Herren hatten sich mit einer Akrobatentruppe zusammengetan. Ich ging also zu Comus, und der fragte mich, was ich könne. „Nichts,“ antwortete ich. „Nun, dann wird man dir etwas beibringen,“ sagte er. „Es gibt sicher noch Dümmere, übrigens siehst du nicht ungeschickt aus. Wir werden sehen, ob du das Zeug zum Akrobaten hast. Dann will ich dich für zwei Jahre engagieren. Das erste halbe Jahr bekommst du Verpflegung und Kleidung. Darauf sollst du ein Sechstel vom Sammelteller haben, und das Jahr darauf will ich dir, wenn du intelligent bist, deine Gage geben, wie einem anderen. Unterdessen werde ich schon etwas mit dir anfangen können, mein Freund!“

So war ich also aufgenommen, und ich durfte die Pritsche mit dem gefälligen Bajazzo teilen. Bei Tagesanbruch weckte uns die majestätische Stimme des Direktors. Er führte mich in einen Verschlag.

„Da,“ sagte er und zeigte auf die Lampions und Holzkandelaber, „hier ist eine Arbeit. Das mußt du alles putzen und instand setzen, verstehst du? Dann mußt du die Käfige der Tiere reinigen und den Saal fegen!“

Die Arbeit gefiel mir nicht gerade sehr. Der Unschlitt ekelte mich an, und mir war auch nicht sehr wohl bei den Affen, denn die waren erschreckt von einem unbekannten Gesicht und machten die unglaublichsten Anstrengungen, um mir die Augen auszukratzen. Nun, ich fügte mich der Not. Nach getaner Arbeit ging ich zum Direktor, und der sagte, es sei recht so. Wenn ich weiter tüchtig sei, würde er schon etwas aus mir machen.

Ich war sehr früh aufgestanden und hatte einen Mordshunger. Es war zehn Uhr, ich sah nicht, daß vom Essen die Rede war, und wir hatten doch ausgemacht, daß ich Logis und Kost bekommen sollte. Ich fiel schon beinahe um, als man mir endlich ein Stück Schwarzbrot brachte. Es war so hart, daß ich es nicht ganz aufaß, und ich hatte doch herrliche Zähne und einen schrecklichen Appetit. Den größten Teil warf ich den Tieren hin. Am Abend mußte ich die Lampen anzünden. Aus Mangel an Übung war ich nicht ganz so schnell dabei zur Hand – da gab mir der brutale Direktor eine kleine Tracht, und das wiederholte sich am Tage darauf und an allen folgenden Tagen. Noch war kein Monat vorbei, und ich befand mich schon in einem beklagenswerten Zustand: meine Kleider waren voller Fettflecken, von den Affen zerrissen und hingen in Fetzen an mir herunter. Der Hunger verzehrte mich, und die erzwungene Diät hatte mich so mager gemacht, daß ich nicht wiederzuerkennen war. Da erwachten in mir mit neuer Stärke die Erinnerungen an das Vaterhaus, wo man gut aß, gut schlief, sich gut kleidete und keine Affen zu besorgen hatte.

So stand’s mit mir, als mir eines Morgens Comus erklärte, er habe nachgedacht, wozu ich mich eignen würde. Er sei der Überzeugung, ich würde einen geschickten Springer abgeben. Er vertraute mich also den Händen des Signor Bolmate, genannt der kleine Teufel, an. Er sollte mich ausbilden. Gleich beim ersten Sprung, den mich mein Lehrmeister machen ließ, hätte ich mir beinahe das Kreuz gebrochen. Und ich bekam zwei bis drei Lektionen täglich. In weniger als drei Wochen war ich so weit, daß ich den „Karpfensprung“, den „Affensprung“ und den „Säufersprung“ perfekt ausführen konnte. Mein Lehrmeister war über meine Fortschritte entzückt und machte sich noch ein Vergnügen daraus, sie zu beschleunigen. Hundertmal glaubte ich, er sei dabei, mir alle Glieder zur verrenken, nur um meine Anlagen zu entwickeln. Schließlich kamen wir an die Schwierigkeiten meiner Kunst, und da ging es immer toller zu. Beim ersten Versuch des großen Saltos wäre ich beinah in Stücke geflogen; beim Sesselsprung brach ich mir die Nase. Zerschlagen, mürbe gemacht und ganz überdrüssig einer so gefährlichen Leibesübung ging ich zu Herrn Comus und teilte ihm mit, mir liege keineswegs etwas daran, ein Springer zu werden.

„Also, dir liegt nichts daran,“ meinte er, und ohne sich weiter darauf einzulassen, zog er mir eine Wucht von Peitschenhieben über. Von diesem Augenblick an beschäftigte sich der Signor Bolmate nicht mehr mit mir, und ich kehrte wieder zu meinen Lampen zurück.

Herr Comus hatte mich aufgegeben. Nun war Garnier an der Reihe, sich mit mir zu befassen. Eines Tages, als mir Garnier mehr als gewöhnlich die Hosen vollgehauen hatte (das war eine Übung, deren Vergnügen er mit Herrn Comus teilte), maß er mich von Kopf bis zu Füßen und blickte mit nur allzu sichtbarer Befriedigung auf mein abgemagertes Gerüste, aus dem schon die Knochen herausstachen.

„Ich bin mit dir zufrieden,“ sagte er, „nun sind wir auf einem Punkt angelangt, auf dem ich dich haben wollte. Wenn du jetzt gelehrig bist, dann liegt dein Glück in deiner Hand. Von heute an wirst du dir die Nägel wachsen lassen, dein Haar hat schon eine schöne Länge. Du bist fast nackt, ein Absud von Nußblatt wird das übrige tun.“

Ich hatte keine Ahnung, wohinaus Garnier wollte. Da rief er meinen Freund Bajazzo und ließ ihn die Tigerhaut und die Keule bringen.

„Nun,“ sprach Garnier, „wir wollen Probe halten. Du bist ein junger Wilder aus der Südsee. Menschenfresser. Du frißt rohes Fleisch, der Anblick von Blut bringt dich in Wut, und wenn du Durst hast, stopfst du dir Kieselsteine in den Mund. Du stößt abgebrochene, rauhe Laute aus, du hast mit den Augen zu glotzen. Du machst sprunghafte Bewegungen. Kurz und gut, nimm dir ein Beispiel an dem Waldmenschen, der hier im Käfig Nr. 1 ist!“

Während dieser Unterweisung lag zu meinen Füßen eine Mulde mit kleinen, ganz abgerundeten Kieselsteinen, und daneben ein Hahn, dem man zu seinem tiefen Unwillen die Füße gebunden hatte. Garnier nahm den Hahn, hielt ihn mir hin und sagte: „Beiß rein!“ Ich wollte nicht hineinbeißen, aber er drohte mir, ich lehnte mich auf und bat auf der Stelle um meine Entlassung. Statt jeder Antwort verabfolgte er mir ein Dutzend Ohrfeigen. Garniers Hand war auch nicht von Pappe. Wütend über diese Behandlung packte ich eine Stange und hätte unfehlbar den Herrn Naturforscher totgeschlagen, da rückte die ganze Truppe an, stürzte sich auf mich und warf mich zur Tür hinaus unter einem Hagel von Fußtritten und Faustschlägen.

Seit einigen Tagen wohnte ich in demselben Wirtshaus mit einem Puppenspieler und seiner Frau. Sie arbeiteten mit einem Marionettentheater auf offener Straße. Wir hatten miteinander Bekanntschaft gemacht, und ich hatte sie für mich zu interessieren gewußt. Der Mann bedauerte mich sehr, daß ich, wie er sich ausdrückte, „zur Strafe der Tierfütterung“ verurteilt sei. Manchmal verglich er mich scherzhaft mit Daniel in der Löwengrube. Man sieht, er war gebildet und für etwas Besseres geschaffen als zum Possenreißer; darum wurde er auch später Theaterdirektor in der Provinz.

Der künftige Direktor war sehr geistreich. Seine Frau Gemahlin merkte das nicht; aber er war auch sehr häßlich, und das sah sie wohl. Die Dame war eine jener pikanten Brünetten mit langen Augenwimpern, die ein leichtentzündliches Herz haben. Ich war jung, Madame auch. Sie war erst sechzehn Jahre alt, aber ihr Mann fünfunddreißig. Als ich nun ohne Stellung war, besuchte ich das Ehepaar. Ich hätte gern von ihnen einen guten Rat bekommen. Sie gaben mir zu essen und beglückwünschten mich, daß ich es gewagt hatte, daß despotische Joch Garniers abzuschütteln.

„Du bist doch dein eigener Herr,“ sagte der Mann zu mir, „komm doch mit uns und mache mit. Nämlich, wenn wir zu drei sind, dann gibt’s keine Pausen mehr; du reichst mir die Puppen, und Elisa sammelt inzwischen ein. So ist das Publikum in Atem gehalten und läuft nicht weg, und die Einnahme ist reichlicher. Was meinst du dazu, Elisa?“

Elisa antwortete ihrem Mann, in dieser Beziehung könne er es halten, wie er wolle, und überdies sei sie mit ihm einverstanden. Dabei ließ sie einen Blick über mich gleiten, der mir bewies, daß sie nicht böse über den Vorschlag war, und daß wir uns ausgezeichnet verstehen würden.

Ich nahm mit Dank den angebotenen Posten an, und bei der nächsten Vorstellung versah ich zum erstenmal mein Amt. Meine Situation war unendlich viel besser als bei Garnier. Elisa, die trotz meiner Magerkeit entdeckt hatte, daß ich nicht so schlecht gebaut wie gekleidet sei, trieb insgeheim tausend Neckereien mit mir, die ich erwiderte. Nach drei Tagen gestand sie mir, ich sei ihre Leidenschaft. Und ich war nicht herzlos: wir waren glücklich, wir ließen nicht mehr voneinander. Zu Hause gab es unter uns nur Lachen, Spielen, Scherzen. Elisas Mann nahm all das für Kindereien.

Während der Arbeit steckten wir Seite an Seite in einer engen Bude, die aus vier Leinwandfetzen zusammengebaut war und die pompöse Aufschrift trug: „Vergnügungs- und Spezialitätentheater“. Elisa stand rechts von ihrem Mann, ich stand rechts von Elisa und trat an ihre Stelle, wenn sie fort war, um Ein- und Ausgang zu kontrollieren. Es war Sonntag. Das Schauspiel war in vollem Gang; um die Bude stand eine große Menschenmenge, und Kasperl hatte schon auf alle anderen Puppen losgeschlagen. Unser Herr Direktor weiß nicht mehr recht weiter mit seinen Puppen, er will eine neue und verlangte den „Gendarm“. Wir hören nicht. „Den Gendarm, den Gendarm,“ ruft er ungeduldig, und beim drittenmal dreht er sich um und erblickt uns in süßer Umschlingung. Elisa überrascht, besinnt sich auf eine Entschuldigung, aber ihr Mann hört gar nicht hin, schreit weiter: „Den Gendarm!“ und sticht ihr den Haken, an dem die Puppe hängt, ins Auge. Im selben Moment fließt Blut, die Vorstellung ist unterbrochen, eine Schlacht entbrennt zwischen den beiden Eheleuten, die Bude wird umgeworfen, und wir stehen unbedeckt da inmitten eines großen Kreises von Zuschauern, bei denen diese Szene schallendes Gelächter und Beifallsklatschen hervorruft.

Dieser Skandal setzte mich von neuem aufs Pflaster. Ich wußte nicht, wohin nun. Wenn ich noch wenigstens anständige Kleidung gehabt hätte, dann hätte ich irgendeine Dienerstellung in irgendeinem feinen Hause bekommen können. Aber mein Aussehen war so erbärmlich, daß niemand etwas recht mit mir zu tun haben wollte. In meiner Lage konnte ich eigentlich nur einen Entschluß fassen: das war, nach Arras zurückzukehren. Aber wovon sollte ich bis dahin leben? Ich war eine Beute meiner Verlegenheit. Da ging ein Mann an mir vorüber, den ich seinem Aussehen nach für einen Hausierer hielt. Ich ließ mich mit ihm in eine Unterhaltung ein und erfuhr, daß er nach Lille ginge, und daß er Pülverchen, Opiate und Elixiere vertreibe, Hühneraugen schnitte, Geschwüre aufsteche und sich hier und da auch erlaube, Zähne zu ziehen.

„Das ist ein gutes Handwerk,“ sagte er, „aber ich werde alt. Ich brauchte jemanden, der mir mein Bündel trägt; so einen Windhund, wie Sie, könnte ich gebrauchen; gut zu Fuße, sicheres Auge; wenn Sie wollen, machen wir den Weg zusammen.“

„Ich will schon,“ sagte ich. Und ohne daß zwischen uns des längeren und breiteren ein Vertrag geschlossen worden wäre, setzten wir unseren Weg gemeinsam fort.

Wir waren acht Stunden marschiert; die Nacht brach herein, und wir sahen kaum mehr den Weg vor uns. Endlich machten wir vor einem elenden Dorfwirtshaus halt. „Hier sind wir,“ sagte der Wanderdoktor und klopfte an die Tür.

„Wer ist da?“ rief eine rauhe Stimme.

„Vater Godard mit seinem Hanswurst,“ antwortete mein „Führer“.

Sofort wurde die Tür aufgemacht, und wir kamen in eine Gesellschaft von ungefähr zwanzig Hausierern, Kesselflickern, Marktschreiern, Schirmhändlern und Puppenspielern. Sie begrüßten meinen neuen Herrn mit Jubel und ließen für ihn Essen bringen. Ich glaubte, man würde mir nicht weniger Ehre erweisen als ihm, und war schon bereit, mich an den Tisch zu setzen, da klopfte mir der Wirt vertraulich auf die Schulter und fragte, ob ich nicht der Hanswurst von Vater Godard sei.

„Was meinen Sie denn mit Hanswurst?“ rief ich erstaunt.

„Nun, den Ausrufer!“

Ich muß gestehen, daß ich mich trotz meiner noch frischen Erinnerungen an die Menagerie und an das „Vergnügungs- und Spezialitätentheater“ durch eine solche Bezeichnung erniedrigt fühlte. Aber ich hatte einen Höllenhunger, und da ich dachte, daß der Schlußpunkt des Verhörs das Nachtessen sein würde – und da nach allem meine Tätigkeit bei Vater Godard nicht allzu genau fixiert worden war –, so hatte ich nichts dagegen, für seinen Hanswurst zu gelten. Kaum hatte ich „ja“ gesagt, so führte mich der Wirt auch wirklich in einen Raum nebenan, eine Art Scheune, wo ein Dutzend meiner Kollegen rauchten, tranken und Karten spielten. Er rief: „Bedienung!“ Darauf kam ein dickes Mädchen und brachte einen Holznapf, auf den ich mich mit Gier stürzte. Darin schwamm eine Lammkeule in Spülwasser mit faserigen Rüben: im Nu war alles verschwunden. Nach beendigter Mahlzeit streckte ich mich zu den anderen Ausrufern aufs Lager. Wir teilten unsere Strohbündel mit einem Kamel, zwei Bären ohne Maulkorb und einer Meute dressierter Hunde. Die Nachbarschaft solcher Bettgenossen war nichts weniger als beruhigend, doch man mußte sich darein schicken. Die einzige Folge war, daß ich nicht schlief; die anderen schnarchten wie in Abrahams Schoß.

Ich wurde von Vater Godard freigehalten. Mochten nun Obdach und Kost noch so schlecht sein, so näherte ich mich doch mit jedem Schritt, und es kam mir darauf an, mich nicht von Godard zu trennen.

Endlich kamen wir in Lille an. Wir hielten unseren Einzug an einem Markttage. Vater Godard wollte keine Zeit verlieren, zog geradewegs auf den Marktplatz und befahl mir, seinen Tisch, seinen Kasten, seine Fläschchen und Päckchen herzurichten; dann sagte er, nun solle ich ans Ausrufen gehen. Ich hatte gut gefrühstückt; der Auftrag empörte mich tief. Ich hätte es am Ende noch hingehen lassen, das Gepäck von Ostende bis nach Lille zu schleppen wie ein Dromedar. Aber den Ausrufer zu machen! Und zehn Meilen von Arras entfernt! Ich empfahl mich also dem Vater Godard bestens, marschierte aus Leibeskräften auf meine Vaterstadt zu, und bald sah ich auch den großen Glockenturm wieder. Ich kam unten bei den Wällen an, noch vor Schluß des Stadttores; ich zitterte bei dem Gedanken an die Aufnahme, die ich finden würde. Einen Augenblick war ich geneigt, zum Rückzug zu blasen, aber ich konnte mich vor Müdigkeit und Hunger kaum mehr aufrecht halten. Ich brauchte Essen und Ruhe. Ich schwankte nicht weiter, und nun lief ich geradezu auf mein Elternhaus zu. Meine Mutter saß allein im Laden. Ich trete ein, falle ihr zu Füßen und bitte weinend um Verzeihung. Die gute Frau – sie erkannte mich kaum, so sehr hatte ich mich verändert – war ganz gerührt: sie hatte nicht die Kraft, mich zurückzustoßen. Es schien fast, als hätte sie alles vergessen. Sie sorgte für alle meine Bedürfnisse und führte mich dann in meine alte Kammer. Aber bei alledem mußte doch mein Vater von meiner Rückkehr in Kenntnis gesetzt werden. Meine Mutter fühlte nicht den Mut in sich, seinen ersten Zornesausbruch über sich ergehen zu lassen. Einer meiner Freunde, ein Geistlicher, der Almosenpfleger des Regiments Anjou, das zu Arras in Garnison stand, übernahm’s, die Friedensverhandlungen zu führen. Mein Vater spie Feuer und Flammen, aber dann willigte er ein, mich wieder in Gnaden aufzunehmen. Ich hatte schon bei dem Gedanken gezittert, er möchte unerbittlich sein, und als ich es erfuhr, daß er sich hatte erweichen lassen, sprang ich vor Freude in die Höhe. Der Almosenpfleger, der mir die Nachricht überbrachte, begleitete sie mit einer ohne Zweifel sehr rührenden Moralpredigt, von der ich keine Silbe behielt. Ich erinnere mich nur noch daran, daß er die Parabel vom verlorenen Sohn erzählte. Es war ungefähr meine Geschichte.

Meine Abenteuer hatten in der Stadt Aufsehen erregt; jeder wollte den Bericht davon aus meinem Munde hören. Aber niemand interessierte sich mehr dafür als eine Schauspielerin von einer Truppe, die sich in Arras aufhielt, und zwei Modistinnen. Ihnen stattete ich häufig Besuche ab. Immerhin hatte die Schauspielerin bald das ausschließliche Privileg meiner Gunstbezeugungen. Schließlich entspann sich eine Intrige. Ich verkleidete mich als Mädchen, und wir führten fast eine Szene aus dem Roman des Faublas auf. Ich reiste Hals über Kopf mit meiner Eroberung, ihrem Mann und einem sehr hübschen Kammermädchen – die mich für ihre Schwester ausgab – nach Lille, und erweckte in meinem Vater die Überzeugung, daß ich die Drangsale meiner ersten Unternehmung schnell vergessen hatte. Aber meine Abwesenheit war nicht von langer Dauer. Drei Wochen waren kaum verflossen, da verzichtete die Schauspielerin aus Geldmangel darauf, mich länger unter ihrem Gefolge mitzuführen. Ich kehrte gelassen nach Arras zurück und setzte meinen Vater in Erstaunen durch die Festigkeit, mit der ich ihn um seine Einwilligung bat, in den Militärdienst treten zu dürfen. Schließlich konnte er nichts Besseres tun, als mir seine Erlaubnis zu geben. Das sah er auch ein, und am Tage darauf hatte ich schon die Uniform des Regiments Bourbon am Leibe. Meine Figur, meine gute Haltung und meine Geschicklichkeit in der Handhabung der Waffen verschafften mir den Vorteil, gleich in die Jägerkompagnie eingestellt zu werden. Ein paar alte Soldaten hielten sich darüber auf. Ich schlug mich mit ihnen und schickte sie ins Spital. Aber bald kam ich dort auch zu ihnen – einer ihrer Kameraden hatte mich im Duell verwundet. Dieses Debüt zog die Aufmerksamkeit auf mich. Man fand ein boshaftes Vergnügen daran, mir Händel zuzuschanzen. Und nach einem halben Jahr hatte Herr Ohnefurcht – diesen Beinamen hatte man mir gegeben – zwei Mann getötet und sich fünfzehnmal duelliert. Im übrigen genoß ich alle Freuden, die das Garnisonleben mit sich bringt. Meine Wachtposten waren stets auf Kosten einiger biederer Kaufleute versorgt, deren Töchter sich das Vergnügen streitig machten, mir angenehme Mußestunden zu verschaffen. Meine Mutter steuerte noch etwas dazu bei, mein Vater gab mir ein reichliches Taschengeld, und überdies machte ich noch Schulden. Wirklich, ich erregte Aufsehen, und so fühlte ich die Last der Disziplin fast nicht mehr. Einmal bekam ich zwei Wochen Arrest, weil ich dreimal beim Appell gefehlt hatte. Ich verbüßte die Strafe in einem Gefängnisloch unter den Bastionen, als einer meiner Freunde und Landsleute mit mir eingesperrt wurde. Er diente im selben Regiment, war mehrerer Diebstähle beschuldigt worden, und hatte auch noch ein Geständnis abgelegt. Kaum waren wir beisammen, da erzählte er mir die Geschichte seiner Haft. Es konnte kein Zweifel sein, daß das Regiment ihn ausstoßen würde. Dieser Gedanke, und dazu die Furcht, seine Familie zu entehren, stürzte ihn in Verzweiflung. Ich fühlte Mitleid mit ihm. Und da ich keinen Ausweg für ihn aus einer so schlimmen Situation sah, so riet ich ihm, sich der Strafe zu entziehen: durch Flucht oder Selbstmord. Er war einverstanden; er wollte erst eins vor dem anderen versuchen. Mit Hilfe eines jungen Mannes, der zu mir zu Besuch kam, bereitete ich in Eile alles für eine Flucht vor. Um Mitternacht sind zwei Eisenstäbe zerbrochen; wir führen den Gefangenen auf den Wall, und dort sage ich ihm: „Los! – Spring – oder hänge dich auf!“ Er kennt die Höhe, zögert und erklärt schließlich, er wolle sich eher dem Urteil aussetzen, als die Beine brechen. Gerade will er wieder ins Gefängnis zurück. Aber in dem Moment, wo er es am wenigsten erwartet, geben wir ihm einen Stoß. Er stößt einen Schrei aus, ich rufe ihm nach: „Sei still!“ und schleiche wieder in mein Loch zurück. Diese Nacht kostete ich auf meinem Stroh die Ruhe aus, die das Bewußtsein einer guten Tat bringt. Am anderen Morgen entdeckte man, daß mein Genosse entkommen war, man vernahm mich, aber als ich erklärte, ich hätte nichts gesehen, ließ man mich in Ruhe. Mehrere Jahre später

begegnete ich einmal diesem Unglücksraben. Er betrachtete mich als seinen Befreier. Seit seiner Flucht hinkte er, aber er war ein anständiger Mensch geworden.

Ich konnte nicht ewig in Arras bleiben. Gerade war der Krieg mit Österreich erklärt worden, ich marschierte mit dem Regiment, und kurz darauf nahm ich an jener Niederlage von Marrein teil, die zu Lille mit der Ermordung des tapferen, unglücklichen Generals Dillon anging. Nach diesem Begebnis schickte man uns nach Mauld ins Lager, und darauf nach La Lune. Da nahm ich mit der Höllenarmee unter dem Befehl Kellermanns am Gefecht vom 20. September 1792 gegen die Preußen teil. Am anderen Tage rückte ich zum Korporal bei den Grenadieren auf. Die Treffen mußten „begossen“ werden, und das erledigte ich in der Kantine mit Glanz. Da bekam ich Streit mit dem Sergeant-Major der Kompagnie, die ich verließ. Ein Duell, das ich vorschlug, wurde angenommen. Aber kaum waren wir auf dem Kampfplatz, da behauptete mein Gegner, der Rangunterschied erlaube ihm nicht, sich mit mir zu schlagen. Ich wollte ihn zwingen, aber er zeigte mich an, und noch am selben Abend setzte man mich mit meinem Sekundanten auf Feldwache. Zwei Tage darauf teilte man uns mit, es sei die Rede davon, uns vor ein Kriegsgericht zu stellen. Es war höchste Zeit, zu desertieren, und das taten wir auch schleunigst. Mein Kamerad in Arrestuniform und -mütze, ganz in der Haltung eines Strafsoldaten, marschierte vor mir her. Ich hinter ihm, trug noch meine Regimentsmütze, mein Tornister und mein Gewehr. Auf das Gewehr hatte ich, weithin sichtbar, einen großen Brief mit rotem Siegel gesteckt, der die Aufschrift trug: „An den Citoyen und Platzkommandanten zu Vitry-le-François“. Das war unser Paß. Der machte, daß wir ohne Hindernis nach Vitry kamen, und dort besorgte uns ein Jude Zivilkleider. Zu dieser Zeit waren die Mauern jeder Stadt mit Plakaten bedeckt, in denen man alle Franzosen aufforderte, zur Verteidigung des Vaterlandes herbeizueilen. Unter solchen Umständen stellt man die ersten besten ins Regiment ein. Ein Quartiermeister von den Elfer Jägern warb uns an. Wir bekamen neue Marschzettel und begaben uns sogleich nach Philippeville, wo der Sammelplatz war.

Mein Kamerad und ich hatten sehr wenig Geld. Glücklicherweise machten wir in Châlons einen guten Schnitt. Mit uns im selben Wirtshaus logierte ein Soldat vom Regiment Beaujolais. Er lud uns zum Trinken ein. Er war aus der Pikardie; ich sprach mit ihm in seinem Dialekt, und unmerklich entstand zwischen uns beim Glase eine so große Vertraulichkeit, daß er uns eine Brieftasche, die gestopft voll von Assignaten war, zeigte. Er behauptete, sie in der Gegend von Chateau-L’abbaye gefunden zu haben. „Kameraden,“ sagte er, „ich kann nicht lesen. Aber wenn ihr mir angeben wollt, was diese Papiere wert sind, dann sollt ihr euren Anteil haben!“

Der gute Mann hätte gar nicht in bessere Hände fallen können. Er bekam den größten Teil, aber er ahnte nicht, daß es nur die größte Masse der Papiere war, und daß wir in Wahrheit neun Zehntel der Summe nahmen. Diese kleine Unterstützung kam uns während des Verlaufs unserer Reise gerade zupasse, und die Reise nahm natürlich den fröhlichsten Verlauf von der Welt. Als wir an unseren Bestimmungsort angekommen waren, hatten wir immerhin noch genug übrig, um unsere Regimentskameraden traktieren zu können. In kurzer Zeit hatten wir solche Fortschritte im Reiten gemacht, daß wir den Feldschwadronen zugeteilt wurden. Und wir waren bei denen gerade zwei Tage, als die Schlacht von Jemappes stattfand. Nun, es war nicht das erstemal, daß ich im Feuer stand. Ich hatte keine Furcht, und ich glaube sogar, daß meine Führung mir das Wohlwollen meiner Vorgesetzten eingetragen hatte; da teilte mir mein Hauptmann mit, daß ich als Deserteur angezeigt sei und sofort verhaftet würde. Die Gefahr war dringend. Noch am selben Abend sattelte ich mein Pferd, um zu den Österreichern überzugehen. In wenigen Minuten hatte ich ihre Vorposten erreicht. Ich bat, Dienste nehmen zu können, und man kleidete mich bei den Kinsky-Kürassieren ein. Was ich am meisten fürchtete, war, daß ich mich am anderen Morgen mit den Franzosen schlagen mußte. Ich suchte diesem Zwang eiligst zu entwischen. Ich schützte Unpäßlichkeit vor, und das brachte mich nach Louvain, wo ich nach einigen Tagen im Spital den Offizieren der Garnsion anbot, ihnen Fechtstunden zu erteilen. Sie waren entzückt von diesem Vorschlag. Gleich besorgte man mir Masken, Handschuhe und Floretts. Und ein Ausfall, mit dem ich zwei oder drei angebliche deutsche Fechtkünstler entwaffnete, brachte allen eine hohe Meinung von meiner Geschicklichkeit bei. Bald hatte ich zahlreiche Schüler, und ich machte mir ein ganz schönes Stück Geld.

Ich war ganz stolz über meine Erfolge, als ich bei Gelegenheit eines etwas zu lebhaften Streites mit einem Leutnant vom Dienst zu zwanzig Stockschlägen verurteilt wurde. Und diese Strafe wurde mir, wie es üblich war, auf der Parade zugemessen. Diese Exekution brachte mich vor Wut ganz außer mir; ich weigerte mich, weiter Unterricht zu geben, aber man befahl mir fortzufahren, indem man mir die Wahl ließ zwischen meinem Unterricht und einer neuen Körperstrafe; ich wählte den Unterricht. Aber die Stockschläge saßen mir im Gedächtnis, und ich beschloß, alles zu unternehmen, um mich von ihnen freizumachen. Ich hatte erfahren, daß sich ein Leutnant zu dem Armeekorps des Generals Schröder begab, und ich bat ihn inständig, mich als Bedienten mitzunehmen; er willigte ein in der Hoffnung, daß ich aus ihm einen zweiten Ritter Sankt Georg im Fechten machen würde. Aber er täuschte sich; als wir uns Quesnois näherten, drückte ich mich auf englisch, und begab mich nach Landrecies, wo ich mich für einen Belgier ausgab, der von den Österreichern desertiert sei. Man machte mir den Vorschlag, in die Kavallerie einzutreten. Aber die Furcht, erkannt und füsiliert zu werden, wenn ich jemals in die Nähe meines alten Regimentes käme, bewirkte es, daß ich dem vierzehnten leichten Regiment den Vorzug gab.

Die „Armee von Sambre-et-Meuse“ marschierte damals auf Aachen zu. Die Kompagnie, bei der ich stand, erhielt die Order, dieser Bewegung zu folgen. Wir marschierten ab. Da, als wir in Rocroi einmarschierten, bemerkte ich Jäger vom elften Regiment. Schon glaubte ich mich verloren, da machte es sich, daß ich überdies noch ein Zusammentreffen mit meinem ehemaligen Hauptmann nicht vermeiden konnte. Aber er beeilte sich, mich zu beruhigen. Dieser brave Mann hatte Interesse für mich gefaßt, seit er gesehen hatte, wie ich auf die Husaren der Armee Alberts von Sachsen-Teschen einhieb; und er sagte mir, daß, wenn eine Amnestie mich vor allen Folgen sicherstellte, er es mit Vergnügen sehen würde, daß ich wieder unter seine Befehle zurückkehrte. Ich bezeugte ihm, daß ich darüber nicht weniger ungehalten sein würde als er. Er nahm es auf sich, die Sache ins reine zu bringen, und ich wurde sofort wieder ins elfte Regiment eingestellt. Meine alten Kameraden nahmen mich mit Vergnügen auf, ich war ebenso zufrieden, wieder mit ihnen zu sein, und nichts mangelte meinem Glück. Da spielte mir die Liebe wieder einen Streich. Niemand kann wohl sehr erstaunt darüber sein, daß ich mit siebzehn Jahren die Haushälterin eines alten Junggesellen erobert hatte. Sie hieß Manon und war wenigstens doppelt so alt wie ich. Aber sie liebte mich sehr, und um es mir zu beweisen, war sie der größten Opfer fähig, und nichts war ihr zu teuer. Ich war für ihren Geschmack der schönste aller Jäger, weil ich ihr gehörte, und sie wollte auch, daß ich der auffallendste sein sollte. Schon hatte sie mir eine Uhr zugesteckt, und ich war ganz stolz über einige kostbare Schmucksachen, Unterpfänder des Gefühls, das ich ihr einflößte; da erfuhr ich, daß Manon, auf die Anzeige ihres Herrn hin, wegen Hausdiebstahls vorgeladen worden war. Manon gestand ihr Vergehen ein, aber um sicher zu sein, daß ich nach ihrer Verurteilung mich nicht in die Arme einer anderen werfen würde, bezeichnete sie mich gleichzeitig als ihren Komplizen; sie ging sogar so weit, zu behaupten, daß ich sie angestiftet hätte. Die Sache schien einige Wahrscheinlichkeit zu haben. Ich wurde in eine Untersuchung verwickelt, und ich hätte mich nur mit großer Mühe aus dieser üblen Affäre ziehen können, wenn ich nicht durch Zufall ein paar Briefe wiedergefunden hätte, aus denen der Beweis meiner Unschuld hervorging. Manon wurde verwirrt und widersprach sich. Ich war unterdessen im Gefängnis zu Stenay eingesperrt gewesen. Nun wurde ich entlassen und kehrte zurück, unschuldig wie der weiße Schnee. Mein Hauptmann, der mich nie für schuldig gehalten hatte, freute sich sehr, mich wiederzusehen, aber die anderen Jäger verziehen es mir nicht, daß ich unter Verdacht gestanden hatte. Da ich Zielscheibe für allerhand Anspielungen und Vorwürfe war, so hatte ich nicht weniger als zehn Duelle in sechs Tagen. Schließlich wurde ich schwer verwundet, mußte ins Spital gebracht werden, und da lag ich nun länger als einen Monat. Bei meiner Entlassung aus dem Krankenhaus überzeugten sich meine Vorgesetzten, daß die Streitigkeiten wieder aufs neue anfangen würden, wenn ich mich nicht auf einige Zeit entfernte, und so gaben sie mir denn einen sechswöchentlichen Urlaub. Den brachte ich in Arras zu, wo ich mit Erstaunen meinen Vater in einem öffentlichen Amte vorgefunden hatte. In seiner Eigenschaft als ehemaliger Bäcker war er bei der Aufsicht über die Proviantmagazine angestellt worden. Er hatte gegen den Brotdiebstahl vorzugehen. Obwohl er nun seine Funktionen unentgeltlich erfüllte, so waren sie doch in jener Zeit der Hungersnot sehr gefährlich, und vielleicht hätten sie ihn sogar auf die Guillotine gebracht, wenn er nicht die Protektion des Bürgers Souham, Kommandanten des zweiten Bataillons vom Regiment Corrèze, gehabt hätte; und ich wurde nun provisorisch sein Assistent.

Mein Urlaub ging zu Ende. Ich stieß wieder zu meinem Regiment in Givet, und von da marschierten wir in die Grafschaft Namur. Man quartierte uns in die Dörfer an den Ufern der Maas ein, und da die Österreicher in der Nähe waren, so verging kein Tag, an dem nicht einige Schüsse gewechselt wurden. Eines Tags, bei einem ernsthafteren Gefecht, wurden wir aber bis unter die Kanonen von Givet zurückgedrängt. Auf diesem Rückzug erhielt ich einen Schuß ins Bein, der mich zwang, zuerst ins Spital zu gehen, und dann mußte ich im Lager bleiben. Dort war ich noch, als die „Deutsche Legion“ (die während der Revolution sich aus deutschen Deserteuren, Aufständischen und alten Soldaten gebildet hatte) in unsere Nähe kam. Einer der Oberbefehlshaber dieses Haufens von Ausreißern und Fechtmeistern schlug mir vor, in das Korps einzutreten, und versprach mir die Stelle eines Quartiermeisters. „Wenn Sie einmal aufgenommen sind,“ sagte er zu mir, „so bürge ich für Sie, Sie sind dann vor allen Verfolgungen sicher!“

Die Gewißheit, nicht verfolgt zu werden, und Erinnerung an alle Unannehmlichkeiten, die mir meine Freundschaft mit Mademoiselle Manon zugezogen hatte, bestimmten mich zum Entschluß. Ich nahm das Anerbieten an und anderen Tags befand ich mich schon mit der Legion auf der Straße nach Flandern. Es war zweifellos, daß ich bei ständigem Dienst in diesem Korps, wo das Avancement schnell vonstatten ging, Offizier werden würde. Aber meine Wunde brach auf und unter so erschwerenden Umständen, daß ich einen neuen Urlaub nachsuchen mußte. Ich erhielt ihn und sechs Tage später stand ich wiederum vor den Toren von Arras.

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