Die Rache

Lew Ssawwitsch Turmanow, ein Durchschnittsbürger im Besitze eines kleinen Kapitals, einer jungen Frau und einer großen Glatze spielte einmal bei der Namenstagsfeier eines seiner Freunde Whist. Nach einem ordentlichen Verlust, der ihm den Schweiß in die Stirne trieb, erinnerte er sich plötzlich, daß er schon lange keinen Schnaps getrunken hatte. Er erhob sich von seinem Platz, bahnte sich auf den Fußspitzen, seinen Körper mit Würde balancierend, einen Weg zwischen den Spieltischen, passierte den Salon, wo die Jugend tanzte (hier lächelte er herablassend und klopfte einem jungen, schmächtigen Apotheker väterlich auf die Schulter) und schlüpfte in die kleine Türe, die zum Büfett führte. Auf einem runden Tischchen standen Weinflaschen und Karaffen mit Schnaps …. Neben ihnen lag unter anderen anregenden Speisen ein mit Schnittlauch und Petersilie garnierter, halb verzehrter Hering. Lew Ssawwitsch schenkte sich ein Gläschen ein, bewegte die Finger, als sei er im Begriff, eine Rede zu schwingen, trank den Schnaps aus, machte ein gequältes Gesicht und stieß mit der Gabel in den Hering …. Plötzlich vernahm er hinter der Wand zwei Stimmen.

»Vielleicht, vielleicht ….« sprach schnell eine weibliche Stimme. »Doch wann?«

– Meine Frau! – sagte sich Lew Ssawwitsch, die Stimme erkennend. – Mit wem mag sie wohl sein? –

»Wann du willst, meine Liebe ….« antwortete hinter der Wand eine tiefe, saftige Basstimme. »Heute geht es nicht gut und morgen bin ich den ganzen Tag beschäftigt.«

– Das ist doch Degtjarjow! – Turmanow erkannte die Stimme eines seiner Freunde. – Auch du, Brutus! Hat sie auch schon ihn in ihr Netz gelockt? Was für ein unersättliches, unruhiges Weib! Keinen Tag kann sie ohne einen Roman leben! –

»Ja, morgen bin ich beschäftigt,« fuhr die Baßstimme fort. »Wenn du willst, schreibe mir morgen ein paar Zeilen …. Ich werde froh und glücklich sein …. Wir müssen übrigens mehr Ordnung in unsere Korrespondenz bringen. Man muß irgendeinen Modus erfinden. Durch die Post geht es nicht gut. Wenn ich dir schreibe, so kann dein Truthahn meinen Brief dem Briefträger abnehmen; und wenn du mir schreibst, so wird meine bessere Hälfte deinen Brief abfangen und öffnen.«

»Was sollen wir machen?«

»Wir müssen irgendein Kunststück erfinden. Auch durch die Dienstboten kann man nichts schicken; dein Brummbär hält wohl das Dienstmädchen und den Diener sehr streng. Was treibt er jetzt, spielt er Karten?«

»Ja, immer verliert er, der Narr!«

»Also hat er Glück in der Liebe!« rief Degtjarjow lachend. »Hör’ mal, Schatz, was mir eben eingefallen ist …. Morgen um sechs Uhr abends, wenn ich aus dem Bureau heimgehe, komme ich durch den Stadtpark, wo ich den Inspektor sprechen muß. Also sei so gut, Schatz, und stecke noch vor sechs Uhr, keineswegs später, ein Briefchen in die Marmorvase, die links von der Weinlaube steht; du weißt doch, welche ich meine? …«

»Ich weiß, ich weiß ….«

»Das wird poetisch und geheimnisvoll, und auch ganz neu sein … weder dein Dicker, noch meine bessere Hälfte werden davon etwas erfahren. Hast du mich verstanden?«

Lew Ssawwitsch trank noch ein Glas und kehrte zum Kartentisch zurück. Die Entdeckung, die er eben gemacht hatte, vermochte ihn weder zu empören, noch niederzuschmettern. Die Zeit, wo er sich noch empörte, seiner Frau Szenen machte und sogar um sich schlug, war längst vorbei; er kümmerte sich nicht mehr um die Romane seiner Frau und drückte ein Auge zu. Und doch fühlte er sich jetzt recht ungemütlich. Solche Ausdrücke wie: Truthahn, Dicker, Brummbär usw. verletzten sein Ehrgefühl.

– Was ist doch dieser Degtjarjow für eine Kanaille! dachte er sich, indem er die neuen Verluste aufschrieb. – Wenn er mir auf der Straße begegnet, stellt er sich als ein guter Freund, lächelt, klopft mich auf den Magen, und nun macht er solche Faxen! Er nennt mich einen Freund, hinter meinem Rücken aber einen Truthahn und einen Dicken ….

Je mehr seine Verluste anwuchsen, um so schwerer bedrückte ihn die Kränkung ….

– Dieser Milchbart … – dachte er sich, indem er vor Wut die Kreide entzweibrach. – Dieser grüne Junge …. Ich habe keine Lust, mich mit ihm einzulassen, sonst würde ich ihm schon den Brummbären zeigen! –

Beim Abendessen konnte er das Gesicht Degtjarjows nicht gleichgültig anblicken, jener aber richtete an ihn wie zum Trotz fortwährend Fragen: ob er gewonnen habe? warum er so schlecht gelaunt sei? Er hatte sogar die Frechheit, als guter Bekannter, Turmanows Gattin laut den Vorwurf zu machen, daß sie sich so wenig um die Gesundheit ihres Mannes kümmere. Die Gattin blickte aber den Mann, als ob nichts passiert wäre, mit sanften Augen an, lachte so lustig und plauderte so unschuldig, daß auch der Teufel selbst sie nicht der Untreue verdächtigen würde.

Nach Hause zurückgekehrt, fühlte sich Lew Ssawwitsch so erbost und unbefriedigt, als hätte er abends statt des Kalbsbratens einen alten Gummischuh gegessen. Vielleicht hätte er sich auch beherrschen und alles vergessen können, doch das Geschwätz und das Lächeln seiner Gattin brachten ihm jeden Augenblick den Truthahn und den Dicken in Erinnerung ….

– Ohrfeigen möchte ich den Kerl … – dachte er sich. – Ihm öffentlich einen Skandal machen. –

Und er dachte sich, wie gut es wäre, Degtjarjow zu verprügeln, oder in einem Duell wie einen Spatz niederzuknallen … ihn um seine Stelle zu bringen, oder in die Marmorvase etwas Unanständiges, Stinkendes zu tun, z. B. eine tote Ratte …. Es wäre auch nicht übel, den Brief seiner Frau aus der Vase zu stehlen und an seiner statt ein unanständiges Gedicht mit der Unterschrift »deine Akuljka« oder etwas Aehnliches zu legen.

Lange ging Turmanow im Schlafzimmer auf und ab und weidete sich an solchen Gedanken. Plötzlich blieb er stehen und versetzte sich einen Klaps auf die Stirn.

»Jetzt hab’ ich es, bravo!« rief er aus und erstrahlte vor Freude. »Das wird ausgezeichnet werden! Ausgezeichnet!«

Als seine Gattin eingeschlafen war, setzte er sich an den Tisch und schrieb nach langer Ueberlegung, die Handschrift verstellend und orthographische Fehler erfindend, folgendes: »An den Kaufmann Dulinow. Sehr geehrter Herr! Wenn Sie nicht bis heute, den zwölften September, sechs Uhr abends, in die Marmorvase, die sich im Stadtpark links von der Weinlaube befindet, zweihundert Rubel hineinlegen, so werden Sie ermordet werden, und Ihr Galanteriewarengeschäft fliegt in die Luft.« Nachdem Lew Ssawwitsch diesen Brief geschrieben, machte er vor Vergnügen einen Hopser.

»Fein erdacht, nicht wahr?« murmelte er, sich die Hände reibend. »Wunderbar! Eine bessere Rache kann der Satan selbst nicht erfinden! Der Kaufmich wird natürlich Angst kriegen und die Polizei benachrichtigen. Die Polizei wird um sechs Uhr in den Büschen lauern und den Knaben, wenn er den Brief holen kommt, festnehmen! … Der wird schöne Angst kriegen! Bis die Sache sich aufklärt, wird er, diese Kanaille, einige Zeit sitzen und manches ausstehen müssen …. Bravo!«

Lew Ssawwitsch klebte auf den Brief eine Marke und trug ihn selbst zum Kasten. Er schlummerte mit einem seligen Lächeln auf den Lippen ein und schlief so süß, wie schon lange nicht. Als er am Morgen erwachte und sich seines Einfalls erinnerte, schnurrte er vergnügt wie ein Kater und tätschelte sogar die treulose Gattin am Kinn. Auf dem Wege ins Bureau und später, während der Arbeit, lächelte er fortwährend und malte sich den Schreck Degtjarjows aus, wenn er in die Falle geraten würde ….

Nach fünf hielt er es nicht länger aus und eilte in den Stadtpark, um das Mißgeschick des Feindes mit eigenen Augen zu sehen.

– Aha! – sagte er sich, als er einem Schutzmann begegnete.

In der Nähe der Weinlaube versteckte er sich hinter einem Busch, richtete seinen gespannten Blick auf die Vase und begann zu warten. Seine Ungeduld steigerte sich über alle Begriffe.

Punkt sechs Uhr erschien Degtjarjow. Der junge Mann schien in der besten Laune. Der Zylinderhut saß ihm keck im Nacken, und aus dem offenen Mantel schien zugleich mit der Weste auch seine Seele hervorzugucken. Er pfiff ein Liedchen und rauchte eine Zigarre ….

– Gleich wirst du den Truthahn und den Brummbären erleben! – sagte sich Turmanow schadenfroh. – Warte nur! –

Degtjarjow ging auf die Vase zu und steckte lässig seine Hand hinein …. Lew Ssawwitsch erhob sich und bohrte in ihn seine Blicke …. Der junge Mann holte aus der Vase ein kleines Paket hervor, betrachtete es von allen Seiten und zuckte die Achseln; dann erbrach er unentschlossen die Siegel, zuckte wieder die Achseln, und sein Gesicht zeigte plötzlich höchstes Erstaunen: im Paket lagen zwei Hundertrubelscheine!

Degtjarjow betrachtete lange die Scheine. Schließlich steckte er sie sich achselzuckend in die Tasche und sagte: »Ich danke schön!«

Der unglückliche Lew Ssawwitsch hörte dieses »Ich danke schön«. Den ganzen Abend stand er vor dem Laden Dulinows, drohte dem Aushängeschild mit der Faust und murmelte empört:

»Feigling! Elender Kaufmich! Feigling! Hasenfuß! …«

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