Die Ermordung des Typographen J. W. Lackner

Im Jahre 1865 lebte in Reval der Typograph Julius Wilhelm Lackner, 37 Jahre alt und ledigen Standes, als Geschäftsführer der Buch- und Steindruckerei der Lindfors’schen Erben. Er war aus Ostpreußen gebürtig und vor etwa vier Jahren, von Riga kommend, in diese Stellung getreten. Dieselbe brachte ihn in vielfache Beziehungen zu allen Kreisen der städtischen Bevölkerung. Das Lindfors’sche Geschäft ist nicht allein das größte in seiner Art am Orte, sondern es concentrirt sich in ihm auch Verlag, Druck und Expedition der »Revalschen Zeitung«, eines täglich erscheinenden, in der Stadt viel gelesenen Blattes mit ansehnlichem Inseratentheil. Lackner leitete die Expedition des Blattes in Person, pflegte auch die Inserate und sonstigen Bestellungen meist selbst entgegenzunehmen. Hierdurch kam er mit Angehörigen aller Kreise in Berührung. Dem Vereinsleben und den geselligen Freuden zugethan, von umgänglichem, jovialem Wesen und nicht ohne Talente, dabei ein guter Kamerad, – war er bald eine allgemein bekannte und unter den Mitgliedern der verschiedenen Vereine (Turn- und Gesangverein, Feuerwehr u.s.w.) auch beliebte Persönlichkeit. Um so größer und allgemeiner war die Bestürzung, als am Morgen des 22. October 1865 die Schreckenskunde sich in der Stadt verbreitete, daß Lackner in seiner mitten in der Stadt, in der belebtesten Straße, belegenen Wohnung auf gräßliche Art ermordet gefunden worden sei. Der Hausknecht des Lindfors’schen Hauses hatte seinen Principal früh um 6 Uhr wecken wollen, und zu seiner Verwunderung sowol die aus dem Vorhause auf die Straße als auch die aus dem Vorhause in das Comptoir führende Thür offen gefunden. Er überzeugte sich, daß niemand im Comptoir war, stieg die Treppe hinauf und ging, da auch die von der Treppe in das Wohnzimmer des Lackner führende Thür offen stand, durch das Wohnzimmer in das Schlafzimmer, woselbst er seinen Herrn ausgestreckt und regungslos in seinem Blute liegen sah. Die von der Polizei alsbald vorgenommene Localbesichtigung ergab Folgendes [Fußnote]Zum Verständniß für die Instruction und Verhandlung dieses Falles diene Folgendes: In Reval, dem Hauptorte der zu Rußland gehörigen Provinz Estland, beiläufig eine Stadt von circa 32000 Einwohnern, ist neben der alten deutschen Stadtverfassung auch noch die alte Gerichtsorganisation und der inquisitorische Proceß in Strafsachen in Geltung. Danach wird die Voruntersuchung vom Polizeiamte bewerkstelligt, welches nach Schluß derselben die betreffenden Acten und Protokolle dem Rathe der Stadt als höchster localer Justizbehörde mittheilt. Der Rath erkennt in seinem vollen Bestande darüber, ob ein gerichtliches Strafverfahren einzuleiten ist, und übergibt demnächst die Sache dem städtischen Niedergerichte, der von zwei Rathsgliedern besetzten Stadtjustizbehörde erster Instanz, zur formellen Untersuchung, während welcher mit dem Angeschuldigten und Zeugen ein artikulirtes Verhör angestellt wird. Nach Schluß der Specialinquisition werden die Acten vom Secretär des Niedergerichts im Plenum des Rathes zur Urtheilsfällung in Vortrag gebracht. Eine schriftliche Vertheidigung ist nicht ausgeschlossen, kommt aber nur ausnahmsweise auf Bitte der Angeschuldigten vor. Die Urtheile des Rathes in Strafsachen erlangen Rechtskraft erst, wenn sie vom Gouvernementsprocureur, einem mit der Controle der Rechtspflege betrauten Staatsbeamten, durchgesehen und unbeanstandet gelassen und vom Chef des Gouvernements als dem Repräsentanten der landesherrlichen Gewalt bestätigt worden sind.

Eine Justizreform mit völliger Trennung der Justiz von der Administration, des Anklageverfahrens in wichtigern Sachen, der Oeffentlichkeit und Mündlichkeit bildet schon lange ein Desiderium der baltischen Provinzen. Wenn bisjetzt trotzdem alles beim alten geblieben ist, so liegt der Grund einzig und allein darin, daß zwischen der Staatsregierung und den Ständen der Provinzen eine Einigung über die einzuführenden Reformen noch nicht hat erzielt werden können.: Das Lindfors’sche Haus liegt an der Langstraße.

Durch die Hausthür betritt man das Vorhaus, aus welchem rechts eine Thür in das zu ebener Erde befindliche Comptoir und der Hausthür gegenüber eine Treppe in den ersten Stock führt. Daselbst befindet sich die Wohnung des Lackner. Sie liegt nach dem Hofe und besteht aus einem Wohnzimmer und einem Schlafzimmer, welche durch eine mit einer Portiere verhangene Thür verbunden sind. Die Wohnung hat zwei Eingänge. Der eine führt unmittelbar von der Treppe aus in das Wohnzimmer, der andere gleichfalls von der Treppe aus durch ein dunkles, kaltes Vorzimmer in denjenigen durch Gardinen abgetheilten Raum des Schlafzimmers, woselbst das Bett steht. Aus dem dunkeln, kalten Vorzimmer gelangt man ferner in eine ebenfalls dunkle Ablegekammer und aus dem unabgetheilten Raume des Schlafzimmers in das Privé. In dem nach der Langstraße belegenen Hauptgebäude befindet sich nur eine Wohnung, diejenige des Lackner, die übrigen Räumlichkeiten dieses Hauptgebäudes werden zu Geschäftszwecken benutzt. In einem Nebenhause im Hofe sind zwei Wohnungen, von denen die eine von dem Hausknecht Simon Birkenfeldt und dessen Weibe, die andere von drei Arbeitern im Druckereigeschäft bewohnt wird.

Die Leiche des Lackner lag bis auf die Füße, an denen die Stiefel fehlten, vollkommen gekleidet, im Schlafzimmer vor der Gardine, etwa fünf Schritte vom Bette entfernt, auf dem Rücken, mit dem Kopfe der Thür zugekehrt, der linke Arm ausgestreckt, der rechte am Körper anliegend. Es zeigten sich folgende Wunden: 1) Auf der rechten Kopfhälfte am Rande des Haarwuchses zwei parallel verlaufende, einen halben Zoll lange Stichwunden. 2) Eine durch den Hals von dem einen Ohr zum andern durch die Mitte des Kehlkopfes geführte und bis auf die Wirbelsäule in der Höhe des Zwischenknorpels des zweiten und dritten Wirbels gedrungene Schnittwunde. Die Organe der Halsgegend, als: Muskeln, Kehlkopf, Speiseröhre, Nerven und Blutgefäße, bis auf zwei kleine oberflächliche Venen an der linken Grenze des Schnittes, endlich die hintere Wand der rechten Carotis, waren durchgeschnitten. 3) In der Mitte der Halsgegend, 2 Linien unter der großen Halswunde, 5 senkrechte, nur durch die Haut gedrungene, ¾ Zoll lange Stichwunden. 4) Auf der rechten Brusthälfte in der Höhe der Verknorpelungsstelle der zweiten Rippe eine ¾ Zoll lange, senkrechte, durch die Haut und den Brustmuskel gedrungene Stichwunde. 5) Auf der linken Brusthälfte, in der Höhe der zweiten Rippe eine 1½ Zoll lange, von rechts oben nach links unten verlaufende Stichwunde. Bei Oeffnung der Brusthöhle erwies sich, daß dieser Stich die linke Lunge in deren oberm Drittel, ½ Zoll vom vordern scharfen Rande entfernt, und das Herz an der vordern Fläche, ¼ Zoll über der Spitze des linken Ventrikels, an der hintern Fläche aber im obern Drittel des linken Ventrikels, durchbohrt hatte. Die linke Brusthälfte war angefüllt mit 5 Pfund blutiger Flüssigkeit und mit handgroßen geronnenen Blutklumpen. 6) Auf dem linken Rande des Brustbeins eine ¼ Zoll lange Stichwunde und mit derselben correspondirend eine perforirende Wunde im untern Rande des linken Leberlappens. 7) Auf der letzten rechten wahren Rippe eine Hautwunde von ¾ Zoll Länge. 8) In der Nierengegend, 2 Zoll unter dem letzten Rippenknorpel, 1 Zoll von der Bauchlinie entfernt, eine 1 Zoll lange senkrechte Stichwunde, an die sich eine 2 Zoll lange parallel mit den Rippen verlaufende Wunde anschloß.

Das von der Medicinalbehörde bestätigte Gutachten des Stadtarztes ging dahin, daß hier Tödtung von fremder Hand vorliege, daß von den zwei absolut letalen Wunden, d. h. der Schnittwunde durch den Hals sowie der Stichwunde durch die Lunge und das Herz, letztere zuerst beigebracht worden sei, weil nach zuerst erfolgter Durchschneidung der Halsorgane und Entleerung der Halsgefäße die große Blutansammlung im Brustkorbe unmöglich gewesen wäre, endlich, daß der Tod nach Beibringung des Herzstoßes augenblicklich erfolgt sei. Aus der Richtung der Wunde folgerte das Gutachten, daß der Mörder an der linken Seite des Ermordeten gestanden und als Waffe ein etwa 1 Fuß langes, am Schaft 1 Zoll breites, spitz zulaufendes, scharfschneidendes Messer gebraucht haben müsse. Unzweifelhaft war es, daß hier ein Raubmord vorlag. Nicht nur wurden an der Leiche Uhr und Ringe vermißt, die der Ermordete zu tragen pflegte, sondern es fehlten auch mehrere seiner Kleidungsstücke und sonstige ihm gehörige Sachen. Ferner waren im Comptoir aus dem Geschäftspult, in dessen oberster Schieblade die Geschäftskasse sich befand, zwei Schächtelchen herausgenommen worden und standen entleert auf dem Schreibtische.

Das Aufsehen, welches diese schwere Mordthat erregte, war ein ungeheueres. Die ganze Stadt wünschte nichts sehnlicher, als daß die Schuldigen so schnell als möglich entdeckt und zur Rechenschaft gezogen werden möchten. Die Behörden thaten ihre Schuldigkeit in vollem Maße. Aus der Mitte des Rathes wurde sofort ein erfahrener Criminalist zur Leitung der Voruntersuchung in die Polizei delegirt, und es gelang schon nach wenigen Stunden, die Mörder festzunehmen. Der Weinhändler P. theilte den Polizeibeamten mit, daß zwei Männer am Nachmittage zuvor in den Laden des Kaufmanns A. gekommen wären, und von dem daselbst anwesenden Commis E. einen Dolch gekauft hätten. Mit Hülfe dieses Commis habe er jene beiden Personen ermittelt, sie verweilten in einer Schenke in der Fuhrmannsstraße, in der Nähe des Marktes. Die Polizei begab sich in Begleitung des Weinhändlers P. und des Commis E. ohne Verzug in den bezeichneten Krug und verhaftete daselbst die zwei Käufer des Dolches: Friedrich Schmul, ein übel berüchtigtes, bereits bestraftes Subject, und Julius Weinberg, einen bis dahin unbescholtenen Menschen. Schmul war bekleidet mit einem Paletot aus grobem Tuche, Beinkleidern aus schwarzem Tricot, einer Weste aus demselben Stoffe, einem feinen Hemde mit Manschetten und gefaltetem Vorhemdchen, – darunter mit einer wollenen Jacke und einem kurzen groben Hemde – und mit Stiefeln aus Wichsleder. Das feine Hemde wurde sofort als dem Ermordeten gehörig erkannt an den Manschetten und an dem Vorhemdchen. Die Beinkleider waren dem Schmul viel zu lang, sie gehörten offenbar nicht ihm, sondern einem größern Manne, wie der Ermordete ein solcher gewesen war. An Geld hatte Schmul bei seiner Verhaftung 21 Rubel 10 Kopeken in Banknoten und einiger Scheidemünze bei sich. Bei Weinberg wurde vorgefunden: an Geld 6 einrubelige Reichscreditbillete, 2 harte Rubelstücke, 3 Rubel 95 Kopeken in kleiner Silbermünze, 1 Rubel 50 Kopeken Silber in Anweisungen der revalschen Kaufmannschaft [Fußnote]Für den Localverkehr wegen Mangels an Scheidemünze concessionirte Assignationen., 29 Kopeken in Kupfermünze, ferner eine goldene Taschenuhr nebst goldener Kette und goldenem Schlüssel, 2 Federmesser, 1 Taschenmesser, eine Cigarrenspitze, 1 rothseidenes Taschentuch und 1 Paar goldene Manschettenknöpfe, der eine mit dem eingravirten Namen »Riga«, der andere mit dem eingravirten Datum: »10. April 1861« bezeichnet, zu denen das Gegenstück sich in dem Aermel des Hemdes befand, mit welchem der Ermordete bekleidet war. Ferner wurde dem Weinberg ein ebensolches feines Hemde mit Manschetten und Vorhemdchen wie dem Schmul abgenommen. Es war hiernach keinem Zweifel unterworfen, daß Schmul und Weinberg bei dem Morde betheiligt sein mußten. Man fand aber auch in der Grube des zur Lackner’schen Wohnung gehörigen heimlichen Gemachs ein Paar fettlederne Stiefel, die offenbar dem Schmul gehörten. An dem einen dieser Stiefel war der Schaft mit einem scharfen Instrument aufgeschnitten.

Weinberg trat schon beim ersten Verhöre mit dem unumwundenen Bekenntnisse hervor, daß der Mord von ihm, Friedrich Schmul und der verehelichten Pauline Moltin gemeinschaftlich verübt worden sei.

Schmul dagegen leugnete hartnäckig. Er wollte das Hemde von Petersburg mitgebracht, die Beinkleider und die Stiefel von Wichsleder auf dem Trödelmarkte gekauft haben. Er leugnete auch dann noch, als seine Aeltern die aus der Grube herbeigeschafften Stiefel als die seinigen bezeichneten, und als in ihrer Wohnung, wohin er in der kritischen Nacht gegen 2 Uhr früh gekommen war, nicht blos verschiedene dem Ermordeten gehörige Gegenstände gefunden wurden, sondern auch ein Dolch mit abgebrochener Spitze.

Pauline Moltin, die ebenfalls gefänglich eingezogen wurde, gab zwar zu, Schmul und Weinberg zu kennen, auch den Topographen Lackner wenige Tage zuvor wegen einer Weißnäharbeit besucht zu haben, stellte aber jedes Mitwissen und Mitwirken an dem Morde in Abrede. Sie wollte den ganzen Donnerstag (21. October) zu Hause gewesen und nur abends gegen 9 Uhr einmal ausgegangen sein, um ihrem Manne, der eine auswärtige Wache verrichtete, etwas Geld zu bringen. So stand die Untersuchung am Freitag Abend. Ehe wir über den weitern Verlauf berichten, mag eine kurze Charakteristik der Angeschuldigten Platz finden.

Friedrich Schmul, Sohn des Zimmermanns Hans Schmul und dessen Ehefrau Anna, ist geboren in Reval am 23. Juli 1844 und daselbst mit guten Religionskenntnissen im Jahre 1861 confirmirt worden. In der Schule zeigte er ein trotziges, verstocktes, gewaltthätiges Wesen und große Faulheit. Die Aeltern, besonders die Mutter, waren schwach gegen ihren Sohn. Ging es in einer Schule nicht vorwärts mit ihm, so wurde er in eine andere gesetzt, sodaß er im ganzen drei Schulen, zuerst die Volksschule, sodann die russische und schließlich die deutsche Elementarschule besucht hat. Eine natürliche Folge der älterlichen Schwäche und der mangelhaften Erziehung war, wie es in dem Pastoralattestat heißt, Trotz und Ungehorsam gegen die Aeltern und fortwährender Streit mit dem Vater, sodaß der Prediger von der Mutter gebeten wurde, ihren Sohn in dem Confirmandenunterrichte wegen seiner Uebertretungen des vierten Gebotes scharf zu admoniren. Nach beendigter Schulzeit ging Schmul nach Petersburg zu einem Bierbrauer in die Lehre, kehrte aber wegen eines kranken Fingers zu seinen Aeltern nach Reval zurück. Nachdem er geheilt war, reiste er wiederum nach Petersburg, um dort das Buchbinderhandwerk zu erlernen, trat indeß nach kurzem Aufenthalt bei einem dortigen Buchbinder in die Telegraphenschule ein. Er lernte das Signalisiren und wurde auch als Signalist angestellt. Bald darauf quittirte er diese Stelle, nahm einen Dienst bei der Eisenbahn an, kam aber, weil es ihm auch dort nicht gefiel, etwa vor zwei Jahren zu seinen Aeltern zurück. Hier lebte er ohne feste Beschäftigung. Er ist ein notorischer Müßiggänger und in hohem Grade übel beleumundet, auch bereits einmal wegen einfachen Diebstahls mit anderthalbmonatlichem Gefängniß bestraft worden.

Julius Weinberg, ein Sohn des Schuhmachers Matthias Weinberg und dessen Ehefrau Helene, ist geboren zu Reval am 21. Juli 1844 und in Petersburg im Jahre 1862 confirmirt worden. Er hatte mit Schmul zusammen die russische Elementarschule besucht und mit ihm auch in Petersburg, wo er das Goldarbeiterhandwerk erlernte, die Verbindung aufrecht erhalten.

Im Jahre 1862 kehrte er nach Reval zurück, lebte zuerst bei seiner inzwischen verwitweten und danach mit dem Töpfermeister Adamsohn in eine zweite Ehe getretenen Mutter, arbeitete dann als Goldarbeiter an verschiedenen Stellen und trat im Frühling 1865 als Kellner in der Restauration des Curhauses der Katharinenthalschen Badeanstalt in Reval ein. Seit dem 16. September 1865 war er ohne Arbeit, er wohnte bei seiner Mutter und trieb sich viel mit Schmul umher.

Pauline Moltin, Tochter des Müllers Christian Jakobson und dessen Ehefrau Christine, ist geboren auf dem estländischen Rittergute Addinal am 14. Februar 1846; sie besuchte die Elementarschule in der Stadt Wesenberg und wurde mit guten Lese- und ziemlich guten Religionskenntnissen im Jahre 1862 in Reval confirmirt. Ihre Erziehung in sittlicher Beziehung war gänzlich vernachlässigt. Ihren Vater hatte sie im dritten Lebensjahre verloren, die Mutter, eine habituelle Säuferin, überließ ihre kaum fünfzehnjährige Tochter zu Anfang des Jahres 1861 dem Gerbergesellen August Heinrich Moltin zum fleischlichen Gebrauche. Der letztere hatte die Mutter bei der Erziehung unterstützt, offenbar in der Absicht, dereinst sich an dem Mädchen selbst schadlos zu halten. Infolge dieses Umgangs hatte Pauline im Jahre 1861 einen Abortus im revalschen Schloßgefängnisse, wo sie sich wegen Theilnahme an einem von ihrer Mutter begangenen Diebstahl in Haft befand. Durch Urtheil des estländischen Oberlandgerichtes vom 1. September 1861 wurde sie in dringendem Verdacht belassen, um diesen Diebstahl gewußt und wissentlich gestohlenes Gut entgegengenommen zu haben. Gleichzeitig ward wegen des von ihr geführten unzüchtigen Lebenswandels auf Kirchensühne gegen sie erkannt. Bald darauf heirathete sie ihren 20 Jahre ältern Verführer, den schon genannten August Moltin, einen sittlich verkommenen Menschen, der durch das erwähnte Urtheil des Oberlandgerichtes gleichfalls im Verdacht belassen worden war, daß er um den Diebstahl gewußt und ihn begünstigt habe. Ein Urtheil des Rathes vom 23. December 1864 verurtheilte ihn zu sechs Monaten Gefängniß und zur Kirchensühne, weil er seine nachmalige Ehefrau damals, als er sie erzogen und Autorität über sie geübt, zur Unzucht verführt habe, und ferner zu zwei Monaten Gefängniß wegen Diebeshehlerei. Früher im Gerbereigeschäft thätig, führte er schon seit einer Reihe von Jahren ein vagirendes Leben, auf zufälligen Erwerb, namentlich als Vieharzt, ausgehend. Auch nach seiner Verheirathung war er meist abwesend von Reval und trieb sich auf dem Lande umher. Seinem Weibe gab er nur wenig Geldmittel. Sie war demnach darauf angewiesen, sich ihren Unterhalt selbst zu verdienen. Als geschickte Nähterin gelang es ihr auch sich durchzubringen. Nebenbei gab sie sich Männern hin, jedoch nicht gewerbsmäßig und nicht lediglich nur des Gewinnes wegen, auch nicht jedermann. Den Lackner hatte sie vor drei Jahren kennen gelernt, seit jener Zeit besuchte sie ihn häufig, sowol in seiner Wohnung als in seinem Geschäftszimmer, und knüpfte ein intimes Verhältniß mit ihm an, welches bis zu seinem Tode fortgesetzt wurde. Dieses Verhältniß hielt sie jedoch nicht ab, auch mit andern Männern umzugehen. Als Nähterin hatte sie eine gute Kundschaft in den besten Familien der Stadt, sie galt für eine anständige Person und erfreute sich sogar einer gewissen Beliebtheit, eine Folge ihres bescheidenen und äußerlich anständigen Wesens, ihrer Geschicklichkeit und ihres Fleißes. Nicht unerwähnt darf bleiben, daß namentlich die Kinder in den Häusern, in welchen sie verkehrte, ihr wegen ihrer freundlichen und mittheilsamen Art, vielleicht auch ihres angenehmen Aeußern wegen – sie ist mittelgroß, wohl gewachsen und hat ein frisches Gesicht mit nicht unfeinen Zügen – zugethan waren. Charakteristisch für die Richtung, welche ihre Phantasie genommen, ist, daß sich eine Auswahl romantischer Ritter- und Räubergeschichten nebst angefügten Liedern im Bänkelsängerton bei ihr vorfanden, darunter z.B. »Iosepha Antonette Belgy, Anführerin einer weiblichen Räuberbande von Frauen und Mädchen in Ungarn, sowie der furchtbare Ueberfall einer Mühle mit 12 der verwegensten Genossinnen ihrer Bande, die Marter und schreckliche Todesstrafe der Räuberhauptmännin und die Gefangennehmung und Hinrichtung ihrer weiblichen Räuberschar. Eine Geschichte jetziger Zeit, wie noch keine dieser Art geschehen ist«. Ferner »Franz Müller oder muthmaßliche Mörder des Mr. Briggs« u.s.w. Diese Sachen waren in der Officin von Lindfors’ Erben gedruckt und wahrscheinlich von Lackner selbst der Pauline Moltin gegeben worden. War durch diese verderbliche Speise ihre Phantasie vielleicht auf die finstern Bahnen gelenkt worden, welche schließlich bis zur Ermordung ihres Geliebten führten?

Die Polizeiverwaltung beschloß, sowol Pauline Moltin als Friedrich Schmul angesichts der Leiche durch ihren Beichtvater, den Pastor L., priesterlich verwarnen zu lassen. Zuerst wurde Pauline Moltin vor die Leiche geführt und vom Prediger ermahnt, die Wahrheit zu sagen. Sie blieb dabei, daß sie von dem Morde nichts wisse. Auf die Aufforderung, diese Behauptung dem Todten ins Angesicht zu wiederholen, trat sie näher, sah der Leiche in die offenen Augen und sagte: »Ich bin nicht dabei gewesen.«

Ganz anders verhielt sich Schmul. Als er die Leiche erblickte, bedeckte er das Gesicht mit den Händen, wandte sich ab und brach mit dem Ausrufe: »Ich kann den Anblick der Leiche nicht ertragen und will alles gestehen!« in heftiges krampfhaftes Weinen aus. Jetzt wurde Pauline Moltin nochmals vor die Leiche geführt. Schmul und Weinberg erklärten in ihrer Gegenwart: sie alle drei hätten sich zur Verübung des Mordes verabredet und sie sei bei dem Morde zugegen gewesen. Dennoch verharrte sie beim Leugnen. Auch die ernsten Ermahnungen des Geistlichen machten keinen Eindruck, erst auf die eindringlichen Vorstellungen des Instructionsrichters räumte sie ihre Betheiligung ein.

Bereits am 3. November konnte die mit großer Umsicht und Sorgfalt geführte Voruntersuchung geschlossen werden, und unmittelbar darauf wurde die Sache der Justizbehörde zur formellen Untersuchung übergeben.

Inzwischen war nach Entdeckung der Mörder im Publikum die Aufregung und Spannung einer unbeschreiblichen Entrüstung gewichen. In Wogen bäumte das verletzte Rechtsgefühl sich empor und verlangte, die Dämme der Ordnung und Sitte durchbrechend, in stürmischer, tobender Weise nach Sühnung. Am 22. October, dem Tage nach dem Morde, als die Verbrecher in die Wohnung ihres Opfers zu dem Verhöre vor die Leiche geführt wurden, fand ein Volksauflauf statt. Vornehmlich war die Erbitterung der Menge gegen das entartete Frauenzimmer gerichtet. »Ungeheuere Volksmassen hatten sich«, heißt es in einem Berichte des Localblattes vom genannten Tage, »vor dem Hause der Lindfors’schen Druckerei eingefunden. Als die Uebelthäterin herausgebracht wurde, um in einer Droschke zur Polizei gefahren zu werden, machte sich die Erbitterung des Publikums Luft. Ein allgemeines Wuthgeschrei brach los, es hatte den Anschein, als wolle man die Verbrecherin lynchen. Später gelang es, sich einen Durchgang zu verschaffen. Aber weder gestattete das Publikum, daß die Sünderin fahre, noch, daß sie ihr Gesicht (was sie versuchte), bedeckte. Der Eindruck dieser Scene war ein gewaltiger, und – wir leugnen es nicht – ein erfreulicher. Die Erbitterung, ja die Wuth des Publikums finden in dem unerhörten Charakter der Missethat ihre vollkommenste Rechtfertigung. Eine Stimme, eine Forderung geht jetzt durch die ganze Stadt, die Forderung einer Bestrafung der Uebelthäter, die der Größe des Verbrechens entspricht.« Diese Forderung sollte einen etwas barocken Ausdruck in einem von 184 Einwohnern der verschiedensten Stände – selbst die Juristen waren unter ihnen vertreten – unterzeichneten und dem Rathe am 12. November übergebenen Gesuche erhalten, in welchem mit Rücksicht auf die drei in jüngster Zeit in Reval verübten Raubmorde, namentlich auf das entsetzliche an Lackner vollzogene Verbrechen, darum gebeten wurde, allerhöchsten Orts zu erwirken, daß für den letzterwähnten Fall die Todesstrafe wieder eingeführt und am Orte des begangenen Verbrechens vollzogen werde. [Fußnote]Das russische Strafgesetzbuch kennt die Todesstrafe für Privatverbrechen nicht. Die schwersten derselben sind mit Zwangsarbeit für Männer in den Bergwerken, für Frauen in den Fabriken des Staates und, wofern die Zwangsarbeit nicht lebenslänglich, mit nachfolgender Ansiedelung in den entferntesten Gegenden Sibiriens belegt. Von der Verhängung der Todesstrafe kann somit nur die Rede sein, wenn bei Bedrohung der öffentlichen Sicherheit in außergewöhnlichem Grade die Thätigkeit der ordentlichen Gerichte, wie es in einigen Gegenden Rußlands vorgekommen, zeitweilig suspendirt wird und an ihre Stelle Kriegsgerichte treten, die bei der Zumessung der Strafe nicht an die Bestimmungen des Strafgesetzbuches gebunden sind.

Vom Rathe abgewiesen, wandten sich die Bittsteller mit ihrem Gesuche an den Civilgouverneur, welcher sich auch bereit finden ließ, es höhern Orts, freilich wie vorauszusehen war, ohne den gewünschten Erfolg, vorzustellen. Die Benennung »barock« für diese Petition rechtfertigt sich im Hinblick darauf, daß die Petenten die Todesstrafe, ohne sich im Princip dafür zu erklären und ihre Wiedereinführung für alle Fälle des Mordes zu beantragen, nur für den einen Lackner’schen Fall angewandt wissen wollten. Höchst bezeichnend aber bleibt dennoch die Thatsache, daß in einer Gegend, wo die Todesstrafe als ordentliche Strafe seit fast einem Jahrhundert nur für die schwersten Staatsverbrechen besteht, wo keiner unter den Lebenden sich mehr des Vollzuges einer Hinrichtung erinnern kann, durch ein unerhörtes Verbrechen plötzlich das Verlangen nach einer Sühne im Sinne des biblischen Wortes: wer Menschenblut vergießt, deß Blut soll wieder vergossen werden, wach gerufen und bis zu einer Aeußerung, wie jene Petition, getrieben wurde. Darf hierin nicht wieder ein Beleg dafür erblickt werden, daß trotz aller Agitation gegen die Todesstrafe dem Rechtsbewußtsein im Volke in gewissen Fällen Befriedigung immer nur durch das Richtbeil verschafft werden kann?

Die bei der Voruntersuchung gemachten Geständnisse der Angeschuldigten wurden durch ihre Aussagen bei der formellen Untersuchung bestätigt, in manchen Stücken auch berichtigt und ergänzt. Aus denselben ergibt sich folgendes Bild des tragischen Vorganges.

Friedrich Schmul war am Dienstag den 19. October, also zwei Tage vor Verübung des Verbrechens, durch die Schmiedestraße gegangen und hatte daselbst den ihm von früher bekannten August Moltin, den Ehemann der Pauline, getroffen. Dieser hatte ihn angeredet, sie waren zusammen weiter gegangen und hatten sich auf die Barrière gesetzt, welche den Platz vor der Nikolaikirche umgibt. Dort hatte Moltin ihm erzählt, seine Frau kenne einen Mann, der in der Langstraße sein Comptoir habe und allein wohne, bei welchem man daher leicht Geld holen könne. Auf die an diese Mittheilung geknüpfte Aufforderung, zu seiner Frau zu gehen, um von ihr das Nähere zu erfahren, begab sich Schmul am folgenden Tage zu der ihm gleichfalls bekannten Pauline Moltin. Sie nannte ihm auf sein Befragen den Namen Lackner’s und fügte hinzu: »Lackner hat wol Geld, aber man kann es ihm nicht so leicht abnehmen, er trägt die Schlüssel immer bei sich. Den muß man erst kalt machen, sonst kriegt man das Geld nicht.« Auf den Einwand Schmul’s, man könne ihm ja die Schlüssel mit Gewalt abnehmen und brauche ihn nicht erst kalt zu machen, erwiderte sie, das ginge nicht, man müsse ihn morden, und dazu brauche man einen Gehülfen. Als Gehülfen brachte Schmul hierauf den Julius Weinberg in Vorschlag, mit dem er in letzter Zeit viel verkehrt hatte und dem er, als seinem frühern Schulkameraden, vertrauen zu können meinte. Die Moltin kannte den Weinberg zwar nicht näher, hatte ihn aber früher einmal in Schmul’s Gesellschaft bei ihrem Manne gesehen, und stimmte dem Vorschlag, ihn zum Gehülfen des Mordes anzuwerben, bei. Bei dieser ersten Unterredung wurde für die Verübung des Verbrechens noch kein bestimmter Zeitpunkt ins Auge gefaßt, wohl aber abgemacht, daß die Moltin den Lackner, wie schon häufig früher, an einem Abend besuchen und dann, sobald Lackner zum Abendessen von Hause weggegangen sei, die beiden Helfershelfer hereinlassen solle. Am Donnerstag traf Schmul den Weinberg in dem in der Fuhrmannsstraße nahe dem Markte belegenen Kruge. Sie tranken und entfernten sich dann zusammen. Unterwegs setzte Schmul den Weinberg von dem Plane der Ermordung und Beraubung Lackner’s in Kenntniß und forderte ihn auf, sich daran zu betheiligen. Dabei berief er sich auf die Mittheilung der Moltin, daß daselbst Geld sein müsse, und redete den Weinberg mit den Worten zu: »Halt mit, verliere nicht deinen Muth, wir sind ja immer zusammen gewesen, trinke auch meinetwegen sieben Korb Bier, ich werde es schon verantworten.« Hierauf sagte Weinberg seine Theilnahme zu und begab sich zurück in den Krug, während Schmul zur Moltin ging und ihr von seinem Gespräche mit Weinberg Mittheilung machte. Jetzt wurde zwischen ihnen verabredet, daß der Mord am selbigen Abend geschehen solle. Die Moltin bestellte die beiden Gefährten auf 10 Uhr in die Langstraße in die Nähe der Lindfors’schen Buchdruckerei und begab sich dann zu Lackner, um ihm, wie es zwischen ihnen üblich war, ihren Besuch für den Abend anzukündigen. Schmul kehrte zurück in den Krug, setzte den Weinberg von der getroffenen Verabredung in Kenntniß und ging dann zusammen mit ihm in seine, Schmul’s, Wohnung bei seinen Aeltern vor der Schmiedepforte, wo sie eine Zeit lang verweilten. Alsdann begaben sie sich wieder zurück in die Stadt und kauften in der am Markte belegenen A.’schen Stahlwaarenhandlung für 2 Rubel 50 Kopeken Silber einen dolchartigen Hirschfänger. Nach 9 Uhr finden wir beide in der Langstraße. Sie gingen dort auf und ab, die Moltin gesellte sich zu ihnen und sagte: »es sei noch zu früh, sie müßten warten, bis das Licht im Comptoir ausgelöscht werde und bis Lackner in den Club zum Abendessen gegangen sei.« Einige Zeit darauf sah Weinberg den Lackner in der Gegend des Grünmarktes vorübergehen und die Richtung zum Schwarzenhäupterclub einschlagen.

Nunmehr begaben sie sich zum Lindfors’schen Hause. Vor der Thür erwarteten sie die Moltin, welche bei Lackner verweilt hatte, bis dieser soeben in den Club gegangen war. Sie führte ihre beiden Helfershelfer die Treppe hinauf, zunächst in die Schafferei und von dort in das Schlafzimmer, wo Licht angezündet wurde. In der Schafferei stand ein Korb mit Flaschen, von denen Schmul eine mit dem an seinem Taschenmesser befindlichen Korkzieher öffnete. Das darin befindliche Bier ward von ihnen gemeinsam ausgetrunken. Hierauf beriethen sie über die Ausführung des Verbrechens. Anfangs dachten sie daran, den Lackner mit Hülfe von Handtüchern, welche Schmul zu diesem Zweck zusammendrehte, niederzuwerfen, dann aber gingen sie von diesem Plane ab und verabredeten, ihr Opfer im Bette zu ermorden. Zu solchem Behufe hätten sie sich in der Schafferei versteckt halten müssen. Da sie aber bemerkten, daß die vom Schlafzimmer in die Schafferei führende Thür stark in den Angeln knarrte, vereinigten sie sich schließlich auf Schmul’s Vorschlag dahin, daß, sobald Lackner aus dem Wohnzimmer ins Schlafzimmer trete, Schmul auf ihn losstürzen und Weinberg ihm mit dem Dolche den Garaus machen solle. Zu diesem Zwecke verbargen Schmul und Weinberg sich beide hinter der Gardine. Die Moltin hatte sich schon halb entkleidet und saß auf dem Bette. So erwarteten sie ihr Opfer. Es wurde unter ihnen fast gar nicht gesprochen. Schmul zitterte vor Angst und hatte sich fest vorgenommen, falls Lackner schon im ersten Zimmer Licht anzünden sollte, nicht auf ihn loszustürzen. Weinberg fing, seiner eigenen Angabe nach, erst an zu zittern, als er Lackner’s Tritte hörte. Die Pauline Moltin ertheilte auf Befragen des Gerichts über ihren Seelenzustand während des Wartens auf Lackner die Auskunft, der beabsichtigte Mord habe ihr wol schon leidgethan, sie habe aber nicht davon sprechen mögen. Gegen Mitternacht hörten die Mörder Lackner die Treppe heraufkommen. Er trat durch die Hauptthür ins Wohnzimmer, zündete jedoch kein Licht an, sondern ging ins Schlafzimmer und nahm von dem Leuchter, der auf dem Tische vor der Gardine stand, ein Streichzündhölzchen. Als er es an der Dose strich, bemerkte er, daß die Gardine sich etwas bewegte, er rief im Tone der Verwunderung: »Na nu!« oder »Wer da!« In demselben Augenblicke stürzte Schmul auf ihn los, packte ihn mit der linken Hand beim Kinnbarte und mit der rechten Hand an der Gurgel und warf ihn, indem er ihm ein Bein stellte, mit dem Rufe: »Julius, komme schnell!« zu Boden. Hierauf eilte Weinberg herzu, kniete nieder und versetzte dem Lackner mehrere Stiche in die Brust, beim Mondlichte wohl erkennend, wohin er stieß. Der Unglückliche wehrte sich weder noch gab er einen Laut von sich. Schmul stemmte vor Aufregung zitternd seine Knie auf Lackner’s Arme und hielt ihm den Mund zu, sodaß er nicht schreien konnte. Er zuckte nur am ganzen Körper. Als das Zucken nachließ, hörte auch Weinberg mit den Dolchstößen auf, zündete Licht an, wusch den Dolch ab und reinigte seine blutigen Hände. Schmul rief ihm zu: »Sieh zu, ob er ganz kalt ist«, worauf Weinberg nach Schmul’s Behauptung dem Lackner noch mehrere Stöße versetzte, während Weinberg nur die Hand der Leiche angefühlt und bemerkt haben will, daß sie ganz kalt war. Hierauf nahm Schmul dem Weinberg den Dolch, von dem die Spitze abgebrochen war, aus der Hand und schnitt dem Lackner den Hals durch. Die Moltin blieb, während ihre beiden Genossen den Mord verübten, hinter der Gardine beim Bett. Erst nachdem das Verbrechen vollbracht war, kam sie hervor. Nach dem Zeugnisse Weinberg’s war sie ganz vergnügt, lachte, erzählte, daß Lackner anfangs nicht zum Abendessen habe gehen wollen, daß sie ihn aber dazu überredet habe. Sie selbst hat dies freilich nicht eingeräumt, sondern im Verhör – vermuthlich in der Meinung, dadurch ihre Schuld zu verringern – angegeben, als sie hinausgetreten, habe Weinberg ihr den Dolch in die Hand geben wollen, sie aber habe ihn mit den Worten zurückgewiesen: »Macht was ihr wollt, ich rühre ihn nicht an.« Der Ermordete blieb in derselben Stellung liegen, wie der Tod ihn ereilt hatte. Die Moltin kleidete sich zunächst wieder völlig an, dann zeigte sie dem Schmul und dem Weinberg alles im Zimmer, die Porträts, die Bilder- und Liederbücher, ging darauf zum Kleiderschrank und warf aus demselben ihren Genossen Hemden und Kleider zu, indem sie sagte: »Nehmt, und zieht euch an.« Die beiden Mörder waren inzwischen zur Beraubung der Leiche geschritten. Schmul zog ihr die Stiefel ab und die Ringe von den Fingern. Die Stiefel zog er selbst an, seine eigenen hatte er vorher, um Lärm zu vermeiden, abgelegt, und warf sie nun in den Abtritt. Weinberg nahm der Leiche die Uhr nebst goldener Kette und ein Paar Hemdknöpfe ab und zog aus der Hosentasche das Portemonnaie und die Schlüssel heraus. Aus der Wohnung wurde von den Raubmördern eine ansehnliche Menge von Sachen geraubt. Schmul eignete sich an: drei feine Hemden, einen Rock, ein Paar Beinkleider aus weißem Shirting, einen silbernen Becher, eine kleine Tischuhr mit einem Wecker, ein rothseidenes Taschentuch, ein Abzeichen des revaler Männergesangvereins, ein anderes silbernes Abzeichen in Form einer Lyra. Weinberg nahm ein feines Hemd, ein Paar Beinkleider von schwarzem Tuche und ein Paar Socken, an sich. Pauline Moltin begnügte sich mit 6 Schnupftüchern, 4 Nachthemden, einem Kopfkissenüberzug, 2 Westen und einem Paar Hosen. Den in der Theedose vorräthigen Thee schüttete sie in ihr Taschentuch. Die Verbrecher blieben etwa eine halbe Stunde oben in Lackner’s Wohnung, weil sie meinten, es sei noch zu früh, um wegzugehen. Als sie annehmen konnten, daß alle Leute in der Nachbarschaft fest schliefen, begaben sie sich hinunter ins Comptoir. Weinberg nahm das Licht, Schmul die Schlüssel, und die Moltin, die mit allen Räumlichkeiten des Hauses bekannt war, machte die Führerin. Sie bezeichnete den zur Comptoirthür und den zur Kasse gehörigen Schlüssel. Schmul schloß auf; die Moltin zeigte auf ein Pult, in dessen Schieblade das Geld sein müßte. Sie fanden aber nicht mehr als 30 Rubel, die sie zu sich steckten. Die Moltin machte sie aufmerksam auf die Schieblade des Tisches, es wurde in derselben jedoch nicht Geld, sondern nur ein Etui mit einer Brosche und einem Paar Ohrgehänge vorgefunden, welches die Moltin an sich nahm. Weinberg eignete sich im Comptoir noch ein Federmesser, eine Cigarrenspitze und einen Pelz Lackner’s an, dann wurde das Licht ausgelöscht, Schmul schloß die Hausthür mit dem Schlüssel, welchen er aus der Wohnung mitgenommen hatte, auf, und die Mörder entfernten sich. Bei der Neugasse bog die Moltin ab, um zu ihrer Wohnung zu gelangen. Ihre beiden Genossen gingen durch die kleine Strandpforte auf die Narosche Straße, spazierten daselbst noch einige Zeit auf und ab, theilten das erbeutete Geld, von welchem jeder 15 Rubel erhielt, und begaben sich alsdann in Schmul’s Wohnung. Der Pelz wurde auf dem Boden im Heu versteckt, die übrigen Sachen verwahrte Schmul in der Kommode. Der Schlaf floh den Weinberg, von Unruhe getrieben mahnte er seinen Kameraden zum Aufstehen. Dieser leistete der Mahnung jedoch erst um 8 Uhr Folge. Sie tranken Kaffee und gingen hierauf in den uns bereits bekannten Krug in der Fuhrmannsstraße, wo sie bereits von dem Morde reden hörten. Um 10 Uhr suchten sie den Wachtmeister der Steuerverwaltung auf, von welchem Schmul 1 Rubel Silber auf Rechnung des Rekrutenanmiethegeldes nahm – beide beabsichtigten sich von der Gemeinde zum Eintritt in den Militärdienst für dieselbe anwerben zu lassen, dann fuhren sie in das Kelch’sche Traiteur im Katharinenthal, speisten und tranken daselbst und begaben sich von dort zu Pauline Moltin. Nach Schmul’s Aussage entspann sich zwischen ihm und Moltin folgendes Gespräch. Schmul: »Lackner ist heute Nacht ermordet worden.« Moltin: »Da muß ich jetzt wol einen Knüppel mitnehmen, wenn ich auf die Straße gehe.« Schmul: »Dann muß ich also auch einen Knüppel nehmen.« – Moltin: »Du brauchst keinen.« Als Moltin sich auf einen Augenblick entfernte, äußerte seine Frau: »Er weiß schon davon, wenn er euch fragt, wieviel Geld Lackner hatte, so sagt 3½ Rubel; ich habe ihm diese Summe genannt.« Moltin wurde aufgefordert, Schnaps zu holen, lehnte es aber ab, und nun gingen alle drei Männer in den bewußten Krug. Unterwegs sagte Weinberg zu Schmul: »Nun weiß schon ein Vierter davon.« Hart vor dem Kruge bemerkten sie den Commis E., von welchem sie den Dolch gekauft hatten. Sie fürchteten, daß die Sache entdeckt fei, und Weinberg sagte zu Schmul: »Es kommt mir närsch [Fußnote]Provinzielle Form für »närrisch«. vor.« Gleich darauf trat der Weinhändler P. in den Krug, um seine Cigarre anzuzünden. Auch das fiel dem Weinberg auf. Er hatte seiner Besorgniß noch nicht Worte gegeben, als die Verhaftung bereits erfolgte. Moltin kehrte nach Hause zurück und war noch daselbst anwesend, als auch seine Frau arretirt wurde.

Während Schmul, Weinberg und die verehelichte Moltin bei ihren Geständnissen blieben, behauptete Moltin, er habe von dem beabsichtigten Verbrechen nichts gewußt, und von der Theilnahme seiner Frau an dem Morde erst nach deren Verhaftung erfahren. Das oben referirte Gespräch mit Schmul am Morgen nach dem Verbrechen stellte er in Abrede und gab nur zu, daß er zu einem ihm bekannten Schmied die Aeußerung gethan habe, er müsse jetzt einen Knüppel mitnehmen, wenn er auf die Straße gehe; bei dieser Aeußerung sei Schmul indeß nicht zugegen gewesen.

Dieser Behauptung widersprach die bereits mitgetheilte Aussage des Schmul, welcher zufolge Moltin ihn zu seiner Frau geschickt haben sollte, um mit derselben die Angelegenheit wegen der Beraubung des Lackner näher zu besprechen, vor allem aber die Deposition der Pauline Moltin selbst. Nachdem sie nämlich zuerst angegeben hatte, mit ihrem Manne niemals über den Plan der Ermordung und Beraubung Lackner’s gesprochen zu haben, änderte sie ihre Aussage in der Folge dahin, daß ihr Mann, welchem so ihr Verhältniß mit Lackner bekannt gewesen sei, zuerst die Idee, ihn zu morden und zu berauben, ausgesprochen, daß er zwar um den Zeitpunkt, wann das Verbrechen verübt werden sollte, nicht gewußt habe, am Morgen nach vollbrachter That aber durch sie selbst davon in Kenntniß gesetzt worden sei.

Am 7. Februar fällte der Rath sein Urtheil in dieser Sache, welches dahin ging: 1) Es sind Friedrich Schmul und Julius Weinberg, weil sie nach vorhergegangener Verabredung mit Pauline Moltin sich in räuberischer Absicht in der Wohnung des Lackner in einem Hinterhalte versteckt, von dort aus den Lackner überfallen und ihn ermordet, nach verübtem Morde aber die Kasse, diverse Pretiosen und andere Effecten des Ermordeten sich angeeignet haben, nach Entziehung aller Standesrechte und nach vorgängiger Ausstellung auf dem Schaffot zu schwerer Zwangsarbeit in den Bergwerken und zwar Schmul auf 20 Jahre und Weinberg auf 15 Jahre zu verweisen und nach Ablauf dieser Frist auf Lebenszeit in Sibirien anzusiedeln. 2) Die verehelichte Pauline Moltin ist, weil sie den erwähnten Raubmord mit dem Schmul verabredet, denselben sowie den Weinberg in die Wohnung des Lackner und in den Hinterhalt daselbst geführt und nach verübtem Morde sich diverse dem Ermordeten zugehörige Sachen zugeeignet hat, nach Entziehung aller Standesrechte und nach Ausstellung auf dem Schaffot zu schwerer Zwangsarbeit in Fabriken auf die Zeit von 13 Jahren und 4 Monaten zu verweisen und nach Ablauf dieser Frist auf Lebenszeit in Sibirien anzusiedeln. 3) August Moltin ist in Verdacht zu belassen, daß er um die Beabsichtigung des in Rede stehenden Raubmordes vor Verübung desselben gewußt und ihn nicht verhindert hat, und demgemäß ist seiner Gemeinde anheimzustellen [Fußnote]Ein eigenthümliches Institut des russischen Strafrechtes. Den Gemeinden ist es gestattet, sich derjenigen ihrer Mitglieder, welche urtheilsmäßig im Verdachte der Begehung schwerer Verbrechen belassen worden, zu entledigen, indem sie durch Gemeindebeschluß auf ihre Verschickung nach Sibirien erkennen., binnen zwei Monaten vom Tage der Eröffnung dieses Urtheils von sich aus darüber zu entscheiden, ob sie den Moltin wegen des auf ihm ruhen bleibenden Verdachtes aus ihrer Mitte entfernen will oder nicht.

In den Motiven zum Urtheile wird ausgeführt, daß Pauline Moltin und Friedrich Schmul das höchste Strafmaß verdient hätten; erstere, weil sie alle Handlungen beim Vollbringen des von ihr angeregten Verbrechens geleitet, und weil ohne ihre Mitwirkung die Verübung desselben gar nicht möglich gewesen sei, letzterer aber, weil er den Weinberg zur Theilnahme am Morde aufgefordert und offenbar als der Rädelsführer gehandelt habe. Wenn Pauline Moltin nicht ebenfalls zu 20 Jahren Zwangsarbeit verurtheilt worden sei, so habe dies lediglich seinen Grund in ihrer Minderjährigkeit, die eine Herabsetzung der Strafe um den dritten Theil zur gesetzlichen Folge habe. Weinberg sei zwar, da er dem Lackner die tödlichen Wunden zugefügt habe, ebenfalls wegen Mordes zu bestrafen gewesen, aber mit der geringsten Strafe, weil er schon im ersten Verhöre ein reumüthiges Geständnis abgelegt und seine Mitschuldigen genannt habe. August Moltin sei nach dem sehr ungünstigen Pastoralatteste jedes Verbrechens für fähig zu halten, und da die ihn belastenden Aussagen, der seiner Ehefrau und des Schmul, den Stempel der Glaubwürdigkeit an sich trügen, habe derselbe nicht freigesprochen werden können.

Das Urtheil erlangte die Rechtskraft und wurde den Inquisiten am 18. Februar 1866 publicirt. Waren schon früher besondere Maßregeln nöthig gewesen, um die Angeschuldigten, insbesondere die Moltin, auf ihren Gängen vom Gefängnisse in das Gerichtslocal vor dem neugierigen Andrange und den Beleidigungen des Publikums zu schützen, so mußten auf dem Wege zur Urtheilspublication und zur Ausstellung auf dem Schaffot die Verbrecher, abgesehen von der Polizeimannschaft zu Fuß und zu Pferde, von einer starken militärischen Escorte umgeben werden. Eine unabsehbare Menge aus allen Schichten der Bevölkerung drängte sich auf diesen letzten Gängen um die Missethäter, unverkennbar eine gewisse Genugthuung darüber empfindend, daß sie noch vor ihrer Abführung der öffentlichen Schande und Verachtung am Pranger preisgegeben wurden. Der Gleichmuth, ja selbst eine gewisse dem äußern Anscheine nach harmlose Fröhlichkeit, welche Pauline auch während des letzten schmählichen Actes bewahrte, während ihre Complicen Scham und Zerknirschung blicken ließen, riefen auch hier Aeußerungen des Misfallens und der Entrüstung hervor. Sie aber blieb von Anfang bis zu Ende sich gleich in ihrer ungestörten Seelenruhe, und selbst die Untersuchungsrichter, die sich die erdenklichste Mühe gegeben hatten, in das Geheimniß dieser verstockten Verbrecherseele einzudringen, mußten zum Schlusse eingestehen, daß sie doch vor einem ungelösten Räthsel ständen.

Die Gemeinde Wesenberg, welcher Moltin angehörte, beschloß, als sie in Gemäßheit des Erkenntnisses deshalb gefragt wurde, den August Moltin auszustoßen. Er trat daher ebenfalls die Wanderung nach Sibirien an.

Wenden wir uns nunmehr zu den Beweggründen des gräßlichen Verbrechens, dessen Bild wir an uns haben, vorübergehen lassen, so fließen in den Acten die Quellen hier um vieles dürftiger als in Betreff des thatsächlichen Herganges. Der Vermuthung und Combination eröffnet sich der weiteste Spielraum. Es erscheint daher, um den Boden der Wirklichkeit nicht unter den Füßen zu verlieren, doppelt nothwendig, sich zunächst dasjenige zu vergegenwärtigen, was die Acten und mündliche Ueberlieferungen darbieten.

Erfahren haben wir bereits, daß Schmul auf Lackner zuerst durch August Moltin aufmerksam gemacht, von diesem an seine Ehefrau wegen der nähern Details eines Planes, bei dessen Ausführung »etwas zu holen sei«, gewiesen sein und von Pauline Moltin den Namen Lackner erfahren haben will, und daß die letztere ihm bemerklich gemacht habe, man müsse den Lackner kalt machen, um seines Geldes habhaft zu werden. Pauline selbst läßt sich hierüber folgendermaßen vernehmen: »Bei seinem ersten Besuche sagte Schmul zu mir: »Es soll bei einem Mann, den du kennst und der in der Langstraße wohnt, etwas zu holen sein.« Ich merkte gleich, daß er nur Lackner meinen könne und sagte ihm daher zuerst nichts. Erst wie er noch einmal davon zu sprechen anfing, sagte ich: »Lackner hat wol Geld, aber man kann es ihm nicht so leicht abnehmen, er trägt die Schlüssel immer bei sich.« Es wurde gleich von Kaltmachen gesprochen, und zwar will ich es gern auf mich nehmen, daß ich zuerst davon gesprochen; wir dachten gar nicht daran, daß wir auch auf andere Weise zu dem Gelde kommen könnten. Das Geld brauchten wir, weil ich von meinem Manne loskommen wollte und Schmul mir versprochen hatte, mich von meinem Manne zu befreien. Schmul wollte nach verübtem Morde nach Petersburg ziehen; erst sollte Lackner und darauf mein Mann ermordet werden und nachdem wollten wir beide Reval verlassen, ich wollte nach Riga ziehen. Mein Wunsch war, daß mein Mann kalt gemacht werden sollte, und nur, damit ich von ihm loskäme, ging ich auf die Idee, Lackner zu ermorden, ein. Ich konnte meinen Mann nicht leiden, er trinkt und ist mir widerlich.« Als ihr vom Gerichte vorgehalten wurde, daß nach Schmul’s Behauptung nur im Scherz von der Ermordung ihres Mannes gesprochen worden, die Hauptabsicht aber immer auf die Ermordung Lackner’s gerichtet gewesen sei, blieb sie dabei, daß die Ermordung Lackner’s nur die Mittel habe darbieten sollen, um nach Beiseiteschaffung ihres Mannes davonziehen zu können. Im ersten gerichtlichen Verhöre fügte sie noch hinzu: »Wir haben nicht ordentlich über die Sache nachgedacht, sonst hätten wir wol eingesehen, daß wir Lackner, auch ohne ihn zu ermorden, hätten bestehlen können. Ich wollte von den Sachen nichts haben, weil die andern aber allerlei Kleider nahmen, eignete ich mir auch diverse Sachen an. Ich wollte, sobald ich von meinem Manne befreit worden, eine Stelle annehmen, ich brauchte also kein Geld. Jetzt, wo ich die Sache genauer bedenke, sehe ich ein, daß wir furchtbar leichtsinnig gehandelt haben.« Und zum Schlusse: »Ich habe die Ermordung des Herrn Lackner nur deshalb geschehen lassen, weil ich so hoffte, von meinem Manne loszukommen. Das ist die reine Wahrheit und dabei werde ich bis an mein Lebensende bleiben, selbst wenn ich auch noch 10 Jahre hindurch über diese Sache befragt werden sollte.« Indessen sollte trotz dieser am 25. November so bestimmt und bündig, ja mit einer gewissen Emphase abgegebenen Erklärung schon am 2. December ein Widerruf erfolgen und zwar gerade in Betreff des Punktes, welcher uns hier beschäftigt. Vom Gerichte auf das ernsteste und eindringlichste zum Bekenntnisse der Wahrheit ermahnt, erwiderte sie, ihr frühern Aussagen seien bis auf Einen Punkt völlig richtig, sie habe wol bisher ihren Mann schonen wollen, jetzt sei es ihr aber mehr darum zu thun, ihr Gewissen völlig freizumachen, ihr Mann habe auch schon vor der That um die Ermordung Lackner’s gewußt, er selbst habe mit ihr am Montage vor dem Morde davon gesprochen und namentlich zu ihr gesagt: »Wenn man den Lackner ermordet, so kommt man auf einmal zu viel Geld und kann dann von hier für immer wegziehen.« Er habe gewußt, daß sie mit Lackner ein Verhältniß gehabt, und habe zuerst die Idee von seiner Beraubung und Ermordung ausgesprochen. Daß er an der That theilnehmen wolle, habe er nie gesagt, er habe aber Schmul zu ihr geschickt, und mit dem sei alsdann die Ausführung verabredet worden. In der That sei Lackner nur des Geldes wegen ermordet worden, sie und ihr Mann hätten sich geirrt, indem sie Lackner für viel reicher gehalten. Der Grund, weshalb sie den Schmul und Weinberg am Morgen nach dem Morde überredet habe, ihrem Manne zu sagen, daß bei Lackner nur 3½ Rubel gefunden worden, sei der Wunsch gewesen, ihren Mann zu betrügen. Ihr Mann habe ihr gerathen, nichts einzugestehen, weil sie dann zwar lange werde sitzen müssen, schließlich aber doch freikomme. Da sie von Kindheit an ein hartes Herz habe, so sei es ihr möglich gewesen, alles zu leugnen, die Ermahnungen der Richter jedoch hätten sie schließlich veranlaßt, die Wahrheit zu bekennen. Nach kurzer Pause fuhr die Inquisitin in ihrem Bekenntnisse also fort: »Die von mir bei meinem letzten Verhör erwähnte Ermordung meines Mannes war ein Scherz und nur ganz flüchtig von mir mit Schmul besprochen worden. Wir gingen auf Geld aus; daß bei Lackner so wenig Geld zu finden sei, hatten wir nicht erwartet. Zuerst ging ich auf den Vorschlag, Lackner zu ermorden, nicht ein und sagte zu meinem Manne: »Er ist ein guter Mensch«, wie mein Mann aber den Schmul zu mir schickte, ging ich endlich auf den Plan ein.« Schließlich betheuerte sie eindringlichst, daß sie jetzt alles der Wahrheit gemäß bekannt, und erklärte, es thue ihr sehr leid, neulich so gelogen zu haben; sie habe sich aber geschämt zu sagen, daß sie Lackner ermordet hätten, um Geld zu rauben, deshalb sei es ihr leichter geworden, die zuerst erzählte Geschichte zu erfinden. Auf die Frage endlich, was sie habe beginnen wollen, falls bei Lackner viel Geld gefunden worden wäre, erwiderte sie: »Darüber habe ich eigentlich noch gar nicht nachgedacht. Vielleicht, daß ich meinem Manne einen großen Theil des Geldes gegeben und mich dann von ihm geschieden hätte. Ich habe sehr leichtsinnig gehandelt und daher über nichts genauer nachgedacht; die Folgen des schrecklichen Verbrechens habe ich gar nicht bedacht. Nur des Geldes wegen haben wir den schrecklichen Mord ausgeführt und gar nicht bedacht, daß wir vielleicht auch auf andere Weise hätten zu dem Gelde gelangen können.«

Es liegt Grund genug zu der Annahme vor, daß die Verbrecherin in ihrem ersten Verhöre nicht die volle Unwahrheit, in ihrem zweiten nicht die volle Wahrheit gesagt habe. Welches Motiv konnte sie zur Schonung gegen ihren Mann bewegen, gegen den Mann, den sie haßte, der ihr widerlich war, von dem sie auf jede Weise loszukommen trachtete? Scheute sie selbst vor dem Gedanken an einen Mord nicht zurück, um sich von dem Lästigen zu befreien, welcher Grund konnte sie bestimmen, ihre Schuld durch eine Lüge um seinetwillen zu vergrößern? Nach des Mannes eigener Aussage ist seine Ehe mit der Pauline keine glückliche gewesen. Und konnte unter Leuten dieses Schlages überhaupt auch nur von einem leidlichen Verhältnisse die Rede sein? Er in Laster und Verbrechen alt geworden, sie in einer sittlich verpesteten Atmosphäre aufgewachsen und systematisch zur Prostitution und zum Verbrechen erzogen, er nach Befriedigung seiner Lüste an dem kaum zur Reife gelangten Mädchen, ohne Liebe für seine Frau, sie ohne Subsistenzmittel zurücklassend und in vagirender Lebensweise einem unsichern Erwerbe nachgehend, sie verlassen und preisgegeben von ihrem Manne, ganz auf sich selbst angewiesen, der Prostitution theils aus Neigung, theils aus Noth sich hingebend – was hätte sie dazu bewegen sollen, einen solchen Mann zu schonen? Sicher war es die Wahrheit, wenn sie im ersten Verhöre aussagt: »Mir wäre es ganz gleichgültig, ob mein Mann mit bestraft wird, ich kann ihn nicht leiden und würde gewiß nicht zu seinen Gunsten aussagen.« Nichts spricht dafür, daß der Plan zur Ermordung des Lackner von Moltin ausgegangen sei. Mochte er auch wissen, oder doch ahnen, daß Lackner die Gunstbezeigungen seines Weibes mit ihm theilte, über eine verhältnißmäßig so noble Passion, wie die Eifersucht, war er längst hinaus. Von Geldgier war er gewiß nicht frei, möglich auch, daß er Lackner für reich hielt, daß er meinte, dieser sei der rechte Mann, bei dem sich, um in der Sprache Schmul’s zu reden, etwas Erkleckliches holen lasse, möglich, ja nach Schmul’s Aussage sogar wahrscheinlich, daß er diesem Gedanken Worte gegeben – der Plan der Ermordung Lackner’s selbst hat seinen Ursprung in Moltin’s Seele nicht. Da Schmul nur als ausführendes Organ uud Weinberg vollends blos als Werkzeug in Betracht kommt, so bleibt als Anstifterin keine andere als Pauline übrig. Es fehlte seinerzeit nicht an Stimmen, welche der Sache eine romantische Färbung geben wollten, indem sie behaupteten, Eifersucht, verschmähte oder verrathene Liebe wären bei der Moltin die Triebfedern zum Verbrechen gewesen. Nach dem Ergebnisse der Untersuchung aber ist diese Annahme unbedingt zurückzuweisen. Keine einzige Aeußerung der Inquisitin weist darauf hin, daß sie Lackner wirklich in Liebe zugethan gewesen ist. Das Aufkeimen einer leidenschaftlichen Liebe zu einem bestimmten Individuum im Herzen einer Hetäre gehört, so selten es auch vorkommen mag, allerdings nicht zu den Unmöglichkeiten. Allein in unserm Falle findet sich keine Spur davon. Vielmehr erwähnt Pauline gelegentlich eines auch ihr zu Ohren gekommenen Gerüchts, daß Lackner noch ein anderes Liebesverhältniß gehabt habe, der Name der betreffenden Person sei ihr aber nicht bekannt gewesen. Sie fügt hinzu, mit Lackner habe sie nie darüber gesprochen, denn eifersüchtig sei sie nicht gewesen. Wären Eifersucht oder der aus verrathener Liebe entspringende Haß die Beweggründe ihres verbrecherischen Handelns gewesen, sie hätte mit diesen Motiven vor den Richtern zu prunken sicherlich nicht unterlassen. Da hiervon in ihren Auslassungen vor Gericht nicht die mindeste Andeutung zu finden ist, da ferner auch sonst es an jeglichem Anhaltspunkte für die in dieser Richtung aufgestellte Hypothese gebricht, so konnte nur die allgemein verbreitete Vorliebe für pikante und romanhafte Episoden in Criminalfällen dazu führen, den Charakter der Verbrecherin mit einem Zuge zu bereichern, der ihm sicherlich ganz fremd war. Haben wir es also mit einem Act leidenschaftlicher Rache nicht zu thun, in welchen geheimen Falten des Herzens sollen wir nach einem Beweggrunde forschen, der zur Erklärung eines so scheußlichen Verbrechens auch nur einigermaßen ausreicht? Gewinnsucht allein war es nicht – sonst hätte sie nicht ihren Genossen alles bei Lackner vorgefundene Geld überlassen. Ebensowenig war es blos der Wunsch, von ihrem Manne befreit zu sein, wozu Geld allerdings kein ungeeignetes Mittel darbot. Hätte sie dieses Ziel verfolgt, ihr keineswegs schwaches Combinationsvermögen hätte ihr sagen müssen, daß sie dasselbe auch ohne die Ermordung Lackner’s hätte erreichen können, und einen Mord sucht doch auch der verhärtetste Bösewicht, schon um seiner strafrechtlichen Folgen willen, wenn es irgend angeht, zu vermeiden. Der Wunsch nach völliger Freiheit mag den verbrecherischen Gedanken der Beraubung Lackner’s erweckt haben, die Vollendung des Verbrechens selbst in der Art, wie es geschehen, erklärt sich dadurch nicht.

Beachten wir vor allem das Naturell der Verbrecherin, ihren Lebensgang und die Mächte, welche während desselben Einfluß auf sie ausgeübt haben. Ihrer eigenen Aussage verdanken wir die Kenntniß von der Thatsache, daß sie »von Kindheit auf ein hartes Herz gehabt«. Die Verhältnisse, welche sie in ihrer Jugend umgaben, waren nicht dazu angethan, dieses harte Herz zu erweichen und mildern Empfindungen zugänglich zu machen. Es war eine von den verderblichsten Miasmen durchwehte Luft tiefster moralischer Versunkenheit, in der sie heranwuchs, deren vergiftendem Einflusse sie von Kindheit an preisgegeben war. Nichts berührte sie, was die bessern Keime in ihrer Seele zu entwickeln und die in ihr vorhandenen bösen Elemente zu besiegen vermocht hätte. Die Mutter, ein auf der tiefsten Stufe sittlicher Verkommenheit stehendes Weib, sah in ihrer Tochter nur einen Gegenstand, dessen Verwerthung ihr die Mittel versprach, dem Laster des Trunks, dem sie nach einem liederlichen Lebenswandel im höchsten Grade ergeben war, nach Gefallen zu fröhnen. Die gefällige äußere Erscheinung der Tochter schien eine ergiebige Quelle für diese Zwecke werden zu sollen. Kaum zur Reife gelangt, wurde sie das Opfer eines wollüstigen Menschen. Ihre frühzeitige Schwangerschaft, die Verwickelung in eine Diebstahlsaffaire, die Niederkunft im Gefängnisse, schließlich die Ehe mit ihrem Verführer – alle diese Umstände bewirkten, daß sie, als sie mit 17 Jahren aus dem Gefängnisse ins Leben trat, gegen jeden sittlich veredelnden Einfluß fast völlig abgestumpft war. Ein Beweis dafür die Fortsetzung ihres unsittlichen Lebenswandels. – Nur ein von Grund aus schlechtes Naturell, verbunden mit den Einwirkungen eines derartigen Lebensganges, vermögen den hohen Grad der Verstocktheit und Herzenshärtigkeit zu erklären, wie er uns in der Vorbereitung und Verübung des Verbrechens sowie in dem spätern Verhalten der Missethäterin in wahrhaft erschreckender Weise entgegentritt. Keine Aufregung, keine Erschütterung ist an ihr zu bemerken, sie bleibt kalt, während die Männer der Leiche nicht in die Augen sehen können. Keine Spur der Reue, nicht einmal der nahe liegende Versuch, Anwandlungen von Reue um ihres eigenen Vortheils willen zu heucheln, im Gegentheil völlige Ruhe, unbekümmerter, geradezu schamloser Gleichmuth, ja eine ganz unerklärliche, gewissermaßen objective Heiterkeit während des ganzen Verlaufes der Untersuchung, als handle es sich nicht um ihre eigene, sondern um die Missethat eines Dritten. Nur wo ihre Eitelkeit empfindlich berührt wird, scheint die Scham einmal aufzuflackern und infolge der verletzten Eitelkeit auch ein gewisses vorübergehendes Bedauern, daß es so elend mit ihrer Sittlichkeit bestellt gewesen sei. »Ich wollte neulich hinfallen«, sagte sie im Verhöre, »wie eine Dame, bei der ich früher genäht habe, mir auf dem Transport ins Gefängniß entgegenkam. Ich habe früher auch mit guten Leuten zu schaffen gehabt, habe auch zu zeiten zur Kirche gehen wollen, mein Mann hielt mich aber immer davon ab.« Nicht Mangel an Einsicht war die Quelle ihres Gleichmuthes, ihrer Sorglosigkeit. Sie war sich im Gegentheil völlig klar über das begangene Unrecht und dessen Strafwürdigkeit, denn ausdrücklich bekannte sie, es sei ihr Wohl bewußt, daß sie sich gegen das fünfte und sechste Gebot schwer versündigt habe. Allein, wenn sie auch ihr Unrecht erkannte, so zeigte sie doch weder ein lebhaftes Bedauern über die von ihr begangene That, noch regte sich in ihr ein Gefühl von Buße. Davon hielten sie ab nicht nur die gänzliche Unempfänglichkeit gegen die Schrecknisse eines aufgestörten Gewissens, ihre bis zur äußersten Grenze getriebene Verstocktheit, sondern – wohl zu merken, ein unerhörter Grad von Leichtsinn. Diese Factoren zusammen waren es, welche offenbar zu einer vollständigen Ertödtung des Gewissens bei der Verbrecherin geführt haben, und in diesem todten Gewissen, in diesem erstorbenen Herzen wird es leichter sein, die verbrecherischen Gedanken aufzuspüren, welche in ihrer Ausbildung zur Verübung des Mordes führten.

In der »Actenmäßigen Darstellung merkwürdiger Verbrecher« von Anselm von Feuerbach[Fußnote]Bd. 2, VI. Fall: » Katharina Maier, Raubmörderin und vorsätzliche Brandstifterin.« ist ein Fall verzeichnet, in welchem ein liederliches junges Mädchen von 23 Jahren ohne erhebliche Veranlassung einen Raubmord an einer alten Bettlerin begeht, und um die Spuren desselben zu verdecken, das von ihr bewohnte Haus in Brand steckt. In ihrem Charakter finden sich manche der Pauline Moltin verwandte Züge. Sie ist arbeitsam, gutmüthig, von einem starken Hange zur Sinnlichkeit, daher der Prostitution mehr zur Befriedigung ihrer Begierde, als aus Gewinnsucht sich hingebend, dabei aber leichtsinnig, höchst leichtsinnig und von einer Heiterkeit, die sie während der Untersuchung ebenso ungetrübt beibehielt wie die Moltin ihre gute Laune. Das gegen diese Person gefällte Todesurtheil wurde vom Landesherrn in Erwägung, daß diese als ungewöhnlich leichtsinnig geschilderte Verbrecherin weniger aus Bosheit als aus Leichtsinn, Unüberlegtheit und Unbesonnenheit in die ihr zur Schuld liegenden Verbrechen gefallen ist, aus Gnade in Kettenstrafe gemildert. Obgleich nun Feuerbach diese Begnadigung als vollständig unlogisch einer scharfen Kritik unterzieht – denn ein vorsätzliches Verbrechen aus Leichtsinn reime ebenso wenig zusammen als ein fahrlässiges Verbrechen aus Vorsatz oder ein überlegtes Verbrechen aus Unüberlegtheit, ein mit Besonnenheit beschlossener und ausgeführter Mord aus Unbesonnenheit – und entschieden betont, daß der Leichtsinn einer Person ihrem entschiedenen rechtswidrigen Vorsatze nicht zur Entschuldigung oder Milderung der Schuld gereichen könne, so nimmt er andererseits doch nicht Anstand, den übermäßigen Leichtsinn der Katharina Maier als Hauptquelle der von ihr begangenen Verbrechen zu bezeichnen. Manches, was er darüber sagt, ist dem vorliegenden Falle wie angepaßt. »Der Leichtsinnige ist meistens heiter, vergnügt, lustig, weil er, für das gegenwärtig Angenehme vorzüglich gestimmt, weder in der Vergangenheit noch in der Zukunft, mithin ohne Sorgen blos für das Heute lebt. Feindselige Neigungen, Affecte und Leidenschaften, als Haß, Rachsucht, Neid und dergleichen, da sie düsterer, unangenehmer Natur sind, finden in seinem Gemüthe keinen sichern Boden, um in demselben fest einzuwurzeln; wird aber was immer für eine Gemüthsbewegung oder Begierde in ihm geweckt, so wird diese wie ein Wirbelwind ihn fassen und dann, entweder nur Staubwolken aufregend, oder auch wild verheerend schnell vorüberziehen. Geben ihm seine Neigungen und äußere Umstände keinen Anlaß zum Bösen, so ist er bei der in ihm vorherrschenden heitern Stimmung, und weil fremdes Vergnügen angenehm auf ihn selbst zurückwirkt, gegen andere gefällig, zuvorkommend und, zumal weil er die Zukunft nicht bedenkt, wohlthätig, vielleicht bis zur Verschwendung; aber schlägt einmal die Stunde der Versuchung, so ist er im Bösen um so ärger, je mehr sein den Eindrücken der Gegenwart lebhaft hingegebenes Gemüth allen ernsten Betrachtungen, allen Erwägungen der Folgen, allen Abmahnungen des Gewissens und dergleichen entweder leichtfertig vorauseilt oder dieselben muthwillig von sich stößt.«

Wer wird nicht durch diese Worte aufs lebhafteste an die Verbrecherin erinnert, die uns im Augenblicke beschäftigt? Ist es nicht ein leuchtender Beweis für die allgemein gültige Wahrheit des von dem großen Criminalisten mit feiner psychologischer Kenntniß gezeichneten Seelenbildes, daß nach mehr als vierzig Jahren in einer Mörderin dieses Bild fast mit Porträtähnlichkeit uns wiederum entgegentritt? Und paßt es nicht Wort für Wort auf unsern Fall, wenn Feuerbach weiter sagt: »An einem Verbrechen aus bösem Vorsatze hat der Charakter des Leichtsinnigen insofern seinen Antheil, als derselbe mit allen abhaltenden Rücksichten schnell fertig wird, eine Missethat gern ebenso leicht nimmt wie eine Gutthat, und über die Schranken des Gewissens, des Rechtes und der Menschlichkeit ebenso kecken Muthes hinwegspringt, wie er auch in gleichgültigern Dingen sich über alles leicht hinwegsetzt, was ihm nun jetzt einmal nicht gefällt.« Gewiß, den größten Antheil an dem verbrecherischen Entschluß, an der Vorbereitung und Ausführung des Mordes hat bei Pauline Moltin ihr schrankenloser Leichtsinn gehabt. Nur ein Leichtsinn allerhöchsten Grades, unterstützt von einer Herzenshärte und Fühllosigkeit ohnegleichen konnte zu der sonst unerklärlichen Wahl eines Mittels führen, dessen Scheußlichkeit in so gar keinem Verhältnisse zu dem erstrebten, geschweige denn dem erreichten Zwecke steht.

Aber welches war denn das erstrebte Ziel? Versuchen wir es, dasselbe von den gewonnenen Anhaltspunkten aus zu fixiren.

Bei dem intimen Umgange Paulinens mit Lackner konnte ihr nicht entgangen sein, daß das von ihm geleitete Geschäft einen ansehnlichen Umfang hatte. Nahe lag ihr also die Vermuthung, daß in einem solchen Geschäfte viel Geld einlaufen und sich demnach unter Lackner’s Verschluß namhafte Summen befinden müßten. Daß solche Combinationen sie beschäftigt haben, erhellt aus dem Raubzuge, den die Verbrecher unter Paulinens Anführung nach vollbrachtem Morde in das Geschäftslocal unternahmen, um die Kasse zu plündern. Wir werden demnach in der Annahme nicht irren, daß Pauline den Lackner im Besitze ansehnlicher Summen wähnte. Ihre Lebenslage unmittelbar vor Verübung des Verbrechens war keine erfreuliche. Von ihrem Manne empfing sie kaum eine Unterstützung, mußte ihm vielmehr hier und da mit kleinen Gaben helfen. Die Fessel, welche ihr das eheliche Verhältnis trotz aller Misachtung desselben von ihrer Seite doch immerhin noch anlegte, war ihr unbequem und mochte ihr im Augenblicke gerade besonders drückend erscheinen, wo der ihr persönlich widerliche Mann nach längerer Abwesenheit zurückgekehrt war und sich ohne bestimmte Beschäftigung, ohne festen Erwerb, bei ihr einquartiert hatte.

»Der Leichtsinnige hofft leicht und viel.« Wer weiß, welche Luftgebäude Pauline sich für die Zeit zusammensetzte, wo sie des verhaßten Mannes ledig und, zu keiner Rücksichtnahme mehr gezwungen, ihr Glück in der Welt versuchen konnte. Doch mußte sie sich sagen, daß weder das eine noch das andere, weder die Befreiung von dem Manne, noch ein abenteuernder Zug in die Welt ohne reichliche Geldmittel sich bewerkstelligen lassen würde. Da lag die Ideenverbindung mit den Summen, über welche Lackner nach ihrer Meinung verfügte, nahe. So weit gestaltet sich die Sache ganz natürlich. Ebenso erklärlich wie der Wunsch, sich von dem lästigen Manne zu befreien, ist die Erwägung, daß es zu seiner Zufriedenstellung sowie zur Begründung einer neuen, glänzenden Existenz größerer Mittel bedürfe, die auf gewöhnlichem Wege nicht herbeizuschaffen waren. Wo fanden sich diese Mittel? Sie antwortete sich selbst: bei Lackner. Ihrem Manne mochte sie Andeutungen über die ins Auge gefaßte Geldquelle gemacht, vielleicht ihn auch veranlaßt haben, nach einem Gefährten sich umzuschauen; ihn allein erachtete sie offenbar der zu vollführenden Aufgabe nicht gewachsen. Der Zufall führt ihm Schmul in den Weg, den er als einen verwegenen, den Conflict mit dem Strafgesetz nicht scheuenden Menschen kennt. Er läßt die nöthigen Andeutungen fallen und weist Schmul im übrigen an seine Frau. Durch die Mittheilung an Schmul ist der verbrecherische Plan so weit gediehen, daß es gilt, über die Art und Weise seiner Ausführung zu bestimmen. Es entsteht die Frage, wie sich in den Besitz des erhofften Geldes setzen? Hierbei fällt ein grelles Licht auf die Herzenshärte sowol wie auf den Leichtsinn der Verbrecherin. Hier bewahrheiten sich die oben citirten Worte Feuerbach’s: – » Der Leichtsinnige springt über die Schranken des Gewissens, des Rechtes und der Menschlichkeit ebenso kecken Muthes hinweg, wie er auch in gleichgültigern Dingen sich über alles leicht hinweggesetzt, was ihm nun einmal nicht gefällt.« Dem ersten leichten Nachdenken bot sich bei dem sichern Verschlusse des Hauses, des Geschäftslocals und der Kasse selbst Gewalt gegen die Person Lackner’s als der sicherste, rascheste und bei dem vertrauten Verhältnisse der Moltin zu ihm auch der bequemste Weg dar. Was kümmerte es sie, ob dabei ein Menschenleben hingeopfert wurde, ob dieses Leben einer Person gehörte, die ihr nahe stand, die ihr vielfache Beweise freundlicher Gesinnung und Theilnahme gegeben, der sie selbst Zuneigung geheuchelt? Sie blieb bei dem einmal gewählten Mittel trotz des von seiten Schmul’s erhobenen Einspruchs, weil es raschen und sichern Erfolg verhieß. Wozu erst sich den Kopf zerbrechen und Zeit verlieren, um auf ein Mittel zu sinnen, das ohne Blut zum Ziele führte? Kam es denn auf eine solche Kleinigkeit wie ein Menschenleben an? Mit Grund läßt sich behaupten, daß der Gedanke, durch die Ermordung Lackner’s zum Gelde zu gelangen, zuerst in der Unterredung mit Schmul aufgetaucht ist. Die von seiner Seite erhobenen Bedenken waren leicht besiegt, denn offenbar war es ihm Ehrensache – wie ja jeder Verbrecher einen gewissen point d’honneur an irgendeiner verkehrten Stelle seiner Seele zu bewahren pflegt – im verbrecherischen Muthe einem Frauenzimmer nicht nachzustehen. Rasch wie der Entschluß war auch die Ausführung, zu weiterm Ueberlegen war keine Zeit. So fiel Lackner einem unerhörten Leichtsinne zum Opfer, der in seinem Frevelmuthe sogar das Nachdenken darüber für überflüssig hielt, ob nicht die erhofften Schätze auch ohne Opferung eines Menschenlebens zu erlangen seien.

Mit dieser Erklärung stimmt auch das Verhalten der Moltin nach dem Verbrechen und während der Untersuchung überein. Ihre Hoffnung wurde getäuscht. Die erwarteten Summen fanden sich nicht vor. Die Beute war vielmehr eine so geringe, daß sie den beiden Männern als Blutlohn überlassen bleiben mußte. Was sollten ihr auch die wenigen Rubel, ihre Pläne konnten mit so geringen Mitteln nicht gefördert werden. Mit der Gutmüthigkeit des Leichtsinns überließ sie ihren Genossen das Geld, mit der Gedankenlosigkeit des Leichtsinns nahm sie, da die andern sich versorgten, auch etwas mit, vergaß sogar nicht, angesichts der blutenden entstellten Leiche den Thee aus der Theedose in ihr Taschentuch zu schütten, nur ganz dem Augenblicke und seinen Eingebungen hingegeben. »Der Leichtsinnige grämt sich nicht, wenn seine Hoffnungen scheitern.« So auch Pauline. Sie klagt und jammert nicht, daß das erstrebte Ziel verfehlt ist, sie zeigt keine Reue über das vergeblich vergossene Blut. In ruhiger Heiterkeit begibt sie sich, ihr Bündel unter dem Arme, nach Hause. Das Geschehene kümmert sie ebenso wenig wie seine etwaigen Folgen.

Die eben wiedergegebene Auffassung steht allerdings im Widerspruche zu der von der Moltin im zweiten Verhöre gemachten Aussage. Darin bezeichnete sie ihren Mann als den intellectuellen Urheber, den Anstifter des Verbrechens. In seinem Kopfe sei die Idee von der Beraubung und Ermordung Lackner’s entstanden, er habe zuerst dieser Idee Worte geliehen.

Diese Aussage charakterisirt sich jedoch als unwahr. In der Zeit zwischen dem ersten und zweiten gerichtlichen Verhöre – sieben Tage – war die Verbrecherin durch fortgesetzte Ueberlegung in der Einsamkeit des Gefängnisses offenbar zu dem ganz richtigen Schlusse gelangt, daß sie durch eine Veränderung ihrer Taktik ihre Lage vielleicht verbessern könne. Im ersten Verhöre hatte sie rückhaltslos die Hauptschuld auf sich genommen und ihren Mann von aller Schuld, ja sogar von der Mitwissenschaft am Verbrechen freigesprochen. In diesem Geständnisse, soweit es ihre eigene Betheiligung betrifft, meinen wir Spuren jenes Leichtsinns wiederzufinden, welcher Lackner so verderblich werden sollte. Es entbehrt dasselbe jeglichen sittlichen Werthes, da es nicht durch Reue dictirt war; ebenso wenig dürfen wir es als ein Ergebniß des Erlahmens der Widerstandskraft gegen die lastende Wucht der gegen sie sich ansammelnden Beweise ansehen, denn, wie schon oft bemerkt, bewahrte sie ihre Ruhe, ihre Kälte und den gefaßten Muth bis zuletzt. Wohl aber manifestirt sich in diesem Geständnisse die ganze Sorglosigkeit eines vollendeten Leichtsinns, welcher, wie alle unangenehmen und bösen Gedanken, so auch den Gedanken an die persönlich verderblichen Folgen eines begangenen Verbrechens sich aus dem Sinne schlägt. Nachdem durch das theilweise Eingeständniß in der Voruntersuchung die schützenden Schranken des Leugnens einmal durchbrochen waren, mochten sie auch ganz fallen. Ins Gefängniß zurückgekehrt, wurde sie durch die Einsamkeit und den Mangel an Beschäftigung fast mit Nothwendigkeit zu dem Ueberschauen und vielleicht auch Ueberdenken ihres Verhaltens in diesem ersten Verhöre geführt. Dabei mußte sich ihr zunächst die Frage aufdrängen: Warum hast du zu deinem eigenen Nachtheile ausgesagt? Ihre nicht geringe Eitelkeit mochte gegen den Gedanken reagiren, daß sie durch ihr ohne zwingenden Grund abgelegtes Geständniß verwerflicher erscheine als ihre Genossen, vor allem aber konnte sie wohl erkennen, daß ihre Schuld im Lichte ihrer eigenen Darstellung ein schlimmeres Ansehen gewinnen und demnach sie auch eine verhältnißmaßig härtere Strafe treffen werde. Diese Erwägungen etwa mögen die Veranlassung zu der Veränderung ihrer Aussage im zweiten Verhöre gewesen sein. Galt ihr Mann als der intellectuelle Urheber und Anstifter des Verbrechens, so erschien ihre Handlungsweise in einem weit mildern Lichte. Sie war alsdann die Verführte, die, den bösen Einflüsterungen ihres Gatten nachgebend, nicht aus eigenem Antriebe zur Verbrecherin geworden war. In dieser für sie augenscheinlich viel vortheilhaftern Position verharrte sie bis ans Ende. Es liegt aber kein Grund vor, ihr Glauben zu schenken. Das von ihr selbst angeführte Motiv für das angebliche Abweichen von ihrer ursprünglichen Darstellung, daß sie nämlich ihren Mann habe schonen wollen, verdient angesichts dessen gar keine Beachtung, daß einmal in ihrem von Haß und Widerwillen erfüllten Verhältnisse zu ihrem Manne durchaus keine Veranlassung zu einer derartigen Rücksichtnahme sich entdecken läßt, und sodann nach allem, was wir von August Moltin wissen, nicht die geringste innere Wahrscheinlichkeit dafür vorliegt, daß er als geistiges Haupt, als Leiter der zum Complot verbundenen Verbrecher den Mordanschlag ausgesonnen habe. Alles spricht vielmehr dafür, daß Moltin seiner Gattin und Schmul gegenüber eine untergeordnete Stellung eingenommen hat und von ihnen nicht einmal würdig erachtet worden ist, in ihre intimsten verbrecherischen Plane eingeweiht zu werden. Wo endlich fände sich, falls die Bezichtigung Moltin’s durch seine Ehefrau begründet wäre, die Erklärung dafür, daß Schmul, dessen Bekenntniß nächst demjenigen des Weinberg den meisten Glauben verdient, nicht die gleiche Anklage wider den Moltin erhebt? Mit einem Worte sei schließlich noch des angeblich zwischen Pauline und dem Schmul gleichfalls ventilirten Planes einer nachfolgenden Ermordung des August Moltin erwähnt. In Betreff dieses Punktes hatte die Pauline in ihrem ersten Verhöre ausgesagt, Schmul hätte ihr versprochen, sie von ihrem Manne zu befreien, erst habe Lackner und darauf ihr Mann ermordet werden sollen; bezeichnet aber in ihren spätern Auslassungen die Ermordung ihres Mannes nur als einen Scherz. Hiermit stimmt die Aussage des Schmul überein, welcher auf die Klage der Moltin, daß sie von ihrem Manne nicht loskommen könne, nur im Scherz zu ihr gesagt haben will, er werde ihren Mann in den Brigittenschen Bach werfen. Im Ernst sei über diesen Gegenstand von ihnen nicht geredet und das Gespräch auch gleich abgebrochen worden. Weinberg, über den in Rede stehenden Punkt befragt, hat geantwortet, es sei ihm so erinnerlich, als ob die Moltin, während sie auf Lackner warteten, zu Schmul gesagt habe, sie möchte gern von ihrem Manne getrennt werden. Was Schmul darauf geantwortet, wisse er nicht. Hiernach läßt sich nicht annehmen, daß von der Ermordung Moltin’s im Ernst die Rede gewesen ist. Die Unbedachtsamkeit, welche die Aussage der Pauline Moltin im ersten Verhör überhaupt charakterisirt, macht es erklärlich, daß sie kein Gewicht darauf legte, die Bedeutung der zwischen ihr und Schmul über die Beseitigung ihres Mannes gewechselten Worte durch den Zusatz, sie seien nur im Scherz gesprochen worden, auf ihr richtiges Maß zurückführen. Im zweiten Verhöre dagegen, wo es ihr darauf ankam, sich soweit als möglich in der Meinung der Richter zu rehabilitiren, war es natürlich, daß sie nicht unterließ, ihren frühern bezüglichen Depositionen jene Ergänzung hinzuzufügen. Wenn die Anstiftung und Verübung des Verbrechens in Vorstehendem auf den Leichtsinn als eine hervorragende Gemüthseigenschaft der Moltin zurückgeführt worden ist, so hat damit kein die Strafbarkeit der Inquisitin mildernder Umstand ans Licht gezogen werden sollen. Nach dem Maßstabe rechtlicher sowol wie sittlicher Beurtheilung erscheint dieselbe vielmehr erhöht durch das auffallende Misverhältniß des begangenen grauenvollen Verbrechens zu dem unbedeutenden Zwecke, welcher dadurch erreicht werden sollte. »Wer«, um wiederum Feuerbach’s Worte zu gebrauchen, »ebenso leicht muthig eine Missethat verübt, als leichtfertig der Beweggrund war, welcher ihn dazu bestimmte, erscheint nicht blos als ein Verbrecher, sondern zugleich als ein Bösewicht. Denn bei diesem hat der rechtswidrige Vorsatz den Charakter einer muthwilligen Bosheit. Er bekundet ein Gemüth, welches für das Gute und Rechte gleichgültig, gegen alles, was in einem Menschen Verbrechen widerredet – sobald es mit den leisesten Gelüsten in Widerspruch geräth, taub und unempfänglich ist, und wenngleich noch so laut die warnenden Geister befehlend, drohend, bittend sich in ihm vernehmen lassen, diesen im frechen Muthwillen kaltblütig den Rücken zukehrt, um, gleichsam nur spielend, weil es ihm nun einmal so gefällt und bequem ist, mit frevelnder Hand zu gewinnen, was kaum der Mühe einer verbrecherischen Arbeit lohnt. Durch solche Gemüthsbeschaffenheit, – welche einerseits die nichtswürdigste Charakterlosigkeit, andererseits die gefährlichste Gleichgültigkeit und Verachtung alles desjenigen in sich schließt, was sonst den Menschen in den Schranken der Pflicht und der äußern Ordnung hält, – wird also die Bosheit eines verbrecherischen Vorsatzes nicht gemildert, sondern gesteigert.«

In diesen Worten treten in besonderer Schärfe auch die die Strafbarkeit unserer Inquisitin erhöhenden Momente hervor. Nur diejenige Sorte von Humanität, welche in dem Verbrecher einen Patienten und in der verbrecherischen Handlung nur die Aeußerung eines krankhaften Zustandes erblickt, kann in der Gemüthseigenschaft des Leichtsinns einen Strafmilderungsgrund finden wollen.

Der psychologische Nachweis der Motive, von denen Schmul und Weinberg geleitet worden sind, läßt sich am besten an den grenzenlosen Leichtsinn, welcher, verkörpert in der Person der Moltin, der verbrecherischen Action im vorliegenden Falle die charakterische Signatur verleiht, anknüpfen, denn auch diese beiden Verbrecher handelten mit einer Unbedachtsamkeit und Verblendung, wie sie in den Annalen der Criminalistik selten vorkommen wird. Dem raschen Entschlüsse kam die Ausführung an Schnelligkeit gleich. Keiner hat auch nur einen Augenblick ernsthaft überlegt. Schmul läßt seine Einwendungen gegen die geplante Ermordung sofort fallen, als die Moltin entgegnet, es gehe nicht, Lackner die Schlüssel ohne Gewalt abzunehmen, und Weinberg, offenbar ein schwacher, der Ueberredung leicht zugänglicher Mensch, folgt, geschmeichelt durch das seinem Muthe von dem erprobten Kameraden gespendete Zutrauen, ohne Widerstreben der Verleitung zur Theilnahme am Verbrechen. Bei beiden ist ohne Zweifel die Gewinnsucht ein mächtiger Beweggrund gewesen, denn sie wiegten sich in der Hoffnung auf ansehnliche Beute. Die ganz unbegreifliche, in ihrer Roheit an Bestialität grenzende Sorglosigkeit in der Wahl des Mittels dagegen, um zu dem erhofften Ziele zu gelangen, die vollständige Sorglosigkeit, die sich darin bekundet, daß sie nicht einmal versuchten, die Spuren des Verbrechens zu verwischen und durch vorsichtiges Verhalten der Entdeckung zu entgehen, läßt sich nur durch jenen Leichtsinn erklären, den wir als Charakterzug so manchen Verbrechers, insbesondere aber an der Pauline Moltin zu schildern versucht haben.

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