Dick Bakers Kater

Bald darauf traf ich einen früheren Bekannten, der Bergmann in einem der verlassenen Grubendistrikte Kaliforniens war. Ich ging mit ihm zurück und blieb mehrere Monate dort unter den Goldgräbern, welche in der ausgedehnten Hügel und Waldlandschaft vier bis fünf zerstreute Hütten bewohnen. In der flotten Zeit, ehe die Gruben erschöpft waren, hatte in dieser Einöde eine blühende Stadt mit einer Bevölkerung von zwei- bis dreitausend Menschen gestanden; jetzt war alles spurlos verschwunden – Straßen, Wohnhäuser, Läden – und nur eine Handvoll Bergleute an Ort und Stelle zurückgeblieben, die sich längst in ihre Verbannung gefunden und die Welt vergessen hatten, wie sie von aller Welt vergessen waren.

Einer meiner dortigen Kameraden, der seit achtzehn Jahren sein geplagtes Leben voll Entbehrungen und Enttäuschungen geduldig ertragen hatte, war Dick Baker, ein ernster, schlichter Mann, sechsundvierzig Jahre alt, grau wie eine Ratte, halbwegs gebildet, in schlotteriger mit Lehm beschmutzter Kleidung.  Sein Herz aber war von kostbarerem Gold, als er mit seiner Schaufel je zu Tage gefördert hatte, von feinerem Metall als jemals gegraben oder gemünzt worden war.

So oft Baker kein Glück hatte und etwas niedergeschlagen war, pflegte er um den Verlust einer wundervollen Katze zu trauern, die ihm früher gehört hatte. Wenn er von ihrer merkwürdigen Klugheit sprach, so sah man es ihm am Gesicht an, daß er im Innersten seines Herzens überzeugt war, sie müsse menschliche, – ja sogar vielleicht übermenschliche – Eigenschaften besessen haben.

Einmal kam er auch in meinem Beisein auf das Tier zu sprechen.

»Acht Jahre lang,« sagte er, »hatte ich hier eine Katze, die hätte Sie gewiß interessiert. Sie hieß Tom Quarz, war groß und grau und eigentlich ein Kater, mit so viel gesundem Menschenverstand wie irgend einer von uns im Lager. Tom hatte auch ein gewaltiges Selbstgefühl im Leibe, sogar dem Gouverneur von Kalifornien würde er nicht gestattet haben, sich Vertraulichkeiten gegen ihn herauszunehmen. Eine Ratte hatte er sein Lebtag nicht gefangen – war vermutlich zu vornehm dazu. Die einzige Angelegenheit, um die er sich kümmerte, war der Bergbau. Vom Goldgruben verstand er mehr als irgend jemand in der Welt, die Kenntnis war ihm förmlich angeboren, alles wußte er, was die Arbeit auf den Goldfeldern betraf, man konnte ihm gar nichts Neues mehr sagen. Er grub hinter mir und Jim drein, wenn wir die Berge durchsuchten und trabte oft meilenweit mit uns umher. Ein vorzügliches Urteil hatte er über den Boden, wo ‘was zu finden sei; wahrhaftig, mir ist nichts Ähnliches wieder vorgekommen. Wenn wir an die Arbeit gingen, warf er nur einen Blick um sich; mißfielen ihm dann die Anzeichen, so machte er ein Gesicht, das bedeuten sollte: »Na, Freunde, ihr werdet mich  wohl entschuldigen,« – dabei hob er die Nase in die Luft und trollte sich nach Hause, ohne noch ein Wort zu sagen. War er aber mit dem Platz einverstanden, so verhielt er sich ruhig, bis die erste Pfanne ausgespült war, dann schlängelte er sich in unsere Nähe und wenn er, sechs oder sieben Körner Gold sah, war er zufrieden und die Aussichten schienen ihm gut. Er legte sich nun auf unsere Röcke und fauchte wie ein Dampfboot, sobald wir jedoch auf eine ergiebige Stelle stießen, fuhr er blitzschnell in die Höhe und machte sich ans Besichtigen. »Jetzt kam die Zeit, wo alle Welt darauf versessen war, das Gold im Gestein, statt in der Erde zu suchen, alle hackten und sprengten nun, anstatt Erde zu schaufeln, jeder wollte einen Schacht graben, statt bloß an der Oberfläche zu kratzen. Jim ließ mir keine Ruhe, wir mußten auch nach Erz im Gestein suchen. Als wir den Schacht anzulegen begannen, machte Tom Quarz große Augen, was zum Henker wir denn vor hätten; solche Bergwerkerei schien ihm unerhört, er war ganz verblüfft und konnte uns nicht begreifen. Daß mein Kater aber genau wußte, worauf wir hinaus wollten, darauf möchte ich wetten; er sah immer aus, als ob er unsere Arbeit für die größte Thorheit hielt. Neumodische Einrichtungen konnte er nun einmal nicht ausstehen und war schwer von seinen alten Gewohnheiten abzubringen. Erst ganz allmählich versöhnte sich Tom Quarz einigermaßen mit dem neuen Betrieb, obwohl er es nie recht einsah, warum wir immer und ewig in den Schacht einfuhren und doch nichts Ordentliches herausholten. Zuletzt kam er selber herunter um zu versuchen, ob er sich’s klar machen könne; aber es verwirrte ihn nur, uns zuzusehen, er ward ärgerlich und die ganze Sache war ihm zuwider, zumal er wußte, daß unsere Ausgaben fortwährend anwuchsen und wir nicht einen Cent verdienten. So legte er sich denn auf einen Pulversack im Winkel, rollte sich zusammen und schlief ein.  Eines Tages trafen wir in dem Schacht auf so hartes Gestein, daß wir einen Sprengversuch vornehmen mußten, den ersten, seitdem Tom Quarz geboren war. Wir steckten die Lunte an, kletterten heraus und liefen etwa fünfzig Meter weit fort – den Kater aber, der auf seinem Pulversack in festem Schlafe lag, hatten wir richtig vergessen. Eine Minute später sahen wir aus dem Loch eine dicke Rauchsäule aufsteigen, dann that es einen fürchterlichen Krach und etwa vier Millionen Tonnen Steine, Erde, Rauch und Splitter flogen wohl anderthalb Meilen hoch in die Luft; und wahrhaftig, mitten in dem Wirrwarr sauste kopfüber, kopfunter unser alter Tom Quarz mit in die Hohe, schnaubte, nieste und streckte die Klauen aus wie besessen, um sich irgendwo festzuhalten, aber es nützte ihn rein gar nichts.

»Nun vergingen wohl dritthalb Minuten, ohne daß wir ‘was von ihm zu sehen kriegten, dann fing es auf einmal an, Steine und Schmutz zu regnen und auch der Kater fiel herunter, etwa zehn Fuß vor dem Fleck wo wir standen. Na, der sah schön aus; ein erbärmlicheres Geschöpf ist mir all mein Lebtag nicht vorgekommen. Ein Ohr saß ihm im Nacken, der Schwanz stand steif in die Höhe, die Augenwimpern waren abgesengt, der Körper ganz von Pulver und Rauch geschwärzt und mit Schlamm und Schmutz überzogen. Wir starrten ihn an und brachten kein Wort heraus – was hätten mir alle Entschuldigungen jetzt nützen können? – Tom Quarz warf einen Blick voll Ekel auf sich selber, dann aber sah er uns an, als wolle er sagen: »Ihr dünkt euch wohl recht schlau, daß ihr einer Katze, die nichts vom neuen Bergbau versteht, so mitgespielt habt – aber ich sehe die Sache von einem andern Gesichtspunkt an.« Damit machte Tom rechtsumkehrt und marschierte nach Hause, ohne noch weiter ein Wort zu verlieren, das war so seine Art.

»Mögen Sie’s nun glauben oder nicht – von der Zeit an gab es in der ganzen Welt keine Katze, die mehr gegen den Quarzbau eingenommen war wie er. Als er endlich wieder anfing den Schacht zu befahren, verwunderten wir uns alle über seine Schlauheit. Es war wirklich merkwürdig – kaum, daß wir das Pulver zum Sprengen gelegt hatten und die Lunte anzündeten, so warf er uns einen Blick zu, in dem zu lesen stand: »Nun empfehle ich mich Ihnen ergebenst –« im Nu war er dann zum Loch hinaus und auf einen Baum geklettert, so hoch er konnte. Was sage ich – Schlauheit – das ist gar kein Wort dafür; es war eine förmliche Eingebung.«

»Wissen Sie, Herr Baker,« versetzte ich, »wenn man sich auf den Standpunkt des Katers stellt, scheint mir sein Vorurteil eigentlich ganz begreiflich. Haben Sie denn nie versucht, ihn davon zu heilen?«

»Wo denken Sie hin! Nein, wenn Tom Quarz sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, so blieb er dabei durch dick und dünn. Sie hätten ihn, wer weiß wie oft, in die Luft sprengen können, von seiner verfluchten Abneigung gegen den Quarzbau wäre er doch nicht abzubringen gewesen.«

Während Baker dies beredte Zeugnis für die festen Grundsätze seines alten Freundes ablegte, strahlte sein ganzes Gesicht vor Liebe und Stolz. Die Erinnerung daran wird mir stets unvergeßlich bleiben.

Mein Freund Dick Baker war auch sonst ein Tierfreund. In den Wäldern und Bergen des abgelegenen Winkels von Kalifornien hatte er sich mit den Vögeln und Vierfüßlern, welche dort heimisch sind, innig befreundet. Er war fest davon überzeugt, daß er jede Äußerung dieser Tiere verstand; ebenso wie jener amerikanische Gelehrte, der unlängst in eingehender Weise über die Sprache der Affen ein Werk geschrieben hat.

Dick Baker stellte in dieser Beziehung ganz bestimmte Behauptungen und Regeln auf. Einige Tiere, meinte er, haben nur geringe Bildung genossen, und bedienen sich daher einer ganz einfachen Ausdrucksweise, ohne Bilder und Gleichnisse; andere dagegen verfügen über einen großen Wortschatz, beherrschen die Sprache vollkommen und haben einen freien, fließenden Vortrag. Diese sprechen gern und viel; sie sind sich ihres Talentes bewußt und wollen es zur Geltung bringen. Nach langer und sorgfältiger Beobachtung war Baker zu der Überzeugung gekommen, daß es in der ganzen Tierwelt keinen besseren Redner giebt, als den Blauhäher. [Fußnote]

»Ja,« sagte er, »hinter einen Blauhäher kommt man nicht so leicht! Man glaubt nicht, was für Stimmungen und Gefühle der hat und wie er sie alle auszudrücken versteht. Dabei spricht er nicht etwa alltägliches Zeug – nein, wie ein Buch – die schönsten Redewendungen strömen ihm nur so heraus. Mit der Sprache versteht er umzuspringen wie keiner; ihm fehlt nie ein Wort, das kommt gar nicht vor; ganz ungesucht fließen sie ihm zu. Und noch ‘was habe ich bemerkt: Kein Vogel, keine Kuh oder sonst ein Geschöpf spricht so fein wie der Blauhäher! Eine Katze meint ihr? Jawohl, die spricht freilich fein – aber laßt sie einmal in Aufregung geraten! Wenn sie sich nachts mit einer andern Katze auf dem Dach rauft, dann hört zu, in was für Ausdrücken sie sich ergeht, – es wird einem übel und weh dabei.

»Man kann den Häher wohl mit einem gewissen Recht zu den Vögeln zählen – weil er Federn hat, vielleicht auch weil er keine Steuern zahlt: aber in anderer Beziehung ist er ganz wie unsereins. Denn sehen Sie, ein Häher hat Triebe  und Gaben, Gefühle und Interessen, so gut wie ein Mensch. Ein Häher hat keine strengeren Grundsätze als ein Roßkamm. Er stiehlt, er lügt und betrügt, er hintergeht jeden wo er nur kann, kein noch so, feierliches Versprechen ist bindend für ihn. Was Pflichttreue ist, kann man ihm nicht begreiflich machen. Der beste Beweis aber ist, daß ein Häher fluchen und schwören kann, wie kein Lümmel weit und breit! – Eine Katze kann auch fluchen und schwören. Jawohl, das kann sie freilich – aber wenn ein Häher ‘mal richtig im Zuge ist, so vermag es keine Macht im Himmel und auf Erden mit ihm aufzunehmen. Im Zanken und Schelten ist er Meister, so derb und flink, daß niemand gegen ihn aufkommt.

»Was ein Mensch kann, das kann ein Blauhäher auch: Er kann weinen, lachen und sich schämen, er kann Schlüsse und Pläne machen und seine Sache verfechten, er liebt Geschwätz und Klatschgeschichten, hat Sinn für Humor, und wenn er einen dummen Streich gemacht hat, so weiß er’s besser als ich und Sie. Kurz, ein Häher ist ähnlich wie ein Mensch – das laß’ ich mir nicht nehmen.

»Ich will Ihnen übrigens noch eine wahre Geschichte von den Blauhähern erzählen, für die ich mich verbürgen kann.

»Der Vorfall trug sich zu, als ich gerade anfing, die Hähersprache richtig zu verstehen.

»Der letzte Mensch, der außer mir in dieser Gegend wohnte, ist vor sieben Jahren fortgezogen; sein Blockhaus nebenan steht seitdem leer, es hat nur ein großes Zimmer und darüber die rohen Balken und das Bretterdach. An einem Sonntag- Morgen saß ich nun einmal mit meiner Katze hier vor der Hütte, sonnte mich, sah nach den blauen Bergen hinüber, hörte das Laub der Bäume rauschen in der Einsamkeit und dachte an meine Heimat draußen in der Welt – seit dreizehn Jahren wußte ich nicht mehr, wie’s dort zuging. Da fliegt ein Häher  mit einer Eichel im Schnabel auf das Blockhaus und sagt: ›Oho, was entdecke ich da?‹ Daß ihm bei diesen Worten die Eichel aus dem Schnabel fällt und natürlich vom Dach hinabrollt, kümmert ihn wenig, er ist einzig und allein mit seiner Entdeckung beschäftigt. Es war ein Astloch im Dach. Den Kopf auf die Seite gedreht, kneift er ein Auge zu, schaut mit dem andern in das Loch hinein, sieht dann vergnügt in die Höhe, lüftet die Flügel ein paarmal vor innerm Wohlbehagen und sagt: ›Es sieht aus wie ein Loch, es ist wo ein Loch hingehört, – sollte es am Ende wirklich ein Loch sein?!‹ –

»Er hält den Kopf nach unten, guckt noch einmal hinein, blickt wieder auf, bewegt Flügel und Schwanz vor Freude und sagt: ›Ja, ja, es ist ganz richtig – bin ich ein Glückspilz! – ein Prächtiges, ordentliches Loch, gewiß und wahrhaftig!‹ Dann fliegt er auf den Boden, holt die Eichel herauf, wirft den Kopf zurück, und mit dem süßesten Lächeln der Welt läßt er sie hineinfallen. Er scheint zu lauschen, seine Miene wird ernsthafter, und voll komischer Verwunderung fügt er endlich: ›Ich hab’ sie doch nicht fallen hören!‹ Wieder hält er das Auge ans Loch, schaut lange hinein, blickt dann auf und schüttelt den Kopf. Dann versucht er’s von der andern Seite – abermaliges Kopfschütteln. Um das ganze Loch marschiert er herum, besieht sich’s genau und schaut von allen Himmelsgegenden hinein. Umsonst! Nachdenklich sitzt er auf dem Dachfirst und kraut sich den Kopf mit dem rechten Fuß, bis er zuletzt sagt: ›Das geht über meine Begriffe! Das Loch muß wirklich gehörig tief sein! Aber länger kann ich mich nicht zum Narren machen, ich muß an die Arbeit. Die Sache wird schon ihre Richtigkeit haben, ich lasse es eben drauf ankommen.‹

»Er fliegt auf und davon, kommt mit einer zweiten Eichel wieder, läßt sie hineinfallen und hält schnell das Auge ans  Loch, um zu sehen, was draus wird – aber zu spät. Wohl eine Minute lang schaut er hinein, dann blickt er seufzend auf: ›Alle Wetter, das ist doch zu toll, das versteh’ ‘mal einer! – aber ich probier’s wieder.‹

»Bei der dritten Eichel thut er was er kann, um ihr noch schneller nachzusehen, aber vergebens. ›So ein Loch ist mir noch nicht vorgekommen,‹ sagt er, ›es muß wohl eine ganz neue Art sein, wie ich noch keins gesehen habe.‹

»Nun gerät er in Zorn. Zuerst bezwingt er sich noch, stolziert auf dem Dachfirst auf und ab, schüttelt den Kopf und brummt in sich hinein; dann übermannen ihn die Gefühle und er fängt an zu schimpfen, bis er vor Ärger ordentlich schwarz wird. Noch nie hab’ ich einen Vogel um so einer Kleinigkeit willen in solcher Wut gesehen. Wie er genug gewettert hat, geht er wieder ans Loch, sieht lange hinein und sagt dann: ›’s ist ein dunkles Loch, ein tiefes Loch und ein sehr komisches Loch, aber nun ich einmal angefangen hab’ es zu füllen, will ich’s auch durchsetzen, und wenn’s hundert Jahre dauert.‹

»Fort fliegt er, und all’ mein Lebtag hab’ ich noch nie einen Vogel so arbeiten sehen wie den. Dritthalb Stunden ging das in einem fort. Eichel auf Eichel warf er ins Loch, kein einzigesmal schaute er mehr hinein, sondern flog nur immer hin und wieder. Ich war so voll Spannung und Aufregung, daß ich nichts anderes sah und dachte.

»Endlich ist er aber doch so abgearbeitet, daß er kaum noch die Flügel regen kann. In Schweiß gebadet kommt er herbeigeflogen, läßt die Eichel hineinfallen und sagt: ›Nun wirst du, denke ich, wohl genug haben, du altes Loch.‹

»Er steckte den Kopf hinein, und wie er wieder aufsieht, ist er ordentlich blaß vor Wut, – Sie können mir’s glauben, lieber Herr! – ›Ausstopfen sollen sie mich und ins Museum  stellen,‹ schreit er, ›wenn ich auch nur eine Spur von den Eicheln entdecken kann, eine ganze Familie könnte sich dreißig Jahre davon satt essen, so viel hab’ ich hineingetragen!‹

»Mühsam schleppt er sich auf den Dachfirst, lehnt sich an den Schornstein, überdenkt die Sache und macht dann seinem Herzen Luft. Na, das hätten Sie hören sollen! So ‘was von Schimpfen und Schelten ist mir mein Lebtag nicht vorgekommen!

»Während er im besten Zuge ist, kommt ein anderer Häher vorbei geflogen, hält an und fragt, was es denn giebt. Sein, armer Freund trägt ihm die ganze Sache vor und sagt: ›Wenn du mir’s nicht glauben willst, so geh und sieh selbst nach, – da drüben ist das Loch!‹

»Das thut der zweite Häher, und wie er alles genau betrachtet hat, kommt er zurück und fragt: ›Wie viele hast du denn eigentlich hineingeworfen?’ – Wenigstens zwei Säcke voll,‹ versetzt jener.

»Der Häher geht abermals zum Loch und sieht hinein – es scheint ihm ganz unerklärlich; auf seinen Ruf kommen noch drei Häher herbei. Alle untersuchen das Loch, lassen sich die Geschichte erzählen und streiten hin und her, als ob ebenso viele Menschen ihre hohlköpfigen Ansichten zum Besten gäben.

»Noch mehr Häher werden herzugerufen, sie kommen in immer größeren Scharen geflogen, bis alles ringsumher ganz blau davon schimmert. Es mögen wohl an die fünftausend gewesen sein, und ein solches Lärmen, Hacken, Krähen und Schimpfen ist noch nie dagewesen. Jeder einzelne Häher hält das Auge ans Loch und alle kramen ihre Meinungen über das rätselhafte Ereignis aus – eine immer unsinniger wie die andere. Dann wird das ganze Haus untersucht. Die Thüre steht halb offen und ein alter Häher, der in die Nähe  kommt, guckt zufällig hinein. Nun war’s mit dem Geheimnis auf einmal vorbei: da lagen alle die Eicheln auf dem ganzen Boden umhergestreut. Der Häher schlägt mit den Flügeln und erhebt ein Geschrei: ›Hierher,‹ ruft er, ›kommt alle her, der närrische Kerl hat das ganze Haus mit Eicheln füllen wollen!‹

»Da kamen sie herabgeschossen wie eine blaue Wolke; jeder geht zur Thüre, schaut hinein, und sobald ihm der ganze Unverstand des ersten Hähers klar wird, fällt er rücklings über und will vor Lachen bersten; dann kommt der nächste an die Reihe, guckt hinein und macht es ebenso.

»Hierauf saßen alle wohl über eine Stunde auf dem Hausdach und ringsum in den Bäumen und schüttelten sich vor Lachen, gerade wie die Menschen.

»Der Blauhäher hat viel Sinn für Humor – das laß’ ich mir nicht ausreden. Und ein gutes Gedächtnis hat er auch. Drei Jahre lang kamen Häher aus allen Staaten der Union jeden Sommer angeflogen, um in das Loch hinunterzusehen; auch andere Vögel brachten sie mit. Alle freuten sich an dem Spaß, nur eine alte Eule nicht, die auf einer Forschungsreise nach Naturmerkwürdigkeiten begriffen, unterwegs auch das wunderbare Loch besichtigen wollte. Sie sagte, sie könne nicht einsehen, was für ein Witz dabei sei, – indes die andern Merkwürdigkeiten hatten auch nicht viel Eindruck auf sie gemacht.«

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