Der Pfarrer Riembauer

Zu Nan­delstadt im Land­ge­richts­be­zirk Moos­burg in Bay­ern leb­te 1813 ein Pfar­rer, der um sei­ner Ga­ben und Tu­gen­den wil­len an­de­ren Geist­li­chen als Mus­ter vor­ge­hal­ten wur­de. Franz Sa­le­si­us Riem­bau­er war von kräf­ti­gem, statt­li­chem Wuchs; sei­ne schö­nen Ge­sichts­zü­ge, sein erns­tes und doch freund­li­ches We­sen spra­chen für ihn, nicht min­der sei­ne wort­rei­che und ge­wand­te Re­de. Er war der lieb­reichs­te, zu­vor­kom­mends­te Mann und trotz sei­ner gro­ßen Ge­lehr­sam­keit der leut­se­ligs­te Mensch im Um­gan­ge mit Ge­rin­ge­ren. Da­bei wuß­te er sei­ne pries­ter­li­che Wür­de über­all zu be­haup­ten, und sei­ne Sit­ten wa­ren in je­der Be­zie­hung un­ta­de­lig.

Er hat­te schon frü­her, wenn er nicht in sei­nem Am­te tä­tig war, nur sei­nen ge­lehr­ten Stu­di­en ge­lebt, und den Pfarr­her­ren, de­nen er als Ka­plan bei­ge­ge­ben war, pfleg­te er, wenn sie sei­nen Ei­fer für die Wis­sen­schaft be­wun­der­ten, zu ant­wor­ten, das sei die wah­re Be­stim­mung des Geist­li­chen; ei­nem Die­ner Got­tes zie­me nicht, nach welt­li­chen Din­gen zu stre­ben. Von die­sem Grund­satz wich er je­doch ab, als er sich als Ka­plan in Pirk­wanz ein Bau­ern­gut ge­kauft hat­te und mit dem­sel­ben Ei­fer wie frü­her die Stu­di­en nun auch die Land­wirt­schaft be­trieb. Sei­ne Pre­dig­ten wa­ren voll Feu­er und Sal­bung. Er ei­fer­te in und au­ßer der Kir­che ge­gen die Ruch­lo­sig­keit der ver­derb­ten Welt, 6  was die Kir­chen, in de­nen er pre­dig­te, füll­te und ihm ei­nen im­mer grö­ße­ren Ruf ver­schaff­te.

Wer ihn aus der Kir­che kom­men sah mit seit­wärts ge­senk­tem Haup­te, die halb­ge­schlos­se­nen Au­gen auf den Bo­den ge­hef­tet, mit süß­lä­cheln­dem Mun­de und ge­fal­te­ten Hän­den, dem er­schien er wie ein halb­ver­klär­ter From­mer, der nur im Ver­trau­en auf Gott und in der Lie­be des Nächs­ten lebt. Das Volk glaub­te ge­ra­de­zu, und er wi­der­sprach die­sem Glau­ben nicht, daß er mit der über­sinn­li­chen Welt in nä­he­rer, ja in sehr ver­trau­ter Ver­bin­dung ste­he. Ver­stor­be­ne mach­ten ihm aus dem Fe­ge­feu­er Be­su­che auf sei­nem Zim­mer, ba­ten ihn um ei­ne Mes­se und wa­ren für im­mer be­ru­higt, so­bald die­se Mes­se ge­le­sen war. Riem­bau­er sah dann noch wäh­rend der Mes­se den er­lös­ten Geist in Ge­stalt ei­ner Tau­be da­von­flie­gen. Wenn er in sei­nem geist­li­chen Be­ru­fe nachts über Feld ging, tra­ten ihm auch wohl die ar­men See­len in Ge­stalt von Licht­chen in den Weg, wahr­schein­lich um sei­ne Be­ne­dik­ti­on zu er­hal­ten. Sie husch­ten zur Rech­ten und zur Lin­ken, je nach­dem er sei­ne ge­weih­ten Fin­ger da­hin oder dort­hin be­weg­te. Sein Ruf beim Vol­ke stieg von Jahr zu Jahr, und er war auf dem We­ge, als ein Hei­li­ger ver­ehrt zu wer­den. Wenn er von ei­nem Stuh­le auf­ge­stan­den war, dräng­ten sich vie­le ei­lig hin­zu, um sich auch dar­auf zu set­zen; denn sie hoff­ten, daß et­was von sei­nem hei­li­gen We­sen auf sie über­ge­hen wer­de.

Nicht al­le sa­hen aber den auf­däm­mern­den Hei­li­gen­schein um sein Haupt: es gab auch Zweif­ler und Un­gläu­bi­ge. Doch auch die Leu­te, die ei­ne in­ne­re Ab­nei­gung vor dem süß­lä­cheln­den Man­ne mit dem ge­senk­ten Haupt emp­fan­den, muß­ten sei­nen Ei­fer als Pries­ter rüh­men und wur­den wi­der ih­ren Wil­len von sei­nen Pre­dig­ten hin­ge­ris­sen. Ein Land­mann, dem Riem­bau­er per­sön­lich zu­wi­der war, sag­te spä­ter von ihm: »Er war ein gar eh­ren­wer­ter Pre­di­ger  und hät­te uns al­le be­kehrt, wenn er noch län­ger in Hof­kir­chen ge­blie­ben wä­re. Er drück­te im­mer die Au­gen zu und mach­te es gar kräf­tig.«

Mit der Zeit aber tauch­ten schon be­stimm­te­re Ge­rüch­te über den wah­ren Cha­rak­ter des ehr­wür­di­gen Herrn auf, und im­mer mehr Leu­te, Amts­brü­der und Lai­en, fin­gen an, ihm zu miß­trau­en. In ei­nem Dor­fe sag­te man sich ins Ohr, der Pfar­rer sei durch ei­nen Brief, den er von ei­nem an­de­ren Pfar­rer er­hal­ten ha­be, bei wel­chem Riem­bau­er frü­her Ka­plan ge­we­sen sei, vor ihm ge­warnt wor­den; er sei ein Wolf in Schafs­klei­dern, und des­we­gen ha­be ihn je­ner Pfar­rer mög­lichst schnell zu ent­fer­nen ge­sucht. Auch un­ter sei­nen Beicht­kin­dern mein­te der und je­ner schon, mit ei­nem Men­schen, der zu je­der­mann so süß schmei­chelnd re­de und da­bei nie­mand ins Au­ge se­hen kön­ne, kön­ne es nicht be­son­ders gut be­stellt sein. Ja ein sehr eh­ren­haf­ter Haus­va­ter, der sich glück­lich schätz­te, wenn der jun­ge, from­me geist­li­che Herr bei ihm ein­kehr­te, glaub­te doch auf sei­ner Hut sein zu müs­sen, zu­mal wenn Riem­bau­er bei ihm über Nacht blei­ben woll­te, weil er sei­nen Töch­tern im­mer ei­ne ganz be­son­de­re Auf­merk­sam­keit wid­me­te.

Die Be­sorg­nis des ehr­ba­ren Haus­va­ters war be­grün­det. Schon vor der Ka­ta­stro­phe, von der wir re­den wol­len, stell­te es sich her­aus, daß der hei­li­ge Mann we­nigs­tens in ei­nem Punk­te kein Hei­li­ger war.

Riem­bau­er war im Jah­re 1770 als der Sohn ei­nes ar­men Ta­ge­löh­ners ge­bo­ren. In sei­ner Ju­gend dien­te er als Hir­ten­kna­be. Bei gu­ten Ver­stan­des­kräf­ten ent­wi­ckel­te sich aber schon früh in ihm ei­ne gro­ße Lern­be­gier­de, und der Ge­dan­ke, sich den Stu­di­en zu wid­men und Geist­li­cher zu wer­den, wur­de im­mer mäch­ti­ger in ihm. Als er drei­zehn Jah­re alt war, bat er den Pfar­rer in sei­nem Ge­burts­or­te  Lang­quaid auf den Knie­en, daß er ihn zum Gym­na­si­um vor­be­rei­ten möch­te. Sein Wunsch wur­de er­füllt. Er mach­te rei­ßen­de Fort­schrit­te, so daß er schon nach ei­nem Jah­re für das Stu­di­um reif zu sein schien. Aber mit der Lern­be­gier­de war zu­gleich ei­ne be­droh­li­che Nei­gung zum Dieb­stahl in ihm auf­ge­wach­sen. Er selbst er­zähl­te von sich, daß er als Kna­be so­gar ein­mal gro­ße Lust ver­spürt ha­be, ei­nen an­de­ren Kna­ben tot­zu­schla­gen, um ihm sein Geld zu neh­men. Dem Ka­plan des Pfar­rers un­ter­schlug er drei­ßig Kreu­zer, die er im Ke­gel­spiel ver­lor. Er wur­de da­für tüch­tig ge­züch­tigt und ent­lief nach Re­gens­burg, wo er sich in das Gym­na­si­um auf­neh­men ließ.

Hier in­des­sen war sein Wan­del nicht al­lein un­sträf­lich, son­dern eben­so aus­ge­zeich­net wie sei­ne Fort­schrit­te im Ler­nen. Man er­teil­te ihm das Lob ei­nes mus­ter­haf­ten Stu­den­ten, der sich und sei­ner Kir­che der­einst Eh­re brin­gen wer­de. In Kir­chen­ge­schich­te und Kir­chen­recht er­warb er sich un­ge­mei­ne Kennt­nis­se. Sei­nen Ver­stand bil­de­te er durch die Küns­te der Dia­lek­tik, sein Ge­müt nach der Ka­su­is­tik der Je­sui­ten­mo­ral aus. Die Pries­ter­wei­he er­hielt er im fünf­und­zwan­zigs­ten Jah­re, 1795, zu Re­gens­burg und dien­te dann meh­re­re Jah­re als Ka­plan in ver­schie­de­nen Pfar­rei­en, schon da hoch­ge­rühmt als Pre­di­ger, bis er 1807 zu Mün­chen die Prü­fung als Pfarr­amtskan­di­dat mit gro­ßen Eh­ren be­stand und dar­auf ei­ne Pfar­rei zu Priel und 1810 die zu Nan­delstädt er­hielt.

Wäh­rend die­ser glän­zen­den Lauf­bahn blieb aber auch sei­ne ge­hei­me Le­bens­ge­schich­te nicht arm an Ta­ten und Er­eig­nis­sen. Er hat­te schon mit ei­ner gan­zen Rei­he von jun­gen Mäd­chen fleisch­li­chen Um­gang ge­pflo­gen. Das war das ers­te­mal zu Hof­kir­chen der Fall ge­we­sen, wo er 1801 als Ka­plan die dor­ti­ge Pfarr­kö­chin ge­schwän­gert hat­te, die in Lands­hut, wo­hin er sie ge­bracht hat­te, mit ei­nem Kna­ben  nie­der­ge­kom­men war, der aber bald dar­auf wie­der ge­stor­ben war. Die­se Lieb­schaf­ten hat­te er dann fort­ge­setzt und meh­re­re Kin­der ge­zeugt, oh­ne daß Auf­se­hen er­regt wor­den wä­re.

Über die­se Sün­den hat­te sich Riem­bau­er zu sei­ner Ge­wis­sens­be­ru­hi­gung ei­ne ei­ge­ne Mo­ral er­fun­den. Es wa­ren ihm Ver­ir­run­gen der Zärt­lich­keit, aber nicht Sün­den, und wenn Sün­den, nicht sei­ne, son­dern »die Sün­den des Zöli­bats«. Er hat­te die vol­le Be­ru­hi­gung, daß er sie nicht al­lein trug. Aber aus sei­ner Phi­lo­so­phie und theo­lo­gi­schen Mo­ral hat­te er sich zu­gleich ei­ne gan­ze Rei­he der trif­tigs­ten Be­wei­se da­für her­aus­ge­klaubt, daß er durch das Er­zeu­gen von un­ehe­li­chen Kin­dern nichts Sträf­li­ches, son­dern so­gar et­was dem Him­mel Wohl­ge­fäl­li­ges be­ge­he, in­dem er da­durch zur Er­wei­te­rung des Rei­ches Got­tes we­sent­lich bei­tra­ge.

Die­se je­sui­ti­sche Mo­ral drückt er selbst in fol­gen­den Wor­ten aus: »Ich über­leg­te ers­tens, daß es nicht un­er­laubt schei­nen kön­ne, ein Kind zu zeu­gen; denn ei­ne ver­nünf­ti­ge Krea­tur, die ewig dau­ern soll, her­vor­zu­brin­gen, ist et­was Gu­tes. Da­durch wird der Mensch auf ei­ne be­son­de­re Wei­se Got­tes Bild, daß er zur Her­vor­brin­gung ei­nes Men­schen bei­trägt, wie der hei­li­ge Cle­mens von Alex­an­dri­en sagt. Zum zwei­ten kann es auch nicht ge­gen Got­tes An­ord­nung sein, weil da­durch die Zahl der Aus­er­wähl­ten ei­nen Zu­wachs er­halt. Drit­tens ge­schieht es durch­aus nicht zum Scha­den der Kir­che, wenn nur die­ser Mensch zu ei­nem recht­schaf­fe­nen Chris­ten ge­bil­det wird. End­lich aber ver­stößt es nicht ge­gen die Be­lan­ge des Staa­tes, wenn ein sol­ches Mit­glied sitt­li­chen und bür­ger­li­chen Un­ter­richt be­kommt und so zu ei­nem gu­ten Staats­bür­ger und treu­en Un­ter­tan er­zo­gen, und wenn au­ßer­dem die be­tei­lig­te Mut­ter nicht ver­las­sen wird. Mit die­sen Ge­dan­ken ging ich öf­ters um; auch die Kir­chen­ge­schich­te und die Er­fah­rung  un­ter­stütz­ten mei­ne Grund­sät­ze. Und so wur­de es mei­nem In­ne­ren leicht, mich zu sol­chen Zöli­bats­feh­lern hin­rei­ßen zu las­sen.«

Wenn er die­se Ver­bin­dun­gen schloß, ver­fuhr er nichts we­ni­ger als leicht­sin­nig. So­wohl um das Ge­wis­sen der ar­men Ge­schöp­fe zu be­ru­hi­gen, als auch um sich ih­rer Treue zu ver­si­chern, pfleg­te er durch ei­ne fei­er­li­che Hand­lung, bei der er Pries­ter und Bräu­ti­gam in ei­ner Per­son ver­ei­nig­te, ei­ne Art Ehe mit ih­nen zu schlie­ßen. Was die Förm­lich­kei­ten be­trifft, die da­bei vor­ge­nom­men wur­den, so be­stritt er man­ches, was die Zeu­gen an­ga­ben, ge­stand je­doch, daß er sei­ne Bei­schlä­fe­rin­nen über die ge­gen­sei­ti­gen Pflich­ten der Ehe­gat­ten be­lehrt und ih­nen ein förm­li­ches Ver­spre­chen dar­auf ge­ge­ben und ab­ge­nom­men ha­be, die­se Pflich­ten treu zu er­fül­len. Er ging mit der raf­fi­nier­tes­ten Spe­ku­la­ti­on ei­nes aus­ge­mach­ten Wol­lüst­lings zu Wer­ke, in­dem er schon als jun­ger Ka­plan vor al­len Din­gen in den Häu­sern um­her­schlich, in de­nen jun­ge auf­blü­hen­de Mäd­chen wa­ren. Den El­tern pfleg­te er dann zu emp­feh­len, sie soll­ten sie zu Pfarr­kö­chin­nen er­zie­hen, weil das für die ar­men Din­ger die bes­te Zu­kunft sei. Den jün­ge­ren Mäd­chen, die bei ihm Re­li­gi­ons­un­ter­richt er­hiel­ten, such­te er den Lehr­satz prak­tisch be­greif­lich zu ma­chen, daß sich ein Mäd­chen mit ei­nem ge­weih­ten Herrn ge­wis­se klei­ne Sün­den wohl er­lau­ben dür­fe. Feu­er­bach, der die­sen Kri­mi­nal­fall un­ter dem Ti­tel »Tartuf­fe als Mör­der« be­rich­tet, zi­tiert hier Molière, da ja Riem­bau­ers gan­ze pries­ter­li­che Lauf­bahn nichts an­de­res sei als ein ver­kör­per­tes Bei­spiel des be­kann­ten und be­lieb­ten Grund­sat­zes al­ler Schein­hei­lig­keit:

Das Bö­se je­der Tat liegt nur im bö­sen Schein,
Gibt es kein Är­ger­nis, so ist das Ar­ge gut;
Und Sünd’ ist Sün­de nicht, wenn man ge­heim sie tut.

Un­ter sei­nen Lie­bes­ver­hält­nis­sen scheint kei­nes ernst­haf­ter ge­we­sen zu sein als das mit der An­na Eich­städ­ter. Sie war die Toch­ter ei­nes Zim­mer­manns zu Fürth im Land­ge­richts­be­zirk Lands­hut, ein wohl­ge­bil­de­tes, gro­ßes, star­kes und breit­schult­ri­ges Mäd­chen. Be­son­ders zeich­ne­te sie sich durch zwei Rei­hen der schöns­ten Per­len­zäh­ne aus. Da­mals war sie die Kö­chin des Pfarr­herrn zu Hirn­heim, bei dem Riem­bau­er als Ka­plan wirk­te. Sie hat­te war­mes Blut und schlug nicht gern ei­ne freund­li­che Bit­te ab. Ge­gen jun­ge Män­ner war sie ge­fäl­li­ger, als sie hät­te sein sol­len. Sie ge­bar nicht bloß dem Ka­plan Riem­bau­er, son­dern auch an­de­ren au­ßer­ehe­li­che Kin­der. Ob Riem­bau­er sich des­halb von ihr trenn­te, oder ob es ge­schah aus from­mer Be­gier­de, auch mit an­de­ren Frau­en das Reich Got­tes auf Er­den zu ver­meh­ren, wird uns nicht ge­sagt. Aber völ­lig brach er die Ver­bin­dung mit der Eich­städ­ter doch nicht ab. Er ließ ihr Kind in Re­gens­burg er­zie­hen und un­ter­hielt mit der Mut­ter durch Brie­fe und an­de­re Sen­dun­gen ein freund­schaft­li­ches, so­gar ein ver­trau­li­ches Ver­hält­nis. Er be­such­te sie auch bis­wei­len und hielt sie mit der Hoff­nung hin, wenn er spä­ter ei­ne Pfar­rei er­hal­ten ha­ben wür­de, sol­le sie als Pfarr­kö­chin zu ihm zie­hen.

Im Jah­re 1804 war er als Ka­plan zu Pon­dorf. Hier scheint es zu kei­ner neu­en Lieb­schaft ge­kom­men zu sein, die Fol­gen ge­habt hät­te. Er ließ sich von hier aus »Är­ger über den Sit­ten­ver­fall der Welt und die Ver­derbt­heit der jun­gen Geist­lich­keit« ver­set­zen, weil ei­ni­ge an­de­re Ka­pla­ne der jun­gen Ba­se sei­nes Pfar­rers ei­ne be­son­de­re Auf­merk­sam­keit er­wie­sen, die von dem Mäd­chen, wie es schien, er­wi­dert wur­de.

Aber als er nach Pirk­wanz ver­setzt wur­de, kam ein an­de­res Lie­bes­ver­hält­nis zu­stan­de, das das frü­he­re  mit der Eich­städ­ter in den Hin­ter­grund dräng­te. In dem Fi­lialor­te Ober­lau­ter­bach leb­te auf dem so­ge­nann­ten Tho­mas­ho­fe die Frau­en­knecht­sche Fa­mi­lie; es wa­ren recht­li­che Leu­te, die man ih­rer Wirt­schaft­lich­keit, Ar­beit­sam­keit, ih­res fried­fer­ti­gen, mild­tä­ti­gen und echt christ­li­chen Wan­dels we­gen in der gan­zen Ge­gend ach­te­te, die sich aber kei­ner son­der­li­chen Geis­tes­ga­ben er­freu­ten. Ih­re trau­ri­ge Ge­schich­te zeigt, wie un­be­greif­lich leicht sie al­le das Op­fer ei­nes schein­hei­li­gen Be­trugs wur­den.

Die Fa­mi­lie be­stand aus dem al­ten Va­ter, der zwei Jah­re nach­her starb, aus des­sen Ehe­frau und zwei Töch­tern, der äl­te­ren Mag­da­le­na und der jün­ge­ren Ka­tha­ri­na. Mag­da­le­na wird von al­len, die sie kann­ten, als ein äu­ßerst from­mes, sanf­tes, stil­les, en­gels­gu­tes We­sen ge­schil­dert; ihr Ruf, ehe sie Riem­bau­er ken­nen­lern­te, war völ­lig un­be­fleckt. Ih­re Fä­hig­kei­ten hiel­ten aber mit ih­rer stil­len Tu­gend nicht Schritt.

Riem­bau­er fand in die­ser Fa­mi­lie, die den hoch­ge­bil­de­ten, hei­li­gen Herrn mit Be­wun­de­rung und Dank in ih­ren vier Mau­ern emp­fing, zwei An­zie­hungs­punk­te, die er mit lüs­ter­nen Au­gen mus­ter­te: die Toch­ter Mag­da­le­na und das Ver­mö­gen die­ser Leu­te, die eben­so wirt­lich wie arg­los wa­ren. Was war ihm leich­ter, als ihr vol­les Ver­trau­en zu ge­win­nen. In christ­li­cher De­mut ent­schlug er sich al­ler Eh­ren und schien ih­res­glei­chen zu wer­den. So­oft er nach Lau­ter­bach kam, half er der Fa­mi­lie in al­len ih­ren bäu­er­li­chen Ar­bei­ten wie ein ge­dun­ge­ner Knecht und ließ es sich be­son­ders an­ge­le­gen sein, die al­te Mut­ter, der die Feld­ar­bei­ten schon sau­er wur­den, ab­zu­lö­sen. Er be­rief sich da­bei, um sein ei­ge­nes Ge­wis­sen auch dar­über zu be­ru­hi­gen, daß ein Geist­li­cher durch Ackern, Dre­schen, Pfer­de­strie­geln und Mist­fah­ren sei­ner geist­li­chen Wür­de nichts ver­ge­be, auf die Be­schlüs­se des Kar­tha­gi­nen­si­schen  Kon­zils, auf das Zeug­nis des hei­li­gen Epi­pha­ni­as und das Bei­spiel vie­ler Bi­schö­fe und Pries­ter aus der al­ten Zeit, die die Hand­ar­beit mit dem Pre­di­ger­am­te ver­ei­nigt hat­ten.

Herz und Kör­per der from­men Mag­da­le­na zu ge­win­nen, war ihm nicht schwer ge­we­sen. Ih­re jün­ge­re Schwes­ter, Ka­tha­ri­na, die da­mals noch ein Kind war, aber ei­nen sehr ge­weck­ten Sinn und ei­nen Ver­stand be­saß, der weit über ihr Al­ter hin­aus ent­wi­ckelt war, hat­te sich, ver­mut­lich weil sie et­was ge­merkt hat­te, hin­ter Riem­bau­ers Bett ver­steckt. Sie war hier Zeu­gin ei­ner förm­li­chen Trau­ung. Der Ka­plan sprach al­le bei Trau­un­gen üb­li­chen Ge­be­te und Er­mah­nun­gen und steck­te ih­rer Schwes­ter auch ei­nen gol­de­nen Ver­mäh­lungs­ring an den Fin­ger. Riem­bau­er selbst leug­ne­te in der Un­ter­su­chung die­sen Miß­brauch sei­nes geist­li­chen Am­tes.

Fast eben­so leicht be­trog er die gut­mü­ti­gen Men­schen um ih­ren gan­zen Be­sitz. Er, der kei­nen Kreu­zer Ver­mö­gen, son­dern nur Schul­den hat­te, kauf­te den Frau­en­knechts ih­ren Tho­mas­hof am 18. De­zem­ber 1806 für vier­tau­send Gul­den ab. Im Kauf­brie­fe ließ er sich fälsch­lich zwei­tau­send Gul­den als schon be­zahlt quit­tie­ren, und als bald dar­auf der al­te Frau­en­knecht starb, stell­te er der Wit­we ei­ne fal­sche Ge­gen­rech­nung über zwei­tau­send Gul­den auf, die die­se in ih­rer Ein­falt als rich­tig an­er­kann­te. Die Fa­mi­lie blieb im Hau­se woh­nen, und nach au­ßen hin än­der­te sich in den Ver­hält­nis­sen wei­ter nichts, als daß Riem­bau­er jetzt nach Ober­lau­ter­bach hin­über­zog und ne­ben sei­nem geist­li­chen Am­te die Ar­beit ei­nes rich­ti­gen Bau­ern ver­sah. Als Knecht war er ein­ge­zo­gen, und nun war er un­um­schränk­ter Herr des Ho­fes und sei­ner Be­woh­ner. Bei ei­ni­gen Vor­neh­me­ren ver­ehr­te man in ihm ei­ne Art ehr­wür­di­gen Pa­tri­ar­chen aus der al­ten Zeit, die  Land­leu­te aber schüt­tel­ten da­zu den Kopf und nann­ten ihn den Tho­mas­bau­er.

Bei Mag­da­le­na tra­ten bald die Fol­gen ih­rer Ver­bin­dung mit Riem­bau­er ein. Er schick­te sie nach Mün­chen, da­mit sie dort – das Ko­chen ler­nen soll­te. In Wirk­lich­keit dien­te sie dort meh­re­re Mo­na­te als Magd, leb­te mit ih­rem Ge­lieb­ten, als die­ser zum Ex­amen nach Mün­chen kam, in ei­nem Hau­se und kam dar­auf mit ei­nem Kna­ben nie­der. Die Kos­ten für die­sen Koch­un­ter­richt muß­te sich die al­te Frau­en­knecht spä­ter mit fünf­hun­dert Gul­den von dem Kauf­schil­ling des Tho­mas­ho­fes in Ab­rech­nung brin­gen las­sen.

Wäh­rend er und Mag­da­le­na in Mün­chen wa­ren, kam ei­ne statt­li­che, hüb­sche Frau­ens­per­son nach Lau­ter­bach zu den Frau­en­knechts, die sich für ei­ne Ba­se des Ka­plans aus­gab und, als sie hör­te, daß er ver­reist sei, sich den Schlüs­sel zu sei­nem Zim­mer er­bat. Es war An­na Eich­städ­ter, die da­mals in Re­gens­burg dien­te. Riem­bau­er, der sich in Geld­ver­le­gen­hei­ten be­fand, war schon seit län­ge­rer Zeit mit den Ali­men­ten im Rück­stand ge­blie­ben. Sie woll­te ihn per­sön­lich mah­nen, wahr­schein­lich aber auch we­gen sei­nes neu­en Ver­hält­nis­ses zur Re­de stel­len und ihn recht ernst­lich an sein al­tes Ver­spre­chen er­in­nern, sie als Pfarr­kö­chin zu sich zu neh­men. Die al­te Frau­en­knecht fand nichts da­bei, wenn sie der Ba­se ih­res lie­ben geist­li­chen Herrn des­sen Zim­mer öff­ne­te. Die Frem­de be­nahm sich, als wä­re sie die Her­rin des Hau­ses, öff­ne­te al­le Kis­ten und Schrän­ke und such­te nach Geld, mit dem sie sich be­zahlt ma­chen woll­te. Sie fand keins oder nur sehr we­nig, ließ dar­auf in ei­nem Droh­brie­fe, den sie in der Stu­be an Riem­bau­er schrieb, ih­rer Gal­le frei­en Lauf und kehr­te am an­de­ren Ta­ge, nach­dem sie im Tho­mas­ho­fe über­nach­tet hat­te, ver­drieß­lich nach Re­gens­burg  zu­rück. Als Riem­bau­er aus Mün­chen heim­kehr­te, emp­fing er noch ei­nen Brief aus Re­gens­burg, in dem ihm die Eich­städ­ter so­gar mit ge­richt­li­cher An­zei­ge droh­te, wenn er nicht bald be­zah­le.

Dem jun­gen ruhm­ge­krön­ten Ka­plan wa­ren die­se Dro­hun­gen äu­ßerst un­an­ge­nehm. Er mach­te sich selbst auf den Weg nach Re­gens­burg und stell­te, durch Über­re­dungs­küns­te oder durch Geld, die Eich­städ­ter einst­wei­len zu­frie­den. Es wird be­haup­tet, daß er bei die­sem Be­su­che aufs neue die al­ten Ver­trau­lich­kei­ten ge­nos­sen ha­be. Beim Nach­hau­se­ge­hen be­glei­te­te ihn die ehe­ma­li­ge Ge­lieb­te mit ih­rem Kin­de und bat und be­schwor ihn oh­ne Auf­hö­ren, doch von der Frau­en­knecht zu las­sen und sie wie­der auf­zu­neh­men. Wäh­rend sie auf ei­nem Rain am Feld­we­ge saß und das Kind ne­ben sich hat­te, fleh­te sie ihn beim Ab­schied him­mel­hoch, die Hän­de auf­he­bend, an, er soll sie als Kö­chin zu sich neh­men. Riem­bau­er aber fuhr sie zor­nig an, sie sol­le sich nicht un­ter­ste­hen, noch ein­mal heim­lich nach Lau­ter­bach zu kom­men. Statt die auf­ge­ho­be­ne Hand zu drü­cken, hob er sei­nen Stock, hieb da­mit zor­nig auf den Bo­den und dreh­te ihr den Rü­cken – um sie nach sei­ner Aus­sa­ge nie wie­der­zu­se­hen.

Die Eich­städ­ter ver­ding­te sich ge­gen den Herbst des­sel­ben Jah­res als Kö­chin zu ei­nem an­de­ren Pfar­rer auf dem Lan­de. Am 1. No­vem­ber trat sie ih­ren Dienst an, er­bat sich aber so­gleich die Er­laub­nis, noch vor dem ei­gent­li­chen Be­ginn ih­rer Ar­beit ih­re Ver­wand­ten be­su­chen zu dür­fen. Als Un­ter­pfand ließ sie ih­re sil­ber­ne Hals­ket­te und ei­ni­ge an­de­re Sa­chen von Wert zu­rück, nahm aber vom Pfar­rer, da es ge­ra­de reg­ne­te, ei­nen grü­nen, lei­ne­nen Re­gen­schirm mit, auf des­sen Griff die An­fangs­buch­sta­ben sei­nes Na­mens ein­ge­gra­ben wa­ren.

Die Eich­städ­ter kam nicht wie­der. Nach meh­re­ren Ta­gen  schrieb der Pfar­rer an sei­nen Amts­bru­der in Lau­ter­bach, bei dem er sei­ne An­na ver­mu­te­te, er mö­ge ihr doch sa­gen, wenn sie nicht wie­der­kom­men wol­le, kön­ne sie im­mer­hin blei­ben, aber sie sol­le ihm doch den Re­gen­schirm zu­rück­schi­cken. Riem­bau­er schrieb zu­rück, bei ihm sei sie nicht ge­we­sen, und er wis­se we­der von ihr noch von dem Re­gen­schirm et­was.

Die Eich­städ­ter war und blieb seit die­sem 1. No­vem­ber 1807 ver­schwun­den. Ei­ni­ge hiel­ten sie für er­trun­ken, an­de­rer ver­mu­te­ten ei­nen Mord. Ein be­rüch­tig­ter Mör­der trieb um die Zeit sein We­sen in je­ner Ge­gend. Er wur­de im fol­gen­den Jah­re hin­ge­rich­tet, oh­ne je­doch et­was zu be­ken­nen. Die Eich­städ­ter kam nicht wie­der zum Vor­schein, und sie wur­de mit den Jah­ren ver­ges­sen.

Et­wa um die­sel­be Zeit, als das Mäd­chen aus Re­gens­burg ver­schwun­den war, er­hielt der Ka­plan Riem­bau­er den Lohn für sein treff­lich be­stan­de­nes Ex­amen: er wur­de als Pfar­rer nach Priel ver­setzt. Den Tho­mas­hof ver­kauf­te er mit Vor­teil und zog mit der Frau­en­knecht­schen Fa­mi­lie in das ge­nann­te Dorf. Mag­da­le­na wur­de sei­ne jun­ge Pfarr­kö­chin. Die Freu­de dau­er­te in­des nicht lan­ge. Schon im fol­gen­den Jah­re starb sie plötz­lich, und ih­re Mut­ter folg­te ihr ei­ni­ge Ta­ge dar­auf. Das ge­schah am 16. und 21. Ju­ni 1809. Im Früh­jahr des nächst­fol­gen­den Jah­res 1810 wur­de Riem­bau­er von Priel nach Nan­delstädt ver­setzt, wo er sich die An­na We­ni­ger als Pfarr­kö­chin nahm, mit der er bis zum Jah­re 1813 drei Kin­der zeug­te.

Von der ar­men, be­tro­ge­nen Frau­en­knecht­schen Fa­mi­lie war al­so jetzt nur noch die jüngs­te Toch­ter, Ka­tha­ri­na, üb­rig. Das da­mals drei­zehn­jäh­ri­ge Mäd­chen war schon vor dem To­de ih­rer Schwes­ter und ih­rer Mut­ter von der Fa­mi­lie fort­ge­zo­gen. Sie hat­te sich mit der äl­te­ren Schwes­ter ent­zweit, noch mehr aber trieb sie ei­ne ent­schie­de­ne  Ab­nei­gung ge­gen den Ver­füh­rer der Schwes­ter fort. An­fangs leb­te sie ei­ni­ge Zeit bei dem Bru­der des Pfar­rers an ei­nem an­de­ren Or­te, spä­ter stand sie bei ver­schie­de­nen Herr­schaf­ten im Dienst.

Ka­tha­ri­na war von Na­tur ein hei­te­res, fro­hes We­sen. Den­noch zeig­te sie, wo­hin sie kam, zu­wei­len ei­ne auf­fal­len­de Be­klom­men­heit und Angst. Sie fürch­te­te sich da­vor, ein­sam in ei­nem Hau­se blei­ben zu müs­sen. Nachts war es ihr schreck­lich, wenn sie al­lein in ei­nem Bett schla­fen soll­te. Wenn­gleich sie nicht dar­über sprach, so hieß es doch, daß sie von furcht­ba­ren Ge­sich­ten heim­ge­sucht wer­de. Statt daß die­se Un­ru­he mit den Jah­ren ab­nahm, wur­de sie nur um so grö­ßer.

Schon ahn­te man, daß sie in ir­gend­ein schlim­mes Ge­heim­nis ein­ge­weiht sei, aber nie­mand konn­te et­was Ge­naue­res aus ihr her­aus­be­kom­men. Nur manch­mal ließ sie dunk­le Wor­te fal­len von ei­ner ge­wis­sen Frau­ens­per­son, die ihr durch­aus nicht aus dem Sinn kom­me. Wo sie ste­he und ge­he, ver­fol­ge sie ihr Bild. Ei­nem an­de­ren Mäd­chen, mit dem sie in Re­gens­burg in ei­ner Kam­mer schlief, er­zähl­te sie, nach­dem sie sich ängst­lich in ihr Bett ver­hüllt hat­te, von ei­nem gräß­li­chen Mord, der vom Pfar­rer Riem­bau­er ver­übt wor­den sei. Auch das führ­te zu kei­nem nä­he­ren Ge­ständ­nis. Fort­wäh­rend von der ent­setz­li­chen Last ge­drückt und doch oh­ne Mut, sie von sich ab­zu­wäl­zen, ver­trau­te sie die­sel­be Ge­schich­te auch ei­ner ih­rer Dienst­her­rin­nen an. Die­se riet ihr, sich an ei­nen Geist­li­chen zu wen­den. Sie folg­te dem Ra­te und er­öff­ne­te ei­nem Be­ne­fi­zia­ten die furcht­ba­re Ge­schich­te. Ob­gleich durch die­ses Ge­ständ­nis ein Geist­li­cher vier gro­ßer Ver­bre­chen, ei­nes gro­ben Be­trugs und drei­er gro­ßer Mord­ta­ten, be­zich­tigt wur­de, wi­der­riet ihr der Be­ne­fi­zi­at ei­ne ge­richt­li­che An­zei­ge. Er emp­fahl ihr viel­mehr, den Mann,  wenn er wirk­lich schul­dig wä­re, dem Ge­richt Got­tes zu über­las­sen. Als man den Be­ne­fi­zia­ten spä­ter dar­über zur Re­de stell­te, ver­tei­dig­te er sich da­mit, daß er den be­tref­fen­den Fall ins­ge­heim meh­re­ren Pries­tern vor­ge­tra­gen ha­be, und al­le hät­ten sein Be­neh­men voll­kom­men ge­bil­ligt.

Ka­tha­ri­na, die der Be­scheid des Be­ne­fi­zia­ten nicht be­ru­higt hat­te, wand­te sich an ei­nen an­de­ren Pries­ter, den Ko­ope­ra­tor S., und trug ihm die­sel­be Ge­schich­te vor. Auch die­ser Geist­li­che emp­fahl ihr Still­schwei­gen, aber er un­ter­nahm we­nigs­tens et­was, um der Ar­men per­sön­lich zu ih­rem Rech­te zu ver­hel­fen. Weil sie be­haup­tet hat­te, daß Riem­bau­er ih­re Fa­mi­lie, de­ren ein­zi­ge Er­bin sie nun war, um mehr als zwei­tau­send Gul­den be­tro­gen ha­be, schrieb er oh­ne Na­men an Riem­bau­er ei­nen la­tei­ni­schen Brief, der un­ge­fähr so lau­te­te: »Ich ha­be ei­nen schwe­ren Fall vor mir, den nur Du lö­sen kannst. Je­mand, den Du wohl kennst, schul­det je­mand an­ders un­ge­fähr drei­tau­send Gul­den. Wenn Dein Ge­wis­sen wach ist, so zah­le die­ser Per­son die Schuld. Wenn Du ihr nicht in vier Wo­chen Re­de stehst, hor­ren­da pa­te­fa­ciet is­ta per­so­na. Han­ni­bal an­te por­tas!« Auch der Ko­ope­ra­tor hat­te zu­vor ei­nen Orts­pfar­rer über den kri­ti­schen Fall zu Ra­te ge­zo­gen, und die­ser hat­te ge­meint, der Fall eig­ne sich zwar zur ge­richt­li­chen An­zei­ge, al­lein er glau­be doch, die ed­len Ab­sich­ten, in de­nen je­ner War­nungs­brief ge­schrie­ben sei, könn­ten nicht ver­kannt wer­den.

Al­lein die­se ed­len Ab­sich­ten fruch­te­ten eben­so­we­nig wie der Han­ni­bal an­te por­tas. Der Emp­fän­ger ließ sich durch die An­dro­hung der furcht­ba­ren Schre­ckens­din­ge nicht er­schre­cken, Ka­tha­ri­na er­hielt kein Geld und kein Recht. Aber sie trug die Last nicht län­ger, und da kein geist­li­cher Rich­ter sie ihr ab­neh­men woll­te, wand­te sie sich an den welt­li­chen. Im Jah­re 1813 mach­te sie vor dem Pa­tri­mo­ni­al­ge­rich­te  von Ober­lau­ter­bach ei­ne voll­stän­di­ge An­zei­ge von al­lem, was sie wuß­te, und wie­der­hol­te die­se An­zei­ge spä­ter vor dem zu die­sem Pro­zeß be­son­ders zu­sam­men­ge­ru­fe­nen Land­ge­richt zu Lands­hut. Sie be­schwor dann auch ih­re Aus­sa­gen im fol­gen­den Jah­re 1814, als sie nach bay­ri­schem Ge­setz ih­re Ei­des­mün­dig­keit er­langt hat­te.

Die­se furcht­ba­re Aus­sa­ge des jun­gen Mäd­chens, in der sie sich nicht wi­der­sprach, die aber in meh­re­ren Ver­hö­ren er­gänzt und deut­li­cher wie­der­holt wur­de, lau­te­te im we­sent­li­chen so:

»Als im Som­mer 1807 mei­ne Schwes­ter Mag­da­le­na zum Ko­chen­ler­nen und der geist­li­che Herr Riem­bau­er, um sein Pfarr­ex­amen zu ma­chen, sich bei­de in Mün­chen auf­hiel­ten, kam ei­ne Weib­s­per­son von zwei­und­zwan­zig Jah­ren mit gro­ßer Sta­tur, hüb­schem läng­li­chen Ge­sicht, licht­brau­nen, lan­gen Haa­ren, bür­ger­lich schön ge­klei­det und mit ei­ner Rin­gel­hau­be auf dem Kop­fe ei­nes Ta­ges in un­se­re Woh­nung, als sich mei­ne Mut­ter ge­ra­de auf dem Fel­de be­fand. Sie gab sich für ei­ne Ba­se des Herrn Riem­bau­er aus und ver­lang­te, als ich ihr sag­te, daß der geist­li­che Herr in Mün­chen sei, die Zim­mer­schlüs­sel von mir, die ich ihr als wild­frem­der Per­son ver­wei­ger­te. Mei­ne Mut­ter, die bald nach Hau­se kam, gab ihr die Schlüs­sel, und die Frau ging dann auf das Zim­mer des Geist­li­chen und such­te dar­in her­um, als wä­re sie in ih­rer ei­ge­nen Woh­nung. Sie blieb über Nacht bei uns und sag­te uns, sie ha­be kein Geld ge­fun­den, aber an den geist­li­chen Herrn ei­nen Brief ge­schrie­ben, den sie in ei­ner ver­sie­gel­ten Schach­tel zu­rück­ge­las­sen ha­be. Un­ge­fähr acht Ta­ge dar­auf kam der Geist­li­che von dem Ex­amen zu­rück. Ich er­zähl­te ihm den Vor­fall, und er sag­te dar­auf, es sei ei­ne Ba­se von ihm ge­we­sen, der er noch Geld schul­dig sei.

Im No­vem­ber des­sel­ben Jah­res, ich weiß nicht mehr ge­nau den Tag (spä­ter­hin wur­de er als der Al­ler­see­len­tag, der 2. No­vem­ber, er­mit­telt), ge­gen Abend, nach­dem der geist­li­che Herr eben Rü­ben von sei­nem Acker heim­ge­fah­ren hat­te, war die­sel­be Ba­se wie­der auf dem Tho­mas­hof. Mei­ne Schwes­ter war schon mit Riem­bau­er nach Hau­se ge­gan­gen, ich und mei­ne Mut­ter ka­men ein we­nig spä­ter vom Fel­de zu­rück. Als wir uns un­se­rem Hau­se nä­her­ten, hör­ten wir im obe­ren Stock, wo der geist­li­che Herr wohn­te, mensch­li­che Lau­te, von de­nen wir an­fangs nicht wuß­ten, ob es Wei­nen oder La­chen war, die uns aber bald wie ein Ge­win­sel vor­ka­men. In dem Au­gen­blick, da wir in un­se­re Haus­ten­ne tra­ten, kam uns mei­ne Schwes­ter wei­nend von der Trep­pe her­ab ent­ge­gen­ge­lau­fen und er­zähl­te uns has­tig, ei­ne frem­de Weib­s­per­son, an­geb­lich ei­ne Ba­se, sei so­eben zu dem geist­li­chen Herrn ge­kom­men, die­ser ha­be sie auf sein Zim­mer ge­führt, ha­be ihr dann weis­ge­macht, daß er ihr Bier wol­le brin­gen las­sen, sei un­ter die­sem Vor­wand wie­der her­ab­ge­kom­men, ha­be hier sein Ra­sier­mes­ser ge­holt, sei da­mit so­gleich wie­der hin­auf­ge­gan­gen, ha­be sich dann (wie Mag­da­le­na, die ihm nach­ge­schli­chen war, durch das Schlüs­sel­loch ge­se­hen ha­ben woll­te) der auf ei­nem Ses­sel sit­zen­den Weib­s­per­son ge­nä­hert, sie beim Hal­se ge­packt, als wenn er sie küs­sen woll­te, ih­ren Kopf aber nie­der­ge­drückt und ihr mit sei­nem Ra­sier­mes­ser die Gur­gel durch­ge­schnit­ten. Wäh­rend uns mei­ne Schwes­ter das in al­ler Hast an der Trep­pe er­zähl­te, hör­ten wir noch im­mer das Win­seln und die Wor­te des Geist­li­chen: ›Nan­del, mach Reu und Leid! Du mußt ster­ben!‹ und dann wim­mer­te es wie­der: ›Fran­zel, tu mir nur das nicht an. Laß mir nur mein Le­ben, ich will ge­wiß kein Geld mehr von dir.‹

Mei­ne Mut­ter und mei­ne Schwes­ter gin­gen so­gleich in die un­te­re Stu­be, ich aber sprang aus Neu­gier zur Trep­pe hin­auf und vor die Tür des Geist­li­chen, und dort sah ich durch das Schlüs­sel­loch deut­lich, wie Riem­bau­er auf der am Bo­den lie­gen­den, noch mit den Fü­ßen zap­peln­den Weib­s­per­son saß oder knie­te und ihr mit bei­den Hän­den Kopf und Hals fest­hielt, und ich sah das Blut aus ihr her­vor­strö­men. Nun eil­te ich wie­der hin­ab in un­se­re Wohn­stu­be und er­zähl­te mei­ner jam­mern­den Mut­ter und mei­ner Schwes­ter, die noch un­schlüs­sig wa­ren, ob sie nicht Leu­te zu Hil­fe her­bei­ru­fen soll­ten, was ich ge­se­hen hat­te. Als ich dann wie­der in den Haus­flur ging, kam der geist­li­che Herr in sei­ner ge­wöhn­li­chen brau­nen Ja­cke und ei­ner wei­ßen Schür­ze die Trep­pe her­ab, Hän­de und Schür­ze voll Blut, in der Rech­ten noch das blu­ti­ge Ra­sier­mes­ser, das er auf den klei­nen im Haus­flur ste­hen­den Kas­ten leg­te, und be­gab sich als­dann zu mei­ner Mut­ter und mei­ner Schwes­ter in das Zim­mer. Er er­zähl­te ih­nen, wie ich an der Tür hor­chend ver­nahm, daß die­ses Weibs­bild ein Kind von ihm ha­be; sie ha­be ihn fort­wäh­rend um Geld ge­quält und auch jetzt wie­der hun­dert bis zwei­hun­dert Gul­den von ihm ver­langt, und zu­letzt ha­be sie ge­droht, ihn bei sei­ner Ob­rig­keit an­zu­zei­gen, wenn er nicht be­zah­len wol­le. Da er so viel Geld nicht auf­brin­gen kön­ne, ha­be er ihr, um sie los­zu­wer­den, die Gur­gel ab­ge­schnit­ten.

Nun schlich ich mich aus Neu­gier in Riem­bau­ers Zim­mer und sah die glei­che Per­son, die schon den Som­mer in un­se­rem Hau­se ge­we­sen war, wie sie mit durch­schnit­te­nem Hals, zer­zaus­tem Haar und zer­ris­se­nem Hals­tuch und Kor­sett oh­ne al­le Le­bens­zei­chen auf dem Bo­den in ih­rem Blu­te schwamm. Ich schrie und wein­te und ließ vor Schreck das Licht auf den Bo­den fal­len, das ich mit­ge­nom­men hat­te.

Als ich wie­der in das un­te­re Zim­mer her­ab­ge­kom­men war, sah ich, wie der geist­li­che Herr sei­ne blu­ti­gen Hän­de wusch, und ich sag­te ihm, daß ich nun die Per­son, die im Som­mer da­ge­we­sen sei, auf sei­nem Zim­mer tot ha­be lie­gen se­hen. Er strei­chel­te mich, sag­te, ich hät­te nicht recht ge­se­hen, ver­sprach mir al­le mög­li­chen schö­nen Klei­der und schärf­te mir ein, über al­les, was ich ge­se­hen und ge­hört hät­te, mit nie­mand zu spre­chen. Mei­ne Mut­ter jam­mer­te noch im­mer fort und er­klär­te im­mer wie­der, daß sie den Vor­fall an­zei­gen wer­de. Aber Riem­bau­er fiel ihr mehr­mals zu Fü­ßen und be­schwor sie, ihn doch nicht zu ver­ra­ten. Als mei­ne Mut­ter bei ih­rer Er­klä­rung blieb, da das Still­schwei­gen ja oh­ne­hin kei­nen Zweck ha­be, weil die Nach­bars­leu­te die Frem­de bei uns ge­se­hen und je­den­falls auch das Ge­tö­se ge­hört ha­ben müß­ten, äu­ßer­te Riem­bau­er, dann müs­se er sich das Le­ben neh­men.

Er zog sei­nen Rock an, hol­te aus dem Sta­del ei­nen Strick und lief mit ihm dem Wal­de zu. Mei­ne Mut­ter und mei­ne Schwes­ter folg­ten ihm von fer­ne, sa­hen, daß er wirk­lich ernst ma­chen woll­te, und da sie glaub­ten, daß das Un­glück är­ger sei, wenn der geist­li­che Herr sich auch noch auf­hän­ge, so lie­fen sie zu ihm und hiel­ten ihn durch das Ver­spre­chen, nichts zu ver­ra­ten, von der Aus­füh­rung sei­nes Vor­ha­bens ab.

Als er mit mei­ner Mut­ter und mei­ner Schwes­ter wie­der nach Hau­se ge­kom­men war, sprach er in mei­nem Bei­sein von ei­nem si­che­ren Ort, wo man den Leich­nam be­er­di­gen kön­ne, und wähl­te da­zu das klei­ne Sei­ten­käm­mer­chen lin­ker Hand in sei­nem neu­er­bau­ten Sta­del. Die Mei­ni­gen be­ru­hig­te er vor al­lem durch das Ver­spre­chen, selbst für die Be­er­di­gung sor­gen zu wol­len, und dann wer­de ge­wiß nichts ent­deckt wer­den, wenn nur das klei­ne Mäd­chen –  ich war da­mals erst zwölf Jah­re alt – nie­mand et­was da­von sa­ge.

Um Mit­ter­nacht zwi­schen zwölf und ein Uhr steck­te er ei­ne Ker­ze in ei­ne La­ter­ne und ging mit ei­ner Grab­schau­fel in das lin­ke Sei­ten­käm­mer­chen sei­nes Sta­dels, in dem er das Loch aus­grub, in das der Leich­nam hin­ein­kom­men soll­te. Nach ei­ni­ger Zeit hör­te ich über mir ein Ru­mo­ren, mach­te un­se­re Stu­ben­tür auf, sah ei­ne Ker­ze ne­ben dem Kel­ler ste­hen und den Herrn Riem­bau­er selbst, wie er von oben her­ab den noch völ­lig be­klei­de­ten Leich­nam bei den Ach­seln, so daß der Kopf her­un­ter­hing, rück­lings über die Trep­pe her­ab­schleif­te. Es über­fiel mich ein Grau­en, und ich weiß nicht, wie er den Leich­nam in den Sta­del hin­ein­ge­bracht hat; nach­her aber ging ich doch hin, und mei­ne Mut­ter, mei­ne Schwes­ter und ich, wir sa­hen von der Tür aus, wie der geist­li­che Herr die Er­mor­de­te, die noch in ih­ren Klei­dern war, schon in dem Lo­che hat­te und sie eben mit Er­de be­deck­te.

Die Blut­fle­cken vom Hau­se bis zum Sta­del wisch­te er noch in der­sel­ben Nacht weg, Haus und Zim­mer rei­nig­te er aber erst am fol­gen­den Mor­gen, und zwar mit kal­tem und dann mit hei­ßem Was­ser.

Aber in sei­nem Zim­mer war das Blut schon ein­ge­trock­net; das Ab­wa­schen half nichts; ich muß­te ihm da­her von dem nächs­ten Nach­bar, dem blau­en Mi­chel, ei­nen Ho­bel bor­gen; mit dem ho­bel­te er aus den Die­len das Blut hin­weg und warf die Spa­ne im un­te­ren Zim­mer in den Ofen.

Am Mor­gen nach der Er­mor­dung, als ich eben zur Schu­le ging, sah ich un­se­ren Hund ei­nen blu­ti­gen Frau­en­schuh im Ho­fe her­um­zer­ren. Riem­bau­er, den ich dar­auf auf­merk­sam mach­te, trug mir auf, ihn in die un­te­re Stu­be zu tra­gen. Ich hob ihn, weil es mich graus­te, an ei­nem  Stöck­chen auf, warf ihn in der Stu­be auf den Bo­den und weiß nun nicht mehr, was mit ihm ge­sche­hen ist.

Die Nach­barn frag­ten uns, was in un­se­rem Hau­se für ein Lär­men und Wei­nen ge­we­sen sei. Wir sag­ten dar­auf, wie uns Riem­bau­er zu­vor ein­ge­schärft hat­te, wir hät­ten we­gen un­se­res Va­ters und der zwei­tau­send Gul­den ge­weint, die uns Herr Riem­bau­er ab­ge­drückt hät­te, was ja oh­ne­hin schon hof­markskun­dig war.

Die Er­mor­de­te hat­te ei­nen grü­nen Re­gen­schirm, der dem Pfar­rer zu Pr. ge­hör­te, mit in den Tho­mas­hof ge­bracht. Der geist­li­che Herr be­hielt ihn und be­saß ihn noch als Pfar­rer zu Priel.

Un­ge­fähr vier­zehn Ta­ge nach der Be­er­di­gung der Er­mor­de­ten ver­brei­te­te sich im Sta­del ein ab­scheu­li­cher Ge­stank. Die Frau­ens­per­so­nen, wel­che das Ge­trei­de aus­dra­schen, be­schwer­ten sich dar­über bei Riem­bau­er, der ih­nen ant­wor­te­te, daß er sich nicht den­ken kön­ne, wo­her er kä­me. Gleich nach­her trug es sich zu, daß ei­ne Dre­sche­rin, die in das Sei­ten­käm­mer­chen ge­gan­gen war, mit ih­rem Fu­ße an et­was stieß und, weil es dar­in dun­kel war, nach Licht rief, um nach­zu­se­hen, was es wä­re, weil das Ding, an das sie ge­sto­ßen hat­te, et­was an­de­res sein müs­se als ein Stein. Riem­bau­er ver­hin­der­te das, eil­te auf sein Zim­mer und leg­te ein Schloß vor die Tür des Käm­mer­chens, das vor­her im­mer of­fen­ge­stan­den hat­te. In der Stu­be er­zähl­te er uns das al­les und sag­te, es sei ein aus dem Gra­be her­vor­ra­gen­der Fuß der Nan­del ge­we­sen. Am Abend des­sel­ben Ta­ges trug er Sand an die­se Stel­le und füll­te das Grab bes­ser auf.«

So lau­te­te Ka­tha­ri­nas Aus­sa­ge. Aber es war mit die­sem ent­setz­li­chen Ver­bre­chen, des­sen sie den Pfar­rer Riem­bau­er be­zich­tig­te, noch nicht ge­nug: ih­re An­schul­di­gung ging noch wei­ter. Es war ih­re fes­te Über­zeu­gung, daß der  Mör­der der Eich­städ­ter auch den Tod ih­rer Schwes­ter und ih­rer Mut­ter auf dem Ge­wis­sen ha­be. Sie be­teu­er­te, er ha­be bei­de ver­gif­tet, und führ­te da­für meh­re­re In­di­zi­en an, die für die schar­fe Auf­fas­sungs­ga­be des jun­gen Mäd­chens zeug­ten.

Nach­dem Ka­tha­ri­na ei­ne Wei­le von Hau­se weg­ge­we­sen war und un­ter frem­den Leu­ten ge­lebt hat­te, wur­de sie ei­lends aus Re­gens­burg, wo sie sich ge­ra­de auf­hielt, nach Hau­se ins Pfarr­haus zu­rück­ge­ru­fen, um die Kü­che zu ver­sor­gen, da ih­re Schwes­ter plötz­lich er­krankt sei. Sie kam, um zwei Tod­kran­ke und bald zwei Lei­chen zu fin­den. Riem­bau­er rief kei­nen or­dent­li­chen Arzt zur Pfle­ge her­bei. Die Arz­nei­en be­sorg­te er selbst bei ei­nem Ba­der, gab sie ih­rer Schwes­ter selbst ein, ja dräng­te sie ihr ge­gen ih­ren Wil­len auf. Er ließ kei­nen Geist­li­chen zu ihr. Ei­nes Ta­ges hat­te Ka­tha­ri­na vom Ba­der ei­ne Arz­nei ho­len müs­sen. Nach­dem Mag­da­le­na die­se Arz­nei ein­ge­nom­men hat­te, wur­de sie ohn­mäch­tig und starb. Der Leich­nam war un­ge­wöhn­lich auf­ge­dun­sen und vol­ler Brand­fle­cke. Das Blut lief ihm zu Na­se und Mund her­aus. Der Ba­der ver­mu­te­te, die To­te sei schwan­ger ge­we­sen. Üb­ri­gens hat­te die Mut­ter, wie auch Mag­da­le­na sel­ber, mit Riem­bau­er oft Streit ge­habt, und Mag­da­le­na hat­te so­gar meh­re­re­mal ih­ren Dienst ver­las­sen wol­len trotz des na­hen Ver­hält­nis­ses, das sie an Riem­bau­er band. Da­her ha­be Riem­bau­er in be­stän­di­ger Angst ge­schwebt, daß sie ein­mal im Zorn die Tat ver­ra­ten kön­ne. Die Leu­te im Dor­fe, die nichts von die­sem Er­eig­nis wuß­ten, hät­ten aber je­den­falls ge­meint, die Mag­da­le­na sei von ihm schwan­ger ge­we­sen, und al­le ha­be ihr plötz­li­cher Tod er­schreckt. Ähn­lich sei es bei dem To­de der Mut­ter her­ge­gan­gen.

Noch ein drit­tes Ver­bre­chen warf Ka­tha­ri­na dem Pfar­rer  vor: er sei da­mit um­ge­gan­gen, auch sie selbst ums Le­ben zu brin­gen.

Schon vor län­ge­rer Zeit hat­te ih­re Schwes­ter Mag­da­le­na war­nend zu ihr ge­sagt, Riem­bau­er hät­te ge­äu­ßert, er wol­le zwei­hun­dert, ja drei­hun­dert Gul­den nicht an­se­hen, wenn er nur je­mand fän­de, der sie aus der Welt schaf­fe. »Denn das Mä­del wird im­mer grö­ßer und ver­stän­di­ger, und am En­de kann man ihr nicht mehr Hei­rats­gut ge­nug ge­ben, um sie zum Schwei­gen zu brin­gen.« – Nach Mag­da­le­nas To­de hat­te sie Riem­bau­er durch­aus nicht von sich las­sen wol­len. Ja er hat­te ihr acht­tau­send Gul­den Hei­rats­gut ver­spro­chen, wenn sie blei­ben wür­de.

Aber Ka­tha­ri­na ließ sich nicht über­re­den, und sie blieb nicht. Da Riem­bau­er sich al­le Hab­se­lig­kei­ten der Mag­da­le­na oh­ne wei­te­res an­ge­eig­net hat­te, sag­te sie beim Fort­ge­hen zu ihm: »Herr Pfar­rer, ich ver­ges­se das Ver­gan­ge­ne nicht.« Riem­bau­er er­wi­der­te dar­auf: »Es wird dich mehr tref­fen als mich; ich weiß schon, was ich zu sa­gen ha­be. Dei­ne Mut­ter und dei­ne Schwes­ter sind tot, die kön­nen nicht mehr re­den; und die zwei, wer­de ich sa­gen, ha­ben die Weib­s­per­son um­ge­bracht.« Auch spä­ter­hin mach­te er noch Ver­su­che, sie wie­der in sei­ne Diens­te zu zie­hen, und Ka­tha­ri­na schwor dar­auf, daß sie es nur ih­rer Wei­ge­rung und Vor­sicht zu ver­dan­ken ha­be, daß sie noch am Le­ben sei.

Wer brach­te nun al­le die­se furcht­ba­ren An­schul­di­gun­gen vor? Es war ein sieb­zehn­jäh­ri­ges Bau­ern­mäd­chen, das von Ort zu Ort, von Dienst zu Dienst zog und we­gen sei­nes träu­me­ri­schen We­sens und sei­ner auf­ge­reg­ten Phan­ta­sie über­all be­kannt war. Es zeug­te ge­gen ei­nen Pries­ter, der beim Land­vol­ke im höchs­ten An­se­hen, ja im Ru­fe der Hei­lig­keit stand, und ge­gen den auch nicht der ge­rings­te Ver­dacht vor­lag, denn was wir von sei­nem Le­bens­wan­del wis­sen, war nur ein­zel­nen und auch de­nen nur zum Teil  be­kannt. Sein Ruf war nicht et­wa nur durch Schein­tu­gen­den er­wor­ben wor­den: Riem­bau­er war ein in den erns­tes­ten Stu­di­en be­währ­ter Mann, ein aus­ge­zeich­ne­ter Kan­zel­red­ner, treu in sei­ner Pflicht und hat­te erst vor kur­zem durch ein glän­zen­des Ex­amen den Aus­spruch be­währt, den sei­ne Leh­rer frü­her beim Ab­gan­ge vom Gym­na­si­um über ihn ge­tan hat­ten, näm­lich daß er ei­ne Zier­de sei­ner Kir­che wer­den wür­de.

Darf man sich wun­dern, daß man zu­nächst ge­neigt war, die­se gräß­li­che, aben­teu­er­li­che und un­ge­heu­er­lich er­schei­nen­de Ge­schich­te für die Er­fin­dung ei­ner kran­ken, auf­ge­reg­ten Ein­bil­dungs­kraft zu hal­ten? Aber das Bau­ern­mäd­chen er­zähl­te so zu­sam­men­hän­gend, so ein­ge­hend und so be­stimmt. Es zeig­te Ver­stand, Ru­he, Un­be­fan­gen­heit und Zu­ver­sicht, so daß ihm der Rich­ter un­will­kür­lich dann doch Glau­ben schen­ken muß­te, und da es die Mit­tel zur Nach­prü­fung sei­ner Er­zäh­lung selbst an die Hand gab, so lei­te­te man so­gleich die Un­ter­su­chung ein.

Der Tho­mas­hof zu Ober­lau­ter­bach, der frü­her dem Pfar­rer Riem­bau­er ge­hört hat­te, war jetzt in der drit­ten Hand und Riem­bau­er an ei­nem weit ent­fern­ten Ort an­ge­stellt. In al­ler Stil­le durch­such­te man da­her den Hof. Die Ört­lich­keit war ganz so, wie Ka­tha­ri­na sie ge­schil­dert hat­te. In dem vom Pfar­rer Riem­bau­er er­rich­te­ten Sta­del fand man lin­ker Hand ein Sei­ten­käm­mer­chen. In sehr ge­rin­ger Tie­fe schon ent­deck­te man beim Nach­gra­ben ei­nen Frau­en­schuh und ein weib­li­ches Ge­rip­pe mit ei­nem Schä­del, der an bei­den Kie­fern die schöns­ten wei­ßen Zäh­ne auf­wies.

Auf den Die­len in dem Zim­mer, das Riem­bau­er be­wohnt hat­te, wa­ren ei­ne Men­ge Fle­cke. Sie wur­den auf den ers­ten Blick als Blut­fle­cke er­kannt. Als man sie mit war­mem Was­ser be­feuch­te­te, stell­ten sie sich in hel­ler  Blut­rö­te dar. Au­ßer­dem wa­ren an den Die­len Un­eben­hei­ten sicht­bar, die of­fen­bar von un­ge­schick­ten Ver­su­chen mit dem Ho­bel her­rühr­ten. Zu al­lem Über­flus­se be­kun­de­te auch der Nach­bar, der so­ge­nann­te blaue Mi­chel, daß vor un­ge­fähr sechs Jah­ren die Frau­en­knecht­schen bei ihm ei­nen Ho­bel ge­borgt hät­ten.

Auf die­se star­ken Ver­dachts­mo­men­te hin, die die Glaub­wür­dig­keit der An­zei­ge in ho­hem Gra­de un­ter­stütz­ten, wur­de Riem­bau­er ver­haf­tet und nach Lands­hut ge­bracht.

Sein Be­neh­men da­bei war sehr merk­wür­dig. Er er­schien we­der ent­rüs­tet noch ver­wun­dert. Er be­teu­er­te we­der sei­ne Un­schuld, noch sprach er von ei­nem Miß­ver­ständ­nis. Viel­mehr kam er sei­nen Rich­tern of­fen ent­ge­gen und sag­te ih­nen, dar­über wun­de­re er sich durch­aus nicht, was man ge­gen ihn vor­neh­me, er sei viel­mehr nach dem un­glück­se­li­gen Vor­fall, in den er oh­ne sei­ne Schuld ver­wi­ckelt wor­den wä­re, dar­auf vor­be­rei­tet, und er wol­le da­durch, daß er al­les, was er wis­se, of­fen be­ken­ne, dem Rich­ter ent­ge­gen­kom­men. Ehe ihm noch der Grund sei­ner Ver­haf­tung mit­ge­teilt wor­den war, er­klär­te er, er kön­ne sich sehr wohl den­ken, daß es sich um die An­na Eich­städ­ter hand­le, und gab aus frei­en Stü­cken fol­gen­de Er­klä­rung zu Pro­to­koll:

Mit dem un­glück­li­chen Mäd­chen sei er schon von sei­ner frü­he­ren An­stel­lung in Hirn­heim her in al­len Eh­ren be­kannt ge­we­sen. Sie ha­be stets gro­ßes Ver­trau­en in ihn ge­setzt und ihm fünf­zig Gul­den von ih­rem Er­spar­ten zum Auf­he­ben ge­ge­ben und ihn auch im­mer ge­be­ten, sie als Kö­chin an­zu­neh­men, wenn er spä­ter ein­mal ei­ne Pfar­re er­hal­ten ha­be. Er ha­be es ihr ver­spro­chen, doch nur un­ter der Be­din­gung, daß sie sich gut auf­füh­re. Nach­dem er von Hirn­heim ver­setzt wor­den sei, ha­be er nichts wei­ter von ihr ge­hört, als daß sie ihn ab und zu um Rück­ga­be  ei­nes Teils je­ner fünf­zig Gul­den ge­be­ten ha­be. Wäh­rend er aber zur Prü­fung in Mün­chen ge­we­sen sei, ha­be sie ihn in Lau­ter­bach auf­ge­sucht und die Fa­mi­lie Frau­en­knecht durch ih­re An­ga­be, daß er sie als Kö­chin bei sich auf­neh­men wer­de, nicht we­nig er­schreckt.

Von ih­rem trau­ri­gen To­de da­ge­gen wuß­te er die ge­nau­es­ten Mit­tei­lun­gen zu ge­ben. Es sei am 3., 4. oder 5. No­vem­ber ge­we­sen, als er von Pirk­wanz, wo ein Herr von Här­ter be­er­digt wor­den sei, nach dem Lei­chen­got­tes­dienst in der Däm­me­rung nach Lau­ter­bach zu­rück­ge­kehrt sei.

»Ich ging so­gleich«, fuhr er fort, »auf mein Zim­mer, fand die Tür of­fen, die da­mals noch kein Schloß hat­te, und sah auf dem Bo­den ei­ne Per­son lie­gen. Ich mein­te, es wä­re je­mand von den Leu­ten im Haus, und rief da­her laut: ›Was ist das? Was gibt’s?‹ Ich er­hielt aber kei­ne Ant­wort, be­fühl­te nun die auf dem Bo­den lie­gen­de Per­son und merk­te jetzt zu mei­nem un­aus­sprech­li­chen Schre­cken, daß sie völ­lig leb­los war. Voll Ent­set­zen lief ich in die un­te­re Stu­be, wo ich die Bäue­rin­mut­ter mit ih­rer Toch­ter Mag­da­le­na traf, die sich an­ein­an­der an­hiel­ten und wie Es­pen­laub zit­ter­ten. Auf mei­ne ers­te Fra­ge: ›Was ist da oben ge­sche­hen?‹er­grif­fen mich Mut­ter und Toch­ter un­ter Wei­nen und Schrei­en bei den Hän­den und ba­ten mich, vor al­lem zu schwei­gen. Dann er­fuhr ich zu mei­nem größ­ten Er­stau­nen, daß die glei­che Frau, die mich schon wäh­rend mei­nes Mün­che­ner Auf­ent­hal­tes hat­te be­su­chen wol­len, an die­sem Nach­mit­tag wie­der in den Tho­mas­hof ge­kom­men sei und in mein Zim­mer ha­be ge­hen wol­len. Mut­ter und Toch­ter sei­en nun mit ihr in ei­nen Streit ge­ra­ten, da­bei ha­be die Eich­städ­ter, denn die sei es ge­we­sen, zu­ge­sto­chen oder zu­ste­chen wol­len, Mag­da­le­ne ha­be dar­auf­hin mein Ra­sier­mes­ser er­grif­fen und die an­de­re in den Hals ge­schnit­ten. Die Ur­sa­che die­ses er­bit­ter­ten  Strei­tes soll­te ge­we­sen sein, daß die Eich­städ­ter ge­äu­ßert hat­te, sie wol­le Kö­chin bei mir wer­den und ha­be hier­auf mein Ver­spre­chen er­hal­ten, und Mut­ter und Toch­ter Frau­en­knecht müß­ten des­halb nun aus dem Hau­se zie­hen.

Spä­ter zün­de­te ich mir ein Licht an und er­kann­te wirk­lich in der auf mei­nem Zim­mer lie­gen­den Per­son die Eich­städ­ter.

Nun sag­te ich den Frau­en­knecht­schen, nach ei­nem sol­chen Auf­trit­te kön­ne ich nicht mehr bei ih­nen blei­ben, und woll­te aus dem Tho­mas­hof fort­ge­hen. Sie aber hiel­ten mich mit bei­den Hän­den fest, sag­ten un­ter Wei­nen und Jam­mern, um al­les in der Welt, sie woll­ten mir ge­ben, was ich ver­lan­ge, und von dem Kauf­preis für den Tho­mas­hof so viel ab­las­sen, wie ich wol­le. So ließ ich mich denn end­lich über­re­den, schaff­te mein in dem obe­ren Zim­mer ste­hen­des Bett in den Haus­flur her­ab und über­nach­te­te hier.

Am an­de­ren Mor­gen ganz früh ging ich fort, der Leich­nam blieb un­ter­des­sen in mei­nem Zim­mer. Als ich ge­gen Abend wie­der auf mei­ne Stu­be kam, sah ich hier die to­te Eich­städ­ter schon auf ei­ner Mist­tra­ge lie­gen. Mut­ter und Toch­ter sag­ten mir, sie woll­ten sie in dem Sei­ten­käm­mer­chen des Sta­dels ver­gra­ben. Ich er­wi­der­te ih­nen, sie möch­ten sie hin­tun, wo sie woll­ten, ich kön­ne ih­nen nicht hel­fen.

Abends zwi­schen acht und neun Uhr tru­gen nun Mut­ter und Toch­ter den Leich­nam auf ei­ner Mist­tra­ge in das Sta­del­käm­mer­chen und be­deck­ten ihn mit der Er­de, die sie schon aus­ge­ho­ben hat­ten.

Am an­de­ren Mor­gen be­sah ich mir die Stel­le und fand, daß nur die lo­cke­re Er­de über den Leich­nam ge­brei­tet war. Nach­dem ich bei­de dar­auf auf­merk­sam ge­macht und zu ih­nen ge­sagt hat­te, daß die Sa­che leicht ent­deckt wer­den  kön­ne, wenn ein Mensch oder ein Tier in den Sta­del kom­me, nah­men sie Sand und Stein­bro­cken und über­deck­ten da­mit die Grab­stät­te.

Ei­ni­ge Näch­te schlief ich noch in der Haus­flur; nach­dem aber mein Zim­mer ge­rei­nigt wor­den war, zog ich wie­der hin­auf und blieb auch zur Nacht oben.«

Ein ge­mei­ner Ver­bre­cher hät­te viel­leicht al­les in Ab­re­de ge­stellt, frech ge­leug­net und ab­ge­war­tet, was ihm be­wie­sen wer­den könn­te. Riem­bau­er zeig­te sich als ein klug be­rech­nen­der Mann. In­dem er dem Rich­ter in al­ler Of­fen­heit mit ei­ner voll­stän­di­gen Aus­sa­ge ent­ge­gen­kam, woll­te er des­sen Ver­trau­en ge­win­nen und die Mi­ne, die man ihm ge­legt hat­te, durch ei­ne Kon­tre­mi­ne spren­gen. Schritt für Schritt er­zähl­te er mit ge­rin­gen Ab­wei­chun­gen die Ge­schich­te so, wie er an­neh­men muß­te, daß die An­klä­ge­rin sie vor­ge­bracht ha­ben wür­de. Er zeig­te sich schuld­be­wußt, aber sei­ne Schuld be­stand nur dar­in, daß er aus christ­li­chem Mit­leid ge­schwie­gen hat­te, weil er doch die Tat nicht un­ge­sche­hen ma­chen konn­te, und aus ei­nem An­ge­klag­ten wur­de so ein An­klä­ger, frei­lich nur ge­gen Per­so­nen, auf de­ren Mund der Tod ein Sie­gel ge­legt hat­te.

Der Tat­be­stand des Ver­bre­chens stand al­so fest. Nur über die Tä­ter­schaft la­gen wi­der­spre­chen­de An­ga­ben vor. Nach Riem­bau­ers An­ga­be soll­ten al­so Mag­da­le­na Frau­en­knecht und ih­re Mut­ter die ent­setz­li­che Mord­tat be­gan­gen ha­ben, und zwar des­halb, weil die Eich­städ­ter Pfarr­kö­chin wer­den woll­te und die Mag­da­le­na es schon war. Die Ei­fer­sucht ist ein furcht­ba­res Mo­tiv und hat furcht­ba­re Ta­ten her­vor­ge­bracht. Aber wie un­be­deu­tend er­schien hier der Grund. Mag­da­le­ne war im vol­len Ge­nuß al­ler Rech­te, die sie über­haupt be­sit­zen konn­te, die Eich­städ­ter hat­te sie ein­mal vor lan­gen Jah­ren be­ses­sen, und es hat­te durch­aus nicht den An­schein, als ob sie sich wie­der in den Be­sitz  die­ser Rech­te set­zen könn­te; denn die Frau­en­knechts hat­ten den Pfar­rer ganz auf ih­rer Sei­te. Da­für sprach au­ßer­dem die Auf­ge­bracht­heit der Eich­städ­ter, die den Frau­en­knechts be­kannt war, und zu der sie kei­nen Grund ge­habt hät­te, wenn Riem­bau­er ihr mehr ge­wo­gen ge­we­sen wä­re und sie der Mag­da­le­na gern vor­ge­zo­gen hät­te.

Aber die Lei­den­schaft ist blind. Sie han­delt oft oh­ne Not ge­gen ihr ei­ge­nes In­ter­es­se. Je­den­falls aber muß der sons­ti­ge Cha­rak­ter der an­ge­schul­dig­ten Per­so­nen für die Mög­lich­keit ei­ner ver­bre­che­ri­schen Hand­lung spre­chen. Mag­da­le­na aber be­saß, wie Riem­bau­er selbst an­gab, ein sanf­tes, gut­ar­ti­ges weib­li­ches Ge­müt. Sie war ein furcht­sa­mes, ängst­lich schüch­ter­nes Mäd­chen. Es ist nicht ein­zu­se­hen, was sie plötz­lich in ei­ne rück­sichts­lo­se Mör­de­rin um­ge­wan­delt ha­ben soll­te. Au­ßer­dem war die Eich­städ­ter stark, groß, breit­schult­rig, von kräf­ti­gem Mus­kel­bau, Mag­da­le­na da­ge­gen klein, ma­ger, schmäch­tig und schwäch­lich. Wie wä­re es mög­lich ge­we­sen, daß die klei­ne Schwa­che der gro­ßen Star­ken die Gur­gel hät­te durch­schnei­den kön­nen? Und das soll­te noch da­zu mit ei­nem Ra­sier­mes­ser ge­sche­hen sein. Greift aber ei­ne Frau­en­hand nach die­ser Waf­fe, die bei ih­rer Be­weg­lich­keit sehr un­si­cher ist und häu­fig de­nen, die sie ge­brau­chen, Scha­den bringt? Im of­fe­nen Strei­te, von dem Riem­bau­er spricht, kann man je­mand wohl da­mit ver­wun­den, aber um der Eich­städ­ter die Gur­gel ab­zu­schnei­den, hät­te sie sich nicht weh­ren dür­fen, son­dern still­hal­ten müs­sen wie ei­ne Pup­pe.

Da­mit war für den Rich­ter die völ­li­ge Un­mög­lich­keit, daß Mag­da­le­na die Tä­te­rin ge­we­sen sein kön­ne, dar­ge­tan, und die Schuld fiel mit ver­dop­pel­tem Ge­wicht auf Riem­bau­er zu­rück, der die Tat selbst ein­ge­räumt hat­te und nur ei­nen fal­schen Tä­ter vor­ge­scho­ben ha­ben muß­te. Über­dies lie­fer­te sein Be­neh­men wäh­rend der Ge­fan­gen­schaft un­zwei­deu­ti­ge  Be­wei­se da­für, daß er sich sei­ner Schuld wohl be­wußt war. Er such­te sei­ne Wäch­ter zu be­ste­chen und schrieb an al­le Per­so­nen sei­ner nä­he­ren Be­kannt­schaft aus­führ­li­che Brie­fe mit An­wei­sun­gen, wie sie für ihn Zeug­nis ab­le­gen soll­ten. Er bat dar­um, sie möch­ten aus­sa­gen, daß die ver­stor­be­ne Mag­da­le­na sich ih­nen ge­gen­über selbst als Mör­de­rin an der Eich­städ­ter be­kannt ha­be. So drang er in den Pfar­rer K., er sol­le das Ge­wünsch­te aus­sa­gen, und zwar ein­mal um ih­rer brü­der­li­chen Lie­be wil­len, dann aus Rück­sicht auf die »gu­te Nan­del«, sei­ne Kö­chin, wei­ter in Hin­sicht auf sei­ne, Riem­bau­ers, Freun­de, fer­ner, um das An­se­hen der Geist­lich­keit nicht zu schmä­lern, auf die der Fall ei­nen Schat­ten wer­fen könn­te, und end­lich und vor al­lem we­gen der Gläu­bi­gen, de­nen die­se Din­ge ein Är­ger­nis sein müß­ten. Sei­ner Kö­chin An­na We­ni­ger schärf­te er ein, ja den grü­nen Re­gen­schirm schleu­nigst auf die Sei­te zu schaf­fen. Au­ßer­dem mach­te er den frei­lich ver­geb­li­chen Ver­such, durch Be­ste­chung Ein­sicht in die Un­ter­su­chungs­ak­ten zu er­lan­gen. Das al­les wur­de ent­deckt. Er wur­de in ein an­de­res Ge­fäng­nis ge­bracht und er­hielt an­de­re Wäch­ter. So­gleich er­kann­te er den Grund die­ser Maß­nah­me und ver­fiel auf ei­ne neue List, um die Be­wei­se, die für sein Schuld­be­wußt­sein spra­chen, zu ent­kräf­ten. Er er­klär­te dem Rich­ter, ei­ne wich­ti­ge Ent­de­ckung ge­macht zu ha­ben, näm­lich die, daß sei­ne Ver­stan­des­kräf­te ge­schwächt sei­en und daß er aus der leicht er­klär­li­chen Miß­stim­mung über sei­ne La­ge in den letz­ten Wo­chen in ei­nen vor­über­ge­hen­den Wahn­sinn ver­fal­len sei und in die­sem Zu­stan­de Din­ge ge­tan und ge­schrie­ben ha­be, über die er kei­ne Re­chen­schaft ge­ben kön­ne. Da­bei be­müh­te er sich, nach ir­gend­ei­ner Je­sui­ten­lo­gik aus­ein­an­der­zu­set­zen, daß je­mand in ge­wis­sen Ta­gen wohl den sen­sus ex­ter­nus und auch den sen­sus in­ter­nus be­sit­zen kön­ne, trotz­dem aber bei sei­nen  Hand­lun­gen des sen­sus in­ti­mus er­mang­le. Die­ser sen­sus in­ti­mus nun, auf den al­les an­kom­me, ha­be ihm in der letz­ten trau­ri­gen Zeit voll­kom­men ge­fehlt.

Vier Jah­re lang, in neun­und­neun­zig Ver­hö­ren, blieb Riem­bau­er, oh­ne ei­nen Um­stand zu­rück­zu­neh­men, bei der An­ga­be, die Mag­da­le­na ha­be die Eich­städ­ter er­mor­det, und er ha­be nur aus christ­li­cher Lie­be und durch ei­ne falsch ver­stan­de­ne Pries­ter­pflicht ver­lei­tet, da­zu ge­schwie­gen. Er kön­ne von die­ser Aus­sa­ge nicht ab­wei­chen, »wenn man ihm auch, wie dem hei­li­gen Bar­tho­lo­mä­us, die Haut über den Kopf zie­he. Ja, wenn er schon auf dem Scha­fott ste­he und tau­send Teu­fel hin­ter ihm, wer­de er sie noch mit sei­nem letz­ten Hau­che in die Welt hin­aus­ru­fen.«

Riem­bau­er fiel in die­sen vier Jah­ren nie aus sei­ner Rol­le. In den Ver­hö­ren zeig­te er stets die ru­hi­ge Ge­las­sen­heit ei­nes Dul­ders und pfleg­te die Fra­gen des Rich­ters mit ei­nem sü­ßen Lä­cheln zu be­ant­wor­ten. Fuhr er ein­mal auf wie im Ge­füh­le schwer­be­lei­dig­ter Un­schuld, so stimm­te er sich so­gleich wie­der zum mil­den To­ne der Sanft­mut her­ab und bat, ihm sei­ne »Wär­me« nicht übel­zu­neh­men, die bei ei­nem Men­schen be­greif­lich sei, dem Wahr­hei­ten, die doch auf der Hand lä­gen, im­mer und im­mer wie­der nicht ge­glaubt wür­den, und der ei­nem wehr­lo­sen Schaf glei­che, das von den bis­si­gen Hun­den an­ge­fal­len wer­de. Zu­wei­len, wenn ihm der Rich­ter ein­mal recht scharf zu­lei­be ging, re­de­te er zu ihm im To­ne des Kan­zel­red­ners, dann aber brach er wie­der über die un­er­hör­ten Lü­gen, »die der Teu­fel ge­gen ihn er­fun­den ha­be«, in hel­les Ge­läch­ter aus. Zu Trä­nen brach­te er es nie, ob­wohl er sich gro­ße Mü­he gab, wel­che zu ver­gie­ßen.

Der Rich­ter ver­such­te, Riem­bau­er von der Un­ge­reimt­heit sei­nes Mär­chens zu über­zeu­gen, in­dem er an sei­nen ge­sun­den Men­schen­ver­stand ap­pel­lier­te. Es half nichts.  Kein Wi­der­spruch war so selt­sam, daß er nicht so­gleich ei­ne aus­glei­chen­de Hy­po­the­se für ihn be­reit hat­te. Mach­te man ihn auf Mag­da­le­nas sanf­ten Cha­rak­ter auf­merk­sam, so hielt er ei­ne gro­ße Re­de über die Macht der Ei­fer­sucht und die Lei­den­schaft­lich­keit des weib­li­chen Ge­schlechts im all­ge­mei­nen. Zeig­te man ihm die Un­mög­lich­keit der Tat, so streif­te er mit sei­ner wie ge­wöhn­lich lä­cheln­den Mie­ne die Hals­bin­de ab und mach­te an sei­nem ei­ge­nen Hal­se auf das an­schau­lichs­te deut­lich, wie die Ope­ra­ti­on leicht und schnell ha­be ver­rich­tet wer­den kön­nen. Sei auch ein Ra­sier­mes­ser ei­ne zwei­fel­haf­te Waf­fe und ei­ne Mäd­chen­hand schwach, so sei in der Na­tur doch ein ge­wis­ser Mo­tus pri­mo pri­mus, der in dem Au­gen­blick, in dem das Mes­ser ein­mal an­ge­setzt wä­re, so­gleich in der Hand zu wir­ken an­fan­ge und ihr ei­ne mehr als ge­wöhn­li­che Kraft ver­lei­he.

Vor al­lem kam es ihm dar­auf an, die Glaub­wür­dig­keit der Ka­tha­ri­na zu ver­däch­ti­gen. Ganz be­son­ders aber such­te er bei den Ge­gen­über­stel­lun­gen auf die Zeu­gen ein­zu­wir­ken, in­dem er ein­mal ihr Mit­leid zu er­re­gen, ein an­der­mal sie durch Ge­füh­le der Ehr­furcht für sei­nen hei­li­gen Stand zu be­ein­flus­sen und ih­nen end­lich durch ei­ne ge­mach­te Amts­wür­de und sal­bungs­vol­le Pre­dig­ten zu im­po­nie­ren such­te. Ge­lan­gen ihm al­le sei­ne Küns­te nicht, so ver­däch­tig­te er die Zeu­gen und rief in hei­li­gem Zorn über die Ver­rucht­heit der Men­schen al­le Stra­fen des Him­mels auf ihr Haupt her­ab. Als er einst von den Zeu­gen bis zur Evi­denz der Un­wahr­heit über­führt war und sei­ne Küns­te ihn ver­lie­ßen, rief er mit fun­keln­den Au­gen aus: » Quis con­tra tor­ren­tem! Wenn drei­ßig­tau­send Men­schen da­stän­den und sag­ten, der Teu­fel sei weiß, so wer­de ich doch al­le­zeit be­haup­ten, der Teu­fel sei schwarz, so wie ich auch jetzt be­haup­ten muß, daß ich die Wahr­heit  ge­re­det ha­be, und nicht je­ne.« Da­bei ver­si­cher­te er oft, sein Ge­müt glei­che ei­ner Tau­be oh­ne Gal­le, und er wün­sche dem Rich­ter nur ei­nen Zau­ber­spie­gel, in dem er die Rein­heit sei­ner See­le le­sen kön­ne. Ja, einst gab er fol­gen­de wört­li­che Er­klä­rung: »Mein Herz schau­dert bei ei­ner sol­chen Be­schul­di­gung. Um zu be­grei­fen, wie un­wahr­schein­lich sie ist, bit­te ich, nur ein­mal mei­nen pries­ter­li­chen Cha­rak­ter zu er­wä­gen. Ich ha­be ge­wußt, daß der Pries­ter durch Mord so­gleich ir­re­gu­la­ris wird, ex­com­mu­ni­ca­tio­nem ma­jo­rem is­po fac­to il­la­tam in­cur­re­re, und daß Da­vid die Schuld am To­de des Uri­as teu­er ge­büßt hat und nicht mehr wür­dig war, den Tem­pel­bau zu be­gin­nen. Wie wä­re es nun mög­lich, daß ich, in­dem ich Gott, See­le und Se­lig­keit und ewi­ge und zeit­li­che Straf­ge­rich­te ver­gaß, mit Hän­den, die noch von un­schul­di­gem Blu­te rauch­ten, mich in das Hei­lig­tum des Herrn hät­te hin­ein­wa­gen, die Ge­heim­nis­se der Re­li­gi­on hät­te aus­spen­den und mich so hät­te von Ab­grund zu Ab­grund stür­zen kön­nen?«

Da es nutz­los ge­we­sen war, an den Ver­stand des An­ge­schul­dig­ten zu ap­pel­lie­ren, wand­te der Rich­ter sich nun an sein Herz und an sei­ne Ein­bil­dungs­kraft. Am Al­ler­see­len­ta­ge 1815, dem Ta­ge, an dem acht Jah­re vor­her der Mord be­gan­gen wor­den war, wur­de nach­mit­tags um vier Uhr das acht­und­acht­zigs­te Ver­hör er­öff­net. Es zog sich bis in die Nacht hin. Riem­bau­er blieb un­er­schüt­ter­lich. Da re­de­te ihm der Rich­ter noch ein­mal ein­dring­lich zu Her­zen und hob plötz­lich ein Tuch auf, un­ter dem auf ei­nem schwar­zen Kis­sen ein To­ten­kopf lag, an dem zwei Rei­hen der schöns­ten Zäh­ne noch deut­lich zu er­ken­nen wa­ren.

Riem­bau­er sprang em­por, riß die Au­gen auf, starr­te den Rich­ter an, lä­chel­te dann wie ge­wöhn­lich, trat rasch  drei Schrit­te zur Sei­te, um dem Schä­del nicht in die dro­hen­den Au­gen­höh­len se­hen zu müs­sen, faß­te sich aber bald wie­der, und in­dem er zwei­mal von der Sei­te her auf den Schä­del zeig­te, sprach er: »Mein Ge­wis­sen ist ru­hig. Wenn die­ser To­ten­kopf hier re­den könn­te, wür­de er sa­gen: Riem­bau­er ist mein Freund, er war nicht mein Mör­der. – – Ich füh­le mich – ich brau­che nicht Luft zu schöp­fen; aber das schmerzt mich, daß ich so ei­nem Ver­dacht aus­ge­setzt wer­de und mir so Schlim­mes zur Last ge­legt wird. Mor­gen (Riem­bau­er ver­leg­te ab­sicht­lich von An­fang an den Mord­tag auf den fol­gen­den Tag, den 3. No­vem­ber, um auch da­durch die Ge­nau­ig­keit der Aus­sa­ge Ka­tha­ri­nens zu ver­däch­ti­gen), mor­gen jährt es sich, daß ich, als ich von Pirk­wanz zu­rück­kehr­te, nicht nur wie heu­te die­sen To­ten­kopf, son­dern den gan­zen Kör­per tot in mei­nem Zim­mer fand. Als Staats­bür­ger be­darf ich im­mer der Gna­de Sr. Ma­jes­tät, aber als Ver­bre­cher be­darf ich ih­rer nicht.« Am Schluß der Ver­hand­lung führ­te ihn der Rich­ter noch ein­mal vor den To­ten­kopf. Sein in­ne­rer Kampf war fühl­bar, aber mit heuch­le­ri­schem Lä­cheln und in fei­er­li­chem To­ne sprach er zu dem Schä­del: »O, wenn du spre­chen könn­test, so wür­dest du mei­ne Aus­sa­ge be­stä­ti­gen.«

Die Ak­ten um­faß­ten, als sie im Ok­to­ber 1816 zur Ver­hand­lung ein­ge­sandt wur­den, zwei­und­zwan­zig Fo­lio­bän­de. Als dar­auf im Ok­to­ber 1817 in der ach­ten Sit­zung mit Er­stat­tung des Haupt­vor­tra­ges an­ge­fan­gen wor­den war, wur­de er durch ei­ne Mel­dung des un­ter­su­chen­den Ge­richts un­ter­bro­chen. Riem­bau­er hat­te zwar nicht be­kannt, aber die Aus­sa­ge ver­än­dert, je­den­falls um das Ur­teil zu ver­zö­gern. Er ha­be den Hei­li­gen Geist um vol­le Er­in­ne­rung an­ge­fleht, sag­te er, und die­ser ha­be ihm ge­zeigt, daß er sich ge­irrt ha­be. Er ha­be nicht aus ei­ge­ner Wis­sen­schaft ge­spro­chen,  als er die Ka­tha­ri­na ent­schul­dig­te, jetzt er­in­ne­re er sich ge­nau, daß er ei­nes Ta­ges von ei­ner Frau W. ge­hört ha­be, ei­ne ge­wis­se Ka­tha­ri­na Schmidt ha­be ihr ei­ne Äu­ße­rung der Mag­da­le­na Frau­en­knecht mit­ge­teilt, nach der nicht die­se, son­dern ganz al­lein ih­re Mut­ter die Eich­städ­ter er­mor­det ha­ben soll­te.

Die Un­ter­su­chung be­gann aufs neue, wur­de aber wie­der durch ei­nen Zwi­schen­fall un­ter­bro­chen.

Ein Ju­de, der ei­nen Mord be­gan­gen hat­te und den selt­sa­men Na­men Lamm­fromm führ­te, wur­de zur Hin­rich­tung ab­ge­führt. Es ge­schah am 20. No­vem­ber. Riem­bau­er sah ihn von sei­nem Ge­fäng­nis aus den Weg zum Scha­fott an­tre­ten. Sei­ne Stand­haf­tig­keit, sei­ne Ru­he und sei­ne Hei­ter­keit be­frem­de­ten ihn. Als er sei­ne Ver­wun­de­rung dar­über äu­ßer­te, wie ein Mör­der, und noch da­zu ein Ju­de, zu ei­ner sol­chen Freu­dig­keit im Ster­ben ha­be ge­lan­gen kön­nen, ant­wor­te­te man ihm, Lamm­fromm sei erst von dem Au­gen­blick an, da er auf­rich­tig be­kannt und sich mit sei­nem Ge­wis­sen aus­ge­söhnt ha­be, in die­se Stim­mung ver­setzt wor­den, die ihn dann bis zu sei­nem To­de nicht ver­las­sen ha­be.

Riem­bau­er wur­de von nun an un­ru­hig, er aß und trank we­nig und ließ um ein Ver­hör bit­ten, weil er an ei­ner Krank­heit sei­nes Ge­wis­sens lei­de, »die viel­leicht durch ei­ne auf­rich­ti­ge Beich­te ge­heilt wer­den kön­ne«. Im Ver­hör, es war ge­ra­de das hun­derts­te, fiel er auf die Kniee nie­der und sprach dann da­von, daß er das Le­ben satt ha­be, und von al­ler­hand Vi­sio­nen, die ihn wäh­rend der Nacht plag­ten. Auf die Be­mer­kung des Rich­ters, daß die Ur­sa­che sei­ner Ge­müts­zer­rüt­tung nur in sei­ner ei­ge­nen Schuld zu su­chen sei, ant­wor­te­te er je­doch, nein, nur die schlaf­lo­sen Näch­te sei­en Ur­sa­che sei­ner Er­mat­tung, die Ge­schich­te sei so ge­we­sen, wie er sie er­zählt ha­be. Der Rich­ter streng­te nun  sei­ne letz­te Kraft an, ihn zu be­we­gen, daß er durch ein un­um­wun­de­nes Ge­ständ­nis der Wahr­heit end­lich ein­mal sein Herz er­leich­tern mö­ge. Da brach die Rin­de. Er be­kann­te, nach­dem er um den Schutz der Re­gie­rung für sei­ne un­schul­di­gen Kin­der und für sei­ne letz­te Kö­chin ge­fleht hat­te: »Ich bin es, der die An­na Eich­städ­ter ums Le­ben ge­bracht hat.«

Sein neu­es Be­kennt­nis, das er in drei­zehn fol­gen­den Ver­hö­ren wie­der­hol­te, be­rich­tig­te und er­gänz­te, stimmt frei­lich im all­ge­mei­nen mit dem über­ein, was wir aus der Aus­sa­ge der Ka­tha­ri­na Frau­en­knecht be­reits wis­sen, es ist aber psy­cho­lo­gisch von sol­cher Wich­tig­keit, daß wir es im we­sent­li­chen hier auf­füh­ren müs­sen.

Die Eich­städ­ter hat­te ihm durch Mahn- und Droh­brie­fe, vor al­lem aber durch ihr Ver­lan­gen, sie als Pfarr­kö­chin ins Haus zu neh­men, ei­nen sol­chen Schre­cken ein­ge­jagt, daß er be­fürch­te­te, durch ih­re lei­den­schaft­lich un­be­son­ne­ne Zu­dring­lich­keit vor al­ler Welt ent­larvt, um Eh­re und gu­ten Na­men ge­bracht, viel­leicht so­gar ab­ge­setzt oder we­nigs­tens von der Be­för­de­rung aus­ge­schlos­sen zu wer­den. Al­le sei­ne Vor­stel­lun­gen hal­fen nichts. Sei­ne Eh­re, sein Stand, sein öf­fent­li­ches An­se­hen, al­les, was ihm hei­lig und teu­er sein muß­te, war durch die An­kunft der Eich­städ­ter in Ober­lau­ter­bach be­droht. Da fiel ihm der Grund­satz des Pa­ter Be­ne­dikt Statt­ler in des­sen Ethi­ca chris­tia­na ein, nach dem er­laubt ist, ei­nem an­de­ren das Le­ben zu neh­men, wenn man sei­ne ei­ge­ne Eh­re und sei­nen ei­ge­nen gu­ten Ruf nicht an­ders zu ret­ten ver­mag, denn die Eh­re sei noch ein hö­he­res Gut als das Le­ben, und ge­gen den­je­ni­gen, der un­se­re Eh­re an­greift, müs­se uns das glei­che Recht zur Not­wehr zu­ste­hen wie ge­gen ei­nen Räu­ber. Er dach­te nun über die­sen Grund­satz nach, den der Pro­fes­sor Statt­ler ihm als jun­gem Geist­li­chen in sei­nen Lek­tio­nen ex­pli­ziert  hat­te, fand, daß er ganz auf sei­nen Fall paß­te, und mach­te sich ein dic­ta­men prac­ti­cum dar­aus. Mei­ne Eh­re, dach­te er sich, geht durch die Eich­städ­ter, wenn sie nach Lau­ter­bach kommt und ih­re Dro­hun­gen wahr macht, ver­lo­ren, ich wer­de vom Kon­sis­to­ri­um re­mo­viert, auch mein gan­zes Ver­mö­gen ist dann ver­lo­ren, und mein Ruf in der Diö­ze­se ist da­hin. Schon seit dem Auf­tritt bei Kumpf­mühl bis zu An­kunft der Eich­städ­ter am 2. No­vem­ber 1807 hat­te er oft über je­nen Statt­ler­schen Grund­satz nach­ge­dacht, aber es blieb al­les noch Idee, und er dach­te noch nicht an die Art und Wei­se sei­ner An­wen­dung.

Da nah­te der ver­häng­nis­vol­le No­vem­ber 1807, in dem Riem­bau­er der Eich­städ­ter drei­ßig Gul­den Kost­geld für ihr Kind vor­aus­be­zah­len soll­te, aber kei­nen Kreu­zer, son­dern nur Schul­den hat­te. Je­den Au­gen­blick muß­te er er­war­ten, daß sie kom­men wür­de. Am Al­ler­see­len­ta­ge nun, als er abends mit der Mag­da­le­na Rü­ben vom Fel­de nach Hau­se fuhr, sah er zu sei­nem größ­ten Schre­cken wirk­lich die Eich­städ­ter in den Tho­mas­hof tre­ten. Er traf sie in der un­te­ren Stu­be und nahm sie nach ei­ner kur­zen Un­ter­re­dung mit hin­auf. Ei­nen Au­gen­blick dach­te er dar­an, sie über die Trep­pe hin­ab­zu­wer­fen. Da ihm aber ein­fiel, daß sie durch den Fall nur et­was bre­chen und das Übel noch är­ger wer­den könn­te, un­ter­ließ er es und nahm sie mit in sein Zim­mer.

Die Eich­städ­ter er­klär­te ihm hier, sie wol­le jetzt ein für al­le­mal wis­sen, wor­an sie sei; sie ver­lan­ge, daß er sie als Kö­chin auf­neh­me und die Mag­da­le­na ent­las­se. Aber auch nach­dem er ihr sei­ne Ver­hält­nis­se und die Un­mög­lich­keit, ihr Ver­lan­gen zu er­fül­len, aus­ein­an­der­ge­setzt hat­te, so um­ständ­lich und so ein­dring­lich er konn­te, be­stand sie auf ih­rem Wil­len. Da ging er hin­un­ter, an­geb­lich um Bier zu ho­len, in Wahr­heit aber, um sein Ra­sier­mes­ser und ein  Brot­mes­ser zu sich zu ste­cken. An die­ser Stel­le aber nimmt der Ver­bre­cher noch in sei­nem letz­ten Be­kennt­nis zu ei­ner höchst un­wahr­schein­li­chen und un­mo­ti­vier­ten Lü­ge sei­ne Zu­flucht, um we­nigs­tens ei­nen Teil der Schuld von sich auf ei­ne To­te ab­zu­wäl­zen. Er sagt, die Mag­da­le­na ha­be ihn in der Un­ter­stu­be drin­gend auf­ge­for­dert, die Eich­städ­ter zu er­mor­den.

Ei­ne ganz ge­naue Er­zäh­lung des ei­gent­li­chen Mord­fal­les hat man aus Riem­bau­ers Mun­de nicht er­hal­ten. Er warf ein­zel­ne Mo­men­te zu­sam­men, um das Gräß­li­che des Vor­falls ab­zu­schwä­chen. Wahr­schein­lich such­te er, als er wie­der in die Ober­stu­be trat, die To­ben­de zu be­schwich­ti­gen, schmei­chel­te ihr durch freund­li­che Wor­te, bog ih­ren Kopf mit ei­ner Ge­bär­de, als ob er sie küs­sen wol­le, rück­wärts und be­gann dann sein grau­si­ges Werk, Auch jetzt, er­klär­te er, sei ihm der Grund­satz des Pa­ter Statt­ler wie­der ein­ge­fal­len. Er er­griff zu­erst das Brot­mes­ser und stieß es der Ah­nungs­lo­sen in den Hals. Als er zu star­ken Wi­der­stand fand, hielt er sie von hin­ten beim Hal­se fest, schlug sie un­er­war­tet auf den Kopf und steck­te ihr den Fin­ger in den Mund, um sie zu er­dros­seln. Da­bei rief er ihr zu: »Mach Reu und Leid, du mußt ster­ben.« Sie bat ihn fle­hent­lich um ihr Le­ben. Er aber »nahm nun das Ra­sier­mes­ser aus der Ta­sche, brach­te, in­dem er die Eich­städ­ter von hin­ten um­arm­te, mit der rech­ten Hand die Schnei­de an ih­ren Hals und half mit der lin­ken Hand das Mes­ser mit der Fin­ger­spit­ze in die Gur­gel ein­drü­cken.« Sie stand noch drei bis vier Mi­nu­ten, nach­dem er das Mes­ser hat­te fal­len las­sen, ganz auf­recht da. Er fleh­te sie an: »Ma­ri­andl, ich bit­te dich und Gott um Ver­zei­hung. Du woll­test es sel­ber so. Bit­te zu Gott um Ver­zei­hung dei­ner Sün­den, und ich ge­be dir die Ab­so­lu­ti­on.«

Er gab ihr die Ab­so­lu­ti­on als in ca­su ne­ces­si­ta­tis. Nun bra­chen ihr die Kniee, er faß­te sie rück­lings in bei­de Ar­me und ließ sie sanft auf den Bo­den nie­der, da­mit sie nicht fal­le. Dann sprach er der Lie­gen­den noch geist­li­che Trost­sprü­che zu, bis sie mit den Fü­ßen zu zap­peln an­fing und ih­re Le­bens­geis­ter ent­flo­hen. Dar­auf stieg er die Trep­pe hin­un­ter und be­fahl den Frau­en­knecht­schen das tiefs­te Schwei­gen.

Als er sich die Hän­de wa­schen woll­te, hör­te er, wie oben das Zap­peln und Tram­peln wie­der be­gann. Ei­ne der Frau­en rief: »Je­sus Ma­ria! Die wird wie­der le­ben­dig.« Er sprang so­gleich wie­der die Trep­pe hin­an, fiel von neu­em über sie her und dreh­te ihr die Hals­bin­de en­ger zu­sam­men, um ih­ren Tod zu be­schleu­ni­gen und ih­re Lei­den ab­zu­kür­zen.

Nach sei­ner Aus­sa­ge blieb der Leich­nam den gan­zen fol­gen­den Tag auf sei­nem Zim­mer lie­gen, und erst in der Nacht zum 4. No­vem­ber wur­de die Er­mor­de­te im Sei­ten­käm­mer­chen des Sta­dels be­gra­ben. Er selbst grub das Loch. Mag­da­le­na und ih­re Mut­ter hal­fen ihm den Leich­nam auf ei­ner Mist­tra­ge von oben bis in den Sta­del zu tra­gen. Es ist mög­lich, daß Ka­tha­ri­na, die den Vor­gang von un­ten her be­ob­ach­te­te, nur den Pfar­rer sah, da der vor­an­ging. Riem­bau­er selbst schil­dert die­se Be­gräb­nis­sze­ne so: »Das für den Leich­nam ge­gra­be­ne Loch schien zu kurz und zu flach, wes­halb der Kopf und die Ar­me, die in ei­ner bit­ten­den Stel­lung steif ge­wor­den wa­ren, noch weit aus dem dar­über­ge­brei­te­ten Sand her­her­vor­rag­ten. Ich trat da­her mit bei­den Fü­ßen auf Kopf und Leib des Leich­nams und ging mit al­ler Ge­walt mei­nes Kör­pers auf ihm um­her, wo­bei ich im Leib der To­ten ein dump­fes Knur­ren ver­nahm.« Er be­deck­te den Leich­nam noch ein­mal mit Sand, und ei­ne Wei­le spä­ter warf er noch  ei­ne An­zahl Zie­gel­bro­cken über das Loch, da sich ei­ner sei­ner Dre­scher, der in das Käm­mer­chen ge­gan­gen war, an den her­aus­ra­gen­den Hän­den ge­sto­ßen hat­te und das auch Riem­bau­er selbst ein­mal be­geg­net war. Im Früh­jahr trug er des­halb mit der Mag­da­le­na üb­rig­ge­blie­be­nen Bau­sand in die Kam­mer und eb­ne­te da­mit den Bo­den. Nun erst stör­te ihn die Eich­städ­ter nicht mehr.

Ei­ner der Schu­he der Er­mor­de­ten war beim Her­ab­tra­gen auf den Bo­den ge­fal­len. Er hat­te ihn in klei­ne Stü­cke zer­hackt und auf den Dün­ger­hau­fen ge­wor­fen. Den Re­gen­schirm des Pfar­rers, den die Elch­städ­ter mit­ge­bracht hat­te, hat­te er zu sich ge­nom­men, eben­so ih­re sil­ber­ne Flor­schnal­le und ih­ren Geld­beu­tel mit et­wa zwei Gul­den.

Zum Schluß sag­te er: »Sonst weiß ich über die trau­ri­ge Ge­schich­te nichts mehr an­zu­füh­ren als mei­nen Jam­mer und mein stil­les Leid, und daß ich öf­ters für die Eich­städ­ter Mes­sen ge­le­sen ha­be.«

Von ei­ner wahr­haf­ten Her­zens­zer­knir­schung und auf­rich­ti­gen Reue aber fand sich in sei­nen Be­kennt­nis­sen kei­ne Spur. Mit je­sui­ti­schen Kunst­stü­cken such­te er den Mord vor sich selbst zu recht­fer­ti­gen: sei­ne Hän­de sei­en durch Schre­cken, Furcht und Fas­sungs­lo­sig­keit re­giert wor­den, und auf die­se Wei­se sei der Mord zu­stan­de ge­kom­men, oh­ne daß die Ver­nunft da­bei ei­ne Stim­me ge­habt ha­be. Auch mit dem von ihm an­ge­führ­ten Statt­ler­schen Grund­sat­ze wuß­te er die­se wil­len­lo­se Hand­lung in Ein­klang zu brin­gen, denn die­ser Grund­satz hät­te sei­ne Ver­nunft ein­ge­schlä­fert, sag­te er, und zwar so sehr, daß al­le wei­te­ren Hand­lun­gen rein me­cha­nisch vor sich ge­gan­gen sei­en. Er be­müh­te sich, dar­zu­tun, daß er im Grun­de ge­nom­men ei­nen gu­ten Zweck im Au­ge ge­habt ha­be, al­so kön­ne sei­ne Tat ei­gent­lich kein Ver­bre­chen sein. »Ich hat­te kei­ne an­de­re Ab­sicht, als den öf­fent­li­chen Skan­dal zu ver­hü­ten, den vie­len  Sün­den und Übeln vor­zu­beu­gen, die, wenn das Volk da­von er­fah­ren hät­te, hät­ten ent­ste­hen müs­sen, und die Ach­tung vor mei­nem ehr­wür­di­gen Stand und die Eh­re des Kle­rus auf­recht zu er­hal­ten. Hät­te ich bei dem Vol­ke nicht in so ho­hem An­se­hen ge­stan­den, so hät­te ich mir ei­ne Bloß­stel­lung eher ge­fal­len las­sen kön­nen. So aber konn­te ich vor­aus­se­hen, daß die Ent­de­ckung mei­ner Ver­bre­chen ei­ne Men­ge Übel zur Fol­ge ha­ben wer­de. Nun wür­den sich die Men­schen man­cher­lei Sün­den er­laubt, man­che wür­den nicht mehr an Gott ge­glaubt, an­de­re dies und je­nes nicht mehr für so hoch und hei­lig ge­ach­tet ha­ben. Da ich die­se mei­ne Ab­sicht auf kei­ne an­de­re Wei­se als durch Er­mor­dung der Eich­städ­ter zu er­rei­chen wuß­te, so räum­te ich sie eben hin­weg; die­se Tat war al­so nur das Mit­tel zur Er­rei­chung mei­nes gu­ten Zwecks. Ich kann da­her un­mög­lich glau­ben, daß mei­ne Ab­sicht ein Ver­bre­chen sei, in­dem ich mein öf­fent­li­ches An­se­hen so­wie die Ach­tung des Kle­rus zu er­hal­ten und den öf­fent­li­chen Skan­dal zu ver­mei­den such­te.«

Al­so zum Ruh­me Got­tes und der Kir­che wur­de er ein Mör­der, und zum glei­chen Zwe­cke leug­ne­te er vier Jah­re lang sei­ne Tat ab, wie er selbst ge­stand. »Nach­dem ich es aber«, sag­te er wei­ter aus, »als ei­ne Be­stim­mung Got­tes ein­se­hen ge­lernt hat­te, daß mei­ne Tat von mir selbst ent­deckt wer­den soll­te, so gab ich al­les zu.« Ja die­ses Leug­nen hielt er so­gar noch für ein ver­dienst­vol­les Ver­hal­ten. »Ich glau­be des­we­gen Scho­nung zu ver­die­nen, weil ich mei­ne Hand­lun­gen so ein­rich­te­te, daß sie kein öf­fent­li­ches Är­ger­nis ga­ben.«

Was nun die zwei­te An­schul­di­gung be­trifft, die die jun­ge Ka­tha­ri­na Frau­en­knecht ge­gen den Pfar­rer er­ho­ben hat­te, daß er näm­lich ih­re Schwes­ter und ih­re Mut­ter durch Gift aus der Welt ge­schafft ha­be, so blieb sie so fest da­bei  wie bei der an­de­ren durch Riem­bau­ers end­li­ches Ge­ständ­nis in al­len Haupt­um­stän­den er­wie­se­nen An­kla­ge. Mag­da­le­na und ih­re Mut­ter wa­ren be­kannt­lich bei­de plötz­lich im Jah­re 1809 er­krankt und ers­te­re nach drei, die an­de­re nach acht Ta­gen ge­stor­ben. Es war auch er­wie­sen, daß Riem­bau­er nur un­wis­sen­de Quack­sal­ber zu Ra­te ge­zo­gen und der Mag­da­le­na die Arz­nei selbst ge­reicht hat­te. Als man im De­zem­ber 1813 die Leich­na­me auf dem Kirch­ho­fe zu Priel aus­grub, zeig­ten sich an bei­den auf­fäl­li­ge Er­schei­nun­gen. Das Ge­hirn der Mag­da­le­na war nur ein­ge­schrumpft und bei­na­he so gut er­hal­ten wie das ei­ner fri­schen Lei­che; das Mus­kel­fleisch in der Bauch­höh­le war zu ei­ner zä­hen, bast­ar­ti­gen, noch fa­se­ri­gen Mas­se zu­sam­men­ge­schrumpft wie bei ei­ner Mu­mie. Al­les das er­in­ner­te an die Kenn­zei­chen ei­ner Ar­se­nik­ver­gif­tung, wie man sie et­wa bei den Lei­chen im Ursi­nus­schen Fal­le wahr­ge­nom­men hat­te. Aber bei der che­mi­schen Un­ter­su­chung des klei­nen Res­tes der Ein­ge­wei­de konn­te man kei­ne Spur von Gift ent­de­cken. Das Me­di­zi­nal­kol­le­gi­um sprach sich in sei­nem Gut­ach­ten da­hin aus, daß bei­de Per­so­nen, wie die wäh­rend ih­rer Krank­heit be­ob­ach­te­ten Er­schei­nun­gen zeig­ten, ei­nes na­tür­li­chen To­des ge­stor­ben sei­en. Ein Ner­ven­fie­ber ha­be da­mals in der gan­zen Do­nau­ge­gend ge­wü­tet, und in der Pfarr­ge­mein­de Priel sei­en fünf­zehn Per­so­nen be­fal­len ge­we­sen. Wahr­schein­lich ha­be ein ös­ter­rei­chi­scher Sol­dat, der im Pfarr­ho­fe von Mut­ter und Toch­ter aus Mit­leid ver­pflegt wor­den sei, die bei­den Frau­en an­ge­steckt. Vor die­sem Gut­ach­ten muß­ten die In­di­zi­en zu­rück­tre­ten. Riem­bau­er selbst leug­ne­te na­tür­lich al­les, ob­wohl die Mo­ti­ve zu ei­ner sol­chen Tat na­he ge­nug la­gen. Auch die An­ga­be Ka­tha­ri­nas, daß er ihr eben­falls nach dem Le­ben ge­trach­tet ha­be, wur­de durch kei­ner­lei tat­säch­li­che An­halts­punk­te un­ter­stützt und höchs­tens noch wahr­schein­lich  ge­macht durch den Be­weg­grund, den man für die Tat an­neh­men konn­te: auch die­se letz­te Mit­wis­se­rin aus dem We­ge zu räu­men. Um dem Rich­ter ei­nen Be­weis sei­ner Auf­rich­tig­keit zu ge­ben, be­kann­te da­ge­gen Riem­bau­er mit zu­vor­kom­men­der Be­reit­wil­lig­keit, daß er zwei­en sei­ner Ge­lieb­ten, dar­un­ter auch sei­ner letz­ten Kö­chin – die es je­doch leug­ne­te – Mit­tel zur Ab­trei­bung ih­rer Lei­bes­frucht ge­ge­ben ha­be. Sein und ihr Ge­wis­sen hat­te er je­doch da­mit be­ru­higt, daß ein Kind in den ers­ten Mo­na­ten der Schwan­ger­schaft nach der Auf­fas­sung des Ka­no­ni­schen Rechts noch als kein foe­tus ani­ma­tus zu be­trach­ten sei. Eben­falls um sei­ne Auf­rich­tig­keit zu be­wei­sen und zu­gleich den Satz zu er­läu­tern, daß Ge­dan­ken­sün­den kei­ne Ver­bre­chen sei­en, ge­stand er, daß ihm ein­mal der Ge­dan­ke ge­kom­men sei, ei­nem Wir­te, der ihm ein Dar­le­hen ver­wei­ger­te, das Haus weg­zu­bren­nen. Dann ha­be er auch ein­mal zu Gott ge­be­tet, daß er ei­nen Men­schen, den er haß­te, tö­ten möch­te. Gott ha­be sein Ge­bet er­hört, und der Mensch sei wirk­lich ge­stor­ben.

Der an der Eich­städ­ter be­gan­ge­ne Mord blieb der Haupt­ge­gen­stand der rich­ter­li­chen Ent­schei­dung ge­gen den Ver­bre­cher. Man soll­te mei­nen, hier hät­ten kei­ne Be­den­ken ob­ge­wal­tet, da al­les klar er­mit­telt war, Tat, Tä­ter, Mo­tiv, da bei vol­lem Ge­ständ­nis kein Ge­gen­be­weis ver­sucht und kein Ali­bi auf­ge­stellt wor­den war und Riem­bau­ers gan­ze Ver­tei­di­gung auf sei­ner je­sui­ti­schen Lo­gik be­ruh­te. Auch die Zeu­gen­aus­sa­gen stimm­ten völ­lig mit dem Ge­ständ­nis des Mör­ders über­ein und schlos­sen die Mög­lich­keit ei­ner fal­schen Selbst­an­kla­ge oder ei­ner durch ei­ne auf­ge­reg­te Phan­ta­sie her­vor­ge­brach­ten Ir­rung un­be­dingt aus. Zu al­lem Über­fluß hat­te man die Lei­che ge­fun­den, und zwar in der Stel­lung, die der Mör­der selbst be­zeich­net hat­te.

So fehl­te al­so nichts zur Fest­stel­lung des gan­zen Tat­be­stan­des des Ver­bre­chens als die förm­li­che Ob­duk­ti­on der Lei­che, wie sie das Ge­richts­ver­fah­ren vor­schrieb. Da der Leich­nam aber über sechs Jah­re in feuch­tem Bo­den be­gra­ben ge­le­gen hat­te und nichts als das Ge­rip­pe und selbst das nicht ganz voll­stän­dig üb­rig­ge­blie­ben war, konn­te nicht mehr er­mit­telt wer­den, ob die ei­gent­li­che Tö­tung durch Ab­schnei­den des Hal­ses oder durch Er­dros­se­lung er­folgt sei.

Die­ser Man­gel er­schien den er­ken­nen­den Ge­rich­ten in Bay­ern so wich­tig, daß Franz Sa­les Riem­bau­er so­wohl in ers­ter als auch in zwei­ter In­stanz (1818) zwar als des Mor­des schul­dig er­kannt, aber nicht zum To­de, son­dern zur Fes­tungs­stra­fe auf un­be­stimm­te Zeit ver­ur­teilt wur­de. Die zwei­te In­stanz ver­schärf­te nur den Grad der Fes­tungs­stra­fe.

Feu­er­bach hat sich in sei­ner aus­ge­zeich­ne­ten Dar­stel­lung die­ses Fal­les der Mü­he un­ter­zo­gen, den Be­weis zu füh­ren, wie in dem Ver­fah­ren der Man­gel ei­ner förm­li­chen Lei­chen­schau durch das ei­ge­ne Be­kennt­nis des Ver­bre­chers in Ver­bin­dung mit den an­de­ren Be­wei­sen auf das voll­kom­mens­te er­setzt und da­durch die­je­ni­ge Ge­wiß­heit er­langt wor­den sei, die den Rich­ter be­rech­tig­te, den An­ge­klag­ten zur or­dent­li­chen Stra­fe zu ver­ur­tei­len. Wir glau­ben vor un­se­ren ju­ris­ti­schen wie vor un­se­ren nicht­ju­ris­ti­schen Le­sern die­ser Aus­füh­rung über­ho­ben zu sein. Wenn der Tod ei­ne Stra­fe für den voll­brach­ten Mord ist, wel­cher Mör­der hät­te ihn dann voll­stän­di­ger ver­dient als Franz Sa­les Riem­bau­er, gleich­viel ob der Tod sei­nes Op­fers durch den Schnitt in die Gur­gel oder durch das spä­te­re Er­wür­gen er­folgt ist, und das al­lein ist es, was über­haupt zwei­fel­haft blieb. In bei­den Fäl­len hat­te Riem­bau­er den fes­ten und  be­stimm­ten Wil­len, die Eich­städ­ter um­zu­brin­gen, und das Re­sul­tat war, daß sie un­ter sei­nen Hän­den starb.

Noch viel selt­sa­mer aber mu­tet der zwei­te Grund an, den auch der Rich­ter der zwei­ten In­stanz an­führ­te, wenn er die or­dent­li­che Stra­fe aus­schloß, »weil Riem­bau­er sonst als Ver­bre­cher nicht be­rüch­tigt und der­sel­be nicht kraft be­son­de­rer, hin­rei­chend er­wie­se­ner, nicht aus dem Ge­ständ­nis­se des In­qui­si­ten selbst, son­dern an­ders­wo­her er­hel­len­der Um­stän­de mit Be­stimmt­heit als ei­ne Per­son zu be­trach­ten ist, zu wel­cher man sich ei­nes Mor­des ver­se­hen kann.« Zu wem kann man sich denn dann ei­nes be­stimm­ten Ver­bre­chens ver­se­hen, wenn die Ta­ten und Ge­sin­nun­gen ei­nes Riem­bau­er die­sen nicht als fä­hig be­zeich­nen, ein Ver­bre­chen zu be­ge­hen? Wenn ein Erb­schlei­cher in Ver­dacht des Va­ter­mor­des ge­rät, muß er denn dann schon frü­her ein­mal sei­nen Va­ter er­mor­det ha­ben, da­mit man ihn für fä­hig hal­ten kann, die Tat zu be­ge­hen?

Es be­darf kei­nes Wor­tes mehr dar­über, daß für die­ses Ver­bre­chen die or­dent­li­che Stra­fe in ih­rer gan­zen Schwe­re ge­recht­fer­tigt ge­we­sen wä­re.

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