Der Wert eines Dollars

Der Richter des Bundesgerichts im Bezirk an der Rio Grande Grenze fand eines Morgens folgenden Brief in seiner Post: RICHTER, als Sie mich für vier Jahre in den Knast schickten, ließen Sie noch ein paar Sprüche vom Stapel. Unter anderen harten Sachen nannten Sie mich eine Klapperschlange. Vielleicht bin ich wirklich eine - wie auch immer, Sie können mich jetzt klappern hören. Ein Jahr nachdem ich ins Loch kam, starb meine Tochter - wie man sagt an Elend und Schande. Sie haben auch eine Tochter, Richter, und ich werde Ihnen zeigen, wie es sich anfühlt, wenn man sein Kind verliert. Und ich werde auch diesen Bezirksanwalt beißen, der mich angeklagt hat. Ich bin jetzt wieder raus und ich bin wohl wirklich eine Klapperschlange geworden. Ich fühle mich jedenfalls wie eine. Ich sag nicht . . . weiter lesen

Eine Zeitungsgeschichte

Um acht Uhr morgens lag sie an Guiseppis Zeitungskiosk, noch feucht von der Presse. Guiseppi schäkerte mit der Gewitztheit seinesgleichen an der anderen Ecke und überließ es seinen Kunden, sich selbst zu bedienen, ohne Zweifel aufgrund einer Theorie, die auf der Hypothese beruhte, dass ein bewachter Topf ein sicherer Topf sei. Diese spezielle Zeitung war ihrem Wesen und ihrer Philosophie nach ein Erzieher, ein Führer, ein Wächter, ein Vorkämpfer und ein Familienratgeber und Vademecum. Aus ihren vielen vorzüglichen Beiträgen wollen wir drei Leitartikel auswählen. Der eine richtete sich in einfacher, tugendhafter und doch klarer Sprache an Eltern und Lehrer und missbilligte die körperliche Züchtigung von Kindern. Der zweite richtete eine vorwurfsvolle und bedeutungsschwere Warnung . . . weiter lesen

Das letzte Blatt

In einem kleinen Bezirk westlich des Washington Square spielen die Straßen verrückt und weiten sich streckenweise zu etwas, das "Plätze" genannt wird. Diese "Plätze" formen seltsame Winkel und Biegungen. Und eine Straße kann sich selbst ein oder zwei Mal kreuzen. Irgendwann einmal entdeckte ein Künstler eine wertvolle Eigenschaft dieser Straßenführung. Er stellte sich einen Geldeintreiber mit einer Rechnung für Farben, Papier und Leinwand vor, wie er einer dieser Straße folgt und plötzlich sich selbst auf dem Rückweg wieder trifft, ohne einen Cent eingetrieben zu haben! Deshalb kam bald allerlei Künstlervolk in das urige alte Greenwich Village, stromerte umher, hielt Ausschau nach Nordfenstern, Giebeln aus dem 18. Jahrhundert, holländischen Söllern und niedrigen Mieten. Dann . . . weiter lesen

Der Lehrstuhl für Philanthropische Mathematik

»Ich lese hier gerade, dass die Sache der Bildung ein fürstliches Geschenk von mehr als fünfzig Millionen Dollar erhalten hat,« sagte ich. Ich überflog gerade die Schlagzeilen der Abendblätter, während Jeff Peters seine Bruyère-Pfeife mit Flaketabak stopfte. »Was nun wiederum nach einem neuen Blatt und eine Vorlesung in Philanthromathematik verlangt,« sagte Jeff. »Ist das eine Anspielung?« fragte ich. »Ganz recht,« bestätigte Jeff. »Ich habe dir wohl nie von der Zeit erzählt, als Andy Tucker und ich Philanthropen waren. Das war so vor acht Jahren in Arizona. Andy und ich fuhrwerkten mit einem zweispännigen Planwagen durchs Gila-Gebirge und suchten nach Silber. Und wir wurden fündig und verkauften es in Tucson für 25.000 $. Auf der Bank zahlten sie uns den Scheck in Silber . . . weiter lesen

Der Kaktus

Das Bemerkenswerteste an der Zeit ist, dass sie so ganz und gar relativ ist. Und wenn jemand sich dem Untergange nahe fühlt, ist es gar nicht undenkbar, dass er die ganze Zeit einer Brautwerbung Revue passieren lässt, während er sich die Handschuhe auszieht. Und das war genau das, was Trysdale tat, als er in seiner Jungesellenwohnung am Tisch stand. Auf dem Tisch stand eine exotisch aussehende grüne Pflanze in einem roten Tontopf. Sie gehörte zur Spezies der Kakteen und war ausgestattet mit langen, tentakelartigen Blättern, die sich in der leichtesten Brise fortwährend mit einer sonderbaren winkenden Bewegung wiegten. Trydales Freund, der Bruder der Braut, stand an einer Anrichte und beklagte sich, dass man ihn alleine trinken ließ. Beide Männer trugen Abendanzüge. Weiße Hochzeitsrosetten . . . weiter lesen

Das Geschenk der Weisen

Ein Dollar und siebenundachtzig Cent. Das war alles. Und sechzig Cents davon waren in Pennys. Pennys, die sie Cent für Cent dem Lebensmittelhändler, dem Gemüsehändler und dem Metzger abgerungen hatte, bis ihre Wangen glühten vor Schamesröte über den Verdacht der Knausrigkeit, den ein solch hartes Feilschen nun mal mit sich brachte. Dreimal zählte Della sie durch. Ein Dollar und siebenundachtzig Cent. Und morgen war Weihnachten. Da war einfach nichts weiter zu tun, als sich auf die abgewetzte Couch fallen zu lassen und zu heulen. Und das tat Della dann auch. Was uns zu der philosophischen Betrachtung führt, dass das Leben aus Schluchzen, Schniefen und Lächeln besteht, wobei das Schniefen überwiegt. Während die Hausherrin allmählich vom ersten in das zweite Stadium wechselt, wollen . . . weiter lesen

Die Dienstmarke von Officer O’Roon

Zweifellos kann es vorkommen, dass ein Mann und eine Frau, die sich zum ersten Mal sehen, sich augenblicklich ineinander verlieben. Diese Liebe auf den ersten Blick ist allerdings eine ziemlich gewagte Sache, solange sie ihn nicht in der Bradstreet und er sie nicht in Lockenwicklern zu Gesicht bekommen hat. Aber solche Dinge kommen nun einmal vor, und die folgende Geschichte mag als ein Beispiel dafür gelten. Im Spanisch-Amerikanischen Krieg ritt eine Truppe, die sich Gentle Riders nannte, in die Geschichtsbücher und ein oder zwei Hinterhalte. Die Gentle Riders rekrutierten sich aus dem Adel der wilden Männer aus dem Westen und den wilden Männern aus dem Adel der Ostküste. In ihren Uniformen unterschieden sie sich kaum voneinander und sie wurden rundum gute Freunde und Kameraden. Ellsworth . . . weiter lesen

Freunde in San Rosario – oder: Wenn der Revisor kommt

Der Zug in Richtung Westen traf pünktlich um 8 Uhr 20 morgens in San Rosario ein. Ein Mann mit einer dicken Ledermappe unter dem Arm stieg aus und ging schnell die Hauptstraße der Stadt hinauf. Noch andere Fahrgäste waren in San Rosario ausgestiegen, aber sie schlenderten entweder gemächlich zum Bahnhofsrestaurant oder in den Silber-Dollar-Saloon hinüber, oder sie gesellten sich zu den Müßiggängern vor dem Bahnhof. In den Bewegungen der Mannes mit der Aktenmappe lag kein Spur von Unschlüssigkeit. Er war von kleinem Wuchs, aber stark gebaut, mit sehr hellem, kurz geschnittenen Haar, einem glatten, entschlossenen Gesicht und einem angriffslustigen Goldrandkneifer auf der Nase. Er war gut gekleidet nach der herrschenden Ostküstenmode. Er verströmte eine ruhige doch stets präsente . . . weiter lesen

Die exakte Wissenschaft von der Ehe

"Wie ich dir schon gesagt, habe," sagte Jeff Peters, "in die Perfidie der Frauen habe ich noch nie viel Vertrauen gehabt. Als Partner oder Mitstreiter bei einer Gaunerei im besten Sinne kann man ihnen einfach nicht trauen." "Sie verdienen dieses Kompliment," sagte ich. "Ich glaube, sie werden völlig zu Recht das ehrbare Geschlecht genannt." "Warum auch nicht?" sagte Jeff. "Sie haben den anderen Teil der Menschheit dazu gebracht, für sie entweder Gaunereien zu begehen oder Überstunden zu schieben. Im Geschäftsleben funktionieren sie aber nur solange, bis entweder ihre Gefühle oder ihre Frisur durcheinander gebracht werden. Dann wünscht du dir einen, plattfüßigen, kurzatmigen Mann mit rotblondem Backenbart, fünf Kindern und einer Hypothek an ihrer Stelle. Da war zum . . . weiter lesen

Calloways Code

Der New Yorker Enterprise schickte H.B. Calloway als Sonderkorrespondenten in den russisch-japanischen Krieg. Zwei Monate lang hing Calloway in Yokohama und in Tokio herum und würfelte um Rikscha-Cocktails - oh nein, das ist nichts zum Fahren. Jedenfalls tat er nichts für das Gehalt, das ihm seine Zeitung zahlte. Aber das war nicht seine Schuld. Die kleinen gelben Männer, die die Fäden des Schicksals in den Fingern hielten, waren nicht bereit, den Lesern des Enterprise ihren Frühstücksschinken mit den Schlachten der Himmelssöhne zu würzen. Doch bald zog der Tross der Korrespondenten, die mit der Ersten Armee vorrückten, die Feldstecherriemen fester und folgte Kuroki zum Yalu. Mit dabei war auch Calloway. Dies ist nun nicht die Geschichte der Schlacht am Yalu. Die ist schon mit . . . weiter lesen

Mädchen

Auf der Scheibe der Tür zu Büro Nr. 962 stand in goldenen Lettern: "Robbins & Hartley, Makler". Die Angestellten waren schon weg. Es war nach fünf, und mit dem Getrampel einer Herde von preisgekrönten Kaltblütern drangen die Putzfrauen in das staubige zwanzigstöckige Bürogebäude ein. Ein Stoß glühend heißer Luft gewürzt mit dem Aroma von Zitronenschalen, dem Rauch von Braunkohle und Fischtran wehte durch die halboffenen Fenster herein. Robbins, ein Fünfzigjähriger, der etwas von einem übergewichtigen Schönling an sich hatte und ein Liebhaber von Premieren und Hotellobbies war, tat als beneide er seinen Partner um die Freuden seines Pendlerdaseins. "Werde heute Abend wohl irgendwas feucht-fröhliches unternehmen," sagte er. "Ihr Leutchen vom Lande habt's ja gut, mit . . . weiter lesen

Herzen und Hände

In Denver stiegen viele Passagiere in den Schnellzug nach Osten ein. In einem Wagen saß eine sehr hübsche junge Frau, elegant gekleidet und umgeben von all den luxuriösen Annehmlichkeiten eines erfahrenen Reisenden. Unter den neu zugestiegenen Fahrgästen waren zwei Männer, der eine jung, gut aussehend mit einem unerschrockenen, offenen Gesicht, der andere ein ungepflegter, mürrischer Mensch, schwer gebaut und schäbig gekleidet. Die beiden waren mit Handschellen aneinander gefesselt. Als sie den Mittelgang entlang gingen, boten sich ihnen als einzige Sitzplätze nur die gegenüber der attraktiven jungen Frau. Und hier ließ sich das zusammengekettete Paar nieder. Die junge Frau warf einen flüchtigen, unbeteiligten Blick auf sie; aber dann . . . weiter lesen

Nach zwanzig Jahren

Der Schutzmann gab eine imposante Erscheinung ab, so wie er die Straße entlang patroullierte. Dieses Gehabe war Gewohnheit und nicht etwa auf Wirkung berechnet, denn es gab kaum jemanden, der es sehen hätte können. Es war erst kurz vor zehn Uhr abends, aber kalte Windstöße, die nach Regen schmeckten, hatten die Straßen fast völlig entvölkert. Er kontrollierte, ob die Türen verschlossen waren und wirbelte dabei seinen Knüppel kunstvoll mit sorgfältig einstudierten Bewegungen. Dann und wann drehte er sich um und ließ sein wachsames Auge die friedliche Straße entlangschweifen und gab mit seiner robusten Statur und dem leicht wiegenden Gang das vollkommene Bild eines Ordnungshüters ab. In dieser Gegend gingen die Leute zeitig . . . weiter lesen