Der kleine Häwelmann

Es war einmal ein kleiner Junge, der hieß Häwelmann. Des nachts schlief er in einem Rollenbett und auch des nachmittags, wenn er müde war; wenn er aber nicht müde war, so mußte seine Mutter ihn darin in der Stube umherfahren, und davon konnte er nie genug bekommen. Nun lag der kleine Häwelmann eines nachts in seinem Rollenbett und konnte nicht einschlafen; die Mutter aber schlief schon lange neben ihm in ihrem großen Himmelbett. »Mutter«, rief der kleine Häwelmann, »ich will fahren!« Und die Mutter langte im Schlaf mit dem Arm aus dem Bett und rollte die kleine Bettstelle hin und her, und wenn ihr der Arm müde werden wollte, so rief der kleine Häwelmann: »Mehr, mehr!« und dann ging das Rollen wieder von vorne an. Endlich aber schlief sie gänzlich ein; und so viel Häwelmann . . . weiter lesen

Im Nachbarhause links

»Wenn du es hören willst«, sagte mein Freund und streifte mit dem kleinen Finger die Asche von seiner Zigarre. »Aber die Heldin meiner Geschichte ist nicht gar zu anziehend; auch ist es eigentlich keine Geschichte, sondern nur etwa der Schluß einer solchen.« »Danke es«, versetzte ich, »unserer heurigen Novellistik, daß mir das letzte jedenfalls besonders angenehm erscheint.« »So? – Nun also! Es sind jetzt dreißig Jahre, daß ich als Stadtsekretär in diese treffliche See- und Handelsstadt kam, in welcher die Groß- und Urgroßväter meiner Mutter einst als einflußreiche Handelsherren gelebt hatten. Das derzeit von mir gemietete Wohnhaus stand zwischen zwei sehr ungleichen Nachbarn: an der Südseite ein sauber gehaltenes Haus voll lustiger Kinderstimmen, mit hellpolierten . . . weiter lesen

Bulemanns Haus*

In einer norddeutschen Seestadt, in der sogenannten Düsternstraße, steht ein altes verfallenes Haus. Es ist nur schmal, aber drei Stockwerke hoch; in der Mitte desselben, vom Boden bis fast in die Spitze des Giebels, springt die Mauer in einem erkerartigen Ausbau vor, welcher für jedes Stockwerk nach vorne und an den Seiten mit Fenstern versehen ist, so daß in hellen Nächten der Mond hindurchscheinen kann. Seit Menschengedenken ist niemand in dieses Haus hinein- und niemand herausgegangen; der schwere Messingklopfer an der Haustür ist fast schwarz von Grünspan, zwischen den Ritzen der Treppensteine wächst jahraus, jahrein das Gras. Wenn ein Fremder fragt: »Was ist denn das für ein Haus?«, so erhält er gewiß zur Antwort: »Es ist Bulemanns Haus«; wenn er aber weiter fragt: »Wer . . . weiter lesen

Unterm Tannenbaum

Ei­ne Däm­mer­stun­de Es war das Ar­beits­zim­mer ei­nes Be­am­ten. Der Ei­gen­tü­mer, ein Mann in den Vier­zi­gern, mit scharf aus­ge­präg­ten Ge­sichts­zü­gen, aber mil­den, licht­blau­en Au­gen un­ter dem schlich­ten, hell­blon­den Haar, saß an ei­nem mit Bü­chern und Pa­pie­ren be­deck­ten Schreib­tisch, da­mit be­schäf­tigt, ein­zel­ne Schrift­stü­cke zu un­ter­zeich­nen, wel­che der da­ne­ben­ste­hen­de al­te Amts­bo­te ihm über­reich­te. Die Nach­mit­tags­son­ne des De­zem­ber be­leuch­te­te eben mit ih­rem letz­ten Strahl das gro­ße schwar­ze Tin­ten­faß, in das er dann und wann die Fe­der tauch­te. End­lich war al­les un­ter­schrie­ben. “Ha­ben Herr Amts­rich­ter sonst noch et­was?” . . . weiter lesen

Waldwinkel

Über dem Dache des Rat­hau­ses, das zu­gleich die Woh­nung des städ­ti­schen Bür­ger­meis­ters bil­de­te, kreuz­ten die ers­ten Schwal­ben in der Früh­jahrs­son­ne; auf der Vor­stra­ße stan­den die "Bür­ger­meis­ters­bu­ben" und such­ten ver­ge­bens die Kö­ni­gin der Luft mit den Lehm­ku­geln ihres Pus­t­rohrs zu er­rei­chen. Drin­nen aber in sei­nem Ge­schäfts- und Ar­beits­zim­mer saß der Ge­stren­ge selbst, der außer dem ge­nann­ten Amte auch das eines Ge­richts­die­ners und Po­li­zei­meis­ters in sei­ner Per­son ver­ei­nig­te, ver­tieft in ein di­ckes Ak­ten­fas­zi­kel, nicht ach­tend des hei­te­ren Glan­zes, der durch die Fens­ter zu ihm her­ein­ström­te. Da wurde drau­ßen flüch­tig an die Tür ge­pocht, . . . weiter lesen