Erniedrigte und Beleidigte

  Erster Teil Erstes Kapitel Im vorigen Jahre, am Abend des zweiundzwanzigsten März, erlebte ich etwas sehr Seltsames. Ich war den ganzen Tag über in der Stadt umhergelaufen, um mir eine Wohnung zu suchen. Meine bisherige Wohnung war sehr feucht, und ich begann schon damals häßlich zu husten. Ich hatte bereits im Herbst umziehen wollen, aber die Sache hatte sich dann bis zum Frühling hingezögert. Den ganzen Tag über hatte ich nichts mir Zusagendes finden können. Erstens wollte ich eine eigene Wohnung haben, nicht eine in Aftermiete; und zweitens wollte ich mich zwar nötigenfalls mit einem einzigen Zimmer begnügen, dieses sollte aber unbedingt groß sein, selbstverständlich gleichzeitig auch möglichst billig. Ich hatte die Beobachtung gemacht, daß in einem engen Zimmer sich . . . weiter lesen

Ein Traum

I. Ich lebte um jene Zeit mit meinem Mütterchen in einer kleinen Seestadt. Ich war eben 17 Jahre alt geworden, meine Mutter war aber noch nicht 35; sie hatte sehr jung geheiratet. Mein Vater starb, als ich gerade 6 Jahre alt war, aber ich konnte mich seiner noch genau erinnern. Mütterchen war eine kleine blonde Frau mit einem schönen, doch ewig traurigen Gesicht, mit einer stillen, matten Stimme und schüchternen Bewegungen. In ihrer Jugend war sie als eine Schönheit berühmt und sie blieb bis an ihr Ende anziehend und anmutig. Ich habe nie tiefere, zartere und traurigere Augen, weichere und feinere Haare, nie vornehmere Hände gesehen. Ich vergötterte sie, und sie liebte mich ... Doch unser Leben ging freudlos dahin: es war, als ob ein geheimer, unheilbarer . . . weiter lesen

Ein schwaches Herz

  Unter dem gleichen Dache, in der gleichen Wohnung, im gleichen vierten Stock wohnten zwei junge Beamte und Kanzleikollegen: Arkadij Iwanowitsch Nefedewitsch und Wassja Schumkow ... Natürlich erachtet es der Autor für notwendig, dem Leser zu erklären, warum der eine Held mit seinem vollen Namen, der andere dagegen mit dem Diminutiv genannt wird; er müßte es schon aus dem einen Grunde tun, weil ihm sonst diese letztere Form als unanständig und plump vertraulich übelgenommen werden kann. Doch zu diesem Behufe müßte er zunächst den Rang, das Alter und den Beruf einer jeden der handelnden Personen angeben; da es aber allzuviel Schriftsteller gibt, die ihre Erzählungen mit derartigen Charakteristiken beginnen, hat sich der Autor der vorliegenden Novelle entschlossen, nur um den . . . weiter lesen

Christbaum und Hochzeit

Neulich sah ich eine Hochzeit ... doch nein! Ich will Ihnen lieber von einer Christbaumfeier erzählen. Die Hochzeit war schön; sie gefiel mir sehr, aber die andere Feier war noch schöner. Ich weiß nicht warum, doch als ich die Hochzeit sah, mußte ich an die Christbaumfeier denken. Diese sah ich aber bei folgender Gelegenheit. Vor genau fünf Jahren war ich am Sylvesterabend zu einem Kinderball eingeladen, Der Gastgeber war ein sehr bekannter Geschäftsmann mit viel Verbindungen, Bekanntschaften und Intrigen, so daß der Kinderball wohl mehr ein Vorwand für die Eltern war, zusammenzukommen, um auf eine scheinbar harmlose und zufällige Weise von andern, wichtigeren Dingen zu sprechen. Ich war in die Gesellschaft ganz zufällig hineingeraten, hatte keinerlei Beziehungen zu den interessanten . . . weiter lesen

Weiße Nächte

Die erste Nacht Es war eine wunderbare Nacht, eine von den Nächten, die wir nur erleben, solange wir jung sind, freundlicher Leser. Der Himmel war so sternenreich, so heiter, daß man sich bei seinem Anblick unwillkürlich fragen mußte: können denn unter einem solchen Himmel überhaupt irgendwelche böse oder mürrische Menschen leben? So fragt man nur, wenn man jung ist, freundlicher Leser, wenn man sehr jung ist; doch möge der Herr Ihnen solche Fragen öfter eingeben ... Da ich gerade von allerlei mürrischen und bösen Herrschaften spreche, muß ich an mein musterhaftes Betragen während des ganzen heutigen Tages denken. Schon vom frühen Morgen an quälte mich ein seltsames Unlustgefühl. Es war mir plötzlich, als ob ich, Einsamer, von allen verlassen sei und als ob sich alle von . . . weiter lesen