Die Dienstmarke von Officer O’Roon

Zweifellos kann es vorkommen, dass ein Mann und eine Frau, die sich zum ersten Mal sehen, sich augenblicklich ineinander verlieben. Diese Liebe auf den ersten Blick ist allerdings eine ziemlich gewagte Sache, solange sie ihn nicht in der Bradstreet und er sie nicht in Lockenwicklern zu Gesicht bekommen hat. Aber solche Dinge kommen nun einmal vor, und die folgende Geschichte mag als ein Beispiel dafür gelten.

Im Spanisch-Amerikanischen Krieg ritt eine Truppe, die sich Gentle Riders nannte, in die Geschichtsbücher und ein oder zwei Hinterhalte. Die Gentle Riders rekrutierten sich aus dem Adel der wilden Männer aus dem Westen und den wilden Männern aus dem Adel der Ostküste. In ihren Uniformen unterschieden sie sich kaum voneinander und sie wurden rundum gute Freunde und Kameraden.

Ellsworth Remsen, dessen altehrwürdige New Yorker Abstammung sein bescheidenes Vermögen von nur zehn Millionen Dollar wettmachte, aß fröhlich sein Büchsenfleisch an den Lagerfeuern der Gentle Riders. Den Krieg betrachtete er als einen großer Spaß, und trauerte Polo und Räucherlachs kaum nach.

Einer der Kameraden war ein gut gebauter, umgänglicher, ruhiger junger Mann, der auf den Namen O’Roon hörte. Zu diesem jungen Mann fasste Remsen eine besondere Zuneigung. Die beiden ritten Seite an Seite bei dem berühmten, viel diskutierten Bergangriff, der seiner Zeit bei den Spaniern und später bei den Demokraten so heiß umstritten war.

Nach dem Krieg kehrte Remsen zu seinem Polo und dem Räucherlachs zurück. Eines Tages stöberte ihn ein gut gebauter, liebenswürdiger, ruhiger junger Mann in seinem Klub auf, und schon bald balgten er und O’Roon sich herum und belegten sich gegenseitig mit schmähenden Beinamen wie alte Freunde es tun, die sich lange nicht gesehen haben. O’Roon sah heruntergekommen aus und als ob er Pech gehabt hätte, aber vollkommen zufrieden. Doch diese Zufriedenheit schien nur aufgesetzt zu sein.

»Besorg mir einen Job, Remsen,« sagte er schließlich. »Ich habe gerade meinen letzten Dollar beim Friseur liegen lassen.«

»Mach dir mal bloß keine Sorgen,« erwiderte Remsen. »Ich kenne eine Menge Leute in der Stadt, die eine Bank oder einen Laden oder irgend etwas in der Art haben. Hattest du an etwas Bestimmtes gedacht?«

»Ja,« sagte O’Roon eifrig. »Heut morgen war ich im Central Park. Ich würde gerne einer von diesen berittenen Polizisten sein. Das wäre genau das Richtige für mich. Und nebenbei, es ist das einzige, worauf ich mich verstehe. Reiten kann ich, und ich bin gerne an der frischen Luft. Glaubst du, dass du das für mich einfädeln kannst?«

Remsen war sich sicher, dass er es konnte. Und in sehr kurzer Zeit hatte er es geschafft. Und wer sich nicht zu fein war, einen berittenen Polizisten genauer ins Auge zu fassen, der konnte einen gut gebauten, liebenswürdigen, ruhigen Mann auf einem tänzelnden Fuchs bei seinem Streifendienst auf den Parkwegen sehen.

Und nun zu den besonders gefährlichen ermüdenden alte Männern, die lederne Uhrenketten tragen und älteren Damen, die – aber nein! Selbst Großmutter würde erschaudern bei dem Gedanken an einen lächerlichen, unsterblichen Romeo – hier muss noch ein Hinweis von Liebe auf den ersten Blick rein.

Und genau das passierte, als Remsen nur einige Schritte von seinem Klub entfernt schlendernd auf die Fifth Avenue einbog.

Ein Automobil kam im Schritttempo die Straße entlang, aufgehalten von einer Flut von Fahrzeugen, die die Straße verstopften. In ihm saßen der Chauffeur und ein alter Herr mit weißem Backenbart und einer Schottenmütze auf dem Kopf, wie sie nur jemand mit einer ausgeprägten Persönlichkeit beim Autofahren tragen konnte. Nicht einmal ein Weinhändler würde sich unterstanden haben, so etwas zu tun. Aber auf diese beiden kam es nicht an, außer vielleicht für das Chauffieren und die Bezahlung dafür. Neben dem alten Herrn saß eine junge Dame, schöner als eine Apfelblüte, köstlicher als der Mond im ersten Viertel in der Dämmerung durch Oleanderzweige betrachtet. Remsen sah sie und wusste, dass es um ihn geschehen war. Er hätte sich vor die Räder werfen können, die sie transportierten, aber er ihm war klar, dass dies nur das letzte Mittel war, um die Aufmerksamkeit von Autoinsassen auf sich zu ziehen. Langsam fuhr das Auto vorüber, und – wenn wir einmal den Dichter über den Automobilisten stellen – trug das Herz von Remsen mit sich fort. Dies war eine große Millionenstadt mit vielen Frauen, die aus einer gewissen Entfernung Apfelblüten zu ähneln schienen. Und doch hoffte er sie wiederzusehen; denn jedermann bildet sich ein, dass gerade seine Verliebtheit unter dem besonderen Schutz der Götter steht.

Zum Glück für Reimsens Seelenfrieden kam es zu einer Ablenkung in Gestalt eines Treffens der Gentle Riders der Stadt. Es waren ihrer nicht viele – ungefähr zwanzig – und es gab ein Trinkgelage, es wurde gegessen, und Reden wurden gehalten, und in der Erinnerung wurde der Spanier wieder beherzt bekämpft. Als der Morgen graute, rüsteten sich die letzten zum Aufbruch. Aber ein paar blieben auf dem Schlachtfeld zurück. Unter ihnen war der Soldat O’Roon, der scharfe Sachen nicht gewohnt war. Die Beine versagten ihm den Dienst, den sie der Polizeibehörde geschworen hatten.

»Ich bin blau, Remsen,« sagte O’Roon zu seinem Freund. »Warum bauen sie Hotels, die sich immerzu drehen wie Feuerräder? Sie nehmen mir mein Schild weg und zerschmettern mich. Ich kann fo-fol-gerichtig denken und sprechen, aber mir z-z-zittern die Knie. In drei Stunden fängt mein Dienst an. Der Tanz geht los, Remsen. Ich kann dir sagen, der Tanz geht los.«

»Sieh mich an,« sagte Remsen lächelnd und zeigte auf sein eigenes Gesicht. »Wen siehst du hier?«

»Meinen guten Kumpel,« sagte O’Roon benebelt, »meinen guten alten Remsen.«

»Nicht doch,« widersprach Remsen. »Du siehst den berittenen Polizisten O’Roon. Sieh dir ins Gesicht – ach nein, das kannst du ja nicht ohne Spiegel – aber sieh dir meins an und dann denk an deins. Wie sehr sind wir uns ähnlich? Wie zwei Franzosen an der Hoteltafel. Mit deiner Marke, auf deinem Pferd, in deiner Uniform werde ich die Kindermädchen bezaubern und dafür sorgen, dass unter den Füßen der Besucher im Park kein Gras wächst. Ich werde deine Marke und dein Ansehen haben und nebenbei den hübschesten Spaß seit wir Spanien in die Pfanne gehauen haben.«

Und so trabte pünktlich die gefälschte Darstellung des berittenen Polizisten O’Roon auf seinem Fuchs in den Park. In einer Uniform werden sich zwei Männer, die sich eigentlich gar nicht ähneln, plötzlich gleich; und zwei, die in Aussehen und Statur gewisse Ähnlichkeiten haben, werden wie Zwillinge erscheinen. So trabte Remsen nun die Reitwege entlang und amüsierte sich königlich, wo Zehnfachmillionäre eigentlich doch so wenige wirkliche Vergnügen haben.

Im Dunst des frühen Morgens kam den Reitweg entlang eine zweisitzige Kutsche mit Faltdach, die von einem Paar temperamentvollen kastanienbraunen Pferden gezogen wurde. Es lag etwas Merkwürdiges in diesem Umstand, denn am frühen Morgen wird der Park kaum besucht außer von unbedeutenden Leuten, die gerne gesund leben und arm und klug sind. In dem Fahrzeug saßen ein alter Herr mit weißem Backenbart und einer Schottenmütze, die bei einer Kutschfahrt unmöglich getragen werden konnte außer von einer Persönlichkeit. An seiner Seite saß die Dame von Remsens Herz – die Dame, die aussah wie eine Apfelblüte und der Mond im ersten Viertel.

Remsen blickte ihnen entgegen. Als sie an ihm vorüberfuhren blickten ihre Augen direkte in die seinen, und hätte er nicht das Hasenherz des wirklich Verliebten gehabt, hätte er schwören können, dass eine zarte Röte über ihr Gesicht flog. Er trabte zwanzig Meter weiter und wirbelte dann sein Pferd herum, als er den Klang von davon galoppierenden Hufen hörte. Die Braunen waren durchgegangen. Wie ein Blitz jagte Remsen auf seinem Fuchs der Kutsche hinterher. Darsteller von Officer O’Roon hatte alle Hände voll zu tun. Dreißig Sekunden nachdem die Jagd begonnen hatte, erreichte der Fuchs das Gespann, er äugte zu Remsen zurück und sagte in der einzigen Art, die einem Polizeipferd zu Gebote stand: »He, du Viehdieb, willst du nun gefälligst deinen Teil der Arbeit tun? Du bist zwar nicht O’Roon, aber mir scheint, wenn du dich ein wenig nach rechts beugtest, könntest du die Zügel dieses blöden, dahintrödelnden Gespanns packen – ah! Gut so; O’Roon hätte es nicht besser machen können!«

Das durchgegangene Gespann wurde von Remsens harten Muskeln zu einem unrühmlichen Halt gebracht. Der Lenker machte seine Hände von den Zügeln frei, sprang von seinem Sitz und stellte sich neben die Köpfe der Braunen. Der Fuchs, hochzufrieden mit seinem neuen Reiter, tänzelte und paradierte.

Remsen verweilte unschlüssig und nahm dunkel einen undeutlichen, unmöglichen und ganz unnötigen alten Herrn mit einer Schottenmütze wahr, der unaufhörlich über irgendetwas sprach. Aber sehr deutlich bemerkte er ein Paar veilchenblauer Augen, die Sankt Eisenkies – oder wen auch immer – von seinem eisernen Sockel geholt hätten, und das Lächeln der Dame und ihren Blick – ein wenig verängstigt noch, aber ein Blick, den er mit dem Hasenherz des wirklich Liebenden nicht deuten konnte. Sie erkundigten sich nach seinem Namen und überhäuften ihn mit wohl gesetzten Dankesworten für seine Heldentat, und die Schottenmütze war dabei besonders redselig und beharrlich. Aber noch viel beredter war der Ausdruck in den Augen der Lady.

Ein leichter Schauder der Befriedigung überlief Remsen, weil er einen Namen nennen musste, der ohne übertrieben Stolz einen guten Klang auch in den höchsten Kreisen hatte, und ein kleines Vermögen, das er mit berechtigtem Stolz am Ende seiner Tage hinterlassen konnte, ohne jemandem Schande zu bereiten.

Er öffnete den Mund, um zu sprechen, und schloss ihn wieder. Wer war er denn eigentlich? Der berittene Schutzmann O’Roon. Das Dienstabzeichen und das Ansehen seines Kameraden lagen in seiner Hand. Wenn Ellsworth Remsen, zehnfacher Millionär und Angehöriger des New Yorker Adels, gerade die Apfelblüte und die Schottenmütze vor dem möglichen Tod gerettet hatte, wo war dann der Schutzmann O’Roon? Außer Dienst, bloß gestellt, blamiert, außer Gefecht gesetzt. Die Liebe war zwar über ihn gekommen, aber davor existierte noch etwas, das sein Vorrecht geltend machte – die Kameradschaft von Männern auf dem Schlachtfeld, die gegen einen fremden Feind gekämpft hatten.

Remsen tippte sich an die Mütze, blickte auf die Ohren des Fuchses nieder und nahm Zuflucht zu einer Redensart. »Nicht der Rede wert,« sagte er behäbig. »Wir Polizisten werden dafür bezahlt. Wir tun bloß unsere Pflicht.«

Und damit ritt er davon – ritt davon die noblesse oblige verfluchend. Aber es war ihm auch klar, daß er nie etwas anderes hätte tun können.

Am Ende des Tages brachte Remsen den Fuchs in den Stall zurück und suchte O’Roon in seinem Zimmer auf. Der Schutzmann war wieder ein gut gebauter, liebenswürdiger, ruhiger junger Mann und saß am Fenster und rauchte eine Zigarre.

»Ich wünschte, du und der Rest der Polizei und alle Dienstmarken, Pferde, Messingknöpfe und Männer, die keine zwei Gläser Schampus trinken können, ohne gleich umzufallen, wären beim Teufel,« sagte Remsen verbittert.

O’Roon lächelte mit sichtlicher Befriedigung.

»Guter alter Remsen,« sagte er liebenswürdig. »Ich weiß alles. Sie haben mich hier vor zwei Stunden aufgespürt und in die Mangel genommen. Weißt du, zuhause gab’s ein bisschen Krach, und ich bin abgehauen, nur um es ihnen zu zeigen. Ich glaube nicht, dass ich dir erzählt habe, dass mein alter Herr der Earl of Ardsley ist. Schon komisch, dass du gerade auf sie im Park gestoßen bist. Wenn du aber mein Pferd verletzt haben solltest, werde ich dir das nie vergessen. Ich habe nämlich vor, es zu kaufen und mit zu mir nach Hause nehmen. Oh ja, und ich glaube, meine Schwester – Lady Angela, du kennst sie ja – wünscht sich sehr, dass du heute Abend mit mir zusammen in ihr Hotel kommst. Und du hast doch hoffentlich meine Marke nicht verloren, Remsen, oder? Ich muss sie nämlich im Präsidium zurückgeben, wenn ich den Dienst quittiere.«

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